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  • 10.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211064

    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 02.08.2019 – 3 Ta 2/19

    Der Umstand, dass eine Person als Zeuge benannt oder vom Gericht als Zeuge geladen worden ist, steht deren Auftreten als "Vertreter" i.S.d. § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht entgegen.


    Im Beschwerdeverfahren mit d. Beteiligten
    - Beklagter/Beschwerdeführer -
    Proz.-Bev.:
    hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Oesterle ohne mündliche Verhandlung am 02.08.2019
    beschlossen:

    Tenor:

    Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 28. Januar 2019 - 30 Ca 7427/17 - aufgehoben.



    Gründe



    I.



    Der Beklagte wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes wegen Nichterscheinens im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht.



    Die Parteien stritten im Ausgangsverfahren über eine betriebsbedingte Kündigung und Zahlungsansprüche des Klägers. Im Gütetermin vom 8. Juni 2018, in dem nur eine teilweise Einigung erzielt wurde, verkündete der Vorsitzende der Kammer 30 des Arbeitsgerichts Stuttgart einen Beschluss, wonach Kammertermin auf den 14. November 2018 anberaumt und hierzu das persönliche Erscheinen der Parteien zur Sachverhaltsaufklärung und zur gütlichen Einigung angeordnet wurde. Weiterhin wurde im Beschluss ausgeführt, dass das persönliche Erscheinen insbesondere zur Aufklärung des Vorfalls am 11. Oktober 2017 erforderlich sei.



    Im Kammertermin vom 14. November 2018 erschien für den Beklagten dessen Mitarbeiterin S. mit einem unterbevollmächtigten Rechtsanwalt. Im Kammerterminsprotokoll ist festgehalten: "Der Beklagtenvertreter weist darauf hin, dass die Beklagtenvertreterin gem. § 141 Abs. 3 ZPO bevollmächtigt sei. Der Vorsitzende rügt die Abwesenheit des Beklagten. Im Beschluss vom 8. Juni 2018 wurde das persönliche Erscheinen des Beklagten ausdrücklich angeordnet. Dieses wurde ausweislich Ziff. 2 des Beschlusses auch begründet. Es geht hier um den Vorfall vom 11. Oktober 2017. Die Darstellungen der Parteien gehen hier sehr weit auseinander, deshalb ist die Anwesenheit des Beklagten zwingend erforderlich. Die als Beklagtenvertreterin erschienene Frau S. ist als Zeugin benannt. Es kann daher nicht ohne Weiteres die Sach- und Rechtslage erörtert werden. Frau S. wird gebeten, vor dem Sitzungssaal zu warten."



    In einem am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss wurde die Sitzung auf den 16. Januar 2019 vertagt und dem Beklagten aufgegeben, seine heutige Abwesenheit bis 4. Dezember 2018 zu begründen. Es hätten im Hinblick auf die Abwesenheit des Beklagten weder Sachverhaltsfragen aufgeklärt werden können noch sei eine abschließende Einigung zwischen den Parteien möglich gewesen.



    In seinem Schreiben vom 15. November 2018 führte der Beklagte aus, dass ihn am Vortag ein "Schadens-Notfall" an der Terminswahrnehmung gehindert habe.



    Im Kammertermin vom 16. Januar 2019 wurde die Sitzung auf den 13. Februar 2019 vertagt. Der Rechtsstreit wurde durch gerichtlichen Vergleich vom 4. Februar 2019 beendet.



    Mit Beschluss vom 28. Januar 2019 setzte das Arbeitsgericht gegen den Beklagten wegen unentschuldigten Ausbleibens im Termin vom 14. November 2018 ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,00 EUR fest und führte zur Begründung aus: Der Beklagte habe sich am 14. November 2018 von seiner Mitarbeiterin S. vertreten lassen. Jedoch seien diese und der Unterbevollmächtigte nicht entscheidungsbefugt gewesen. Frau S. und der Unterbevollmächtigte seien insbesondere nicht zum Abschluss eines Vergleichs berechtigt gewesen. Damit sei der Beklagte im Kammertermin vom 14. November 2018 nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen, insbesondere sei kein entscheidungsbefugter Vertreter iSd § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO erschienen. Der Vorfall vom 11. Oktober 2017 habe mit Frau S. nicht erörtert werden können, da diese von beiden Seiten als Zeugin benannt und vom Gericht vorsorglich geladen worden sei. Durch das Nichterscheinen des Beklagten sei es dem Gericht nicht möglich gewesen, beide Parteien zu dem streitgegenständlichen Sachverhalt (Vorfall vom 11. Oktober 2017) persönlich nach § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO anzuhören. Mit der Beklagtenseite habe der Vorfall nicht vertieft erörtert werden können. Das Stellen von Nachfragen ohne Vorwegnahme einer Beweisaufnahme sei nicht möglich gewesen. Die mit einer (vermeintlichen) Vollmacht nach § 141 Abs. 3 ZPO ausgestattete Vertreterin habe wegen ihrer Eigenschaft als Zeugin nicht zum Sachverhalt befragt werden können. Es wäre mit einer fairen oder sachgerechten Verhandlungsführung nicht zu vereinbaren, Frau S. zunächst als Parteivertreterin anzuhören und anschließend zu denselben Fragen als Zeugin zu vernehmen. Durch das Nichterscheinen des Beklagten sei der Rechtsstreit erheblich verzögert worden. Denn das Gericht habe den Beklagten erst im Kammertermin am 16. Januar 2019 zum Vorfall am 11. Oktober 2017 persönlich anhören können. Angemessen erscheine ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,00 EUR. Zu berücksichtigen sei, dass der Beklagte aufgrund eines beruflichen Notfalls nicht abkömmlich gewesen sei und er auf die Rechtsauskunft seiner damaligen Prozessbevollmächtigten vertraut habe. Allerdings hätte ihm klar sein müssen, dass sein Erscheinen zum Termin nicht in seinem Ermessen stehe. Insbesondere dränge es sich auf, dass sein Erscheinen nicht durch Entsendung einer - zumal als Zeugin benannten - Vertreterin ersetzt werden könne. Er hätte - ggf. kurzfristig - die Aufhebung des persönlichen Erscheinens beantragen und sicherstellen müssen, dass die zum Kammertermin entsandten Vertreter auch tatsächlich entscheidungsbefugt sind.



