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  • 29.11.2022 · IWW-Abrufnummer 232541

    Oberverwaltungsgericht Bremen: Beschluss vom 09.09.2022 – 2 LA 91/22

    Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt, wenn das Gericht einen Prozesskostenhilfeantrag für einen noch zu stellenden Berufungszulassungsantrag ablehnt, weil der Kläger die Prozesskostenhilfeunterlagen nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist vorgelegt hat.


    Oberverwaltungsgericht Bremen

    Beschluss vom 09.09.2022


    In der Verwaltungsrechtssache
    des Herrn
    - Kläger und Zulassungsantragsteller -
    gegen
    die Stadtgemeinde Bremen, vertreten durch Performa Nord, Eigenbetrieb des Landes Bremen,
    Schillerstraße 1, 28195 Bremen,
    - Beklagte und Zulassungsantragsgegnerin -
    Prozessbevollmächtigter:

    hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen - 2. Senat - durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts xxx, den Richter am Oberverwaltungsgericht xxx und die Richterin am Oberverwaltungsgericht xxx am 8. September 2022 beschlossen:

    Tenor:

    Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Senats vom 22.03.2022 - 2 LA 414/21 - wird zurückgewiesen.

    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    Gründe

    I. Das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen hat die Klage des Klägers gegen die Kürzung seiner Versorgungsbezüge und auf Rückzahlung vermeintlich zu Unrecht aufgrund einer Pfändung einbehaltener Bezüge sowie die Erstattung vermeintlich zu viel einbehaltener Lohnsteuer und Solidaritätszuschläge mit Urteil vom 21.09.2021 - 7 K 1250/21 - abgewiesen. Es hat die Berufung im Urteil zugelassen, soweit der Kläger sich gegen die Verfassungsmäßigkeit der Kürzungsregelung in § 5 Abs. 1 Satz 1 BremBeamtVG gerichtet hat.

    Das Urteil ist dem Kläger am 28.09.2021 zugestellt worden. Am 28.10.2021 hat er schriftlich gegenüber dem Verwaltungsgericht erklärt, er beabsichtige gegen das Urteil "die Zulassung der Berufung" zu beantragen. Zu diesem Zweck werde Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Der Senat hat den so ausgelegten Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen noch zu stellenden Antrag auf Zulassung der Berufung bzw. für eine noch zu erhebende Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21.09.2021 durch Beschluss vom 22.03.2022 abgelehnt, weil der Kläger die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht vorgelegt hat.

    Gegen die Entscheidung des Senats hat der Kläger am 07.04.2022 die streitgegenständliche Anhörungsrüge erhoben. Rechtliches Gehör sei nicht gewährt worden. Er habe die geforderte Prozesskostenhilfeerklärung rechtzeitig vorgelegt.

    II. Die Anhörungsrüge (§ 152a VwGO) ist unbegründet. Der Kläger hat eine entscheidungserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt.

    1. Der Senat ist in seinem Beschluss vom 22.03.2022 zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorgelegt hat.

    Um den Anforderungen des § 117 Abs. 2 ZPO zu genügen, muss sich die Prozesskostenhilfe begehrende Partei auch in der Rechtsmittelinstanz grundsätzlich des Formulars für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe gemäß der Anlage zur Prozesskostenhilfeformularverordnung (PKHFV) bedienen und es vollständig ausgefüllt bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist vorlegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.11.2016 - 9 PKH 3/16, juris Rn. 2; BGH, Beschl. v. - XII ZA 21/92, juris Rn. 3), § 117 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 1 PKHFV. Dies ist hier eindeutig nicht geschehen. Soweit der Kläger unter dem 15.11.2021 (unvollständige) Prozesskostenhilfeunterlagen in einem weiteren zu diesem Zeitpunkt noch vor dem Senat anhängigen Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungszulassungsverfahrens (2 LA 391/21) vorgelegt hat, liegt in der Nichtberücksichtigung dieser Unterlagen durch den Senat kein entscheidungserheblicher Gehörsverstoß. Die Vorlage der Prozesskostenhilfeunterlagen hat grundsätzlich für jedes vor dem Gericht anhängige Verfahren gesondert zu erfolgen. Insoweit genügt allerdings die Bezugnahme auf die in einem weiteren Verfahren vorgelegte Formularerklärung und - zumindest dann, wenn seit der Vorlage der Erklärung bereits ein längerer Zeitraum verstrichen ist - die Erklärung, dass die Verhältnisse unverändert geblieben sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.11.2016 - 9 PKH 3/16, juris Rn. 2 für die Bezugnahme auf eine im vorangegangenen Rechtszug abgegebene Erklärung). An einer solchen Bezugnahme fehlt es hier. Weder hat der Kläger bereits bei Vorlage der Erklärung im Verfahren 2 LA 391/21 deutlich gemacht, dass sie sich auch auf das Verfahren 2 LA 414/21 beziehen solle, noch hat er im Verfahren 2 LA 414/21 auf die zum Aktenzeichen 2 LA 391/21 vorgelegte Erklärung Bezug genommen.

