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  • 27.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133611

    Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 23.07.2013 – 4 Sa 617/13

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Hessisches Landesarbeitsgericht
    Verkündet am: 23. Juli 2013
    Aktenzeichen: 4 Sa 617/13
    (Arbeitsgericht Offenbach: 5 Ca 58/13)

    Im Namen des Volkes

    Urteil

    In dem Berufungsverfahren XXX

    hat das Hessische Landesarbeitsgericht, Kammer 4,
    auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juli 2013
    durch xxx
    für Recht erkannt:

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 17. April 2013 – 5 Ca 58/13 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

    Die Revision wird nicht zugelassen

    Tatbestand:

    Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

    Die Beklagte betreibt einen Baumarkt. Der Kläger ist für sie seit dem Jahr 2003 als Warenauffüller zu einer Bruttomonatsvergütung von derzeit 1.957,67 Euro tätig. Er wird im Außenbereich des Marktes eingesetzt und ist unter anderem für die Bestückung des Steinsortiments und der Kies- und Mörtelprodukte zuständig. Zu diesem Zweck stand ihm ursprünglich ein mit einem Wetterschutz versehener Stapler zur Verfügung. Als dieser ausfiel, erhielt der Kläger einen anderen Stapler ohne Wetterschutz. Die Mitarbeiter der Beklagten montierten auf dem Stapler ein provisorisches Dach. Der Kläger brachte zusätzlich Anfang August 2012 ein Plexiglasteil als Windschutzscheibe an. Der betriebliche Sicherheitsbeauftragte rügte dies mit der Begründung, die Scheibe gewährleiste keine optimale Sicht und führe zum Erlöschen der Betriebserlaubnis für den Stapler. Darauf entfernte die Beklagte die Scheibe.

    Der Kläger, der am Vortag dienstfrei gehabt hatte, bemerkte dies am Morgen des 09. August 2012. Nachdem er Kollegen vergeblich nach dem Grund der Demontage der Scheibe gefragt hatte, brachte er die Scheibe wieder an, da er für diesen Tag Regen erwartete. Als der Geschäftsleiter der Beklagten davon erfuhr, begab er sich zum Kläger und wies ihn an, die Scheibe erneut zu entfernen. Der Kläger fügte sich zunächst der Weisung und begann zusammen mit dem Geschäftsleiter, die Scheibe wieder abzubauen. Während dieses Vorgangs geriet er zunehmend in heftige Erregung. Er schimpfte und erklärte, er sehe das nicht ein, man könne doch durch die Scheibe sehen, es sei alles „scheiße“. Darauf warf er in der Nähe liegendes Verpackungsmaterial. Schließlich schlug er mit der Hand mindestens dreimal auf ein in der Nähe aufgestelltes Verkaufsschild. Dieses bestand aus nachgiebigem Hohlkammerschaumstoff, der an eine Holzstange montiert war, die wiederum in einem mit Beton aufgefüllten Florwallsteinring steckte. Unmittelbar anschließend schwoll die Hand des Klägers dick an. Darauf wurde ein Bruch der Hand diagnostiziert.

    Aufgrund der Verletzung war der Kläger vom 09. August bis zum 19. September 2012 arbeitsunfähig. Die Beklagte gewährte ihm für diese Zeit keine Entgeltfortzahlung und zahlte an den Kläger für August 2012 lediglich 528,21 Euro brutto und für September 2012 731,54 Euro brutto. Die Differenzbeträge in Höhe von 1.436,39 Euro brutto für August 2012 sowie von 1.226,13 Euro brutto für September 2012 macht der Kläger mit der vorliegenden Klage geltend. Er hat beantragt,
    die beklagte Partei zu verurteilen, 2.662,52 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01. Oktober 2012 an ihn zu zahlen.

    Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 41, 42 d. A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt und zur Begründung – kurz zusammengefasst – ausgeführt, der Kläger habe sich bei seiner Verletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig oder besonders leichtfertig, sondern lediglich leichtfertig verhalten. Er habe sich in einer emotional aufgeladenen Situation befunden und sich geärgert. Ob dies berechtigt gewesen sei, sei nicht erheblich. Er habe sich in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden und sei deshalb nicht in der Lage gewesen, sich zu kontrollieren. Aufgrund des Materials des Schildes habe er auch nicht mit einer Verletzungsgefahr rechnen müssen. Wegen der vollständigen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 43 – 45 d. A.) Bezug genommen.

    Die Beklagte hat gegen das am 03. Mai 2013 zugestellte Urteil am 16. Mai 2013 Berufung eingelegt und diese am 18. Juni 2013 begründet. Sie bestreitet, dass sich der Kläger in einem derart emotionalen Ausnahmezustand befand, dass er sich nicht mehr habe kontrollieren können. In der gegebenen Situation habe sich kein verständiger Mensch über die die Verärgerung des Klägers auslösende, sachlich berechtigte Anweisung ärgern können. Andernfalls müsse der Kläger unter einer krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit leiden. Sein Verhalten habe keinen nachvollziehbaren Grund gehabt und sei völlig überzogen und nicht hinnehmbar gewesen. Zudem habe er den Widerstand der Holzstrebe bereits beim ersten Schlag spüren müssen. Da er gleichwohl voller Wut weiter auf das Schild schlug, sei die Verletzung zwangsläufig gewesen. Es habe sich daher um eine bewusste, zielgerichtete Handlung gehandelt.

    Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 18. Juni und 10. Juli 2013 Bezug genommen.

    Die Beklagte beantragt,
    das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach von 17. April 2013 – 5 Ca 58/13 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Der Kläger bestreitet zur Begründung seines Zurückweisungsantrags, dass die Verletzungsgefahr für ihn vorhersehbar und vorstellbar gewesen sei.

    Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Kläger wird auf den Schriftsatz vom 27. Juni 2013 Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

    Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat der Arbeitgeber das Entgelt eines Arbeitnehmers für die Zeit einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis zur Dauer von sechs Wochen fortzuzahlen, sofern der Arbeitnehmer infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist und ihn daran kein Verschulden trifft. Von diesen Tatbestandsvoraussetzungen steht lediglich im Streit, ob der Kläger an seiner Arbeitsunfähigkeit vom 09. August bis zum 19. September 2012 ein Verschulden trifft. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend verneint.

    Der Verschuldensbegriff von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG entspricht gemäß der langjährigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht dem allgemeinen zivilrechtlichen Verschuldensbegriff von § 276 BGB, der auch mittlere und leichte Fahrlässigkeit umfasst. Er erfordert vielmehr einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen. Er setzt ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliche Verhalten gegen sich selbst voraus (so etwa BAG 07. Oktober 1981 – 5 AZR 1113/79BAGE 36/376, zu 1; 11. März 1987 – 5 AZR 739/85 – EzA LFZG § 1 Nr. 86, zu I 1; 11. November 1987 – 5 AZR 497/86BAGE 56/321, zu I 1; 27. Mai 1992 – 5 AZR 297/91 – EzA LFZG § 1 Nr. 123, zu II 2). Dies ist auch in der Literatur weitgehend unstreitig (vgl. etwa Schmitt EFZG 6. Auflage § 3 Rn. 115, 116; Feichtinger/ Malkmus EFZG 2. Auflage § 3 Rn. 105; Treber EFZG 2. Auflage § 3 Rn. 62, 64; HWK-Schliemann 5. Auflage § 3 EFZG Rn. 51). Ein Abstellen auf den Verschuldensmaßstab von § 276 BGB wäre mit dem Zweck des EFZG nicht vereinbar (HaKo-ArbR-Spengler 3. Auflage § 3 EFZG Rn. 31).

