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  • 16.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221136

    Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 02.02.2021 – 18 A 3338/20

    1. Wird eine Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten, ist ihre Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht erforderlich, weil ihre Rechte durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können.

    2. Wenn ein Kläger sein persönliches Erscheinen vor Gericht trotz anwaltlicher Vertretung für unerlässlich hält, muss er unter substantiierter Darlegung der für die Notwendigkeit seiner Anwesenheit sprechenden Gründe die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder die Anordnung seines persönlichen Erscheinens vor Gericht beantragen. Insofern bedarf es insbesondere der substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen die entsprechenden tatsächlichen Aspekte bzw. Umstände nicht vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragen werden können.

    3. Bei der Zurückweisung von Vorbringen oder Beweismitteln nach § 87b VwGO handelt sich um eine Ermessensentscheidung, die einer Begründung bedarf.

    4. Der vom Untersuchungsgrundsatz bestimmte Verwaltungsprozess kennt die - regelmäßig nur für nicht entscheidungserhebliche Umstände in Frage kommende - Möglichkeit, einen Beweisantrag durch „Wahrunterstellung" abzulehnen. Dabei entfaltet eine Wahrunterstellung jedoch keine Bindungswirkung für die Würdigung des betreffenden Lebenssachverhalts. Sie verbietet nicht, aus diesem Sachverhalt unter Beachtung des Überzeugungsgrundsatzes bestimmte, andere Schlüsse zu ziehen, solange die als wahr unterstellten Tatsachen zugrunde gelegt werden.

    5. Beschlüsse über Befangenheitsanträge können gemäß § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden und sind gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 512 ZPO einer Überprüfung in einem Berufungsverfahren entzogen. Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Befangenheitsantrags ist nur dann beachtlich, wenn die Zurückweisung der Entscheidung zugleich gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (Anspruch auf den gesetzlichen Richter) verstößt. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch als willkürlich oder manipulativ erscheint.


    Oberverwaltungsgericht NRW


    Tenor:

    Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

    Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungs-verfahrens.

    Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

    1

    Gründe:

    2

    Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

    3

    Die mit dem Zulassungsbegehren vorgebrachten, für die Prüfung maßgeblichen Einwände (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) machen ohne Erfolg Verfahrensmängel geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) und begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

    4

    Die Berufung ist nicht wegen eines der Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen.

    5

    Der Kläger macht mit dem Zulassungsantrag ohne Erfolg die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend, wenn er meint, das Verwaltungsgericht habe den Terminverlegungsanträgen - per Email vom 11. Oktober 2020 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2020 - stattgeben müssen, da er gehindert gewesen sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

    6

    Wird eine Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten, ist ihre Anwesenheit im Termin zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht erforderlich, weil ihre Rechte in dem erforderlichen Umfang durch den Prozessbevollmächtigten wahrgenommen werden können.

    7

    Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. August 2007- 10 B 74.07, u. a. -, juris, Rn. 8, vom 4. Februar 2002 - 1 B 313.01, u. a. -, juris, Rn. 5, und vom 4. August 1998 - 7 B 127.98 -, juris, Rn. 2; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Dezember 2018- 4 A 4464/18.A -, juris, Rn. 6, und vom 27. Februar 2018 - 10 A 62/17 -, juris, Rn. 22.

    8

    Wenn ein Kläger sein persönliches Erscheinen vor Gericht trotz anwaltlicher Vertretung für unerlässlich hält, muss er unter substantiierter Darlegung der für die Notwendigkeit seiner Anwesenheit sprechenden Gründe die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder die Anordnung seines persönlichen Erscheinens vor Gericht (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO) beantragen.

    9

    Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 1982- 9 C 1.81 -, juris, Rn. 12; Bay. VGH, Beschluss vom 27. April 2020 - 14 ZB 19.31488 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2012- 13 A 1158/12.A -, juris, Rn. 10; BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2014 - AnwZ (Brfg) 45/14 -, juris, Rn. 6.

    10

    Insofern bedarf es insbesondere der substantiierten Darlegung, aus welchen Gründen die entsprechenden tatsächlichen Aspekte bzw. Umstände nicht vom Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten vorgetragen werden können.

    11

    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2002- 1 B 313.01, u. a. -, juris, Rn. 7.

    12

    Das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt.

    13

    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. August 1998- 7 B 127.98 -, juris, Rn. 2.

    14

    Der Kläger hat im Zulassungsverfahren nicht dargelegt, dass gewichtige Gründe, die seine persönliche Anwesenheit erfordert hätten, von ihm zur Begründung der Anträge auf Terminverlegung dargelegt worden sind.

    15

    In der an die Einzelrichterin des Verwaltungsgerichts gerichteten Email der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 11. Oktober 2020 heißt es:

    16

    „[…]

    17

    Ich hoffe, Sie hier am schnellsten zu erreichen. Soeben rief mich mein Mandant an, weil er an Erkaeltungssymptomen und Fieber leidet. Er wird morgen frueh einen Arzt aufsuchen und ggf. Einen Corona-Test machen muessen. Eine mündliche Verhandlung duerfte unter diesen Umständen den übrigen Verfahrensteilnehmern und meinem Mandanten aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar sein. Ich beantrage daher die Aufhebung des morgigen Termins und Anberaumung eines neuen Verhandlungstermins.

    18

    Ich bitte um moeglichst schnelle Rueckmeldung.

