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  • 27.01.2012

    Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 05.09.2011 – 16 Sa 1771/10


    Tenor:

    Die Berufung des Klägers gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 21. September 2010 - 10 Ca 1589/10 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über die Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine Objektzulage.

    Die tarifgebundene Beklagte übernimmt Dienstleistungen im Wach- und Sicherheitsdienst. Sie beschäftigt die Klägerin als Sicherheitsmitarbeiterin im Bewachungsobjekt A in F.

    Die Klägerin war seit 01.09.2003 bei der P bei Anerkennung einer Betriebszugehörigkeit ab 26.02.2002 beschäftigt.

    Nr. 1 des schriftlichen Arbeitsvertrags enthält folgende Regelung:

    "Die Firma P ist Mitglied im Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e.V.. Auf diesen Vertrag ist daher der jeweils gültige Landestarifvertrag ohne Einschränkung anwendbar."

    Nach Nr. 6 des schriftlichen Arbeitsvertrags erhält der Arbeitnehmer unter Anwendung der geltenden Bestimmungen des Tarifvertrages folgende Vergütung:

    "Der Arbeitnehmer erhält pro geleistete Stunde eine Vergütung in der Höhe von Euro 8,44 brutto. Die Regelung der Zahlung der Zuschläge erfolgt gemäß Vorvertrag. Tariferhöhungen beziehen sich grundsätzlich nur auf den Tariflohn, soweit darin vertraglich keine abweichende Regelung besteht."

    In einer Nebenabrede vom 20.08.2003 (Blatt 18 der Akten) werden Sonn- und Feiertagszuschläge geregelt.

    Nach erfolgtem Betriebsübergang auf die Beklagte wies diese die übertarifliche Vergütung als Objektzulage aus, ohne dass sich an der Höhe der Gesamtvergütung des Klägers (zunächst) etwas änderte.

    Mit Schreiben vom 27. Oktober 2009 teilte die Beklagte der Klägerin folgendes mit:

    "Nach Umsetzung des Lohntarifvertrages beträgt ihr brutto Stundenlohn gemäß § 2 II.1. ab 01.10.2009:

    Tariflohn Tag/Nacht

    Euro 7,50

    Objektzulage

    Euro 2,21

    Gesamt

    Euro 9,71

    Der Nachtzuschlag beträgt gemäß Tarifvertrag 25% des brutto Stundenlohnes. Auf die übertariflichen Verdienstbestandteile sind tariflich festgelegte Entgelterhöhungen -unabhängig von deren Grund und Art- anrechenbar."

    Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung der Erhöhung des Tarifstundenlohns auf die übertarifliche Zulage sei nach § 8 des Mantelrahmentarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe vom 01.12.2006 gerechtfertigt. Nach dessen Nr. 1 S. 2 kann der Arbeitgeber freiwillig gewährte übertarifliche Leistungen mit Tarifentgeltsteigerungen verrechnen. Der Mantelrahmentarifvertrag vom 01.12.2006 gilt nach seinem § 1 räumlich für die Bundesrepublik Deutschland.

    Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Tatbestand Bezug genommen.

    Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil die Klage abgewiesen. Eine Anrechnungsbefugnis der Beklagten ergebe sich bereits aus der arbeitsvertraglichen Vereinbarung. Im übrigen sprächen auch die sonstigen Umstände nicht dafür, dass mit der Objektzulage ein selbstständiger Vergütungsbestandteil gewährt werden sollte.

    Dieses Teilurteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25.10.2010 zugestellt. Sie hat dagegen mit einem am 22.11.2010 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 25.01.2011 am 24.01.2011 begründet.

    Die Klägerin ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe die Voraussetzungen für eine Anrechenbarkeit der Objektzulage verkannt. Der Arbeitsvertrag der Klägerin enthalte hierfür keine Rechtsgrundlage. Das Arbeitsgericht berücksichtige nicht, dass die Objektzulage speziell tätigkeits- und einsatzortbezogen von der Beklagten aufgrund ihres Bewachungsvertrags für das Objekt A gezahlt werde. Nr. 1 Arbeitsvertrag nehme nur auf den jeweils gültigen Landestarifvertrag Bezug. Der bundesweit geltende Mantelrahmentarifvertrag finde daher auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einer betrieblichen Übung.

    Die Klägerin beantragt,

    1. unter Abänderung des Teilurteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 21. September 2010 -10 Ca 1589/10- die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Euro 167,32 brutto nebst zugehörigen Zinsen aus Euro 53,55 seit 04.11.2009, aus Euro 48,74 seit 04.12.2009, und aus Euro 36 seit 04.01.2010, aus 29,03 seit 04.2.2010 zu zahlen,

    2. unter Abänderung des Teilurteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 21.09.2010 -10 Ca 1589/10- festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin ab dem Abrechnungsmonat Februar 2010 für den Dienst am Bewachungsobjekt A in F als Standard- Guard einen Bruttostundenlohn von 9,89 € und als Senior Guard einen Bruttostundenlohn von 10,35 € jeweils zzgl. Nachtzuschlag von 25%, Sonntagszuschlag von 50% und Feiertagszuschlag von 125% zu zahlen hat.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts als zutreffend. Die Anwendbarkeit des Mantelrahmentarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ergebe sich jedenfalls aus betrieblicher Übung. Die Beklagte behauptet, sie habe den Mantelrahmentarifvertrag auf die bei ihr beschäftigten Mitarbeiter angewandt. Dies habe sich beispielsweise in der Gewährung von Freistellungen nach § 9 Mantelrahmentarifvertrag gezeigt.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    I. Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

