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  • 12.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193246

    Oberverwaltungsgericht Saarland: Urteil vom 31.01.2017 – 2 D 382/16

    1. Die Anforderungen an die Prozesskostenhilfe dürfen mit Blick auf die gesetzliche Zielsetzung, Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, nicht überspannt werden.

    2. Es ist nicht Sinn des Prozesskostenhilfeverfahrens, den Rechtsstreit durch eine weitgehende rechtliche Vorausverurteilung des Streitgegenstandes quasi "vorwegzunehmen".

    3. Die rechtliche Würdigung des klägerischen Vorbringens und des Ergebnisses einer etwaigen, vom Kläger beantragten Beweisaufnahme kann auch dann nicht im Prozesskostenhilfeverfahren vorweggenommen werden, wenn zuvor eine - vorläufige - Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren erfolgt ist.


    Oberverwaltungsgericht Saarland

    Beschl. v. 31.01.2017

    Az.: 2 D 382/16

    In dem Verwaltungsrechtsstreit
    des Herrn A., A-Straße, A-Stadt,
    - Kläger und Beschwerdeführer -
    Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt B., B-Straße, B-Stadt, - -
    gegen
    das Ministerium für Inneres und Sport - Einbürgerungsbehörde -, Mainzer Straße 136, 66121 Saarbrücken, - -
    - Beklagter und Beschwerdegegner -

    wegen Rücknahme der Einbürgerung
    hier: PKH-Beschwerde

    hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes in Saarlouis durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Bitz, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Schwarz-Höftmann und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Kiefer
    am 31. Januar 2017 beschlossen:

    Tenor:

    Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 2. November 2016 - 2 K 1035/16 - wird dem Kläger Prozesskostenhilfe - ohne Ratenzahlung - für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt.

    Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe

    I.

    Der 1974 in Beirut geborene Kläger lebt seit 2001 in Deutschland. Er ist seit 2007 mit einer deutschen Frau verheiratet und hat mit dieser ein in Deutschland geborenes minderjähriges Kind.

    Am 16.2.2011 beantragte der Kläger an seinem damaligen Wohnort V. die Einbürgerung. Diese erfolgte am 19.7.2011 durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde.

    Mit Bescheid vom 9.6.2016 nahm der Beklagte die Einbürgerung rückwirkend zum 19.7.2011 zurück, forderte den Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde auf und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides an. Zur Begründung ist in dem Bescheid ausgeführt, der Kläger habe seine Einbürgerung durch vorsätzliche unrichtige Angaben über seine Sprachkenntnisse erwirkt. Das Amtsgericht L. habe am 15.8.2013 einen rechtskräftigen Strafbefehl erlassen, wonach der Kläger der Einbürgerungsbehörde ein nachweislich manipulativ zustande gekommenes "Zertifikat Deutsch - Test für Zuwanderer" vorgelegt habe, um ihr auf diese Art und Weise ausreichende deutsche Sprachkenntnisse vorzuspiegeln.

    Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 12.7.2016 Klage beim Verwaltungsgericht und beantragte zugleich, die aufschiebende Wirkung dieser Klage wiederherzustellen. Außerdem beantragte er, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren.

    Mit Beschluss vom 29.9.2016 - 2 L 1039/16 - lehnte das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (für das Eilverfahren) ab und wies den Antrag im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zurück.

    Mit Beschluss vom 2.11.2016 - 2 K 1035/16 - wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Klage zurück. Die Rücknahme der Einbürgerung werde aus den Gründen des mittlerweile rechtskräftigen Beschlusses der Kammer vom 29.9.2016 - 2 L 1039/16 - auch einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten.

    Hiergegen richtet sich die am 28.11.2016 eingegangene und am 20.12.2016 begründete Beschwerde.

    II.

    Die Beschwerde des Klägers gegen die durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2.11.2016 - 2 K 1035/16 - erfolgte Versagung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg.

    Nach den Angaben des Klägers in der von ihm vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist er nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§§ 166 VwGO, 114 ZPO). Die Klage bietet auch eine für die Gewährung von Prozesskostenhilfe hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Satz 1 ZPO).

    Bei dieser auf den Streitgegenstand des jeweiligen Rechtsstreits bezogenen Beurteilung dürfen die Anforderungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe mit Blick auf die gesetzliche Zielsetzung des Prozesskostenhilferechts, Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, nicht überspannt werden. Die Bewilligung ist, da es nicht Sinn des Prozesskostenhilfeverfahrens sein kann, den Rechtsstreit durch eine weitgehende rechtliche Vorausbeurteilung des Streitgegenstands quasi "vorwegzunehmen", dann gerechtfertigt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für vertretbar hält und bei Aufklärungsbedarf in tatsächlicher Hinsicht zumindest von der Möglichkeit der Beweisführung in seinem Sinne überzeugt ist.

    Diese Voraussetzungen sind fallbezogen erfüllt. Der Kläger hat zur Begründung seiner Klage u.a. vorgetragen, er habe gegen den Strafbefehl nur deswegen keinen Einspruch eingelegt, weil er seit 2011 in zunehmend gravierendem Maße an Gedächtnisstörungen leide, die in so erheblichem Maße einschneidend und behindernd für ihn seien, dass er sich psychisch nicht in der Lage gesehen habe, den Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus einem Strafprozess für ihn ergeben hätten. Er habe den Strafbefehl einfach über sich ergehen lassen, weil er sich aufgrund seiner psychisch labilen Situation nicht persönlich vor einem Strafrichter habe verantworten können. Tatsächlich habe er aber zum Zeitpunkt des Erwerbs des Sprachzertifikats über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, so dass die Einbürgerung rechtmäßig gewesen sei. Bereits mit Schreiben vom 10.3.2014 habe er darauf hingewiesen, dass er aufgrund seiner seit 2011 fortschreitenden, deutlich eingeschränkten kognitiven Belastbarkeit und fortschreitender Einschränkungen nicht in der Lage sei, einen erneuten Sprachtest mit dem erforderlichen Erfolg zu absolvieren. Sein Krankheitsbild stelle sich so gravierend dar, dass er nicht einmal in der Lage sei, den Inhalt einfachster Schreiben zu erfassen oder gar wiederzugeben. Zudem leide er unter erheblicher Vergesslichkeit und könne sich zum Teil an Sachverhalte nicht mehr erinnern, die nur kurz zuvor besprochen worden seien. Gemäß § 10 Abs. 6 StAG werde vom Nachweis ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache abgesehen, wenn sie der Betreffende wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erbringen könne. Zum Beleg für sein Vorbringen hat der Kläger zahlreiche Atteste vorgelegt und die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt. Die rechtliche Würdigung dieses Vorbringens und des Ergebnisses einer etwaigen, vom Kläger beantragten Beweisaufnahme kann nicht im Prozesskostenhilfeverfahren vorweggenommen werden. Diese Würdigung kann auch nicht durch die erfolgte - vorläufige - Prüfung des Verwaltungsgerichts im Eilrechtsschutzverfahren ersetzt werden.

    Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage lässt sich daher nicht mit der (bereits) die Versagung der Prozesskostenhilfe rechtfertigenden Eindeutigkeit verneinen. Daher war der Beschwerde zu entsprechen.

    Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 166 VwGO, 127 Abs. 4 ZPO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich.

    Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

    RechtsgebieteVwGO, ZPO, StAG, Vorschriften§ 166 VwGO; § 114 ZPO; § 10 Abs. 6 StAG