    19

    […]“

    20

    Zur Begründung des zu Beginn der mündlichen Verhandlung gestellten Terminverlegungsantrags hat die Prozessbevollmächtigte Folgendes zu Protokoll gegeben:

    21

    „Nach Rücksprache mit meinem Mandanten leidet dieser an einer Infektion der oberen Atemwege (vgl. Attest). Die Arztpraxis sah es als notwendig an, einen Abstrich zu machen (sh. Ss des Arztes).

    22

    Herr P.        , der Kläger, will an der mündlichen Verhandlung teilnehmen. Es geht hier um einen nicht nur geringen, sondern sehr starken Eingriff in die Rechte des Klägers/Antragstellers. Dieser will nicht nur bezüglich seiner Verbundenheit mit der BRD, sondern auch bezüglich seiner persönlichen Verhältnisse in der BRD, seiner nicht vorhandenen Verhältnisse in Marokko usw. vortragen.

    23

    Er hat ein Recht und einen Anspruch auf richterliches Gehör. Dieses will er wahrnehmen und an der mündlichen Verhandlung teilnehmen.

    24

    Es ist dem Kläger nicht zuzumuten, mit einer Infektionserkrankung der oberen Atemwege und nachdem er einen Abstrich machen mußte, sich dennoch zum Verwaltungsgericht begeben und einer Verhandlung beizuwohnen. Er kann ansteckend sein, er könnte Covid-19 infiziert sein.

    25

    Dieses Risiko, andere anzustecken, muss er nicht in Kauf nehmen, zumal, wenn, wie derzeit, die Zahlen wieder stark ansteigen.

    26

    Das Attest wird derzeit übermittelt.

    27

    Ich reiche dieses sofort nach Erhalt nach.“

    28

    Im Zulassungsantrag wird weiter ausgeführt:

    29

    „Der Kläger wollte an dieser mündlichen Verhandlung teilnehmen, sich zu seinen persönlichen Verhältnissen äußern, zu seinen Verhältnissen in Marokko, die in Ausweisungsverfahren von Relevanz sind.

    30

    […]

    31

    Rechtliches Gehör, bedeutet, sich zum Gegenstand des Verfahrens, zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen, zu relevanten Beweisergebnissen zu äußern, vgl. Kopp/Schenke, § 108 Rn. 19c. Dies betrifft in Ausweisungsverfahren in konkreter Weise Fragen zu den persönlichen Verhältnissen, zur Tragweite der persönlichen Verbindungen, in diesem Fall auch zu seiner Einsicht in seine Erkrankung (Sucht), zu seiner Auseinandersetzung mit seinen Straftaten. Dies bedeutet auch, sich hinsichtlich der beigezogenen Akten, in die zuvor keine Gelegenheit zur Einsichtnahme bestand, äußern zu können.

    32

    Das Gericht hielt denn auch entsprechende Faktoren für entscheidungserheblich, so, dass der Kläger sich nicht mit seinen Straftaten auseinandergesetzt hätte, seine Straftaten nicht eingeräumt hätte gegenüber seinem persönlichen Umfeld, zu seinen Sprachkenntnissen und seiner Verbindung zu Marokko.

    33

    […]

    34

    Es ist gerade in Ausweisungsverfahren häufig der Fall, dass Vergleichsverhandlungen - so wie auch hier (vgl. Protokoll, S. 1) - geführt werden. Dabei steht auch in Rede, welche Bedingungen zu erfüllen sind.

    35

    […]

    36

    Das angefochtene Urteil beruht auch auf der Gehörsverletzung, da ein weiterer Vortrag des Klägers zu entscheidungserheblichen Tatsachen abgeschnitten wurde. Im Übrigen kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht eine für den Kläger günstigere Entscheidung hätte treffen können, hätte es diesem die Gelegenheit gegeben, in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von sich zu hinterlassen.“

    37

    Danach bedurfte es keiner Terminverlegung. Ungeachtet der Frage, ob der zunächst per Email gestellte Terminverlegungsantrag überhaupt prozessordnungsgemäß ist, legt der Zulassungsantrag nicht dar, dass den Anforderungen an die Substantiierung der für die Notwendigkeit der persönlichen Anwesenheit des Klägers sprechenden Gründe Genüge getan wurde. Es fehlte in beiden Begründungen - und auch im entsprechenden Zulassungsvorbringen - an jeglichen substantiierten Angaben dazu, was der Kläger in der mündlichen Verhandlung konkret hätte vortragen wollen. Es genügt dabei augenscheinlich nicht - wie hier geschehen - die entsprechenden Themenkreise lediglich kursorisch anzureißen. Abgesehen davon verhält sich der Zulassungsantrag nicht zur Frage, wieso die vom Kläger mit Vollmacht vom 22. Mai 2019 mandatierte Prozessbevollmächtigte, die den Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. Oktober 2020 wahrgenommen hat, nicht selbst entsprechend vortragen konnte.

    38

    Selbst wenn man annähme, die unter dem Punkt III. 1. (Besetzungsrüge) der Zulassungsbegründung getätigten Ausführungen,

    39

    „So war die Frage der Sprachkenntnisse des Klägers durch die befangene Richterin selbst angesprochen worden - eine Thematik, zu der der Kläger hätte Stellung nehmen wollen und können.“,

    40

    bezögen sich auch auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Terminverlegungsanträge, könnte der Kläger hieraus nichts Tragfähiges ableiten. Es fehlt an jeglichen Darlegungen dazu, welche konkrete Frage die Einzelrichterin des Verwaltungsgerichts gestellt haben soll. Darüber hinaus ist auch nicht dargelegt, wieso die Prozessbevollmächtigte des Klägers hierzu keine Angaben machen konnte.