    2. Unabhängig vom Vorstehenden ist es ausgeschlossen, dass die Entscheidung des Senats über das Prozesskostenhilfebegehren anders ausgefallen wäre, wenn er die im Verfahren 2 LA 391/21 vorgelegte Formularerklärung berücksichtigt hätte.

    Dem Prozesskostenhilfebegehren wäre auch dann nicht zu entsprechen gewesen, weil eine unter Beachtung des sich aus § 67 Abs. 4 ergebenden Vertretungszwangs einzulegende Berufung bzw. ein Berufungszulassungsantrag nicht die von § 166 Abs. 1 VwGO und § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorausgesetzte hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hätte. Die Rechtsmittel wären vielmehr jeweils unzulässig gewesen. Für den Fall, dass einer Partei die fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt wegen Mittellosigkeit nicht zuzumuten ist, fehlt es nur dann an einem Verschulden als Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ein im Sinne des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114, 117 ZPO vollständiges Prozesskostenhilfegesuch mit allen dazugehörigen Unterlagen eingereicht hat, sie nicht vernünftigerweise mit einer Ablehnung rechnen musste und das Gesuch lediglich nicht innerhalb der Frist beschieden worden ist. Nur unter diesen formellen Voraussetzungen hat die mittellose Partei alles getan, was von ihr zur Wahrung der Frist erwartet werden konnte, und es ist gerechtfertigt, die dennoch eingetretene Fristversäumnis als unverschuldet anzusehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.11.2016 - 9 PKH 3.16, Rn. 2 juris; OVG Bremen, Beschl. v. 16.06.2021 - 1 B 70/21, juris Rn. 7; Beschl. v. 26.02.2021 - 1 B 440/20, juris Rn. 10).

    Die genannten Voraussetzungen wären auch bei Berücksichtigung der im Verfahren 2 LA 391/21 abgegebenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht erfüllt gewesen. Denn zum Zeitpunkt ihrer Vorlage am 15.11.2021 war die Rechtsmittelfrist von einem Monat sowohl für die Einlegung der Berufung (§ 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO) als auch für die Stellung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO) gegen das am 28.09.2021 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21.09.2021 bereits verstrichen. Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass der Kläger mit gerichtlichem Schreiben vom 03.11.2021 zur Vorlage der Prozesskostenhilfeunterlagen bis zum 29.11.2021 aufgefordert worden ist. Dieses Schreiben erfolgte erst nach Ablauf der Rechtsmittelfristen und vermag bereits deswegen ein fehlendes Verschulden der Fristversäumnis durch den Kläger nicht zu begründen, wie es Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO wäre.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. In Verfahren über die Rüge wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 152a VwGO wird eine pauschale Gerichtsgebühr erhoben, wenn die Rüge in vollem Umfang verworfen wird. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - mit der Anhörungsrüge ein Verfahren wegen Bewilligung von Prozesskostenhilfe fortgesetzt werden soll (BVerwG, Beschl. v. 14.12.2020 - 9 PKH 11.19, BeckRS 2020, 41026 Rn. 3, beck-online).

    RechtsgebietProzesskostenhilfeVorschriften§ 152a VwGO, § 117 Abs. 2 ZPO