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  • 06.08.2019 · IWW-Abrufnummer 210384

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 12.06.2019 – XII ZB 432/18

    Ein Wiedereinsetzungsantrag braucht nicht ausdrücklich gestellt zu werden; er kann auch stillschweigend in einem Schriftsatz enthalten sein, wobei es ausreicht, dass in diesem Schriftsatz konkludent zum Ausdruck gebracht wird, das Verfahren trotz verspäteter Einreichung der Rechtsmitteleinlegungs- oder Rechtsmittelbegründungsschrift fortsetzen zu wollen (im Anschluss an BGHZ 63, 389 = NJW 1975, 928).


    Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juni 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur und die Richterin Dr. Krüger
    beschlossen:

    Tenor:

    Der Antragsgegnerin wird für das Verfahren der Rechtsbeschwerde ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet.

    Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des 26. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom 7. August 2018 aufgehoben.

    Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

    Wert: 200.000 €



    Gründe



    I.

    1


    Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.


    2


    Die Antragsgegnerin betreibt gegen den Antragsteller - ihren geschiedenen Ehemann - die Teilungsversteigerung eines gemeinschaftlichen Hofguts. Das Amtsgericht hat die Teilungsversteigerung auf Antrag des Antragstellers für unzulässig erklärt.


    3


    Gegen den ihr am 25. Januar 2018 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts hat die Antragsgegnerin am 21. Februar 2018 Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Frist zur Begründung der Beschwerde antragsgemäß bis zum 20. April 2018 verlängert. Mit Schriftsatz vom 16. April 2018 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin eine weitere Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt, weil die Angelegenheit noch ausführlich mit ihrer Mandantin besprochen werden müsse. Dies sei aufgrund ihres Gesundheitszustands noch nicht möglich gewesen, weil sich die Antragsgegnerin seit dem 12. April 2018 in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme befinde, die voraussichtlich vier Wochen andauern werde. Dem Schriftsatz beigefügt waren eine Stellungnahme des Gesundheitsamts zur Erforderlichkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme und eine Bescheinigung über den Beginn der stationären Heilbehandlung am 12. April 2018. Mit Verfügung vom 11. Mai 2018 hat das Oberlandesgericht die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass die Beschwerdebegründungsfrist mangels Zustimmung des Antragstellers nicht nochmals verlängert werden könne und deshalb versäumt sei. Mit einem vom 29. Mai 2018 datierten und am gleichen Tag eingegangenem Schriftsatz hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin die Beschwerde begründet und in diesem Schriftsatz einleitend das Folgende ausgeführt:


    "1. Zur ‚Fristversäumnis‘ Es wird ausdrücklich nochmals mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin an MS leidet. Es bestand der Verdacht auf einen MS Schub, weshalb im Rahmen einer amtsärztlichen Untersuchung durch amtsärztliches Attest empfohlen wurde eine Reha Maßnahme, und zwar unverzüglich für vier Wochen, durchzuführen. Diese Reha Maßnahme endete am 10.05.2018, sodass eine Besprechung mit der Antragsgegnerin aufgrund der Feiertage erst am heutigen Tage möglich war. Die Antragsgegnerin war daher aus gesundheitlichen Gründen gehindert die Frist zu wahren. Auf die bereits vorgelegten Nachweise wird Bezug genommen."

    4


    Nach einem weiteren Hinweis des Oberlandesgerichts hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin am 22. Juni 2018 ausdrücklich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungfrist beantragt und weitere Unterlagen vorgelegt, unter anderem eine eidesstattliche Versicherung der Antragsgegnerin, wonach ihr "von allen Ärzten dringend empfohlen" worden sei, sich während des Aufenthalts in der Rehabilitationsklinik nicht mit Prozessen oder prozessualen Entscheidungen zu belasten.


    5


    Das Oberlandesgericht hat sowohl den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch die Beschwerde der Antragsgegnerin verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin.




    II.

    6


    Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO sowie § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig ( § 574 Abs. 2 ZPO ). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Antragstellerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes ( Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschlüsse vom 23. März 2011 - XII ZB 51/11 -FamRZ 2011, 881Rn. 7 und vom 2. April 2008 - XII ZB 189/07 -FamRZ 2008, 1338Rn. 8 mwN).


    7


    1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Antragsgegnerin die Frist zur Beantragung einer Wiedereinsetzung versäumt habe. Diese müsse innerhalb einer einmonatigen Frist beantragt werden, wobei die Frist an dem Tag beginne, an dem das Hindernis zur Begründung der Beschwerde behoben worden sei. Das Hindernis, das nach Auffassung der Antragsgegnerin einer rechtzeitigen Begründung ihrer Beschwerde entgegengestanden habe, sei spätestens mit ihrer Entlassung aus der Reha-Maßnahme am 10. Mai 2018 behoben gewesen. Die Pfingstfeiertage stellten kein Hindernis dar. Die Frist zur Beantragung einer Wiedereinsetzung sei folglich am Ende des 11. Juni 2018 (Montag) abgelaufen. Der am 22. Juni 2018 eingegangene Antrag sei verspätet. Auf die Frage, ob die Reha-Maßnahme tatsächlich ein Verschulden der Antragsgegnerin an der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist ausgeschlossen habe, komme es nicht entscheidend an.


