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  • 12.04.2022 · IWW-Abrufnummer 228657

    Oberverwaltungsgericht Lüneburg: Beschluss vom 17.02.2022 – 1 LB 93/21

    § 64 Abs. 5 NPOG schließt den Einwand des "Rechtswidrigwerdens" eines zu vollstreckenden Verwaltungsaktes im Vollstreckungsverfahren aus.


    Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht

    Beschluss vom 17.02.2022


    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 24. September 2020 geändert.

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

    Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.385 EUR festgesetzt.

    Tatbestand

    Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung eines Zwangsgelds, mit dem die Beklagte den teilweisen Rückbau von die Baugrenze überschreitenden Terrassen durchsetzen möchte.

    Die Klägerin ist Eigentümerin des aus dem Aktivrubrum ersichtlichen Grundstücks, das mit einem selbst genutzten Wohnhaus bebaut ist. Südlich an das Haus grenzen im Erdgeschoss eine als „Freisitz“ bezeichnete Terrasse im westlichen Teil des Grundstücks sowie im Kellergeschoss eine als „Innenhof“ titulierte weitere Terrasse im östlichen Grundstücksteil. An die Terrassen schließen sich Pflanzbeete und Treppen an, die den Höhenunterschied zum tiefer bzw. aus der Perspektive des Kellergeschosses höher liegenden Garten überbrücken. Beide Terrassen überschreiten die in dem geltenden Bebauungsplan Nr. 92A „D.“ festgesetzte Baugrenze um rund 4,75 m; genehmigt war der Klägerin mit Baugenehmigung vom 26. April 2013 eine Überschreitung um 3,05 m.

    Mit Bescheid vom 27. November 2015 verfügte die Beklagte den Rückbau beider Terrassen (ohne Pflanzbeete und Treppen) auf das in der Baugenehmigung genehmigte Maß und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 EUR an. Im Rahmen der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage wies die Klägerin darauf hin, dass auf dem Nachbargrundstück E. eine die Baugrenze in vergleichbarer Weise überschreitende Terrasse ohne Genehmigung errichtet worden sei. Deshalb sei ein Einschreiten nur ihr gegenüber ermessensfehlerhaft. Die Beklagte erklärte dazu, dass sie den Ausgang des Verfahrens gegen die Klägerin abwarten und dann gegebenenfalls in vergleichbarer Weise einschreiten werde. Das Verwaltungsgericht wies daraufhin die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2017 (4 A 2349/16) ab; ein Antrag auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos (Senatsbeschl. v. 23.3.2018 - 1 LA 106/17 -, n.v.).

    Nachdem die Klägerin die Terrasse dennoch nicht zurückbaute, setzte die Beklagte mit dem angegriffenen Bescheid vom 25. Juli 2018 das Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro fest und drohte ihr gleichzeitig ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro an. Gleichzeitig setzte sie mit ebenfalls angegriffenem Kostenbescheid vom selben Tag Kosten in Höhe von 385 Euro fest. Den gegen beide Bescheide erhobenen Widerspruch wies die C-Stadt mit Widerspruchsbescheiden vom 21. November 2018 zurück.

    Mit ihrer gegen die Zwangsgeldfestsetzung sowie den Kostenbescheid gerichteten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass ein Vollstreckungshindernis eingetreten sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung im Ausgangsverfahren 4 A 2349/16 habe die Beklagte zugesagt, nach Rechtskraft der Entscheidung gegen eine Überschreitung der Baugrenze auf Nachbargrundstücken, insbesondere auf dem Grundstück E., in gleicher Weise vorzugehen wie gegen sie selbst. Das sei nicht geschehen. Indem die Beklagte allein gegen sie vorgehe und nicht gegen die anderen Nachbarn, verstoße sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

    Die Klägerin hat beantragt,

    die Zwangsgeldfestsetzung aus dem Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2018 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 21. November 2018 sowie den Kostenbescheid vom 25. Juli 2018 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 21. November 2018 aufzuheben.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das Vorgehen gegen die Klägerin sei nicht gleichheitswidrig. Eine Zusage, nicht zu vollstrecken, bevor nicht auch gegen die Nachbarn eingeschritten werde, habe es nicht gegeben. Sie werde erst nach dem Rückbau der Terrasse der Klägerin prüfen, ob weitere baurechtswidrige Zustände auf den Nachbargrundstücken vorlägen, und dann voraussichtlich einschreiten.

    Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 24. September 2020 stattgegeben. Die Klägerin könne gegen die Zwangsvollstreckung mit Erfolg einwenden, dass die Beklagte ermessensfehlerhaft handele, indem sie nur gegen ihr Vorhaben vorgehe und nicht auch gegen eine vergleichbare Überschreitung der Baugrenze auf dem Nachbargrundstück E. einschreite. Insofern liege eine veränderte Sachlage vor, weil die Beklagte entgegen ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung willkürlich und nicht sachgerecht von einem Einschreiten gegen die mutmaßlich baurechtswidrigen Zustände auf diesem Grundstück absehe. Die Befürchtung der Klägerin, dass nach Abschluss des gegen sie gerichteten Verfahrens das Einschreiten der Beklagten gegen die Nachbarn im Sande verlaufen werde und sie gleichheitswidrig allein die Terrassenfläche auf das zulässige Maß zurückbauen müsse, erscheine berechtigt.