    Gegen den ihm am 5. Februar 2019 zugestellten Beschluss hat der Beklagte am 11. Februar 2019 sofortige Beschwerde eingelegt und vorgetragen: Der Kläger selbst habe bis zum Kammertermin am 14. November 2018 nicht den erforderlichen USB-Stick vorgelegt; auch seien die Zeuginnen P. und S. nicht geladen gewesen, weshalb es zu keiner Verzögerung des Rechtsstreits in der Sachbehandlung gekommen sei. Am 14. November 2018 habe er auf telefonische Nachfrage von der Kanzlei seiner damaligen Prozessbevollmächtigten die Auskunft erhalten, dass es ausreiche, wenn er eine Terminsvertreterin mit einer Vollmacht nach § 141 Abs. 3 ZPO zum Termin schicke, falls er selbst nicht mehr rechtzeitig kommen könne.



    Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 14. März 2019 nicht abgeholfen und sie dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.



    II.



    Die nach § 56 Abs. 1 ArbGG iVm §§ 141 Abs. 3, 380 Abs. 3 ZPO statthafte und form- und fristgerecht eingelegte, mithin zulässige sofortige Beschwerde (§ 78 ArbGG iVm §§ 567, 569 ZPO) hat auch in der Sache Erfolg. Der Ordnungsgeldbeschluss vom 28. Januar 2019 ist aufzuheben.



    1. Gem. § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 ArbGG soll der Vorsitzende, soweit es sachdienlich erscheint, zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen. Dass es sachdienlich war, zur mündlichen Verhandlung am 14. November 2018 dieses anzuordnen, liegt im Hinblick darauf, dass der Verlauf der persönlichen Auseinandersetzung zwischen den Parteien am 11. Oktober 2017 streitentscheidend war, auf der Hand und wird vom Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.



    2. Der Ordnungsgeldbeschluss ist jedoch aufzuheben, weil die Voraussetzungen des analog anzuwendenden § 141 Abs. 3 ZPO (§ 51 Abs. 1 Satz 2 ArbGG findet auch im Rahmen der Anordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 ArbGG entsprechende Anwendung) nicht gegeben sind.



    a) Nach § 141 Abs. 3 ZPO kann gegen eine Partei Ordnungsgeld wie gegen einen im Verhandlungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden, sofern die Partei entgegen einer Anordnung ihres persönlichen Erscheinens im Termin ausbleibt. Zweck des § 141 Abs. 3 ZPO ist nicht, eine vermeintliche Missachtung des Gesetzes oder des Gerichts durch die nicht erschienene Partei zu ahnden; ebenso wenig darf die Androhung und Festsetzung von Ordnungsgeld dazu verwendet werden, einen Vergleichsabschluss zu erzwingen. Mit der Möglichkeit, das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen, versetzt das Gesetz das Gericht vielmehr in die Lage, den entscheidungserheblichen Sachverhalt so umfassend und rasch wie möglich zu klären, um auf diese Weise zu einer der materiellen Rechtslage möglichst gerecht werdenden Entscheidung zu gelangen. Zweck der Anordnung des persönlichen Erscheinens ist demnach allein, die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern. Ordnungsgeld kann daher nur festgesetzt werden, wenn das unentschuldigte Ausbleiben der Partei die Sachverhaltsaufklärung erschwert und dadurch der Prozess verzögert wird (BAG 1. Oktober 2014 - 10 AZB 24/14 - BAGE 149, 254 - Rn. 14; Düwell/Lipke/Kloppenburg ArbGG 4. Aufl. § 51 Rn. 21; anderer Ansicht Schwab/Weth ArbGG 4. Aufl. § 51 Rn. 24).