    8


    2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.


    9


    Das Beschwerdegericht konnte der Antragsgegnerin die begehrte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist nicht mit der Begründung versagen, ihr Wiedereinsetzungsantrag vom 22. Juni 2018 sei verspätet angebracht worden. Denn bereits der Beschwerdebegründungsschriftsatz vom 29. Mai 2018 enthielt einen konkludent gestellten Wiedereinsetzungsantrag.


    10


    a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Wiedereinsetzungsantrag nicht ausdrücklich gestellt werden, er kann auch stillschweigend in einem Schriftsatz enthalten sein (vgl. BGH Beschlüsse vom 16. Januar 2018 - VIII ZB 61/17 - NJW 2018, 1022 Rn. 17 und vom 5. April 2011 - VIII ZB 81/10 - NJW 2011, 1601 Rn. 13; vgl. bereits BGHZ 63, 389, 392 f. = NJW 1975, 928). Hierzu reicht aus, dass in diesem Schriftsatz konkludent zum Ausdruck gebracht wird, das Verfahren trotz verspäteter Einreichung der Rechtsmittel- oder Begründungsschrift fortsetzen zu wollen.


    11


    b) Diese Voraussetzung erfüllt der am 29. Mai 2018 eingegangene Begründungsschriftsatz. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat darin ausgeführt, ihre Mandantin sei aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen, die Frist zu wahren. Ihr war also erkennbar bewusst, dass die Beschwerdebegründungsfrist bereits abgelaufen war. Gleichwohl erstrebte sie - wie sich aus der nachfolgenden Begründung der Beschwerde erschließt - eine Fortsetzung des Verfahrens mit dem Ziel der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.


    12


    Auf die am 12. April 2018 angetretene vierwöchige Rehabilitationsmaßnahme als Hinderungsgrund für eine rechtzeitige Fertigstellung der Beschwerdebegründung hat sich die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin bereits in ihrem Fristverlängerungsantrag vom 16. April 2018 berufen und entsprechende Belege beigefügt. Hierauf nahm sie in der Beschwerdebegründung vom 29. Mai 2018 Bezug und ergänzte, dass die stationäre Maßnahme am 10. Mai 2018 geendet habe. Dies genügt den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich die Gründe für die Fristversäumnis ergeben (vgl. BGH Beschluss vom 5. April 2011 - VIII ZB 81/10 - NJW 2011, 1601 Rn. 14 mwN).


    13


    c) Nach § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO sind alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung von Bedeutung sein können, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorzutragen. Jedoch dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (vgl. BGH Beschluss vom 5. April 2011 - VIII ZB 81/10 - NJW 2011, 1601 Rn. 15 mwN). In ihrem Schriftsatz vom 22. Juni 2018 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin vorgetragen, dass ihre Mandantin ärztlichen Ratschlägen Folge geleistet habe, nichts Unangenehmes an sich heranzulassen und deshalb während des Klinikaufenthalts für die Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten nicht erreichbar gewesen sei. Mit diesen lediglich ergänzenden Angaben ist ein unzulässiges Nachschieben neuer Tatsachen nicht verbunden.


    14


    3. Die angefochtene Entscheidung kann deshalb mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben.


    15


    Das Beschwerdegericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - bislang offengelassen, ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Blick auf den Klinikaufenthalt der Antragsgegnerin zwischen dem 12. April 2018 und dem 10. Mai 2018 vorliegen. Dabei kann die Erkrankung eines Beteiligten im Ausgangspunkt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen, wenn er krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage ist, den Rat seines Rechtsanwalts einzuholen und diesen sachgemäß zu unterrichten (vgl. BGH Beschlüsse vom 23. April 2013 - XI ZR 90/12 - juris Rn. 6 und vom 24. März 1994 - X ZB 24/93 - NJW-RR 1994, 957 mwN). Dies setzt allerdings voraus, dass selbst eine telefonische Verständigung über eine fristgerecht einzureichende Beschwerdebegründung mit dem Verfahrensbevollmächtigten nicht möglich war (vgl. BGH Beschluss vom 10. Juni 2015 - IV ZB 27/14 - juris Rn. 14).


    16


    Insoweit hat die Antragsgegnerin geltend gemacht, dass sie sich auf dringenden ärztlichen Rat während des Klinikaufenthalts nicht mit "prozessualen Entscheidungen belasten" sollte und zur Glaubhaftmachung eine eigene eidesstattliche Versicherung vorgelegt. Das Beschwerdegericht wird nunmehr in tatrichterlicher Verantwortung darüber zu befinden haben, ob dies bereits zur Glaubhaftmachung ausreicht oder ob von der Antragsgegnerin weitere aussagekräftige Nachweise - insbesondere ärztliche Bescheinigungen - beizubringen sind.


    Dose
    Günter
    Nedden-Boeger
    Botur
    Krüger

    Vorschriften§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO, § 574 Abs. 2 ZPO, Art. 2 Abs. 1 GG, § 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO, § 139 ZPO