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  • 05.03.2024 · IWW-Abrufnummer 240057

    Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Beschluss vom 14.12.2023 – 1 S 1173/23

    Es stellt ein Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO dar, die für das Erstellen des fristgebundenen Schriftsatzes notwendige Synchronisation zwischen dem lokalen PC des Anwalts und einem Arbeitssystem auf einem Server in einem weit entfernten Rechenzentrum erst fünf Minuten vor dem Ende der Rechtsmittelbegründungsfrist durchzuführen. Diese Synchronisation ist auf Leitungen außerhalb der Kanzlei und die Übermittlung über Internetverbindungen angewiesen. Daher müssen bei pflichtgemäßem Handeln ausreichende Zeitreserven für diese Synchronisation eingeplant werden.


    Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 

    Beschluss vom 14.12.2023


    In der Verwaltungsrechtssache
    - Kläger -
    - Antragsteller -
    prozessbevollmächtigt:
    gegen
    Land Baden-Württemberg,
    vertreten durch Regierungspräsidium Stuttgart - Abteilung Wirtschaft und Infrastruktur -,
    Ruppmannstraße 21, 70565 Stuttgart
    - Beklagter -
    - Antragsgegner -

    wegen Löschung aus dem Denkmalbuch
    hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

    hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 14. Dezember 2023 beschlossen:

    Tenor:

    Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. Mai 2023 - 2 K 6297/20 - wird verworfen.

    Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

    Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

    Gründe

    I.

    Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren die Löschung der seit 2006 in seinem Eigentum stehenden Villa in der xxxxxxxxxx, xxxxxxxxxxxxxxx aus dem Denkmalbuch, in das sie am 03.08.1983 eingetragen wurde.

    Mit Schreiben vom 22.08.2019 beantragte der Kläger beim Regierungspräsidium Stuttgart die Löschung des Eintrags seiner Villa aus dem Denkmalbuch. Nach Anhörung des Landesamtes für Denkmalpflege lehnte das Regierungspräsidium Stuttgart die Löschung des Eintrags aus dem Denkmalbuch mit Bescheid vom 09.01.2020 ab. Die hiergegen gerichtete Klage des Klägers wies das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 26.05.2023 - 2 K 6297/20 - ab.

    In einem weiteren Verfahren begehrt der Kläger die Feststellung, dass es sich bei seiner Villa nicht um ein Kulturdenkmal handelt, hilfsweise die Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Genehmigung für bereits vorgenommene Umbauarbeiten. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies diese Klage mit Urteil vom 26.05.2023 - 2 K 6441/22 - ab. Gegen dieses am 12.06.2023 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellte Urteil hat sich dieser mit einem Antrag auf Zulassung der Berufung gewandt. Dieser ist am 11.07.2023 beim Verwaltungsgericht eingegangen und mit einem Schriftsatz vom 14.08.2023, der über beA übermittelt worden und am 14.08.2023 um 23:28 Uhr beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen ist, vom Kläger begründet worden. Über diesen Antrag hat der Senat noch nicht entscheiden (1 S 1126/23).

    Das Urteil des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Verfahren (Urt. v. 26.05.2023 - 2 K 6297/20 -) ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ebenfalls am 12.06.2023 zugestellt worden. Dieser hat beim Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 11.07.2023, taggleich beim Verwaltungsgericht eingegangen, die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragt und eine Begründung des Antrags mit gesondertem Schriftsatz angekündigt. Mit Schriftsatz vom 14.08.2023, überschrieben mit "Erster Fristverlängerungsantrag" hat der Kläger seinen Antrag auf Zulassung der Berufung begründet und die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO geltend gemacht. Der über beA übermittelte Schriftsatz ist beim Verwaltungsgerichtshof am 15.08.2023, einem Dienstag, um 00:03 Uhr eingegangen. Hierauf ist der Kläger mit Verfügung vom 15.08.2023 hingewiesen worden.