    41

    Da der Kläger auch im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertreten war und keine Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt wurde, ist das (mehrfache) Vorbringen im Zulassungsantrag, „dem [Kläger sei] kein Rechtsanwalt beigeordnet“ worden, nicht verständlich.

    42

    Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, es habe zuvor keine Möglichkeit gegeben, die beigezogenen Akten einzusehen, führt nicht auf einen durchgreifenden Verfahrensmangel. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil darauf hingewiesen, es habe die Möglichkeit bestanden, die Sitzung zwecks Akteneinsicht zu unterbrechen. Hierzu verhält sich der Zulassungsantrag nicht.

    43

    Der Hinweis, anders als in der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (gemeint ist wohl der Beschluss vom 4. Februar 2002 ‑ 1 B 313.01 -) habe der hiesige Kläger „bis dato zu keinem Zeitpunkt die Gelegenheit [gehabt], sich mündlich zu äußern“, führt ebenfalls nicht weiter. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers missversteht die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Dort hatte in einem asylrechtlichen Verfahren erstmals das Berufungsgericht dem Kläger schriftlich mitgeteilt, es komme auf das individuelle Verfolgungsschicksal an. Der dortige Kläger nahm dies indes nicht zum Anlass, weitere schriftliche Ausführungen zu seinem Verfolgungsschicksal zu machen. Zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erschien er nicht. Im vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Sachverhalt hatte der Kläger sich mithin gerade nicht mündlich zu entscheidungserheblichen Dingen geäußert.

    44

    Die erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO) rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Der Kläger meint, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, vor dem Termin sei ihm auch „kein Hinweis o.ä. erteilt worden, wie es § 86 Abs. 1, Abs. 3 VwGO zur Vorbereitung der Verhandlung vor[sehe]“.

    45

    Die Aufklärungsrüge erfordert indes die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen hierbei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese Feststellungen nach der maßgeblichen Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätten führen können.

    46

    Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juli 2020- 4 B 44.19 -, juris, Rn. 15, und vom 25. Juni 2012‑ 7 BN 6.11 ‑, juris, Rn. 7.

    47

    Zudem muss ein in der Vorinstanz durch eine rechtskundige Person vertretener Kläger grundsätzlich darlegen, dass bereits in der Vorinstanz auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist. Hierfür ist ein Beweisantrag erforderlich, der förmlich spätestens in der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist. Sieht ein rechtskundig vertretener Beteiligter im gerichtlichen Verfahren von der förmlichen Beantragung einer von ihm für geboten erachteten weiteren Beweiserhebung ab, so kann er das Unterbleiben einer entsprechenden Beweisaufnahme im anschließenden Berufungszulassungsverfahren grundsätzlich nicht mit Erfolg unter Hinweis auf das Vorliegen einer Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht rügen. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Prozessbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen von förmlichen Beweisanträgen, zu kompensieren.

    48

    Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Februar 2020- 4 B 28.19 -, juris, Rn. 7, und vom 10. Oktober 2013- 4 BN 36.13 -, Rn. 13.

    49

    Eines förmlichen Beweisantrages bedarf es nur dann nicht, wenn sich dem Tatsachengericht eine weitere Sachaufklärung aufdrängen musste.

    50

    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 2019- 4 B 40.18 -, juris, Rn. 11.

    51

    Maßgeblich ist dabei der materiell-rechtliche Standpunkt des Tatsachengerichts, selbst wenn dieser rechtlichen Bedenken begegnen sollte.

    52

    Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998- 11 C 11.96 -, juris, Rn. 74.

    53

    Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Es zeigt nicht auf, dass sich dem Verwaltungsgericht neben den ausdrücklich gestellten Beweisanträgen (vgl. dazu unten) ausnahmsweise eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Zu diesen besonderen Voraussetzungen schweigt der Zulassungsantrag.

    54

    Die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge führt nicht auf einen durchschlagenden Verfahrensmangel wegen eines Verstoßes gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

    55

    Die Ablehnung einer beantragten Beweiserhebung verletzt das rechtliche Gehör nur dann, wenn sie im maßgeblichen Prozessrecht keinerlei Stütze mehr findet.

    56

    Vgl. BVerwG, Beschlüsse 21. Januar 2020- 1 B 65.19 -, juris, Rn. 17, und vom 10. August 2015- 5 B 48.15 -, juris, Rn. 10.

    57

    Der Kläger legt in seiner Zulassungsbegründung nicht dar, dass das Verwaltungsgericht die Beweisanträge prozessrechtswidrig abgelehnt hat.

    58

    Dies gilt zunächst für die Ablehnung des Beweisantrags „3.“ samt Ergänzungen.

