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  • 22.08.2014 · IWW-Abrufnummer 172021

    Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 19.03.2012 – 2 Sa 1105/11

    Bittet ein psychisch erkrankter Mitarbeiter, einen 10 seitigen Fragenkatalog zu 13 Tatkomplexen nach Abschluss einer laufenden Rehamaßnahme beantworten zu können, ist die Anhörungsobliegenheit nicht erfüllt, wenn die Arbeitgeberin die Beantwortung innerhalb von 36 Stunden verlangt.


    Tenor: Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30.06.2011 - 17 Ca 177/11 - wird auf deren Kosten zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand: Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Verdachtskündigung, die am 27.12.2010 um 15:15 Uhr nach dem Vortrag der Beklagten in den Briefkasten des Klägers eingeworfen worden sein soll. Der Kläger hat hierzu behauptet, das Kündigungsschreiben sei erst am 30.12.2010 vorgefunden worden. Der Kläger, geboren am . .1958, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, ist seit dem 01.09.1981 bei der beklagten Rundfunkanstalt zuletzt als Techniker im IT-Service beschäftigt. Er erhielt eine Vergütung in Höhe von 4.680,00 EUR brutto monatlich. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Manteltarifvertrag ist das Arbeitsverhältnis mit Ausnahme einer Kündigung wegen Leistungsminderung nur noch außerordentlich kündbar. Die Beklagte wirft dem Kläger vor, er habe an Straftaten zu ihren Lasten teilgenommen. Zum einen habe er Aufmaße abgezeichnet, die einen erhöhten Leistungsumfang zu Gunsten der Firma S beinhalteten. Zum anderen habe er bei der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen für den Rahmenvertrag, der mit der Firma S abgeschlossen wurde, bewusst fehlerhafte Mengenangaben zugrunde gelegt. Dies habe zum einen dazu geführt, dass die Firma S die Ausschreibung gewonnen habe, zum anderen sei ein wirtschaftlicher Schaden entstanden, da die Firma S jeweils in einem Leistungsbereich besonders teuer gewesen sei, indem der Kläger eine zu geringe Auftragsanzahl prognostiziert hatte. Tatsächlich seien (*2) aber in diesen Leistungsteilen gerade besonders viele Aufträge zu erledigen gewesen, so dass ein Schaden in einer Größenordnung von wenigstens 19.000,00 EUR durch den Kläger verursacht worden sei. Am 08.07.2010 und am 09.11.2010 erfolgten Hausdurchsuchungen bei der Beklagten. Im Sommer 2010 gab der Kläger bereits eine ihm von der Firma S ausgehändigte elektronische Schließanlage, die er bei sich eingebaut hatte, an die Beklagte zurück. Die Beklagte beauftragte ihre Innenrevision im Jahr 2010 mit der Ermittlung des Sachverhalts. Der Revisionsbericht lag der Beklagten am 07.12.2010 vor. Danach soll der Kläger im Dezember 2009 u. a. auch einen Barbetrag in Höhe von 200,00 EUR von der Firma S erhalten haben. Mit Schreiben vom 08.12.2010 lud die Beklagte den Kläger zu einer Anhörung für den 13.12.2010 in die Geschäftsräume der Beklagten ein. Der Kläger, der seit 26.07.2010 erkrankt war, teilte mit E-Mail vom 12.12.2010 mit, dass er den Termin wegen einer Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen könne. Er bat darum, die Beklagte möge ihn schriftlich anhören und diese Anhörung seinem Prozessbevollmächtigten schicken. Die Beklagte fertigte daraufhin einen 10 Seiten langen Fragenkatalog, der sich auf 13 einzelne Fragenbereiche bezog und schickte diesen am 14.05.2010 (*1) sowohl an die Prozessbevollmächtigten des Klägers als auch an den Kläger persönlich. Die Versendung an den Kläger erfolgte per Einschreiben/Rückschein und sah eine Frist zur Beantwortung der Fragen bis Freitag, den 17.12.2010, 12:00 Uhr vor. Mit Schreiben vom 15.12.2010, nach Angaben der Beklagten eingegangen bei dieser am 20.12.2010, antworteten die Prozessbevollmächtigten des Klägers zunächst, dass der Kläger noch bis zum 11.01.2011 in der Reha-Maßnahme ist. Es sei deshalb kaum möglich, zu dem Fragenkatalog bis zum 17.12.2010 Stellung zu nehmen. Hierfür sei eine zeitaufwendige Besprechung mit der Partei erforderlich. Diese könne wegen der noch laufenden Reha-Maßnahme erst im Laufe des Januars 2011 erfolgen. Eine Stellungnahme wurde für die Zeit nach Ablauf der Reha-Maßnahme avisiert. Eingegangen nach Eingangsstempel der Beklagten am 17.12.2010 fertigten die Kläger-Prozessbevollmächtigten ein weiteres Schreiben, in dem sie auf das Schreiben vom 15.12.2010 Bezug nahmen und rügten, dass der Kläger durch die Zusendung des Fragenkataloges einen gesundheitlichen Rückschlag erlitten habe. Unstreitig litt der Kläger seinerzeit an einer psychischen Erkrankung. Mit Schreiben vom 20.12.2010 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalrat sowohl zur Verdachtskündigung als auch zur Tatkündigung an. Der Personalrat widersprach mit Schreiben vom 22.12.2010 und verwies darauf, der Kläger sei nicht ausreichend angehört worden. Mit Schreiben vom 27.12.2010 sprach die Beklagte die hier streitige Kündigung sowohl als Verdachts- als auch als Tatkündigung aus. Am 07.01.2011 ging die Kündigungsschutzklage des Klägers beim Arbeitsgericht ein. Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen und dabei ausgeführt, dass die Anhörungsfrist für die ausgesprochene Verdachtskündigung nicht ausreichend gewesen sei. Es fehle damit an der erforderlichen Anhörung des Klägers. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie vertieft ihren Vortrag dazu, dass sie alle ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen habe, um den Sachverhalt aufzuklären. Da der Kläger äußerungsfähig gewesen sei, habe er den Fragenkatalog beantworten müssen. Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 30.06.2011 - Az. 17 Ca 177/11 - die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die zulässige und fristgerechte Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die am 27.12.2010 ausgesprochene und spätestens am 30.12.2010 zugegangene Kündigungserklärung nicht außerordentlich beendet worden. Hinsichtlich der im Kündigungsschreiben enthaltenen Tatkündigung ist diese verfristet im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB. Die Beklagte war spätesten am 07.12.2010 in der Lage, sich ein Bild darüber zu machen, ob die im Revisionsbericht aufgeführten Sachverhalte Grundlage der Überzeugungsein konnten, der Kläger sei Täter der dort vorgeworfenen erheblichen Pflichtverletzungen und strafbaren Handlungen. Die Frist für den Ausspruch der Tatkündigung, für die keine weiteren Ermittlungen erforderlich waren, endete damit spätestens am 21.12.2010. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigung dem Kläger unstreitig nicht zugegangen. Ob darüber hinaus wegen der Empfangnahme des elektrischen Türschlosses im Wert von über 500,00 EUR und wegen dessen Einbau in die Privatwohnung des Klägers die Frist des 626 Abs. 2 BGB bereits im Sommer 2010 kurz nach der Rückgabe des Schlosses durch den Kläger an die Beklagte abgelaufen war, kann dahinstehen. Um die Tatkündigung auszusprechen, bedurfte die Beklagte keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung, insbesondere keiner Anhörung des Klägers. Sie ist auch ohne neuere Erkenntnisse zu dem Schluss gekommen, der ihr bereits am 07.12.2010 möglich war, nämlich dass der Kläger Täter der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen und Straftaten war. Hinsichtlich der im gleichen Schreiben vom 27.12.2010 ausgesprochenen Verdachtskündigung fehlt es an der erforderlichen Anhörung des Klägers und ggf. an der nach Anhörung vorzunehmenden weiteren Aufklärung von Entlastungselementen. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Anhörung psychisch erkrankt und befand sich in einer Reha-Maßnahme. Er hat die Beklagte unverzüglich hierüber in Kenntnis gesetzt und seine Mitwirkung an der Anhörung angekündigt. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers hatten die Mitwirkung an der Anhörung und die Beantwortung des umfangreichen, 13 Tatkomplexe umfassenden Anhörungsschreibens für Mitte Januar in Aussicht gestellt. Damit durfte die Beklagte nicht davon ausgehen, dass der Kläger sich einer Anhörung entziehen wolle, noch, dass die Frist des 626 Abs. 2 BGB ablaufen könne, wenn dem Kläger eine Nachfrist bis zum 14.01. einschließlich gesetzt worden wäre. Der Kläger konnte sich, nachdem er um Einräumung einer längeren Frist gebeten hatte, in dem Fall, dass die Beklagte dem nachgekommen wäre, nicht darauf berufen, die Beklagte habe die Aufklärung nicht unverzüglich und mit der gebotenen Eile durchgeführt. Ein solches Berufen hierauf wäre nach einer ausdrücklich auf Wunsch des Klägers wegen dessen Beeinträchtigung zustande gekommenen Fristverlängerung jedenfalls rechtsmissbräuchlich gewesen. Die erkennende Kammer folgt der erstinstanzlichen Wertung dahingehend, dass es dem Kläger wegen der bestehenden psychischen Erkrankung und der Durchführung der Reha-Maßnahme nicht möglich war, innerhalb der gesetzten kurzen Frist den Fragenkatalog angemessen zu beantworten. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger als psychisch erkrankter Mensch innerhalb der gleichen Zeit wie ein gesunder Mensch in der Lage gewesen wäre, die Fragen zu beantworten, ist zu berücksichtigen, dass Reha-Maßnahmen durch verschiedene über den Tag verteilte Therapieeinheiten die Leistungsfähigkeit und das zur Verfügung stehende Zeitkontingent eines Erkrankten erheblich einschränken. Schon hieran gemessen war die gesetzte Frist zu kurz. Zudem war der Kläger durch die Reha-Maßnahme von den betrieblichen Informationsquellen abgeschnitten, die ihm möglicherweise Entlastungsmaterial hätten liefern können. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde mangels allgemeiner Bedeutung des Rechtsstreits nicht zugelassen.

    Rechtsgebiet§ 626 BGBVorschriften§ 626 BGB