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  • 22.02.2017 · IWW-Abrufnummer 192080

    Verwaltungsgerichtshof Bayern: Beschluss vom 18.01.2017 – 1 ZB 16.2474

    Die von einem Rechtsanwalt gegen die Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts ohne Zulassung eingelegte Berufung kann nach Ablauf der Antragsfrist des § 124 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht in einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels umgedeutet werden.


    VGH München

    Beschluss v. 18.01.2017

    1 ZB 16.2474

    Tenor

    I. Die Berufung wird verworfen.
    II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
    III. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens.
    IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
    V. Die Revision gegen Nummer I des Beschlusses wird nicht zugelassen.
    VI. Der Streitwert für das Rechtsmittelverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

    Gründe

    1

    I. Die Klägerin wendet sich gegen das Verbot, einen Wohnraum für gewerbliche erotische Tätigkeiten zu nutzen. Hilfsweise begehrt sie die Nutzungsänderung zum „Einbau eines Darstellungs- und Schaustellereizimmers in das Obergeschoss eines Wohnhauses unter Erteilung einer Befreiung vom Bebauungsplan „Nr. 34 S. Straße I“, der ein allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO ohne Ausnahmen nach dessen Absatz 3 festsetzt, zu genehmigen. Ihren Angaben zufolge handelt es sich bei ihren Erotikchats, die über ein externes Portal im Internet angeboten würden, um eine wohnartige Nutzung ohne Lärmentwicklungen und Lichteffekte. Die Gemeinde verweigerte mit Beschluss des Gemeinderats vom 14. Juli 2015 ihr Einvernehmen. Mit Bescheid vom 15. Februar 2016 lehnte das Landratsamt den Antrag ab und verpflichtete die Klägerin unter Androhung eines Zwangsgelds für den Fall der Zuwiderhandlung, die gewerbliche Nutzung innerhalb einer Woche nach Bestandskraft zum Zweck für Erotikchats und zur Produktion erotischen Bild- und Fotomaterials einzustellen.

    2

    Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage und den hilfsweise gestellten Antrag, das Landratsamt zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen, hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 5. Oktober 2016 abgewiesen. Das Urteil ist am 26. Oktober 2016 an den früheren Bevollmächtigten der Klägerin übersandt und diesem am 28. Oktober 2016 zugestellt worden. Die Anzeige der Mandatsübernahme durch den neuen Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 24. Oktober 2016 unter Beantragung von Akteneinsicht ist am 27. Oktober 2016 beim Verwaltungsgericht eingegangen. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 hat das Verwaltungsgericht über das Verwaltungsgericht Göttingen Akteneinsicht gewährt. Mit Schreiben vom 10. November 2016 sind die Akten vom Verwaltungsgericht Göttingen nach erfolgter Akteneinsicht durch den neuen Bevollmächtigten an das Verwaltungsgericht zurückgeleitet worden.

    3

    Mit Schreiben vom 28. November 2016, am gleichen Tag vorab per Telefax übermittelt, hat der neue Bevollmächtigte beim Verwaltungsgericht Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt. Da das Urteil ihm noch nicht vorliege, bitte er um entsprechende Übersendung. Aufgrund richterlicher Verfügung vom 29. November 2016 hat die Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts den neuen Bevollmächtigten telefonisch am 30. November 2016 um Vorlage einer Vollmacht gebeten und darauf hingewiesen, dass die Berufung im Urteil des Verwaltungsgerichts nicht zugelassen worden sei. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 an das Verwaltungsgericht, ebenfalls am gleichen Tag vorab per Telefax übermittelt, hat der neue Bevollmächtigte „wie gestern telefonisch besprochen“ darum gebeten, die eingelegte Berufung als Antrag auf Zulassung der Berufung anzusehen und hat dies höchstvorsorglich noch einmal beantragt.

    4

    Nach Vorlage der Akten durch das Verwaltungsgericht hat die Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichtshofs auf Anordnung des Vorsitzenden im Rahmen der Eingangsbestätigung darauf hingewiesen, dass die eingelegte Berufung nicht statthaft und der am 1. Dezember 2016 gestellte Zulassungsantrag verfristet sei. Es werde daher empfohlen, das Rechtsmittel zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2016 hat der neue Bevollmächtigte unter Hinweis auf eine „telefonische Einigung“ ausgeführt, dass das Gericht den am 28. Oktober 2016 (Anmerkung: gemeint sein dürfte der 28. November 2016) gestellten Antrag als Antrag auf Zulassung der Berufung auslegen würde. Dies entspreche dem Inhalt des Antrags. Seinem Hinweis, dass ihm das Urteil nicht vorliege, sei zu entnehmen, dass das zulässige Rechtsmittel für ihn nicht festgestanden habe. Sein Antrag sei daher wohlwollend dahingehend auszulegen. Höchst hilfsweise hat er einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und hinsichtlich der „Berufungsbegründungsfrist“, welche noch bis zum 28. Dezember 2016 laufe, um Fristverlängerung gebeten. Mit Schreiben des Vorsitzenden vom 28. Dezember 2016 ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass eine Fristverlängerung für die Begründung des Zulassungsantrags im Hinblick auf § 124a Abs. 4 Satz 4, § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 224 Abs. 2 ZPO nicht möglich sei. Die Klägerin hat sich dazu mit Schreiben vom 11. Januar 2017 geäußert.