    59

    Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung beantragt,

    60

    „3. die Verlobte des Klägers als Zeugin zu hören. Diese wird bestätigen, dass diese verlobt sind, dass der Kläger die Rolle eines sozialen Vaters gegenüber ihren Kindern einnimmt.“

    61

    Das Verwaltungsgericht hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung beschlossen:

    62

    „Der von dem Kläger gestellte Antrag auf Vernehmung von Frau E.    als Zeugin wird abgelehnt. Die bloße Tatsache der Verlobung ist nicht entscheidungserheblich. Soweit die Zeugin E.    bestätigen soll, dass der Kläger ‚die Rolle eines sozialen Vaters gegenüber ihren Kindern einnimmt‘, handelt es sich in Abgrenzung zu einer bestimmten Beweisbehauptung um eine bloße Wertung. Tatsächliche Anknüpfungstatsachen wurden (im Rahmen des Antrages) nicht vorgebracht. Insoweit ist die Beweisaufnahme auch auf eine unzulässige Ausforschung gerichtet.“

    63

    Im Anschluss hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt:

    64

    „An dem Antrag wird - mit folgenden Ergänzungen - festgehalten: Die Verlobte wird schildern: Ihre Kinder sehen in Herrn P.        eine enge Bezugsperson, sowohl im Alltag, als auch bei schwerwiegenden Entscheidungen. Sie vertrauen ihm und seiner Meinung, suchen seine Nähe, unternehmen gerne Dinge mit ihm, fragen nach ihm, wünschen seine ständige Anwesenheit. Aus Warte der Mutter, Frau E.    , behandeln sie ihn wie einen Vater.“

    65

    Danach beschloss das Verwaltungsgericht:

    66

    „Der Antrag ‚Hinsichtlich Ziffer 3‘ gemäß Anlage 5 des Protokolls wird abgelehnt. Die unter Beweis gestellten Tatsachen können als wahr unterstellt werden.“

    67

    Die gegen die Ablehnung erhobenen Einwände greifen nicht durch.

    68

    Der Zulassungsantrag beanstandet zunächst, das Verwaltungsgericht habe das Bestehen der Verlobung nicht als wahr unterstellen dürfen.

    69

    Der vom Untersuchungsgrundsatz bestimmte Verwaltungsprozess kennt die Möglichkeit, einen Beweisantrag durch „Wahrunterstellung" abzulehnen. Die Verfahrensweise der „Wahrunterstellung" setzt indes voraus, dass die behauptete Beweistatsache im Folgenden so behandelt wird, als wäre sie wahr. Das Gericht darf sich im weiteren Verlauf nicht in Widerspruch zu der als wahr unterstellten Annahme setzen und muss sie „ohne jede inhaltliche Einschränkung" in ihrem mit dem Beteiligtenvorbringen gemeinten Sinn behandeln, als wäre sie nachgewiesen. Die Wahrunterstellung einer unter Beweis gestellten Tatsache verpflichtet das Tatsachengericht, diese Tatsache der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zugrunde zu legen. Dabei entfaltet eine Wahrunterstellung jedoch keine Bindungswirkung für die Würdigung des betreffenden Lebenssachverhalts. Sie verbietet nicht, aus diesem Sachverhalt unter Beachtung des Überzeugungsgrundsatzes bestimmte, andere Schlüsse zu ziehen, solange die als wahr unterstellten Tatsachen zugrunde gelegt werden.

    70

    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2020- 2 B 15.19 -, juris, Rn. 21.

    71

    Die „Wahrunterstellung“ kommt dabei regelmäßig nur für nicht entscheidungserhebliche Behauptungen in Frage.

    72

    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2019- 2 B 7.18 -, juris, Rn. 60.

    73

    Diese rechtlichen Maßstäbe missversteht der Kläger, wenn er meint, es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht aufgrund der Wahrunterstellung der Verlobung, diese als irrelevant angesehen [habe]“. Denn die Wahrunterstellung zeigt gerade, dass es für das Verwaltungsgericht auf die Verlobung nicht entscheidungserheblich ankam. Dass sich das Verwaltungsgericht im weiteren Verlauf der Entscheidung hierzu in Widerspruch gesetzt hätte, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.

    74

    Der Kläger meint ferner, bei dem Begriff „sozialer Vater“ handele es sich „nicht nur um eine bloße Wertung“, es bedürfe vielmehr der „Feststellung etwa der Verantwortungsübernahme und Sorge für einen Menschen. „Diese Behauptung [sei] eine bestimmte und [sei] in dem Beweisantrag enthalten“ gewesen. Insoweit geht der Zulassungsantrag jedoch bereits im Grundsatz von einem falschen rechtlichen Ansatz aus.

    75

    Ein Beweisantrag setzt voraus, dass für eine bestimmte Tatsachenbehauptung ausdrücklich ein näher bezeichnetes Beweismittel angeboten wird.

    76

    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2016- 6 B 1.16 -, juris, Rn. 32; Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 5. Aufl. 2018, § 86 VwGO Rn. 86.

    77

    Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Begriff des „sozialen Vaters“ stellt schon keine bestimmte Tatsachenbehauptung dar. Insofern ist unerheblich, ob, wie der Zulassungsantrag annimmt, in dem Begriff des „sozialen Vaters“ weitere Tatsachenbehauptungen quasi „enthalten“ sind. Denn ein Beweisantrag erfordert zwingend eine (eindeutig) bestimmte Beweistatsache.

    78

    Angesichts dessen kann dahinstehen, ob die weitere Begründung des Verwaltungsgerichts, es handele sich um einen Ausforschungsbeweisantrag, eine Stütze im Prozessrecht findet.

    79

    Soweit der Zulassungsantrag in diesem Zusammenhang moniert, es hätte dem Gericht oblegen, „im Rahmen seiner Aufklärungspflicht den sozialen Bindungen Dritter an den Kläger, die Grundrechtspositionen betreffen, sowie den sozialen Bindungen des Klägers an seine sozialen Kinder, nachzugehen“, werden die - oben näher erläuterten - (strengen) Anforderungen an die erfolgreiche Geltendmachung einer Aufklärungsrüge verfehlt. Es mangelt an jeglichen Darlegungen dazu, wieso sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Dies wäre indes umso mehr erforderlich gewesen, als das Verwaltungsgericht das Bestehen von Bindungen und Beziehungen zwischen dem Kläger und den Kindern seiner Verlobten als wahr unterstellt hat.