    b) Nach diesen Grundsätzen war die Festsetzung des Ordnungsgeldes nicht gerechtfertigt. Denn es ist nicht ersichtlich, dass im Kammertermin vom 14. November 2018 eine Sachverhaltsaufklärung nicht möglich war. Der Beklagte hatte zu diesem Termin Frau S. als informierte Vertreterin entsandt. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist der Umstand, dass Frau S. von beiden Parteien als Zeugin für den Vorfall vom 11. Oktober 2017 benannt worden war, nicht geeignet, um sie als nicht zur Sachverhaltsaufklärung tauglich anzusehen.



    aa) Die Parteianhörung nach § 141 Abs. 1 ZPO stellt allein ein Mittel zur Klärung des tatsächlichen Parteivorbringens dar und knüpft damit an die materielle Prozessleitung (§ 139 Abs. 1 ZPO) an (MüKoZPO/Fritsche 5. Aufl. § 141 Rn. 2). Wie sich aus der systematischen Stellung der Vorschrift und einem Gegenschluss aus der Regelung über die Parteivernehmung (§§ 445 bis 455 ZPO) ergibt, bedeutet Aufklärung des Sachverhalts iSv § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO Klärung des Sachvortrags. Die Anhörung der Parteien dient dazu, ihre Tatsachenbehauptungen zu klären, nicht die behaupteten Tatsachen festzustellen (BGH 19. April 2002 - 5 ZR 90/01 - BGHZ 150, 334; BeckOK ZPO/von Selle Stand 1. März 2019 § 141 Rn. 1).



    bb) Deshalb stand der Umstand, dass Frau S. als Zeugin für den Geschehensablauf am 11. Oktober 2017 benannt worden war, einem Auftreten als Vertreterin iSd § 141 Abs. 3 ZPO im Kammertermin vom 14. November 2018 nicht entgegen. § 394 Abs. 1 ZPO schließt die Anwesenheit eines Zeugen, der noch nicht gehört wurde, nur während der Vernehmung anderer Zeugen aus (GK-ArbGG/Schütz § 51 Rn. 24). Allenfalls wäre unter Umständen der Beweiswert einer etwa noch später erfolgenden Vernehmung der Frau S. als Zeugin gemindert gewesen (vgl. OLG Schleswig 25. Juni 2001 - 16 W 136/01 - BeckRS 2003, 10032).



    cc) Folglich war das Arbeitsgericht nicht befugt, Frau S. nur deshalb als Vertreterin des Beklagten iSd § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO auszuschließen, weil sie von beiden Parteien auch als Zeugin benannt worden war. Ob sie ausreichend informiert war, lässt sich nicht mehr feststellen. Dies kann aber nicht zu Lasten des Beklagten gehen, denn ein Ordnungsgeld darf im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip nur verhängt werden, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen nach der Überzeugung des Gerichts vorliegen (LAG Hessen 9. Dezember 2009 - 4 Ta 654/09 - BeckRS 2010, 67183).



    III.



    1. Die Alleinentscheidungsbefugnis des Vorsitzenden folgt aus § 78 Satz 3 ArbGG.



    2. Die Kompetenz des Vorsitzenden, außerhalb der mündlichen Verhandlung zu entscheiden, ergibt sich aus §§ 572 Abs. 4, 128 Abs. 4 ZPO.



    3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Auseinandersetzung über die Festsetzung von Ordnungsgeld ist nicht kontradiktorisch ausgestaltet. Nachdem der Ausgangsrechtsstreit durch Vergleich vom 4. Februar 2019 ohne Kostenregelung erledigt wurde, findet bezüglich der Kosten der erfolgreichen Beschwerde des Beklagten (Auslagen) § 98 Satz 2 ZPO Anwendung. Gerichtskosten entstehen nicht (BAG 1. Oktober 2014 - 10 AZB 24/14 - BAGE 149, 254 - Rn. 24).



    4. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, §§ 72, 78 ArbGG) scheidet aus. Eine solche wäre ohnehin nur zulässig, wenn der Beklagte durch die Beschwerdeentscheidung beschwert wäre, was nicht der Fall ist, weil der Ordnungsgeldbeschluss aufgehoben wurde (LAG Hessen 1. Juli 2013 - 1 Ta 232/13 - NZA-RR 2013, 491 [LAG Hamm 01.07.2013 - 1 Ta 232/13] ).

    Der Vorsitzende: Oesterle

    Vorschriften§ 141 Abs. 3 ZPO, § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 56 Abs. 1 ArbGG, §§ 141 Abs. 3, 380 Abs. 3 ZPO, § 78 ArbGG, § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 ArbGG, § 51 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, § 141 Abs. 1 ZPO, § 139 Abs. 1 ZPO, §§ 445 bis 455 ZPO, § 394 Abs. 1 ZPO, § 78 Satz 3 ArbGG, §§ 572 Abs. 4, 128 Abs. 4 ZPO, § 98 Satz 2 ZPO, § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, §§ 72, 78 ArbGG