    Der - in Berlin tätige - Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 29.08.2023, taggleich beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, beantragt, dem Kläger wegen der Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat er unter Vorlage u.a. von eidesstattlichen Versicherungen im Wesentlichen ausgeführt, er habe am 14.08.2023 zunächst beabsichtigt, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, diese Überlegung gegen 12 Uhr jedoch verworfen. Um eine fristwahrende Übersendung des Schriftsatzes sicherzustellen, habe er gegen 12 Uhr die beiden beA-Nachrichten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren 1 S 1126/23 auf der Portalseite (https://www.bea-brak.de/) im Entwurf mit "Empfänger", "Aktenzeichen" und "Betreff" erstellen und so vorbereiten wollen, dass er später nur noch den fertigen Schriftsatz per pdf-A in den vorbereiteten beA-Nachrichtenentwurf habe hochladen müssen, um dann auf "Senden" zu drücken, um eine umgehende und fristwahrende Übermittlung zu gewährleisten. Gleichzeitig habe er beabsichtigt, durch diese Entwurfserstellung die Funktionsfähigkeit von beA selbst rechtzeitig zu prüfen. Als er sich zu diesem Zwecke am beA auf der Portalseite (https://www.bea-brak.de/) habe anmelden wollen, habe der Kartenleser des Typs SPR 532 (der RAK Stuttgart) nicht funktioniert. Er habe daher um 12:19 Uhr der IT der Kanzlei eine E-Mail mit der dringenden Bitte um Abhilfe und Installation entsprechender Treiber gesandt. Seine Assistentin habe auf seine Weisung mit E-Mail von 14:02 Uhr bei der IT unter Hinweis auf den Fristablauf in zwei Verfahren nachgehakt. Irgendwann zwischen 14 und 15 Uhr habe er sich mit seiner beA-Karte über den PC und Kartenleser bei seiner Assistentin im beA eingeloggt und die beiden beA-Nachrichten im Entwurf vorbereitet.

    Zwischen 15 und 16 Uhr habe sich xxxxxx xxxxxxx, ein externer IT-Mitarbeiter der Kanzlei am Standort München, gemeldet und sich per Fernwartungssoftware (Team Viewer) auf den PC des Unterzeichners eingeloggt. Dieser habe den ursprünglich vorgesehenen Kartenleser mangels passender Hardwaretreiber nicht zum Laufen bringen können, jedoch das vom Prozessbevollmächtigten daraufhin bei einem Anwaltskollegen organisierte Kartenlesegerät des Typs Rainer SCT mit einer entsprechenden Software installiert und beim Funktionstest sodann festgestellt, dass der Kartenleser auf der ersten Ebene (lokale PC-Oberfläche, wie bei jedem normalen PC) funktioniert habe; der Prozessbevollmächtigte habe sich beim beA-Portal mit dem Kartenleser einloggen können; dort, auf der ersten Ebene laufe bei jedem Rechtsanwalt der Kanzlei das beA-Programm. Jedoch sei der Funktionstest in der zweiten Ebene (Citrix Workspace) negativ ausgefallen. Auf der zweiten Ebene sei die Karte im beA-Portal nicht erkannt worden. Die Citrix Workspace-Ebene sei ein übliches Windows-Betriebssystem, welches jedoch nicht auf der Festplatte des lokalen PC (hier des Prozessbevollmächtigten) installiert sei, sondern auf einem Server in einem weit entfernen Rechenzentrum.

    Nachdem xxxxxx xxxxxxx von der IT selbst nicht richtig habe nachvollziehen können, warum das Kartenlesegerät nur auf der ersten, aber nicht auf der zweiten Ebene zum Einloggen ins beA funktioniert habe, und dieses Problem auch nicht ad hoc habe beheben können, habe der Prozessbevollmächtigte gefragt, wie er die beiden fertigen Schriftsätze von der zweiten Ebene auf die erste Ebene zum Zwecke des beA-Versands zuverlässig und rechtzeitig transferiert bekomme. xxxxxx xxxxxxx habe ihm mitgeteilt, dass er den Schriftsatz auf der zweiten Ebene erstellen und auf OneDrive speichern könne, um diesen dann sofort von der ersten Ebene abzurufen, um diesen dann per beA zu versenden.