    80

    Damit kann dahinstehen, ob die entsprechenden Ausführungen im Zulassungsantrag zum Beruhen zutreffen.

    81

    Mit dem Zulassungsantrag wird auch nicht dargelegt, dass die vom Verwaltungsgericht zur Ablehnung des Beweisantrags „2.“ samt Ergänzungen abgegebene Begründung keine Stütze im Prozessrecht findet.

    82

    Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung beantragt,

    83

    „2. die Mitarbeiter der Suchtberatung F.          als sachverständige Zeugen zu vernehmen. Diese werden bestätigen, dass der Kläger Krankheitseinsicht in seine Suchterkrankung hat, zur entsprechenden Behandlung bereit war und ist.“

    84

    Das Verwaltungsgericht hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung beschlossen:

    85

    „Der Antrag ist zunächst einmal unbestimmt, als aus diesem nicht hervorgeht, in welche seiner Suchterkrankungen der Kläger Krankheitseinsicht hat und was unter der ‚entsprechenden‘ Behandlung zu verstehen sein soll. Der Antrag ist insoweit nicht auf eine bestimmte Beweisbehauptung gerichtet. Darüber hinaus ist nicht dargelegt, woraus sich ein Erkenntnisgewinn ergeben soll, der über den Inhalt der Bescheinigungen vom 28. August 2020 (Bl. 65 d.A.) bzw. vom 2. Oktober 2200 [gemeint wohl 2020] hinausgehen soll. Insoweit ist der Antrag auf eine Ausforschung gerichtet. Darüber hinaus können die unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt werden.“

    86

    Im Anschluss hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärt:

    87

    „Hinsichtlich Ziffer 2:

    88

    An dem Beweisantrag wird mit folgender Ergänzung festgehalten: Herr P.        hat Einsicht in seine Suchterkrankung und ist behandlungswillig, insofern er gegenüber den Zeugen aus deren Wahrnehmung glaubhaft deutlich gemacht hat, auch weiterhin zu einer Behandlung bereit zu sein. Dies werden diese darlegen.“

    89

    Danach beschloss das Verwaltungsgericht:

    90

    „Der Antrag ‚Hinsichtlich Ziffer 2‘ gemäß Anlage 5 des Protokolls wird aus den Gründen des Beschlusses gemäß Anlage 4 abgelehnt. Darüber hinaus wird der Antrag nach § 87b III VwGO wg Verspätung abgelehnt.“

    91

    Der Zulassungsantrag rügt zu Recht, die Ablehnung des Beweisantrags finde keine Stütze im Prozessrecht, soweit dabei auf § 87b Abs. 3 VwGO Bezug genommen wird. Das Verwaltungsgericht verkennt insofern die rechtlichen Grundlagen einer Zurückweisung von Beweismitteln nach § 87b Abs. 3 VwGO.

    92

    Bei der Zurückweisung von Vorbringen oder Beweismitteln nach § 87b VwGO handelt sich um eine Ermessensentscheidung, die einer Begründung bedarf.

    93

    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. April 2020- 9 B 66.19 -, juris, Rn. 16.

    94

    Sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen für eine Präklusion müssen ohne weiteres erkennbar oder nachvollziehbar dargelegt sein. Dazu gehören regelmäßig die Angabe, auf welchen Tatbestand die Präklusion gestützt wird (§ 87 b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 VwGO) sowie Ausführungen zur Verspätung (Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 und Nr. 3: Fristversäumung nach ordnungsgemäßer Fristsetzung mit Belehrung), zur Verzögerung (Abs. 3 Satz 1 Nr. 1), zum Fehlen von Entschuldigungsgründen (Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) und zur Ausübung des tatrichterlichen Präklusionsermessens (Abs. 3 Satz 1 und 3).

    95

    Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000- 9 B 518.99 -, juris, Rn. 20.

    96

    Es kann dabei auch genügen, wenn die Ermessensentscheidung und die Gründe dafür sich aus der Darlegung ergeben, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Zurückweisung vorliegen.

    97

    Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 16. April 2020- 9 B 66.19 -, juris, Rn. 16, vom 27. Mai 2010- 8 B 112.09 -, juris, Rn. 10, und vom 6. April 2000- 9 B 50.00, u. a. -, juris, Rn. 6.

    98

    Diese Voraussetzungen erfüllt die floskelhafte, den Bezug zum konkreten Sachverhalt vermissenlassende Aussage des Verwaltungsgerichts,

    99

    „Darüber hinaus wird der Antrag nach § 87b III VwGO wg Verspätung abgelehnt.“,

    100

    nicht.

    101

    Dies führt indes nicht zur Zulassung der Berufung, da das Verwaltungsgericht den Beweisantrag mit der weiteren entscheidungstragenden Begründung abgelehnt hat, die unter Beweis gestellten Tatsachen könnten als wahr unterstellt werden. Dem setzt der Zulassungsantrag nichts Tragfähiges entgegen. Die bloße Mutmaßung, es sei „nicht ausgeschlossen“, dass das das Gericht diesen Umständen nicht genügend Gewicht beigemessen habe, ist - vor den oben näher erläuterten Voraussetzungen einer Ablehnung eines Beweisantrags mittels einer „Wahrunterstellung“ - unzureichend.