    II. Die Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte war nach § 8 Nr. 1 S. 2 Mantelrahmentarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Bundesrepublik Deutschland berechtigt, die Tariferhöhungen auf die Objektzulage anzurechnen. Deshalb sind sowohl der Zahlungs- als auch der (zulässige) Feststellungsantrag unbegründet. Es kann dahinstehen, ob -was zwischen den Parteien streitig ist- die Regelung in Nr. 1 Abs. 1 S. 2 Arbeitsvertrag, wonach auf das Arbeitsverhältnis der jeweils gültigen Landestarifvertrag ohne Einschränkung anwendbar ist- dahingehend auszulegen ist, dass damit auch auf den (später in Kraft getretenen) Mantelrahmentarifvertrag verwiesen wird. Legt man mit der Klägervertreterin Nr. 1 Abs. 1 S. 2 Arbeitsvertrag dahin aus, dass hierdurch ausschließlich auf den jeweils gültigen Landestarifvertrag verwiesen wird, findet der Manteltarifvertrag aufgrund betrieblicher Übung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

    Ob eine Tariflohnerhöhung individualrechtlich auf eine übertarifliche Vergütung angerechnet werden kann, hängt von der zu Grunde liegenden Vergütungsabrede ab. Haben die Arbeitsvertragsparteien dazu eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, gilt diese. Anderenfalls ist aus den Umständen zu ermitteln, ob eine Befugnis zur Anrechnung besteht (Bundesarbeitsgericht 23.9.2009 -5 AZR 973/08- Randnummer 21; 27.08.2008 -5 AZR 820/07- Rn. 12). Hieraus folgt, dass zunächst zu prüfen ist, ob eine vertragliche Anrechnungsvereinbarung vorliegt. Ist dies der Fall, kann eine Tariflohnerhöhung individualrechtlich auf die übertarifliche Vergütung unabhängig davon, wie diese bezeichnet und welcher Zweck mit ihr verfolgt wird, angerechnet werden. Nur wenn eine vertragliche Anrechnungsvereinbarung nicht geschlossen wurde, ist weitergehend zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer ein selbstständiger Entgeltbestandteil neben dem jeweiligen Tarifentgelt zugesagt wurde. Etwas anderes ergibt sich auch nicht auf den Entscheidungen des LAG Köln (16.9.2009-3 Sa 721/09; 18.9.2008-7 Sa 547/08), denn dort war ein vertraglicher Anrechnungsvorbehalt -im Gegensatz zum vorliegenden Fall- nicht vereinbart.

    Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (151 BGB) erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen (BAG 24.6.2003 -9 AZR 302/02 -BAGE 106, 345, Rn. 33). Durch betriebliche Übung kann auch die Bezugnahme auf ein Tarifwerk erfolgen. Dies hat zur Folge, dass ebenso wie die Vorteile einer bestehenden betrieblichen Übung den Arbeitnehmern zugute kommen, der Arbeitnehmer ebenso für ihn ungünstige Regelungen der betrieblichen Übung gegen sich gelten lassen muss (Bundesarbeitsgericht 17.4.2002-5 AZR 89/01-BAGE 101,75, Randnummer 18).

    Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass im Betrieb der Beklagten der Mantelrahmentarifvertrag auf alle Mitarbeiter angewandt wird. Dies gilt auch in Bezug auf die Mitarbeiter, die -wie der Kläger- schon vor Inkrafttreten des Mantelrahmentarifvertrages im Betrieb beschäftigt wurden. Die Anwendung des Mantelrahmentarifvertrages zeigte sich für die Mitarbeiter der Beklagten insbesondere bei der Gewährung von Freistellungen bei Arbeitsverhinderung gemäß § 9 Mantelrahmentarifvertrag. Dies haben die Zeuginnen U und C ausgesagt. Die Zeuginnen sind glaubwürdig. Zwar stehen sie in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Dies allein rechtfertigt es jedoch nicht, ihre Aussagen von vornherein als wertloses Beweismittel anzusehen. Ihre Aussagen sind auch glaubhaft, da sie in sich widerspruchsfrei sind.

    Ist damit der Mantelrahmentarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe vom 1. Dezember 2006 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar, konnte die Beklagte nach dessen § 8 Nr. 1 S. 2 die Objektzulage mit der Tarifentgeltsteigerung verrechnen. Bei der gewährten Objektzulage handelt es sich auch um eine freiwillig gewährte übertarifliche Leistungen, da in dem Tarifvertrag die Zahlung einer Objektzulage nicht vorgesehen ist.

    Die Klägerin kann auch nicht die Erhöhung der Positionszulage von Euro 0,51 auf Euro 0,53 verlangen. Der Klägerin war im Hinblick auf ihre Funktion als Senior Guard eine Positionszulage in Höhe von Euro 0,51 zugesagt. Ein Anspruch auf eine Erhöhung ergibt sich nicht aus dem Entgelttarifvertrag. Die Zahlung einer Positionszulage ist dort nicht vorgesehen. Dass die Klägerin die tariflichen Voraussetzungen für die Zahlung der Wachführerzulage erfüllt (§ 4 Nr. 1 Entgelttarifvertrag), hat sie nicht im einzelnen vorgetragen.

    III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

    IV. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz.

    VorschriftenMTV Wach- und Sicherheitsgewerbe § 8 Nr. 1 S. 2