    Mit ihrer vom Senat mit Beschluss vom 2. Juni 2021 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor, für eine unterschiedliche Behandlung der baurechtswidrigen Zustände auf den Grundstücken der Klägerin und ihres Nachbarn lägen sachliche Gründe vor. Die Terrasse auf dem Grundstück E. habe bei weitem nicht die Dimensionen, die der aufgrund der erhöhten Bauweise weithin sichtbare „Freisitz“ der Klägerin aufweise. Hinzu komme, dass der Einwand der Ungleichbehandlung nicht die Vollstreckung, sondern die bestandskräftige Grundverfügung betreffe und daher in diesem Verfahren rechtlich unerheblich sei.

    Die Beklagte beantragt,

    das erstinstanzliche Urteil vom 24. September 2020 abzuändern und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung abzuweisen.
    Sie ist der Auffassung, dass eine in der mündlichen Verhandlung gegebene Zusage der Beklagten diese verpflichte, vor der Vollstreckung in vergleichbarer Weise gegen ihren Nachbarn vorzugehen. Belastbare sachliche Unterschiede zwischen ihren Terrassen und der ihres Nachbarn gebe es nicht. Der wesentliche Unterschied sei, dass der Nachbar sein Grundstück zum Ausgleich der Höhenunterschiede aufgeschüttet und eine Abstufung mittels einer Stützmauer in der Mitte seines Grundstücks vorgenommen habe. Sie habe das Gefälle dagegen durch eine Stützwand südlich der Terrassen ausgeglichen. Daraus folge ein optisch anderes Gepräge, aber keine andere juristische Bewertung. Maßgeblich sei jeweils die ebenerdig an das Erdgeschoss angrenzende Terrassenfläche. Insofern messe die Beklagte mit zweierlei Maß. Dieses Vollstreckungshindernis sei erst nach Rechtskraft der Beseitigungsverfügung entstanden und daher zu berücksichtigen.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Berufung, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO) entscheidet, weil er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, ist nach dessen einstimmiger Auffassung begründet. Die Zwangsgeldfestsetzung im Bescheid vom 25. Juli 2018 und der diesem Bescheid beigefügte Kostenbescheid sind rechtmäßig. Das verwaltungsgerichtliche Urteil ist daher zu ändern und die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

    Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Zwangsgeldes ist § 3 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 64 i.V. mit §§ 65, 67 NPOG. Danach kann ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen angesichts der rechtskräftig bestätigten Beseitigungsverfügung vom 27. November 2015 vor. Auch den Anforderungen der §§ 65, 67 NPOG hat die Beklagte in fehlerfreier Weise entsprochen. Ermessensfehler sind schon mit Blick darauf, dass das Ermessen bei der Festsetzung eines Zwangsmittels nach dessen Androhung intendiert ist (Senatsbeschl. v. 15.11.2021 ‒ 1 ME 133/21 -, BauR 2022, 230 = juris Rn. 12), nicht ersichtlich.

    Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagte halte eine Zusage, nach Rechtskraft der Beseitigungsverfügung in vergleichbarer Weise auch gegen den Eigentümer des Nachbargrundstücks E. einzuschreiten, nicht ein, dadurch sei nachträglich ein aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitendes Vollstreckungshindernis entstanden, handelt es sich um eine Einwendung, mit der - dies hat das Verwaltungsgericht auf Seite 5 des Urteilsabdrucks zutreffend erkannt - ein „Rechtswidrigwerden“ der Beseitigungsverfügung geltend gemacht wird. Mit derartigen Einwendungen ist die Klägerin im Vollstreckungsverfahren gemäß § 64 Abs. 5 NPOG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, der mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden soll, auch wenn diese nach Eintritt der Unanfechtbarkeit entstanden sind, außerhalb des Verfahrens zu dessen Durchsetzung mit den hierfür gegebenen Rechtsbehelfen zu verfolgen. Das gilt auch hier.