    102

    Mithin kann dahinstehen, ob die zusätzliche entscheidungstragende Begründung des Verwaltungsgerichts, der Beweisantrag sei unbestimmt, eine Stütze im Prozessrecht findet.

    103

    Das Vorbringen des Klägers, das Verwaltungsgericht habe seinen Befangenheitsantrag zu Unrecht abgelehnt, führt ebenfalls nicht auf einen Verfahrensmangel i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.

    104

    Beschlüsse über Befangenheitsanträge können gemäß § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden und sind gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 512 ZPO einer Überprüfung in einem Berufungsverfahren entzogen. Die Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Befangenheitsantrags ist nur dann beachtlich, wenn die Zurückweisung der Entscheidung zugleich gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (Anspruch auf den gesetzlichen Richter) verstößt. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch als willkürlich oder manipulativ erscheint.

    105

    Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Februar 2019- 4 B 6.19 -, juris, Rn. 4, und vom 14. Juni 2016- 4 B 45.15 -, juris, Rn. 5 m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 5. September 2019 - 18 A 2982/19 -.

    106

    Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Im Zulassungsantrag wird zwar die Ansicht vertreten, die Einzelrichterin des Verwaltungsgerichts sei befangen gewesen, weil sie den Terminverlegungsanträgen nicht entsprochen habe. Zudem sei die Ablehnung des Befangenheitsantrags durch Beschluss der Kammer vom 26. Oktober 2020 „nicht mehr nachvollziehbar und unhaltbar“. Damit wird indes nicht dargelegt, dass die Ablehnung des Befangenheitsantrags des Klägers willkürlich oder manipulativ war. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass die Ablehnung der Terminverlegungsanträge - wie oben aufgezeigt - nicht zu beanstanden ist.

    107

    Inwiefern der mehrfach wiederholte Vorwurf, die Einzelrichterin des Verwaltungsgerichts habe in der mündlichen Verhandlung nicht die dort gestellten Terminverlegungsanträge beschieden, der im Übrigen im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. Oktober 2020 nicht thematisiert worden ist, auf einen Verfahrensmangel wegen der fehlerhaften Ablehnung eines Befangenheitsantrags führen könnte, legt der Zulassungsantrag nicht dar.

    108

    Die Berufung ist auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes bedarf es einer auf schlüssige Gegenargumente gestützten Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substantiierter Weise darzulegen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Entscheidungsergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll.

    109

    Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. April 2013- 18 A 886/12 -, m. w. N.

    110

    Ernstliche Zweifel im Sinne der Vorschrift liegen dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.

    111

    Vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 16. April 2020 - 1 BvR 2705/16 -, juris, Rn. 21.

    112

    Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

    113

    Der Zulassungsantrag meint, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts,

    114

    „Die letzten Straftaten liegen auch nicht sonderlich lange zurück und im Übrigen hat sich der Kläger nach Begehung der letzten Straftaten 2017 überwiegend in Haft (zunächst in Untersuchungshaft und später in Strafhaft) befunden.“,

    115

    seien falsch, da der Kläger vom 3. August 2017 bis zum 7. November 2018 nicht in Haft gewesen sei. Wieso die im Oktober 2020 getroffene Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe sich überwiegend [Hervorhebung durch den Senat] in Haft befunden, danach unzutreffend sein soll, legt der Zulassungsantrag nicht dar. Ungeachtet dessen legt der Zulassungsantrag angesichts der weiteren umfassenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum Bestehen einer Wiederholungsgefahr (UA Bl. 8 bis 10) auch nicht dar, wieso ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen sollten, wenn die vorstehend zitierte Aussage tatsächlich unzutreffend wäre.

    116

    Die Behauptung im Zulassungsantrag, der Kläger sei ausschließlich im offenen Vollzug gewesen, begründet keine ernstlichen Zweifel. Sie ist so bereits unzutreffend. Denn der seit dem 7. November 2018 inhaftierte Kläger erhielt (beispielsweise nach dem Inhalt des Berichts der Leiterin der Justizvollzugsanstalt F.          vom 21. Mai 2019) erst seit dem 6. Dezember 2018 vollzugsöffnende Maßnahmen und seit dem 21. Dezember 2019 Langzeitausgang.

    117

    Der Einwand, das Verwaltungsgericht verkenne in der Passage seines Urteils,

    118

    „Allerdings sind diese Entwicklungen auf den Vollzug zurückzuführen, wobei ein beanstandungsfreies Verhalten von jedem Häftling erwartet werden sollte. […] Der Kläger hat ein Interesse daran, sich während des Vollzugs beanstandungsfrei zu verhalten, um in den Genuss der vollzugsöffnenden Maßnahmen und des offenen Vollzugs zu kommen und diesen auch weiterhin zu erhalten.“,

    119

    dass der Kläger von Anfang an im offenen Vollzug war, geht aus denselben Gründen ins Leere. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht durchaus erkannt, dass sich der Kläger im offenen Vollzug befindet.

    120

    Im Übrigen ist die vorstehende Argumentation des Verwaltungsgerichts - entgegen dem Vorbringen im Zulassungsantrag - auch nicht „unlogisch“. Die Annahme, der Kläger führe sich aktuell beanstandungsfrei, um die Vollzugslockerungen nicht zu gefährden, ist vielmehr durchaus nachvollziehbar. Dennoch spricht nichts dagegen, bei entsprechender Begründung gleichwohl eine Wiederholungsgefahr anzunehmen.