    5

    II. 1. Die vom neuen Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 28. November 2016 eingelegte Berufung gegen das dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin am 28. Oktober 2016 zugestellte Urteil ist nach § 125 Abs. 2 VwGO durch Beschluss zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Gegen das Urteil vom 5. Oktober 2016, in dem das Verwaltungsgericht die Berufung nicht zugelassen hat, ist die Berufung nicht statthaft (§ 124 Abs. 1 VwGO). Die Beteiligten sind zu dieser Möglichkeit nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO gehört worden.

    6

    Entgegen der Auffassung der Klägerin kann unter den gegebenen Umständen das mit Schreiben vom 28. November 2016 am letzten Tag der Rechtsmittelfrist ausdrücklich eingelegte Rechtsmittel der Berufung nicht als Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ausgelegt werden. Anders als in der von der Klägerin angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. November 2012 (NJW-RR 2013, 371), in der u. a. die Falschbezeichnung in der Rechtsmittelschrift als evident angesehen wurde weil erkennbar war, dass der dortige Kläger sich nicht gegen den fälschlich angeführten und zu seinen Gunsten ergangenen Prozesskostenhilfebeschluss wenden wollte, sondern sein Rechtsmittel sich gegen die Hauptsacheentscheidung richtete, liegen im vorliegenden Fall keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, es handle sich bei der eingelegten Berufung um eine bloße Falschbezeichnung. Weder kann einer Begründung des Rechtsmittels entnommen werden, es sei die Zulassung der Berufung beantragt worden, da eine solche nicht vorgelegt worden ist und die Klägerin vielmehr beantragt hat, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern, noch kann die Schlussfolgerung dem Vorbringen im Schreiben vom 28. November 2016, das Urteil liege noch nicht vor, entnommen werden. Der Hinweis, dass das Urteil nicht vorgelegen habe, steht ausschließlich mit der Bitte um Übersendung des Urteils - für die notwendige Begründung - im Zusammenhang. Ihm lässt sich nicht entnehmen, dass der Bevollmächtigte sich im Unklaren über das statthafte Rechtsmittel befunden hätte. Vielmehr hat er „fristgerecht Berufung“ eingelegt und damit zum Ausdruck gebracht, dass aus seiner Sicht keine Zweifel an dem von ihm gewählten Rechtsmittel und dessen Fristlauf bestehen.

    7

    Die Berufung umfasst mangels entsprechenden Anhalts auch nicht zugleich den (fristgerechten) Antrag auf Zulassung der Berufung. Die Rechtsbehelfe der Berufung und der Zulassung der Berufung betreffen unterschiedliche Gegenstände. Der Antrag auf Zulassung der Berufung begehrt ausschließlich die Zulassung dieses Rechtsmittels durch das Oberverwaltungsgericht oder den Verwaltungsgerichtshof. Die Berufung richtet sich gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Sache. Beide Rechtsbehelfe sind nicht austauschbar (vgl. BVerwG, B. v. 12.3.1998 - 2 B 20.98 - NVwZ 1999, 641).

    8

    Die von einem Rechtsanwalt gegen die Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts ohne Zulassung eingelegte Berufung kann nach Ablauf der Antragsfrist des § 124 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch nicht in einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels umgedeutet werden (vgl. BVerwG, B. v. 12.3.1998 a. a. O.; B. v. 25.3.1998 - 4 B 30.98 - NVwZ 1998, 1297 m. w. N.). Das mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des Verwaltungsgerichts ist am 28. Oktober 2016 dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin wirksam zugestellt worden (§ 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO). Denn die Mitteilung über die Mandatsübernahme des neuen Bevollmächtigten im Schreiben vom 24. Oktober 2016 ist erst am 27. Oktober 2016 und damit nach Versand des Urteils an den früheren Bevollmächtigten am 26. Oktober 2016 beim Verwaltungsgericht eingegangen. Damit war die Monatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO am 28. November 2016 abgelaufen (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Den Antrag, die mit Schreiben vom 28. November 2016 eingelegte Berufung als Antrag auf Zulassung der Berufung im Sinn des § 124a VwGO zu behandeln, stellte der neue Bevollmächtigte erst nach Ablauf der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO mit Schreiben vom 1. Dezember 2016. Eine Umdeutung kommt nicht in Betracht, da das auf eine Umgehung der gesetzlichen Rechtsmittelfristen hinauslaufen würde.