    Zwischen diesen beiden Ebenen (Lokale Ebene und Citrix Workspace-Ebene) könnten bei PCs der Kanzlei Dateien (wie eine pdf) über die vorhandene Microsoft OneDrive-Infrastruktur (Cloud Speicher) ausgetauscht und wechselseitig auf beiden Ebenen abgerufen werden. xxxxxx xxxxxxx habe dem Prozessbevollmächtigten dazu mitgeteilt, dass eine in der zweiten Ebene in OneDrive gespeicherte Datei mit der hier zu erwartenden Größe von ca. 300 KB in aller Regel sofort synchronisiert werde, d.h. innerhalb weniger Sekunden (maximal binnen einer Minute) auf der ersten Ebene zur Verfügung stehe. Der Prozessbevollmächtigte habe sich auf diese Aussage verlassen.

    Im Verfahren 1 S 1126/23 habe die Synchronisation mit OneDrive innerhalb weniger Sekunden funktioniert. Der Prozessbevollmächtigte habe in jenem Verfahren daher um 23:28 Uhr den Schriftsatz zur Begründung des Berufungszulassungsantrages problemlos einreichen können. Die Übermittlungszeit habe weniger als eine Minute betragen.

    Aufgrund dieser Erfahrung mit der ersten Begründungsschrift und der Zusicherung des IT-Mitarbeiters xxxxxxx habe sich der Prozessbevollmächtigte darauf verlassen, dass auch die zweite Begründungsschrift innerhalb von einer bis maximal zwei Minuten versendet werden könne. Daher habe er sich auf dem iPhone einen Wecker für 23:55 Uhr gestellt. Nachdem dieser geklingelt habe, habe er den letzten Satz finalisiert und um 23:56:05 Uhr den fertiggestellten Schriftsatz mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung in OneDrive auf der zweiten Ebene (Citrix Workspace) als "SS_Begruendung_L.pdf" abgespeichert. Allerdings habe keine sofortige Synchronisation auf die erste Ebene innerhalb der maximal zu erwartenden Synchronisationszeit (eine Minute maximal) stattgefunden, denn das Dokument sei nachweislich erst um 00:05:19 Uhr am nächsten Tag verfügbar gewesen, also mit einer Verzögerung von fast neun Minuten. Diese Verzögerung von neun Minuten sei vom Leiter der IT-Infrastruktur der Kanzlei am 29.08.2023 bestätigt worden. Ebenso habe dieser bestätigt, dass bei OneDrive die übliche Synchronisationsdauer ungefähr eine Minute betrage. Am 24.08.2023 hätten der Prozessbevollmächtigte und seine Assistentin das Speichern des identischen Schriftsatzes auf der zweiten Ebene in OneDrive simuliert und die Assistentin habe dies gefilmt. Bis zur Synchronisation auf die erste Ebene habe es wie üblich gerade einmal 27 Sekunden gedauert.

    Am 14.08.2023 um 23:58 Uhr habe sich der Prozessbevollmächtigte entschieden, den fertigen Schriftsatz per E-Mail sich selbst zuzuschicken, um diesen dadurch im lokalen Microsoft Outlook auf der ersten Ebene abrufen zu können. Dazu habe er aus dem Microsoft Outlook Postfach der zweiten Ebene eine Mail mit dem fertigen Schriftsatz an sich selbst (xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx) gesandt. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hätte der Microsoft Exchange Server eine Synchronisation der E-Mails innerhalb weniger Sekunden durchgeführt, sodass der Unterzeichner den Schriftsatz hätte fristwahrend per beA versenden können. Aber auch die durch den Unterzeichner um 23:58 Uhr versendete E-Mail sei erst verzögert um 00:02 am 15.08.2023 im lokalen Outlook auf der ersten Ebene nach vier Minuten angezeigt worden. Der Prozessbevollmächtigte habe dann am 15.08.2023 um 00:02 Uhr den Schriftsatz auf der lokalen Ebene gespeichert und diesen per beA mit nachweislichem Eingang beim Verwaltungsgerichtshof am 15.08.2023 um 00:03:27 (lokale Serverzeit) versandt.