    Ein Verschulden des Klägers im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG liegt nicht vor. Zunächst ist kein Anhaltspunkt für ein vorsätzliches Handeln des Klägers erkennbar. Es ist nicht ersichtlich, dass er eine Verletzung bewusst herbeiführen wollte. Weiter ist das Arbeitsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger auch nicht besonders leichtfertig oder grob fahrlässig handelte. Auch nach Auffassung der Berufungskammer lag nur mittlere Fahrlässigkeit vor. Der Kläger hätte bei verständiger Betrachtung allerdings damit rechnen müssen, dass er durch die Schläge auf das Schild eine eigene Verletzung riskieren konnte. Zwar war das Schild für sich auf Grund seiner weichen Konsistenz keine Gefahr, wohl aber die dieses tragende Holzstrebe. Gegen eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers spricht jedoch, dass er sich auch nach der Sachverhaltsschilderung der Beklagten offensichtlich vorübergehend in einem heftigen Wut- und Erregungszustand befand und sich dementsprechend kurzzeitig nicht unter Kontrolle hatte. Dies belegen neben den Schlägen auf das Schild die von der Beklagten geschilderten Aussagen des Klägers sowie dessen Werfen von Verpackungsmaterial offenbar im Affekt.

    Dass sich der Kläger am 09. August 2012 in diesen Zustand hineinsteigerte, ist nicht zu billigen, menschlich aber gleichwohl nachzuvollziehen, da kein Mensch in der Lage ist, sich jederzeit vollständig zu kontrollieren und zu keiner Zeit irrational zu handeln. Der Kläger hatte an diesem Tag bei Antritt seines Dienstes festgestellt, dass die von ihm an seinem Stapler angebrachte Plexiglasscheibe entfernt worden war, und dafür zunächst keine Erklärung erhalten. Nachdem er wegen des von ihm für diesen Tag erwarteten Niederschlags die Scheibe wieder montiert hatte, erhielt er vom Geschäftsleiter die für ihn ersichtlich subjektiv nicht nachvollziehbare Weisung, die Scheibe wieder zu entfernen. Er hielt sich zunächst gleichwohl noch unter Kontrolle und wirkte an der Demontage der Scheibe mit. Darauf verlor er jedoch aus Wut und Erregung die erforderliche Kontrolle über sein Verhalten, so dass er unter dem Eindruck dieser Gefühle irrational handelte. Dies war sicherlich leichtfertig, aber nicht derart schuldhaft, dass von besonderer Leichtfertigkeit oder grober Fahrlässigkeit die Rede sein könnte.

    Die im Berufungsverfahren vorgetragenen Einwände der Beklagten gegen diese Beurteilung überzeugen nicht. Dass die dem Kläger gegebene Anweisung, die Scheibe wieder zu entfernen, objektiv berechtigt war, trifft sicherlich zu. Dies ändert indessen nichts daran, dass der Kläger auf Grund seines Erregungszustands ersichtlich kurzfristig nicht in der Lage war, dies einzusehen. Seine empörte Reaktion belegt, dass er die Anweisung subjektiv als schikanös empfand. Das weitere Argument, der Kläger habe bereits bei seinem ersten Schlag den Widerstand der Holzstrebe spüren müssen und er habe dementsprechend durch ein Absehen von weiteren Schlägen die Verletzung verhindern können, ist rein spekulativ. Mit ihm wird unterstellt, dass der Kläger bereits mit seinem ersten Schlag die Holzstrebe getroffen und sich gleichwohl nicht bereits mit diesem Schlag den Bruch zugezogen hat. Weder das eine noch das andere kann jedoch schlüssig ausgeschlossen werden. Zudem ist es nicht untypisch, dass ein Erregungszustand auch dann nicht sofort endet, wenn bei verständiger Würdigung erkennbar wäre, dass ein im Zustand der Erregung begangenes Verhalten zu einer Selbstschädigung führen könnte. Daher kann dem Kläger kein besonders leichtfertiges oder grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden.

    Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 614 Satz 2 BGB.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

    Ein Grund zur Zulassung der Revision im Sinne von § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.