    9

    2. Der mit Schreiben vom 1. Dezember 2016 ausdrücklich gestellte Antrag, die Berufung zuzulassen, ist abzulehnen, weil er - wie vorstehend unter Nummer 1 ausgeführt - erst nach Ablauf der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gestellt wurde. Der Antrag ist darüber hinaus auch abzulehnen weil die Klägerin es trotz Hinweis des Vorsitzenden auf § 124a Abs. 4 Satz 4, § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 224 Abs. 2 ZPO versäumt hat, innerhalb der offenen Rechtsmittelfrist eine Begründung des Rechtsmittels vorzulegen (§ 124a Abs. 4 Satz 4).

    10

    3. Der mit Schreiben vom 21. Dezember 2016 hilfsweise gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO sind nicht gegeben. Die Versäumung der Frist für den Antrag auf Zulassung der Berufung beruht auf einem Verschulden des neuen Bevollmächtigten, das die Klägerin sich gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Die Einlegung eines unzulässigen Rechtsmittels, die für die Versäumung der Antragsfrist ursächlich war, fällt dem neuen Bevollmächtigten als Verschulden zur Last. Dabei kann entgegen der Auffassung der Klägerin dahingestellt bleiben, ob das Urteil des Verwaltungsgerichts einschließlich der Rechtsmittelbelehrung bei der vom Bevollmächtigten erfolgten Akteneinsicht in die Verfahrensakte, die nach Übersendung der Verfahrensakte durch das Verwaltungsgericht am 28. Oktober 2016 an das Verwaltungsgericht Göttingen erfolgte, Bestandteil der Verfahrensakte war, zumal der Bevollmächtigte am letzten Tag der Frist Berufung eingelegt hat. Denn jedenfalls hätte der neue Bevollmächtigte bei der gebotenen sorgfältigen Akteneinsicht und Bearbeitung des Verfahrens nach Übernahme des Mandats innerhalb der offenen Rechtsmittelfrist eine Ausfertigung des Urteils beim Verwaltungsgericht oder bei dem früheren Bevollmächtigten der Klägerin anfordern und anhand der mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts erteilten zutreffenden und insoweit eindeutigen Rechtsmittelbelehrung rechtzeitig die Zulassung der Berufung beantragen können. Einer ergänzenden Zustellung des Urteils an den neuen Bevollmächtigten der Klägerin bedurfte es ausweislich der vorstehenden Ausführungen unter Nummer 1 nicht. Es ist einem Bevollmächtigten auch zuzumuten, die geltenden Verfahrensregelungen genau einzuhalten (vgl. BVerwG, B. v. 9.10.1970 - III B 73.70 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 59). Vorliegend handelt es sich weder um den Sonderfall der Auslegung einer Vorschrift, die erhebliche Schwierigkeiten bereitet, eine gerichtliche Klärung noch nicht erfolgt ist und Ansichten vertretbar erscheinen, die von dem dann zur Entscheidung berufenen Gericht nicht geteilt werden (vgl. BVerwG, B. v. 14.3.1957 - III ER409.56 - Buchholz 427.3 § 341 LAG Nr. 6 VerwRspr. Bd. 10 Nr. 189).

    11

    Soweit der neue Bevollmächtigte ohne nähere Darlegung und Glaubhaftmachung pauschal ausführt, es sei in der Sache eine „telefonische Einigung“ mit dem Gericht erfolgt, dass die am 28. Oktober 2016 (Anmerkung: gemeint sein dürfte der 28. November 2016) eingelegte Berufung als Antrag auf Zulassung der Berufung ausgelegt werde, ist eine weitere Aufklärung nach Auffassung des Senats entbehrlich. Denn unabhängig davon, ob es sich dabei gegebenenfalls um eine richterliche Auskunft oder um eine Auskunft der Geschäftsstelle hätte handeln können und diese wie vorgetragen erteilt wurde, fehlt es im vorliegenden Fall an der erforderlichen Kausalität. Denn zum einen hätte eine „Einigung“ nach den vorliegenden Unterlagen frühestens am 29. November 2016 und damit nach Ablauf der Monatsfrist erfolgen können, nachdem das Schreiben des neuen Bevollmächtigten, in dem Berufung eingelegt wurde, am letzten Tag der Monatsfrist um 17:07 Uhr beim Verwaltungsgericht einging. Zum anderen hätte der neue Bevollmächtigte - wie vorstehend ausgeführt - bei der gebotenen sorgfältigen Akteneinsicht und Bearbeitung des Verfahrens nach Übernahme des Mandats rechtzeitig die Zulassung der Berufung beantragen können.

    12

    Aus den vorstehenden Erwägungen unter Nummer 2 ergibt sich, dass auch der ergänzend hilfsweise gestellte Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die „Begründungsfrist“ der Berufung keinen Erfolg hat.

    13

    Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, weil ihr Rechtmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).

    14

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

    15

    Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

    16

    Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.

    RechtsgebieteVwGO, ZPOVorschriftenVwGO § 60, § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 4 S. 1, S. 4, § 173; ZPO § 85 Abs. 2