    Auch eine ersatzweise Übermittlung per Fax um 23:58 Uhr sei objektiv nicht geeignet gewesen, eine fristwahrende Übermittlung des Schriftsatzes zu gewährleisten. Denn es wäre kein vollständiger Eingang beim Verwaltungsgerichtshof vor Mitternacht möglich gewesen, da allein die Übermittlung des Faxes bei einer üblichen Übertragungsdauer von ca. 30 bis 40 Sekunden pro Seite, bei vier Seiten daher mindestens zwei Minuten in Anspruch genommen hätte und hierzu noch die Zeit vom Ausdrucken bis zur Eingabe der Faxnummer hinzugekommen wäre. Die simulierte Versendung von zwei Faxen an den VGH am 24.08.2023 habe dies mit Übermittlungszeiten von 5:07 Minuten und 4:22 Minuten bestätigt.

    Der Beklagte ist dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten und hat dessen Ablehnung beantragt. Selbst wenn dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gewährt würde, könne der Antrag keinen Erfolg haben. Es bestehe kein Anspruch gemäß § 12 Abs. 3 DSchG auf Löschung des Gebäudes aus dem Denkmalbuch.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

    II.

    Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig und daher zu verwerfen. Der Kläger hat eine fristgemäße Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung nicht vorgelegt (1). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ihm nicht zu gewähren (2).

    1. Der Kläger hat innerhalb der gesetzlichen Frist eine Begründung des Zulassungsantrags nicht eingereicht. Wird die Berufung - wie hier - nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Sätze 1 bis 4 VwGO). Eine Verlängerung der gesetzlichen Frist ist nicht möglich. Erfolgt keine Begründung oder geht diese verspätet ein, ist der Zulassungsantrag unzulässig (vgl. Stuhlfauth, in: Bader u.a., VwGO, 8. Aufl., § 124a Rn. 73 f.).

    So liegt der Fall hier. Die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung lief, da das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26.05.2023 dem Kläger am 12.06.2023 zugestellt wurde, gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB, § 222 Abs. 2 ZPO mit dem 14.08.2023, einem Montag ab, da der 12.08.2023 ein Sonnabend war. Bis zum 14.08.2023 ging keine Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26.05.2023 - 2 K 6297/20 - beim Verwaltungsgerichtshof ein.

    2. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist abzulehnen, weil sein Prozessbevollmächtigter nicht ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, einzuhalten.

    a) Verschuldet i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO ist eine Fristversäumnis, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.02 2021 - 2 C 11/19 - juris Rn. 6, m.w.N.). Dabei ist ihm ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen (§ 173 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die "Beweislast" für die Umstände, die dafür sprechen, dass die Fristversäumnis unverschuldet war, liegt bei dem Betroffenen, der die Wiedereinsetzung begehrt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.05.2010 - 7 B 18/10 - juris Rn. 4, m.w.N.). Gelingt die Glaubhaftmachung nicht oder bleibt nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. seinem Prozessbevollmächtigten verschuldet war, so kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023 - 1 C 10/23 - juris Rn. 12; BGH, Beschl. v. 01.03.2023 - XII ZB 228/22 - juris Rn. 13).

    Prozessuale Fristen - wie des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO - dürfen bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden (st. Rspr., vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 14.02.2023 - 2 BvR 653/20 - juris Rn. 22, m.w.N.; Beschl. v. 15.01.2014 - 1 BvR 1656/09 - juris Rn. 37; BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 15, m.w.N.). Einem Verfahrensbeteiligten kann daher nicht vorgeworfen werden, dass er bis zum letzten Tag der Frist abwartet, ehe er eine fristgebundene prozessrechtliche Erklärung abgibt. Wird eine Rechtsmittelfrist oder die Begründungsfrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft, so treffen den Verfahrensbeteiligten allerdings erhöhte Sorgfaltspflichten. Er muss alle gebotenen und zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Gefahr einer Fristversäumnis zu vermeiden. Ein pflichtbewusster Rechtsanwalt ist daher kurz vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist verpflichtet, jedes Risiko zu meiden, das zu einer Fristversäumung führen oder beitragen kann (BVerfG, Kammerbeschl. v. 02.07.2014 - 1 BvR 862/13 - juris Rn. 4, m.w.N.; BVerwG, Beschl. v. 25.05.2010, a.a.O. Rn. 6, m.w.N.; BGH, Beschl. v. 09.05.2006 - XI ZB 45/04 - juris Rn. 8 ff.).

