· Fachbeitrag · IGeL für die Hausarztpraxis
„Die Hausarztzentrierte Versorgung kann wirtschaftlich interessanter als IGeL sein!“
Dem Medizinischen Dienst Bund zufolge geben gesetzlich Versicherte pro Jahr mindestens 2,4 Mrd. Euro für Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) aus. Diese Summe setzt sich aus den Ausgaben gesetzlich Krankenversicherter im Alter von 18 bis 80 Jahren zusammen. Sie läge wahrscheinlich höher, würde man alle Altersgruppen einbeziehen. Dr. med. Lutz Weber ist Hausarzt in Laupheim und Bezirksvorsitzender Südwürttemberg des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Baden-Württemberg. Im Gespräch mit Ursula Katthöfer (textwiese.com) ordnet er die wirtschaftliche Bedeutung von IGeL für Hausarztpraxen ein.
Redaktion: Wie hoch ist der Stellenwert von IGeL für den wirtschaftlichen Erfolg einer Praxis?
Dr. Weber: In den hausärztlichen Praxen ist der durchschnittliche Umsatz mit IGeL nicht sonderlich hoch. Er liegt zwischen 2 und 5 Prozent. Es gibt sicherlich Ausreißer nach oben, allerdings auch Praxen, die gar keine IGeL anbieten.
Redaktion: Welche IGeL werden häufig nachgefragt, welche selten?
Dr. Weber: Das Interesse an Labortests ist sehr groß, darunter die Bestimmung des Vitamin-D3-Spiegels, zusätzlicher Blutwerte, der Schilddrüsenwerte und des PSA-Wertes. Erweiterte Vorsorgeangebote wie z. B. Ultraschalluntersuchungen oder das KI-gestützte Hautkrebsscreening, bei dem der gesamte Körper mithilfe einer Kamera gescannt wird, werden ebenfalls oft nachgefragt. Weitere typische IGeL sind Akupunktur, Raucherentwöhnung, Ernährungs- und Lifestyleberatungen, Reise- und Impfmedizin sowie Atteste, etwa für den Sportbootführerschein. Die Bandbreite ist groß und variiert je nach Qualifikation und Ausrichtung der Praxis.
Redaktion: Was sind es für Menschen, die nach IGeL fragen?
Dr. Weber: Man sieht hauptsächlich zwei Gruppen. Hier wären einmal ältere Patienten zu nennen, die über die Vorsorgeuntersuchung hinaus zusätzliche Leistungen wünschen. Sie fragen beispielsweise nach der Intima-Media-Dicke-Messung zur Abschätzung des individuellen kardiovaskulären Risikos. Zum zweiten Klientel gehören deutlich jüngere und gesündere Personen. Häufig handelt es sich um gesundheits- und körperbewusste Frauen und Männer in der Lebensmitte. Sie wünschen z. B. eine Ernährungsberatung oder Akupunktur. Diesen Trend zur Selbstoptimierung sollten wir nicht geringschätzen, sondern auch hier den Patienten jeweils hausärztlich beraten und mit ihm zusammen entscheiden, was sinnvoll oder vielleicht sogar schädlich ist. Möglicherweise sehen wir ganz neue Aspekte. So würde ich bei einer Person, die Leistungssport treibt, sportmedizinische Untersuchungen anbieten.
Redaktion: Wann ist es sinnvoll, eine IGeL anzubieten, wenn Patienten nicht von sich aus danach fragen?
Dr. Weber: Ich finde, dass der Patient ein Recht darauf hat, über moderne und innovative Behandlungsmethoden oder Diagnostik informiert zu werden. Denn schließlich deckt die gesetzliche Krankenkasse nur die ausreichenden, zweckmäßigen, wirtschaftlichen Leistungen ab, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten ‒ also nur eine Schulnote 4 . Und ich als Patient will selbst entscheiden, ob ich vielleicht eine Behandlung mit der Schulnote 1 wünsche. Als Ärzte dürfen wir informieren, aber nicht drängen. Druck aufzubauen, schadet dem Arzt-Patienten-Verhältnis nachhaltig. Es kostet Vertrauen. Aber Information und Beratung wiederum stärken das Verhältnis. Entscheiden kann der Patient am Ende immer selbst, ob und welche zusätzliche Leistung für ihn infrage kommt.
Redaktion: Wie sinnvoll ist es aus Sicht des Hausarztes, wenn Patienten sich beim IGeL-Monitor über diese Leistungen informieren?
Dr. Weber: Ein informierter Patient ist immer von Vorteil, da das Arzt-Patienten-Gespräch auf einer ganz anderen Ebene beginnen kann als beim uninformierten Patienten. Grundsätzlich ist der IGeL-Monitor eine gute Basis, da er auf evidenzbasierten Erkenntnissen beruht. Das ist deutlich fundierter als viele andere Informationen, die Patienten im Internet finden. Dennoch muss nicht alles, was der IGeL-Monitor vermittelt, auf einen Patienten zutreffen. IGeL heißt nicht umsonst „individuelle Gesundheitsleistung“. Wir müssen jeden Patienten als Individuum sehen und seine Bedürfnisse einordnen. Wir Hausärzte kennen unsere Patienten und wissen, welche Untersuchung sinnvoll ist.
Redaktion: Lohnt es sich für Praxen, in das Angebot von IGeL zu investieren?
Dr. Weber: Zwischen wirtschaftlicher Kalkulation und medizinischer Sinnhaftigkeit bewegen wir uns in einem Spannungsfeld. Einerseits sind IGeL gut bezahlt, anderseits spüren wir den Patientendruck in der Regelversorgung, der uns keine Zeit lässt für aufwendige IGeL. Als Hausarzt muss ich mir gut überlegen, wie groß der Mehrwert einer IGeL für die Praxis ist. So bindet z. B. eine aufwendige Infusionstherapie Arzt und MFAs, sie kostet Zeit und Personal. Das kann schnell wirtschaftlich uninteressant sein.
Redaktion: Was wäre die Alternative?
Dr. Weber: Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) nimmt den Druck raus, IGeL aus Gründen der Wirtschaftlichkeit anbieten zu müssen. Über die HZV kann ich ebenfalls Leistungen anbieten, die dem Patienten einen Mehrwert bringen ‒ etwa die Vorsorge alle zwei Jahre statt alle drei Jahre. Für die Patienten ist diese Form der primärärztlichen Versorgung kostenlos. Für die Praxis sind die Honorare verlässlich, planbar und besser als in der Regelversorgung. Bevor ich weitere IGeL für einzelne Patienten anbiete, kann es wirtschaftlich lohnender sein, in der gleichen Zeit drei oder vier HZV-Patienten zu behandeln.