Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Direktverträge

    Honorarrückforderung noch 5 Jahre später

    von RA, FA MedR Prof. Dr. Martin Stellpflug, D+B Rechtsanwälte Part mbB, Berlin, www.db-law.de

    | Für viele Ärzte ist es auch wirtschaftlich attraktiv, an den sog. Selektivverträgen teilzunehmen. Hierbei wird die Vergütung mit den teilnehmenden Krankenkassen direkt vereinbart. Somit bleiben Budgetierungsregelungen aus dem sog. Kollektivvertragssystem unberücksichtigt. Im direkten Zahlungsverhältnis zwischen Arzt und Krankenkasse gelten aber zahlreiche Regeln nicht, die der Arzt aus dem KV-System kennt. |

    Vergütung und Rückforderung im Kollektivvertragssystem

    In der Regelversorgung erfolgt die Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen gegenüber und durch die KV. Diese erteilt für jedes Quartal einen Honorarbescheid; zahlreiche gesetzliche und untergesetzliche Normen regeln die Rechte und Pflichten.

     

    So sind beispielsweise die KVen berechtigt, im Rahmen einer sog. sachlich-rechnerischen Richtigstellung Honorarbescheide zulasten des Vertragsarztes abzuändern, wenn sich nach Erteilung des Honorarbescheids seine Fehlerhaftigkeit herausstellt. Diese Möglichkeit rückwirkender Korrektur und darauf gestützter Rückforderungen von Honorarzahlungen gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Die Rechtsprechung hat verschiedene Fallgruppen entwickelt, bei denen eine KV nicht berechtigt ist, rückwirkend Vertragsarzthonorare zurückzufordern. Eine wichtige Fallkonstellation gilt in zeitlicher Hinsicht: Honorarbescheide dürfen lediglich innerhalb von vier Jahren nach Erlass des Bescheids zulasten des Arztes korrigiert werden.

    Honorarrückforderung bei Selektivverträgen

    In einem aktuell vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) entschiedenen Fall wurden von einem Arzt im Rahmen von Selektivverträgen Zahlungen zurückgefordert, die zum Teil Zeiträume betrafen, die mehr als fünf Jahre zurücklagen. Dies wollte der Arzt nicht akzeptieren und erhob Klage und später Berufung, blieb aber in beiden Instanzen erfolglos.

     

    Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Zahlungen im Rahmen der Strukturverträge lediglich um „Abschlagszahlungen“ gehandelt habe. Zwar hätten sich diese Zahlungen an den Angaben des Klägers zum Leistungsverhalten im jeweiligen Quartal orientiert. Es habe jedoch keinerlei Überprüfung des tatsächlichen Leistungsverhaltens stattgefunden. Ohnehin sei die damalige Festlegung des Zahlungsbetrags aufgrund eines „10-prozentigen Sicherheitsabschlags“ erkennbar pauschalierend gewesen. Insgesamt seien die zeitnah zur Leistungserbringung erfolgten Zahlungen im Selektivvertragssystem nicht als Honorarabrechnungen zu verstehen gewesen, es handele sich vielmehr um „Abschlagszahlungen“ bzw. „Vorschüsse“.

    Ärztliche Vergütung ist keine Sozialleistung

    Mit der Einordnung der Zahlungen als „Abschlagszahlung“ oder „Vorschusszahlung“ war klar, dass die Regelungen und die Rechtsprechung zur Erteilung und Rücknahme von Honorarbescheiden keine Anwendung mehr finden würden. Eine Spezialvorschrift des allgemeinen Sozialrechts, nach der Vorschüsse, die die tatsächlich zustehende Leistung übersteigen, vom Leistungsempfänger zu erstatten sind, bezieht sich auf Sozialleistungen und ist daher auf die Vergütung vertragsärztlicher Tätigkeit nicht direkt anwendbar. Das Gericht hielt es dennoch für geboten, diese Spezialvorschriften auch auf das Vertragsarztrecht entsprechend anzuwenden. Denn es sei kein Grund erkennbar, warum die erleichterte Rückforderung eines überzahlten Vorschusses zulasten von Sozialleistungsempfängern stattfinden solle, zulasten von Vertragsärzten aber nicht. Eine solche Besserstellung von Vertragsärzten gegenüber Leistungsempfängern beinhalte vielmehr einen nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch. Die für Sozialleistungen existierende Spezialregelung müsse deshalb ‒ so das Gericht ‒ auch für Vertragsärzte gelten.

     

    Die Anwendung dieser Spezialvorschrift führt dazu, dass es nicht im Ermessen des Leistungsträgers, also hier der Krankenkasse, steht, ob er den Erstattungsbetrag rückwirkend anfordert oder nicht. Die Kasse ist hierzu vielmehr verpflichtet. Außerdem sind die Verjährungsregeln so ausgestaltet, dass sie im Rahmen von Vorschussrückforderungen praktisch keine Bedeutung haben.

    Verwirkung?

    Einzig an die sogenannte „Verwirkung“ ist zu denken, wenn Vorschussüberzahlungen schon über geraume Zeit nicht zurückgefordert wurden. Die „Verwirkung“ gilt auch im Vertragsarztrecht und führt unter Umständen zu einem Schutz, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte und vertraute, dass der Berechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde. In zeitlicher Hinsicht wird typischerweise ab einem Zeitraum von vier Jahren eine Verwirkung in Betracht gezogen.

     

    Dem im entschiedenen Fall konkret betroffenen Arzt half aber auch das Rechtsinstitut der „Verwirkung“ nicht. Denn die Krankenkassen hatten sich über den gesamten Zeitraum mehrfach an den Arzt gewandt und eine Überzahlung geltend gemacht.

     

    FAZIT | Wer im Rahmen von Selektivverträgen seine Leistungen direkt mit den Krankenkassen abrechnet, verlässt mit dem Kollektivvertragssystem auch das Regelungsregime von Honorarbescheid und sachlich-rechnerischer Richtigstellung. Da die allgemeinen vertragsärztlichen Regelungen zur Festsetzung der Vergütung, zur Zahlung und ggf. zur Korrektur von Auszahlungsbeträgen nicht mehr unmittelbar gelten, ist Vorsicht und Aufmerksamkeit geboten. In erster Linie ist zu prüfen, ob es in dem jeweiligen Selektivvertrag konkrete Regelungen dazu gibt. Sodann ist damit zu rechnen, dass allgemeine Grundsätze aus dem Sozialrecht zur Anwendung kommen können und die Krankenkassen im Zweifelsfall eher berechtigt sein dürften, zu Unrecht geleistete Zahlungen zurückzufordern.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2019 | Seite 15 | ID 45683051