    Soweit die Klägerin demgegenüber meint, die Beklagte habe mittels einer in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erteilten Zusage eine Vollstreckung der Beseitigungsverfügung selbst - etwa im Wege einer Zusicherung gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V. mit § 38 Abs. 1 VwVfG - unter den Vorbehalt eines mindestens parallelen Vergehens gegen den Nachbarn gestellt, trifft das nicht zu. Eine Zusicherung ist eine rechtsverbindliche Erklärung, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen; die Erklärung muss also mit Rechtsbindungswillen erfolgen. Dafür ist nichts ersichtlich. In der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2017 hat der Vertreter der Beklagten nach Hinweis auf die Terrasse auf dem Nachbargrundstück erklärt, man wolle „zunächst den Ausgang dieses Verfahrens abwarten“ und werde „dann für den Fall, dass es für das Terrassenvorhaben auf dem Baugrundstück im E. keine Baugenehmigung geben sollte, in vergleichbarer Weise dagegen vorgehen“. Damit hat die Beklagte bloß mitgeteilt, was angesichts ihrer Bindung an Recht und Gesetz selbstverständlich ist, nämlich eine Prüfung des Sachverhalts und anschließende Entscheidung, wie weiter vorzugehen ist. Es handelt sich mithin um einen bloßen Hinweis zu dem weiteren Verfahren im Fall des Nachbarn. Eine rechtswirksame Zusage dergestalt, die Vollstreckung einer rechtskräftig bestätigten Beseitigungsverfügung gegen die Klägerin von einem Einschreiten gegen den Nachbarn abhängig zu machen, liegt darin nicht.

    Selbstständig tragend erweist sich eine Vollstreckung der Beseitigungsverfügung gegen die Klägerin auch dann nicht als rechtswidrig, wenn man entgegen den obigen Ausführungen einen nachträglichen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz im Vollstreckungsverfahren berücksichtigen wollte. Denn ein solcher Verstoß liegt nicht vor. Auch unter Würdigung des Gegenvorbringens der Klägerin einschließlich des Vortrags in dem per Telefax und damit gemäß § 55d VwGO wohl nicht formwirksam übermittelten Schriftsatz vom 14. Februar 2022 sowie der eingereichten Lichtbilder hält der Senat an seiner bereits im Beschluss vom 23. März 2018 (1 LA 106/17) niedergelegten Auffassung fest, dass die ebenfalls die Baugrenze überschreitende Terrasse auf dem Grundstück E. nicht annähernd so massiv ausgestaltet ist wie die von der Rückbauverfügung betroffenen Baulichkeiten auf dem Grundstück der Klägerin. Die vom Verwaltungsgericht im Termin am 23. Mai 2017 gefertigten Lichtbilder sowie die Luftbilder bei google und bing zeigen, dass die von Stützmauern begrenzten Terrassen der Klägerin die Wohnräume im Erdgeschoss bzw. im Kellergeschoss unübersehbar in den nicht überbaubaren Grundstücksbereich erweitern. Die Art der Bauausführung, die Geländer und - von der Beseitigungsverfügung nicht unmittelbar betroffene - Treppen erfordert und weitere Aufbauten wie fest installierten Stableuchten einschließt, führt dazu, dass die Terrassenanlage den entsprechenden Grundstücksbereich dominiert und ihm den Charakter als begrünter Gartenbereich nimmt. Die Terrasse auf dem Nachbargrundstück besteht demgegenüber aus Platten, die in den umgebenden Rasen eingelassen sind; sie nimmt zudem in der Breite weit weniger Raum ein, als das auf dem Grundstück der Klägerin der Fall ist. Die Überdeckung nicht überbaubarer Grundstücksfläche ist auf dem Nachbargrundstück demgemäß geringer ausgeprägt. Vor diesem Hintergrund ist es mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls vertretbar, dass es die Beklagte im Fall der Klägerin ablehnt, über die bereits erteilte Zulassung einer Überschreitung der Baugrenze um 3,05 m hinauszugehen, und den Rückbau verlangt, im Fall des Nachbarn aber eine solche Zulassung weiterhin in Erwägung zieht.

    Der Vollstreckung steht schließlich nicht entgegen, dass Treppen und Pflanzbeete von der Beseitigungsverfügung nicht betroffen sind und ggf. ihre Funktion bei einem Rückbau der Terrasse verlieren. Es steht der Klägerin frei, diese Anlagen ebenfalls zu beseitigen.

    Soweit sich die Klage gegen den Kostenbescheid richtet, hat die Klägerin keine unmittelbar gegen diesen Bescheid gerichteten Einwendungen erhoben. Der Senat nimmt daher gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die Gründe des Kostenbescheids vom 25. Juli 2018 und des Widerspruchsbescheids vom 21. November 2018 Bezug.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

    Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

    Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 und 3 GKG i.V. mit Nr. 12 c) der Streitwertannahmen der Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (NdsVBl. 2002, 192). Die Reduzierung des Streitwertes gegenüber der vorläufigen Festsetzung beruht darauf, dass die in dem angegriffenen Bescheid vom 25. Juli 2018 enthaltene erneute Androhung eines Zwangsgeldes nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens war und ist. Demzufolge sind bei der Streitwertfestsetzung nur das festgesetzte Zwangsgeld in Höhe von 5.000 EUR sowie die festgesetzten Kosten in Höhe von 385 EUR zu berücksichtigen; das entspricht der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts.

    Rechtsgebiet§ 55d VwGOVorschriftenERV, beA