    121

    Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung folgen auch nicht aus dem Monitum, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts,

    122

    „Auch in der Vergangenheit war der Kläger bereits inhaftiert, es handelt sich um den dritten Aufenthalt des Klägers in einer JVA zum Zwecke der Strafverfolgung […].“,

    123

    stimmten nicht.

    124

    Dies ergibt sich aus Folgendem: Mit Urteil des Jugendschöffengerichts C.    vom 12. November 1998 - 62 Ls - 74 Js 674/98 - Q 5/98 - wurde der Kläger zur Ableistung von 80 Stunden Sozialdienst verurteilt. Da der Kläger dem nicht nachkam, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts C.    vom 17. Februar 2000 - 62 VRJs 37/98 - ein Jugendarrest von zwei Wochen festgesetzt. Ferner wurde gegen den Kläger mit Urteil des Amtsgerichts C.    vom 16. September 1999 - 57 Ds 74 Js 986/99 - 182/99 - Jugendarrest in Form von 2 Freizeitarresten verhängt. Mit weiterem Urteil vom 28. November 2002 - 62 Ls 75 Js 586/02 - O 2/02 - verurteilte das Amtsgericht C.    den Kläger zu einer Einheitsjugendstrafe von 16 Monaten. Schließlich verurteilte das Landgericht C.    den Kläger mit Urteil vom 11. April 2018- 22 Kls-664 Js 320/17-9/18 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten. Die Ausführungen im Zulassungsantrag, der Kläger sei einmal im Jugendstrafvollzug und zwei Mal im Strafvollzug gewesen, mögen insoweit rein begrifflich betrachtet präziser sein, als der Jugendarrest gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 JGG in Jugendarrestanstalten oder Freizeitarresträumen der Landesjustizverwaltung - und nicht in Justizvollzugsanstalten - vollzogen wird. Dem hinter der Formulierung des Verwaltungsgerichts stehenden Argument, gegenüber dem Kläger seien bereits drei freiheitsentziehende Maßnahmen vollstreckt worden, wird damit indes augenscheinlich nicht die Überzeugungskraft genommen.

    125

    Dem Einwand, die individuelle Gefahrenprognose genüge den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Zitat aus dem stattgebenden Kammerbeschluss vom 25. August 2020 - 2 BvR 640/20 -, juris, Rn. 24) nicht, da das verwaltungsgerichtliche Urteil Bezug auf die angefochtene Ordnungsverfügung nehme, die fälschlicherweise davon ausgehe, der Kläger sei „gewalttätig“ (u. a. Bl. 13), ist wohl insoweit zuzustimmen, als die letzte Tat des Klägers, bei der Gewalt gegen Personen verübt worden ist, am 21. Juni 2002 begangen wurde (vgl. BZR-Auszug vom 25. Mai 2020, Ziffer 3.). Damit wird jedoch die Richtigkeit der weiteren, umfassenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Wiederholungsgefahr (UA Bl. 8 bis 10) sowie zur im Rahmen der Ausweisung zu treffenden Abwägungsentscheidung samt der dabei zu berücksichtigenden Maßgaben des Art. 8 EMRK (UA Bl. 10 bis 15) nicht ansatzweise in Zweifel gezogen.

    126

    Die - nicht näher substantiierte - Kritik, die Ordnungsverfügung, auf die das Urteil Bezug nehme, gehe von falschen Tatsachen aus, denn sie verkenne, dass Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit fast 20 Jahre zurücklägen, sodass sich die Ordnungsverfügung daher auf „‚schädliche Neigungen‘ aus einem Urteil von vor 18 Jahren“ beziehe, geht fehl. In der Ordnungsverfügung heißt es - korrekt zitiert - lediglich (Bl. 8, 9):

    127

    „Weder die Verhängung von Geldstrafen noch mehrere zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen noch ein früherer Haftaufenthalt von fast zwei Jahren konnten Sie beeindrucken und von der Begehung weiterer Straftaten abhalten. Bei konkreter Betrachtung Ihrer Straftaten muss festgestellt werden, dass Ihr persönliches Verhalten durch eine hohe kriminelle Energie geprägt ist. Bereits im Urteil vom 28.11.2002 stellte das Amtsgericht C.    fest, dass schädliche Neigungen bei Ihnen vorlägen und dass Sie eine ungünstige Zukunftsprognose hätten. Dadurch, dass Sie außerdem als Bewährungsversager gelten, kann auch keine wesentliche Veränderung Ihrer Persönlichkeitseigenschaft geltend gemacht werden.“

    128

    Inwiefern dies unzutreffend sein könnte, legt der Zulassungsantrag nicht dar. Abgesehen davon fehlt es auch an Darlegungen dazu, wieso die oben näher bezeichneten eigenständigen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Bestehen einer Wiederholungsgefahr unzutreffend sein könnten.

    129

    Der Vorwurf, das Verwaltungsgericht nehme Bezug auf die angefochtene Ordnungsverfügung, die „noch nicht einmal den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK als eröffnet“ ansehe, belegt keine ernstlichen Zweifel. Es ist zwar richtig, dass es in der Ordnungsverfügung (Bl. 15) heißt:

    130

    „Bei einer Abwägung aller bisher genannten Kriterien komme ich zu dem Ergebnis, dass der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht eröffnet ist.“

    131

    Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um eine rechtlich bzw. dogmatisch verunglückte Formulierung. Denn der Beklagte hat in der Ordnungsverfügung durchaus die im Rahmen von Art. 8 EMRK zu berücksichtigenden Aspekte abgeprüft und gegeneinander abgewogen. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen von Art. 8 EMRK auch losgelöst von der Bezugnahme auf die Ordnungsverfügung umfassend und erschöpfend selbst geprüft.