    Eine Fehlfunktion technischer Einrichtungen in der Anwaltskanzlei entlastet den Rechtsanwalt (nur) dann, wenn die Störung plötzlich und unerwartet aufgetreten ist und durch regelmäßige Wartung der Geräte nicht hätte verhindert werden können (BGH, Beschl. v. 18.02.2020 - XI ZB 8/19 - juris Rn. 12; Beschl. v. 15.12.2022 - I ZB 35/22 - juris Rn. 13). Dabei ist ein Rechtsanwalt bei Ausschöpfung einer Frist bis zum letzten Tag zwar nicht verpflichtet, die technischen Systeme stets vorsorglich auf dessen Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Er missachtet aber dann die gebotene Sorgfalt, wenn er wegen eines Versagens des technischen Systems konkreten Anlass dafür hat, an dessen verlässlicher Funktionstauglichkeit zu zweifeln (BGH, Beschl. v. 16.11.2016 - VII ZB 35/14 - juris Rn. 13; Beschl. v. 18.02.2020, a.a.O. Rn. 12; je zum Telefax).

    Bei der Übersendung von Schriftsätzen mittels Telefax muss der Versender Verzögerungen berücksichtigen, mit denen üblicherweise zu rechnen ist, wozu schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten oder die Belegung des Telefax-empfangsgeräts bei Gericht durch andere eingehende Sendungen gehören, und daher einen über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinausgehenden Sicherheitszuschlag in der Größenordnung von 20 Minuten einkalkulieren (st. Rspr., BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 17, m.w.N.).

    Auch im elektronischen Rechtsverkehr muss mit einer nicht jederzeit reibungslosen Übermittlung gerechnet werden, und können z.B. Schwankungen bei der Internetverbindung oder eine hohe Belastung des Servers kurz vor Mitternacht etwa wegen einer großen Anzahl eingehender Nachrichten oder wegen der Durchführung von Software-Updates zu Verzögerungen führen, die einzukalkulieren sind (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 18; HessVGH, Beschl. v. 24.08.2022 - 4 A 149/22.Z - juris Rn. 10; OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.11.2021 - 6 U 131/21 - juris Rn. 14). Dem ist durch eine zeitliche Sicherheitsreserve bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze Rechnung zu tragen (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 18f.).

    b) Nach diesem Maßstab ist die Versäumung der Begründungsfrist nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO hier verschuldet. Ein Verschulden liegt in mehrfacher Hinsicht vor. Jeder dieser Sorgfaltsverstöße führt bereits je für sich zur Ablehnung der Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO.

    aa) Auch im elektronischen Rechtsverkehr muss, wie ausgeführt, durch einen pflichtgemäß handelnden Rechtsanwalt eine zeitliche Sicherheitsreserve bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze einkalkuliert werden. Dabei ist eine Zeitspanne von unter sieben Minuten für die Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach bei einer nur ca. 280 KB umfassenden Datei zu knapp bemessen (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 18f.). Zu knapp kalkuliert ist daher auch - wie hier - eine Zeitspanne von weniger als fünf Minuten für eine Datei von ca. 300 KB. Das Vorsehen eines so kurzen Zeitraums für die Übermittlung ist auch angesichts des vom Prozessbevollmächtigten geltend gemachten Vertrauens auf eine vergleichbar schnelle Versendung wie im Verfahren 1 S 1126/23 ein Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO. Maßgeblich ist auch bei Erfahrungswerten eines Prozessbevollmächtigten die unter normalen Umständen zu erwartende Übermittlungsdauer zuzüglich eines Sicherheitszuschlags (BGH, Beschl. v. 27.09.2018 - IX ZB 67/17 - juris Rn. 20, 21). Zudem beruft sich der Prozessbevollmächtigte hier nur auf den "Erfahrungswert" aus einem einzigen anderen Verfahren.

    Liegt mithin bereits mangels Einkalkulierens einer ausreichenden zeitlichen Sicherheitsreserve eine Sorgfaltspflichtverletzung vor, so kommt es nicht auf die Frage an, ob eine - wie hier geltend gemacht - unvorhersehbare und unvermeidbare Störung der Hard- oder Software des Computersystems in der Anwaltskanzlei vorlag (BVerwG, Beschl. v. 25.09.2023, a.a.O. Rn. 22).

    bb) Ein Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO ist es auch, die für das Erstellen des fristgebundenen Schriftsatzes notwendige Synchronisation zwischen dem lokalen PC des Anwalts und einem Arbeitssystem auf einem Server in einem weit entfernten Rechenzentrum erst fünf Minuten vor dem Fristende durchzuführen. Diese Synchronisation ist auf Leitungen außerhalb der Kanzlei und die Übermittlung über Internetverbindungen angewiesen. Daher müssen bei sorgfältigem Handeln - wie bei der Übermittlung von Schriftsätzen an das Gericht per Telefax oder im elektronischen Rechtsverkehr - ausreichende Zeitreserven eingeplant werden. Dies hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers hier pflichtwidrig unterlassen.

    Der Umstand, dass diese Synchronisation im Verfahren 1 S 1126/23 um 23:28 Uhr innerhalb weniger Sekunden funktionierte und der IT-Mitarbeiter xxxxxxx dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt hatte, dass eine in der zweiten Ebene in OneDrive gespeicherte Datei mit der hier zu erwartenden Größe von ca. 300 KB in aller Regel sofort synchronisiert werde, d.h. innerhalb weniger Sekunden (maximal binnen einer Minute) auf der ersten Ebene zur Verfügung stehe, entlastet den Prozessbevollmächtigten nicht. Denn zwischen dem Kanzleistandort mit lokalen PCs und einem Server in einem weit entfernten, externen Rechenzentrum ist mit Übertragungsproblemen und schwankenden Internetverbindungen zu rechnen. Dieses Risiko hat der pflichtbewusste Rechtsanwalt kurz vor Fristende zu meiden.

    cc) Ein weiteres Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO liegt darin, dass der Prozessbevollmächtigte am 14.08.2023 für die Erstellung des Schriftsatzes mit der Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung keinen anderen sichereren Weg wählte, als am Nachmittag nicht aufzuklärende technische Probleme auf der zweiten Ebene des Computersystems auftraten. Beim Funktionstest mit dem externen IT-Mitarbeiter xxxxxxx am Tag des Fristablaufs zwischen 15 und 16 Uhr fiel der Funktionstest auf der zweiten Ebene negativ aus und wurde die Karte auf der zweiten Ebene im beA-Portal nicht erkannt, während der Kartenleser auf der ersten Ebene, auf dem lokalen PC funktionierte. Der IT-Mitarbeiter xxxxxxx konnte selbst nicht nachvollziehen, warum das Kartenlesegerät nur auf der ersten, nicht aber auf der zweiten Ebene funktionierte. Das Computersystem der Kanzlei funktionierte auf der zweiten Ebene mithin nicht störungsfrei. Wenn solche Störungen auftreten, erhöhen sich die Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts und ist er verpflichtet, parallele Sicherungsmaßnahmen durchzuführen (BGH, Beschl. v. 27.01.2015 - II ZB 21/13 - juris Rn. 10 ff., zu Sicherungsmaßnahmen bei eingeschränktem Zugriff auf den Fristenkalender auf einem externen Server). Zu einer solchen Sicherungsmaßnahme hätte hier gehören können, den fristgebundenen Schriftsatz ausschließlich auf dem lokalen PC zu erstellen. Dies hat der Prozessbevollmächtigte pflichtwidrig unterlassen.

    3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

    Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

    RechtsgebietElektronischer RechtsverkehrVorschriften§ 60 Abs. 1 VwGO; § 85 Abs. 2 ZPO