    132

    Der Kläger kritisiert zu Unrecht, das Verwaltungsgericht habe die Verlobung, seine Rolle als sozialer Vater sowie den Faktor der „Beistandsgemeinschaft“ unberücksichtigt gelassen. Das Gegenteil ist der Fall. Das Urteil würdigt diese Umstände ausdrücklich. Es verhält sich zur Verlobung (UA Bl. 13), zu den Kindern der Verlobten des Klägers (UA Bl. 13) sowie zum Verhältnis des Klägers zu seinen erwachsenen Familienangehörigen (UA Bl. 13, 14).

    133

    Selbst wenn es zutreffend sein sollte, dass der Beklagte in der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Ordnungsverfügung fälschlicherweise annimmt, die Suchtberatung sei durch die Caritas beendet worden, ist die Berufung nicht wegen ernstlicher Zweifel zuzulassen. Denn es fehlt an jeglichen Darlegungen dazu, wieso die davon unabhängigen ausführlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen von Suchterkrankungen, deren Folgen und zur Krankheitseinsicht sowie Behandlungsbereitschaft des Klägers unzutreffend sein könnten.

    134

    Der Einwand, das Verwaltungsgericht nehme auf die Ordnungsverfügung des Beklagten Bezug, obwohl diese nicht berücksichtige, dass der „Kläger einen Job gefunden [habe] und damit einer geregelten Arbeit nach[gehe]“, begründet keine ernstlichen Zweifel. Das Verwaltungsgericht hat zur Kenntnis genommen, dass der Kläger seit dem 29. Juli 2020 - und damit nach Ergehen der Ordnungsverfügung - einer Beschäftigung nachgeht. Es hat jedoch festgestellt, dass dieses Beschäftigungsverhältnis mangels Ablauf der Probezeit nicht als gefestigt angesehen werden könne. Wieso vor diesem Hintergrund ernstliche Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen sollen, legt der Zulassungsantrag nicht dar.

    135

    Die Behauptung, in der Ordnungsverfügung, auf die das Urteil Bezug nehme, werde verkannt, dass der Kläger von Beginn an im offenen Vollzug gewesen ist, ist schon deshalb nicht tragfähig, weil der Kläger - wie oben aufgezeigt - nicht „von Beginn an“ im offenen Vollzug war.

    136

    Inwiefern der Einwand,

    137

    „Wenn zudem die Frage der Behandlungseinsicht und Krankheitseinsicht nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wird, ist auch dies - s.o. - unrichtig.“,

    138

    auf ernstliche Zweifel führen soll, wird nicht dargelegt. Er setzt sich insbesondere nicht mit dem Umstand auseinander, dass das Verwaltungsgericht zu diesen Aspekten umfangreiche eigene Erwägungen angestellt hat.

    139

    Mit der Kritik, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, der Kläger habe gegenüber seiner Verlobten und deren Vater den vollen Umfang seiner Straftaten nicht eingeräumt, werden keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt.

    140

    Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung der Feststellung, der Kläger habe sich mit seinen Straftaten nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt, auf mehrere Aspekte abgestellt: Entgegen der Angabe der Justizvollzugsanstalt in der Stellungnahme vom 29. Mai 2019 habe der Kläger insbesondere im Rahmen des Verfahrens vor dem Landgericht C.    kein Geständnis abgelegt. Ferner habe der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt zum Ausdruck gebracht, sich mit seinen Straftaten in der gebotenen Weise auseinandergesetzt zu haben. Überdies habe der Kläger seiner Verlobten und deren Vater nicht erzählt, dass er auch wegen Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit auffällig geworden sei. Selbst wenn die letztgenannte Ansicht nicht zutreffen sollte, legt der Zulassungsantrag nicht dar, wieso die auf weitere gewichtige Argumente gestützte Grundannahme des Verwaltungsgerichts, es mangele an einer Auseinandersetzung mit den begangen Straftaten, fehlerhaft ist.

    141

    Im Übrigen sei angemerkt, dass die im Brief der Verlobten des Klägers wiedergegebene Aussage ihres Vaters - „jeder macht Fehler. Hauptsache keiner wurde verletzt.“ - durchaus so interpretiert werden kann, dass der Kläger diesem seine Verurteilungen anlässlich der gegen die körperliche Unversehrtheit gerichteten Taten verschwiegen hat.

    142

    Soweit der Zulassungsantrag im vorstehenden Zusammenhang die Aufklärungsrüge erhebt, führt dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Es fehlt an jeglichen Darlegungen dazu, wieso sich dem Verwaltungsgericht trotz Fehlens eines entsprechenden Beweisantrags die Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen.

    143

    Aus welchem Grund schließlich die am 13. Januar 2021 - und damit nach Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist - erfolgte (kommentarlose) Übersendung eines vom Standesamt C1.        ausgestellten Zwischenbescheides über die Anmeldung der Eheschließung betreffend den Kläger und seine Verlobte zur Zulassung der Berufung führen soll, legt der Zulassungsantrag nicht dar.

    144

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

    145

    Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

    RechtsgebietVerwaltungsprozessrechtVorschriften§ 95 Abs. 1 S. 1 VwGO; § 86 Abs. 2 VwGO; § 45 ZPO; Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG