20.07.2023 · IWW-Abrufnummer 236357
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 20.01.2023 – 3 Sa 898/22
1. Das Entschädigungsverlangen eines / einer erfolglosen Bewerbers / Bewerberin nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ( § 242 BGB ) ausgesetzt sein.
2. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in im Sinn von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und / oder Schadenersatz geltend zu machen (im Anschluss an BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 37; 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - Randnummer 46 ff; 26. Januar 2017 - 8 AZR 848/13 - Randnummer 123 ff mit weiteren Nachweisen).
in Sachen
hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 3. Kammer,
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende
sowie die ehrenamtliche Richterin ... und den ehrenamtlichen Richter ... für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Juni 2022 - 42 Ca 10434/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) wegen einer Benachteiligung wegen des Geschlechts zu zahlen.
Der Beklagte betreibt ein Umzugsunternehmen in Berlin. Über einen Account mit Bezug zum Beklagten wurde auf dem Portal eBay-Kleinanzeigen eine Stellenanzeige veröffentlicht, wonach der Beklagte eine Sekretärin sucht. Dieses Portal ermöglicht eine elektronische Kontaktaufnahme. Der 1994 geborene Kläger, der jedenfalls im August 2021 in A wohnte und auch jetzt in A wohnt, meldete sich am 29. August 2021 auf diese Stellenanzeige. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger arbeitsuchend und verbrachte einen Urlaub in Ägypten. Der Inhalt der vom Kläger am 29. August 2021 über das Portal eBay-Kleinanzeigen verfassten E-Mail lautet:
"Hallo wie heißt ihre Firma und die Anschrift damit man sich bewerben kann?"
Er erhielt noch am gleichen Tag folgende Antwort:
"B Umzüge, Inh. C, D-str. , ... Berlin. Da es dringend ist, wird der tel. Kontakt bevorzugt."
Am 2. September 2021 versandte der Kläger über den Account mit Bezug auf den Beklagten bei eBay-Kleinanzeigen eine E-Mail mit folgendem Inhalt:
"Hallo, ich habe gerade auf Ebay Kleinanzeigen ihre Stellenausschreibung gefunden, womit Sie eine Sekretärin suchen. Ich suche derzeit eine neue Wohnung im Umkreis und habe Interesse an Ihrer Stelle. Ich habe Berufserfahrung im Büro und kenne mich mit Word und Excel und Gesetzen gut aus. Lieferscheine und Rechnungen kann ich auch schreiben und sonst typische Arbeiten einer Sekretärin, die Sie fordern.
Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle.
Suchen Sie nur ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau? In ihrer Stellenanzeige haben Sie dies so angegeben.
Ich habe eine kaufmännische abgeschlossene Ausbildung als Industriekaufmann und suche derzeit eine neue Herausforderung.
Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen.
Ich wäre ab sofort verfügbar.
Mit freundlichen Grüßen Herr E."
In einer weiteren Nachricht im unmittelbaren Anschluss an die zuvor zitierte Nachricht fügte der Kläger hinzu:
"Ich bin leider noch im Ausland im Urlaub und kann von hieraus keine Anrufe tätigen."
Bewerbungsunterlagen hatte der Kläger seiner E-Mail nicht beigefügt.
Mit E-Mails vom 2. September 2021 erhielt der Kläger die folgende Rückmeldung:
"Es wird lediglich eine Frau als Sekretärin gesucht. Der Geschäftsführer möchte es so. Sorry."
"Sie müssen niemanden anrufen Herr E. Die Firma möchte ausschließlich eine weibliche Sekretärin."
Mit seiner am 19.Oktober 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem Beklagten am 23. Oktober 2021 zugestellten Klage hat der Kläger einen Anspruch auf Entschädigung geltend gemacht.
Der Kläger hat im Wesentlichen vorgetragen: Der Beklagte habe ihn aufgrund des Geschlechts diskriminiert, da er ausschließlich eine Frau habe einstellen wollen und ihn nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen habe, obwohl er gut qualifiziert sei. Der Beklagte habe über das Portal eBay-Kleinanzeigen die Stelle als Sekretärin ausgeschrieben. Er habe mit dem Beklagten persönlich in Verbindung gestanden. Sämtliche Nachrichten über eBay-Kleinanzeigen würden jedem Nutzer auch in sein E-Mail-Postfach gesondert zugestellt. Der Profilname "C" sei aus den beigefügten Unterlagen - der Kläger hat insoweit Ausdrucke eingereicht, auf die Bezug genommen wird (Blatt 41 bis 42 der Akte und Blatt 56 bis 60 der Akte) - ersichtlich. Er habe somit Kontakt mit dem Beklagten und nicht mit einer Mitarbeiterin des Beklagten gehabt. Jedenfalls habe es entsprechende Anweisungen vom Inhaber an seine Mitarbeiter gegeben, bei der Neubesetzung der Stelle ausschließlich weibliche Personen zu Vorstellungsgesprächen einzuladen und nur solche einzustellen. Ferner müsse sich der Beklagte das Verhalten der Mitarbeiterin zurechnen lassen. Für den Einwand des Rechtsmissbrauchs gebe es keine Anhaltspunkte. Hierfür habe der Beklagte keinen ausreichenden Vortrag geleistet. Er sei gelernter Industriekaufmann und besitze hierdurch insbesondere Erfahrung in der Personalabteilung und müsse sich auch in arbeitsgerichtlichen Verfahren auskennen. Er besitze die Hochschulreife und führe ein Fernstudium zum Wirtschaftsjuristen durch. Dies spreche aber nicht für eine Überqualifikation. Auch sein Wohnort sei kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch. Ein Großteil seiner Freunde wohne in Berlin. Es sei üblich, dass Bewerber aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ihren Wohnsitz änderten. Er habe zu zwei seiner Freunde nach Berlin ziehen wollen, da diese an den örtlichen Universitäten studierten und die weiteren WG-Mitbewohner die Wohngemeinschaft verließen und auszögen. Er sei weiterhin arbeitsuchend. Selbst das häufige Einreichen von Entschädigungsklagen reiche für sich allein genommen nicht aus, um einen Rechtsmissbrauch begründen zu können. Dies sei erstmals nur ein Zeichen, dass ein Bewerber eben häufig diskriminiert worden sei. Auch er sei in Bewerbungsverfahren häufig diskriminiert worden. Maßgebender Zeitpunkt für den Rechtsmissbrauchseinwand sei zudem nur ein Verhalten bis zur Absage der Bewerbung. Daher könnten sich aus weiteren Bewerbungsschreiben keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch ergeben. Er habe auch durch die Frage, ob lediglich eine Frau gesucht werde, keine Absage der Bewerbung provoziert. Sein Fall sei nicht vergleichbar mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - zugrunde gelegen habe. Er habe in seinem Bewerbungsschreiben gerade seine Stärken pointiert hervorgehoben. Die Frage, ob nur eine Frau gesucht werde, sei kein Indiz für den Rechtmissbrauch. Durch §§ 5, 8, 10 AGG könnten unterschiedliche Behandlungen zulässig sein. Hiervon habe er ausgehen können. Dies auch vor dem Hintergrund, dass besonders in Berlin viele Migranten lebten und einige Arbeitgeber in Berlin durch positive Maßnahmen Benachteiligungen entgegensteuerten. Ebenfalls sei verständlich, dass Bewerber Fragen zu Stellenanzeigen hätten, insbesondere, wenn diese entgegen dem Gebot des § 11 AGG ausgeschrieben würden. Ihm stehe ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Absatz 2 AGG zu, da er aus geschlechtsspezifischen Gründen in seinem beruflichen Fortkommen benachteiligt worden sei. Die Entschädigung solle die Höhe von mindestens drei Bruttomonatsverdiensten, die er bei einer Einstellung verdient hätte, nicht unterschreiten. Es sei hier von einem höheren Grad an Verschulden auszugehen. Der Beklagte habe ihn persönlich diskriminiert. Der Beklagte habe auch erneut eine Sekretärin für seinen Betrieb gesucht. Er gehe zugunsten des Beklagten von einem Bruttomonatsverdienst in Höhe von lediglich 2.000,00 Euro aus.
Der Kläger hat beantragt,
die beklagte Partei zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Höhe der Entschädigung wird in das Ermessen des Gerichts gestellt, sollte aber 6.000,00 Euro nicht unterschreiten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat im Wesentlichen vorgetragen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Entschädigung gegen ihn, da er weder Inhaber des Accounts auf eBay-Kleinanzeigen sei noch die diskriminierende Stellenausschreibung aufgegeben habe. Die Ausschreibung sei ihm auch nicht zuzurechnen, da der Account seiner Mitarbeiterin gehöre, die ohne sein Wissen die Stellenausschreibung für ihn veröffentlicht habe. Er habe keinerlei Kenntnis von der Veröffentlichung gehabt. Die Ausführungen des Klägers stützten den Verdacht, dass dieser ohne die Absicht, tatsächlich einen Arbeitsplatz anzunehmen, sich auf die Bewerbung gezielt beworben habe, um eine Entschädigung zu erlangen. Die weitere Stellenausschreibung sei nur für einen Tag geschaltet worden. Er habe damit überprüfen wollen, ob der Kläger auf diese Anzeige reagiere. Auf dem Berliner Stellenmarkt auf eBay-Kleinanzeigen gebe es außerdem eine Vielzahl an nicht diskriminierenden Stellenausschreibungen. Er vermute, dass sich der Kläger hierauf nicht beworben habe und gezielt nach diskriminierenden Ausschreibungen suche in der Absicht, im Anschluss an eine erfolglose Bewerbung Entschädigungsansprüche geltend zu machen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 23. Juni 2022 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es zusammengefasst ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Mit der am 23. Oktober 2021 dem Beklagten zugestellten Klage habe der Kläger die Fristen des § 15 Absatz 4 Satz 1 AGG und des § 61b Absatz 1 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) gewahrt. Der persönliche Geltungsbereich des AGG sei für den Kläger und den Beklagten eröffnet. Der Kläger sei Bewerber im Sinn des § 6 Absatz 1 Satz 2 Alternative 1 AGG. Der Beklagte habe den Kläger nach § 7 Absatz 1 AGG unmittelbar wegen seines Geschlechts benachteiligt. Dass der Beklagte seine Mitarbeiterin - sollte er nicht selbst tätig geworden sein - nicht in irgendeiner Form dazu veranlasst habe, sei nicht glaubhaft und als Schutzbehauptung des Beklagten zu werten. Dem Kläger stehe aber gleichwohl kein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG zu. Der Kläger habe sich unter Verstoß gegen Treu und Glauben den formalen Status als Bewerber im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 Alternative 1 AGG verschafft und damit für sich den persönlichen Anwendungsbereich des AGG treuwidrig eröffnet. Das Bundesarbeitsgericht gehe von Rechtsmissbrauch aus, wenn die Umstände den Schluss auf ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen zuließen und dieses Vorgehen auf der Annahme beruhe, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werde letztlich ein herkömmlicher "Gewinn" verbleiben, weil die Beklagten freiwillig die Forderung erfüllten oder sich vergleichsweise auf eine Entschädigungszahlung einließen. Dass der in Lohne wohnhafte Kläger beim Arbeitsgericht Berlin binnen 15 Monaten elf Klagen über Entschädigung wegen Geschlechterdiskriminierung durch Ausschreibung von Stellen als "Sekretärin" anhängig gemacht habe, spreche aus Sicht der Kammer ebenfalls für ein systematisches, zielgerichtetes Vorgehen. Es habe sich um elf inhaltsgleiche Ausschreibungen als "Sekretärin" auf immer demselben Portal von eBay-Kleinanzeigen gehandelt. Anschließend habe der Kläger dann den vorformulierten Text als Anschreiben an die Ersteller der Anzeige versendet. Diese Umstände ließen den Schluss auf ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Klägers zu. Das mit dem gerichtlichen Verfahren verbundene Kostenrisiko spreche aus Sicht der Kammer nicht gegen ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Klägers, da es keinen Erfahrungssatz gebe, wonach rechtsmissbräuchlich handelnde Personen ihren vermeintlichen Anspruch nicht einklagten. Rechtsmissbrauch liege nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließe, auch dann vor, wenn der Bewerber die Ablehnung provoziere, indem er bereits im Anschreiben auf das Fehlen der für die Benachteiligung relevanten Eigenschaften hinweise. Auch dies sei der Fall. Der Kläger habe den Beklagten in seiner E-Mail vom 29. August 2021 ausdrücklich gefragt, ob er ausschließlich eine Frau suche und dabei zugleich selbst festgestellt, dass der Beklagte das so angegeben habe. Die Frage sei daher unnötig gewesen und habe den Beklagten nur darauf hinweisen sollen, dass es sich bei dem Kläger als Bewerber um einen Mann handele. Dementsprechend habe der Kläger sich auch nicht mit seinem vollen Namen genannt, sondern als "Herr E". Nach dem Lesen des Bewerbungsschreibens habe der Beklagte daher für die Absage nur noch bestätigen müssen, dass er eine Frau suche. So sei es auch geschehen. Dies ließe nur den Schluss zu, dass der Kläger mit dieser Absage Tatsachen habe schaffen wollen, eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG gegen den Beklagten geltend zu machen. Fragen zur Stellenanzeige im Rahmen des Anschreibens seien alles andere als üblich. Wenn der Kläger hätte wissen wollen, ob die Ungleichbehandlung nach dem AGG ausnahmsweise zulässig sei, hätte er danach fragen sollen. Das habe er aber nicht getan. Hinzu komme, dass der Kläger auf den Hinweis der Kammer im Kammertermin auf die gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung bestehenden Zweifel sowie die Vermutung der Rechtsmissbräuchlichkeit nicht etwa Tatsachen dargetan habe, um diese Zweifel und die Vermutung auszuräumen. Nach alledem sei die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger nicht ernsthaft an einer Anstellung interessiert sei, sondern sich durch die Bewerbung auf bestimmte Stellenanzeigen eine weitere Einnahmequelle habe erschließen wollen.
Gegen das dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 21. Juli 2022 zugestellte Urteil hat der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einem bei dem Landesarbeitsgericht am 19. August 2022 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Oktober 2022 mit einem bei dem Landesarbeitsgericht am 21. Oktober 2022 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung im Wesentlichen vor: Offensichtlich habe die Kammer des Arbeitsgerichts selbst ermittelt, dass er angeblich im Zeitraum vom März 2021 bis Juni 2022 elf Verfahren beim Arbeitsgericht Berlin zwecks Entschädigung wegen Benachteiligung nach dem AGG anhängig gemacht habe. Die vermeintliche Erkenntnis der elf parallelen Verfahren sei in diesem Verfahren nicht verwertbar. Die 42. Kammer des Arbeitsgerichts habe gegen den Beibringungsgrundsatz verstoßen. Es dürfe auch bezweifelt werden, ob die 42. Kammer sich objektiv neutral verhalten habe. Die Kammer habe ersichtlich bereits gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung verstoßen, indem sie in der Güteverhandlung darauf hingewiesen habe, dass er insgesamt elf weitere identische Verfahren beim Arbeitsgericht Berlin rechtshängig habe. Unabhängig von der Frage der Verwertbarkeit der Erkenntnisse der 42. Kammer über die Anzahl der entsprechenden Klagen liege auch kein Fall des Rechtsmissbrauchs vor. Die vorangegangenen Klagen ließen sich für sich betrachtet damit erklären, dass er ein ernsthaftes Interesse an dem Erhalt der jeweiligen Stelle gehabt habe und er sich bei der Auswahlentscheidung diskriminiert ansehe. Dies gelte auch, wenn sich der Bewerber stets auf solche Stellen beworben habe, die auf den ersten Blick den Anschein erweckten, der Arbeitgeber habe die Stelle unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben. Der Hinweis des Arbeitsgerichts zu dem fehlenden Erfahrungssatz verfehle das Thema. Das Kostenrisiko und weitere mit Klagen verbundene Umstände belegten vielmehr, dass die Bewerber nicht aus Gründen des Broterwerbs Bewerbungen einreichten und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Entschädigungsklagen erhöben, weil es eben mit so hohen Risiken behaftet sei. Man könne auch nicht annehmen, dass er seine Ablehnung provoziert habe. Der vom Arbeitsgericht zitierte Fall des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16) sei nicht vergleichbar. Vorliegend sei das weibliche Geschlecht Einstellungsvoraussetzung und sein Hinweis darauf, er bewerbe sich als Mann, habe der Klarstellung gedient. Auch weitere Umstände belegten, dass er nicht rechtsmissbräuchlich gehandelt habe. Es komme nicht darauf an, wie viel Mühe sich ein Bewerber mit seinem Bewerbungsschreiben gebe. Die Stellenausschreibung des Beklagten habe keinerlei Inhalte im Unternehmen und zu dem Anforderungsprofil - mit Ausnahme des Geschlechts - genannt. Da er sich zum Zeitpunkt der Bewerbung im Ausland aufgehalten habe, sei es auch nicht möglich gewesen, eine schriftliche Bewerbung anzufertigen. Auf seine Nachfrage habe der Beklagte ausdrücklich geäußert, man suche nur eine Frau. Er habe also davon ausgehen müssen, dass eine weitere Bewerbung keine Aussicht auf Erfolg habe, auch wenn er nach seinem Auslandsurlaub weitere Bewerbungsunterlagen nachreiche. Das Arbeitsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass er zum Zeitpunkt der Bewerbung arbeitslos gewesen sei und von Sozialleistungen gelebt habe. Er sei auch wohnungslos gewesen. Er habe sich auch auf weitere Stellenausschreibungen beworben. Bewerbungen seien auch auf diskriminierungsfreie Stellenausschreibungen erfolgt. Der Beklagte sei Wiederholungstäter, weil er weitere Stellenausschreibungen gegen § 11 AGG ausgeschrieben habe.
Der Kläger hat weiter vorgetragen: Bei dem Akteninhalt der weiteren Verfahren handele es sich auch nicht um offenkundige beziehungsweise gerichtskundige Tatsachen. Es begründe auch die Besorgnis der Befangenheit, wenn ein Richter außerhalb der mündlichen Verhandlungen Informationen einhole und hierdurch der Eindruck entstehe, er ermittle von sich aus den Sachverhalt. Auch offenkundige Tatsachen dürfe ein Gericht grundsätzlich nicht von Amts wegen einführen. Bei einer erneuten Verwertung werde das Gericht auch klarzustellen haben, ob eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts bejaht oder verneint werde. Für die Prüfung, ob der Rechtsmissbrauchseinwand vorliege, sei maßgeblich auf den Zeitpunkt der Bewerbung abzustellen. Die Kammer habe jedoch auch Umstände nach der Absage der Bewerbung berücksichtigt. Seine Frage könne auch eine andere Erklärung haben als die Erlangung eines Vorteils. Er sei überrascht gewesen, dass die Stellenausschreibung entgegen dem Gebot von § 11 AGG ausgeschrieben worden sei. Durch seine Nachfrage habe er dem Beklagten geradezu die Möglichkeit gegeben, ein etwaiges Missverständnis in der Stellenausschreibung auszuräumen. Nach § 5 AGG könnten unterschiedliche Behandlungen ungeachtet der in den §§ 8, 9 10 AGG sowie in § 20 AGG genannten Gründen zulässig sein, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollten. Insoweit beständen gegenteilige Anhaltspunkte, die verdeutlichten, dass es ihm nicht darum gegangen sei, ausschließlich Entschädigungsansprüche geltend zu machen.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 20. Januar 2023 ein Schreiben vom 4. Juni 2022 mit einer Bewerbungsübersicht übergeben (Blatt 258 bis 259 der Akte).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. Juni 2022 - 42 Ca 10434/21 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei die Höhe der Entschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 6.000,00 Euro brutto nicht unterschreiten sollte.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er ist der Ansicht, der Kläger sei bisher nicht mit der notwendigen Darlegung anderweitiger ernsthafter Bewerbungen auf "nicht diskriminierende" Stellenausschreibungen dem Missbrauchseinwand entgegengetreten. Ausreichend viele Ausschreibungen seien auch auf der Plattform eBay-Kleinanzeigen vorhanden, auch in Berlin. Die inhaltsgleichen Bewerbungen zeigten die fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung. Im Hinblick auf den von ihm erstinstanzlich gestellten Antrag auf Beiziehung und Einsichtnahme in die Parallelverfahren sei das Arbeitsgericht auch berechtigt gewesen, die dortigen Informationen im Rahmen der Güteverhandlung mit einzubeziehen. Es sei unbestritten, dass der Kläger binnen 15 Monaten elf Klagen über Entschädigungen wegen Geschlechterdiskriminierung durch Ausschreibung von Stellen als "Sekretärin" anhängig gemacht habe, wobei er sich mit einem vorformulierten Text an die Ersteller der Anzeige wende. Gleichgelagerte Fälle führe der Kläger auch vor anderen Arbeitsgerichten in der Bundesrepublik. Auch die Aneignung umfangreicher Rechtskenntnisse zum AGG zeige, wie der Kläger systematisch und gezielt zur Erlangung der Entschädigung vorgehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist zulässig.
1. Die Berufung ist gemäß § 8 Absatz 2 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz), § 64 Absatz 1 und Absatz 2 Buchstabe b ArbGG statthaft und gemäß § 66 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG, § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 519 Absatz 1 und Absatz 2 ZPO (Zivilprozessordnung) frist- und formgerecht eingelegt worden.
2. Die Berufung ist nach Ansicht der Kammer auch gemäß § 66 Absatz 1 Satz 1 und 2 ZPO, § 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 520 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 ZPO frist- und formgerecht begründet worden.
a) Nach 64 Absatz 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 520 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben.
aa) Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden. Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll (vergleiche BAG (Bundesarbeitsgericht) 15. Dezember 2022 - 2 AZR 117/22 - Randnummer 5; 27. Januar 2021 - 10 AZR 512/18 - Randnummer 15).
bb) Liegt dem Rechtsstreit ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. Anders liegt es dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen stützt. In diesem Fall muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht tragen; andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (vergleiche BGH (Bundesgerichtshof) 23. Juni 2015 - II ZR 166/14 - Randnummer 12 mit weiteren Nachweisen; Musielak/Voit/Ball ZPO § 520 Randnummer 31).
b) Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, Rechtsmissbrauch liege nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann vor, wenn der Bewerber die Ablehnung provoziere, indem er bereits im Anschreiben auf das Fehlen der für die Benachteiligung relevanten Eigenschaften hinweise, auch dies sei hier der Fall. Es bestehen Bedenken, ob sich der Kläger mit dieser Argumentation innerhalb der Frist zur Begründung der Berufung in ausreichender Weise auseinandergesetzt hat. Das Arbeitsgericht hat nämlich maßgeblich auf die unnötige Frage abgestellt und zum Ausdruck gebracht, der Kläger habe mit der Absage, die darauf beruht, dass eine Frau gesucht wird, die Tatsachen für den Entschädigungsanspruch schaffen wollen. Zu dieser Argumentation erklärt sich der Kläger im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 21. Oktober 2022 nicht. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass der vom Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - entschiedene Fall nicht vergleichbar sei und in diesem Zusammenhang wird angegeben, hier sei Einstellungsvoraussetzung das weibliche Geschlecht und der Hinweis, er bewerbe sich als Mann, habe der Klarstellung gedient. Hieraus ergibt sich aber nicht, aus welchen Gründen der Kläger zuvor eine aus Sicht des Arbeitsgerichts unnötige Frage gestellt hat und weshalb er mit der Frage und der dann unter Beantwortung dieser Frage erteilten Absage nicht nur die Tatsachen für einen Entschädigungsanspruch schaffen wollte.
c) Letztlich kann aber dahinstehen, ob eine ausreichende Auseinandersetzung in der Berufungsbegründung mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Provokation der Absage erfolgte. Denn das Arbeitsgericht hat nach Ansicht der Kammer den Rechtsmissbrauchseinwand im Rahmen einer Gesamtabwägung bejaht. Demnach handelt es sich bei den unter Punkt II 5 b) cc) der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe getätigten Ausführungen nicht um eine unabhängige, selbständig tragende Erwägung. Zwar hat das Arbeitsgericht zwei unterschiedliche Konstellationen dargestellt, in denen das Bundesarbeitsgericht jeweils von einem Rechtsmissbrauch ausgeht. Das Arbeitsgericht hat aber nicht ausdrücklich erklärt, dass vorliegend beide Konstellationen vorliegen und unabhängig voneinander den Rechtsmissbrauchseinwand rechtfertigen. Den Ausführungen unter Punkt II 5 b) dd) der Entscheidungsgründe kann vielmehr entnommen werden, dass das Arbeitsgericht seine Annahme, der Kläger habe sich unter Verstoß gegen Treu und Glauben den formalen Status als Bewerber verschafft, auf sämtliche unter Punkt II 5 b) der Entscheidungsgründe dargestellten Argumente stützt. Der Kläger hat aber in ausreichender Weise dargetan, aus welchen Gründen das Arbeitsgericht den Rechtsmissbrauchseinwand nicht damit habe begründen können, dass er elf Klagen vor dem Arbeitsgericht rechtshängig gemacht habe, in denen er Entschädigung wegen Geschlechterdiskriminierung durch Ausschreibung von Stellen als "Sekretärin" begehre.
3. Im Übrigen kann nach Auffassung der Kammer selbst dann, wenn die Berufung unzulässig wäre, die Zurückweisung der Berufung auch darauf gestützt werden, dass die Berufung ebenfalls auch unbegründet ist. Für die Rechtskrafterstreckung der Entscheidung ist es unerheblich, ob die Berufung als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird. Auch ansonsten entstehen vorliegend keine nachteiligen Folgen für die Parteien, wenn die Zurückweisung der Berufung sowohl mit deren Unzulässigkeit als auch mit deren Unbegründetheit begründet wird (vergleiche hierzu auch BAG 13. Februar 2012 - 7 AZR 284/11 - Randnummer 13, dort hat das Bundesarbeitsgericht offengelassen, ob die Berufung zulässig gewesen ist, weil jedenfalls die Revision unbegründet war). Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie in diesem Fall, weder bezogen auf Fragen im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Berufung noch im Zusammenhang mit der Begründetheit der Berufung ein Grund für die Zulassung der Revision besteht.
II. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen.
1. Zutreffend geht das Arbeitsgericht davon aus, dass ein Entschädigungsanspruch nicht verfallen ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger den Entschädigungsanspruch außergerichtlich schriftlich gegenüber dem Beklagten geltend gemacht hat. Denn die Klageschrift ist dem Beklagten am 23. Oktober 2021 zugestellt worden und damit vor Ablauf einer Frist von zwei Monaten, die mit der Absage der Bewerbung am 2. September 2021 in Lauf gesetzt wurde. Damit ist sowohl die Frist des § 15 Absatz 4 Satz 1 AGG als auch die Frist des § 61b Absatz 1 ArbGG gewahrt (vergleiche hierzu auch BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - Randnummer 10 fortfolgende).
2. Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht bejaht, dass die Voraussetzungen für das Entstehen eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 15 Absatz 2 AGG vorliegen. Es wird insoweit auf Punkt II 2 bis 4 der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug genommen und von einer wiederholenden Darstellung abgesehen, § 69 Absatz 2 ArbGG.
3. Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch angenommen, dass das Entschädigungsverlangen des Klägers dem durchgreifenden Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) ausgesetzt ist. Der Kläger hat sich nämlich nicht beworben, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, vielmehr ging es ihm mit der Bewerbung darum, nur den formalen Status eines Bewerbers im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen.
a) Das Entschädigungsverlangen eines/einer erfolglosen Bewerbers/Bewerberin nach § 15 Absatz 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 37; 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - Randnummer 46 fortfolgende; 26. Januar 2017 - 8 AZR 848/13 - Randnummer 123 fortfolgend mit weiteren Nachweisen).
aa) Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann demnach der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen. Allerdings führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinn von § 242 BGB vor (BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 38 mit weiteren Nachweisen).
bb) Für das Vorliegen der Voraussetzungen, die gegenüber einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Absatz 2 AGG die Einwendung des Rechtsmissbrauchs begründen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet. Dieser muss deshalb Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den rechtshindernden Einwand begründen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vergleiche etwa BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 39; 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - Randnummer 48 mit weiteren Nachweisen).
cc) Unter diesen engen Voraussetzungen begegnet der Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB gegenüber Ansprüchen aus § 15 AGG auch keinen unionsrechtlichen Bedenken (BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21 - Randnummer 40; hierzu ausführlich BAG 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - Randnummer 49 mit weiteren Nachweisen).
b) Aufgrund der hier vorliegenden Umstände ist davon auszugehen, dass das Entschädigungsverlangen des Klägers dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand aus § 242 BGB ausgesetzt ist. Bei einer Würdigung aller Umstände im Zusammenhang mit seiner Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger mit dem Text seiner Bewerbung es geradezu auf eine Absage des Beklagten angelegt hat, mithin die Absage provoziert hat. In Ermangelung von gegenteiligen Anhaltspunkten kann hieraus aber nur der Schluss gezogen werden, dass es ihm nicht darum ging, die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern dass er mit seiner Bewerbung nur die Voraussetzungen für die Zahlung einer Entschädigung schaffen wollte. Damit liegt sowohl das für den Rechtsmissbrauchseinwand erforderliche objektive als auch das erforderliche subjektive Element vor. Eine Person, die mit ihrer Bewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur die formale Position eines Bewerbers/einer Bewerberin im Sinn von § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG erlangen will mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung oder Schadensersatz nach § 15 Absatz 2 AGG geltend zu machen, handelt auch nach Unionsrecht rechtsmissbräuchlich (vergleiche EuGH 28. Juli 2016 - C-423/15 - [Kratzer] Randnummer 35 fortfolgende).
aa) Die Stellenausschreibung wies Indizien dafür aus, dass die Stelle unter Verstoß gegen § 7 Absatz 1 AGG ausgeschrieben wurde. Der Kläger hat unmittelbar nach dem Satz: "Ich bewerbe mich hiermit auf ihrer Stelle." die Frage gestellt, ob ausschließlich eine Sekretärin, also eine Frau gesucht wird. Er selbst hat dann ausgeführt, dies sei so in der Stellenanzeige angegeben. Obwohl der Kläger bereits zu Beginn des Textes Ausführungen zu seinen Fähigkeiten und Erfahrungen getätigt hatte, erwähnt er seine abgeschlossene Ausbildung unter Verwendung der männlichen Form "Industriekaufmann" erst im direkten Anschluss an seine Frage und seiner Erläuterung zu der gestellten Frage. Hierdurch lenkt er bereits an dieser Stelle das Augenmerk des Lesers darauf, dass es sich bei dem Bewerber um einen Mann handelt. In der Grußformel verwendet der Kläger das Wort Herr, wodurch er an dieser Stelle nochmals hervorhebt, dass der Bewerber männlichen Geschlechts ist und auch als solcher angesprochen werden möchte. Bereits diese Umstände zeigen, dass es dem Kläger gerade nicht darum ging, den Beklagten mit seiner Bewerbung davon zu überzeugen, dass er der bestgeeignete beziehungsweise jedenfalls ein geeigneter Bewerber war, sondern dass er beabsichtigte, dem Beklagten bereits nach dem ersten Lesen des Bewerbungstextes einen Grund für eine Absage zu geben, nämlich den Grund, dass der Kläger ein Mann sei und der Beklagte eine Frau für die Stelle suche. Hieraus folgt aber wiederum, dass der Kläger mit der zu erwartenden Absage letztlich nur die Grundlage dafür schaffen wollte, erfolgreich eine Entschädigung nach § 15 Absatz 2 AGG geltend machen zu können, weil alles darauf hindeutet, dass sein Geschlecht (zumindest mit-) ursächlich für die Absage war. Wenn die Bewerbung tatsächlich dazu hätte dienen sollen, für die Stelle ausgewählt zu werden, ist nämlich nicht ersichtlich, weshalb der Kläger diese Frage stellt und zudem noch in besonderer Weise betont, dass es sich bei dem Bewerber um eine männliche Person handelt. Die Frage konnte dem Kläger für ein Bewerbungsverfahren erkennbar keinen Vorteil bringen. Die Frage und die in diesem Zusammenhang besondere Betonung, dass sich ein Mann um diese Stelle bewirbt, hatte vielmehr ausschließlich den Zweck, den Beklagten dazu zu bewegen, die Bewerbung des Klägers mit der Begründung, er suche eine Frau, abzulehnen. Ein anderer objektiv nachvollziehbarer Grund für dieses Verhalten des Klägers ist nicht ersichtlich. Auch der Kläger hat in diesem Prozess keinen nachvollziehbaren Grund für die von ihm gestellte Frage dargelegt.
(1) Der Kläger gibt an, das weibliche Geschlecht sei Einstellungsvoraussetzung gewesen und der klägerische Hinweis, er bewerbe sich als Mann, habe der Klarstellung gedient. Hieraus erklärt sich aber nicht die von ihm ausdrücklich gestellte Frage. Denn wenn er bereits erkannt hatte, dass Einstellungsvoraussetzung das weibliche Geschlecht ist, bedurfte es gerade nicht mehr einer diesbezüglichen Nachfrage bei dem Beklagten. Im Übrigen bedurfte es auch nicht der besonderen Betonung, dass es sich bei dem Bewerber um einen Mann handelt. Dieser Umstand wäre für den Beklagten bereits erkennbar gewesen, wenn der Kläger seinen Vor- und Nachnamen angegeben hätte.
(2) Die Frage konnte auch ersichtlich nicht dem Zweck dienen, dem Kläger die Entscheidung zu ermöglichen, ob er sich überhaupt auf die Stelle bewerben soll, obwohl er möglicherweise das Anforderungsprofil nicht erfüllt. Denn der Kläger hatte ja bereits vor der Frage ausdrücklich erklärt, dass er sich um die Stelle bewirbt. Die Frage war demnach für die Entscheidung des Klägers, sich um die Stelle zu bewerben, nicht von Bedeutung. Der Kläger führt ferner aus, die Stellenausschreibung habe auch keinerlei Inhalte zu dem Anforderungsprofil für die Bewerber mit Ausnahme des Geschlechts genannt. In seinem Bewerbungstext vom 2. September 2021 hatte der Kläger dementsprechend auch keine ergänzenden Angaben zu der Bewerbung angekündigt. Demnach lag bereits mit dem Übermitteln des Bewerbungstextes eine vollständige Bewerbung vor.
(3) Zwar ist es denkbar, dass der Begriff "Sekretärin" im Sinn einer bloßen Berufsbezeichnung verwandt wird und tatsächlich Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gesucht werden. Abgesehen davon, dass der Kläger selber nicht vorbringt, er sei davon ausgegangen, der Beklagte habe mit der Bezeichnung "Sekretärin" nur ein Tätigkeitsgebiet/Arbeitsplatz bezeichnen wollen, ist auch nicht ersichtlich, welches Interesse der Kläger haben konnte, ein solches Missverständnis in diesem Stadium der Bewerbung aufzuklären. Der Kläger hatte seine Bewerbung ja bereits erklärt. Wenn die weibliche Form der Berufsbezeichnung lediglich fälschlicherweise von dem Beklagten benutzt wurde, musste der Kläger demnach auch keine Nachteile befürchten.
(4) Die Kammer hält es auch für ausgeschlossen, dass der Kläger die Frage stellte, um dem Beklagten die Gelegenheit zu geben, Rechtfertigungsgründe für die von ihm vorgenommene Stellenausschreibung mitzuteilen. Die Kammer geht daher auch nicht davon aus, dass der Kläger gegebenenfalls prüfen wollte, ob das Begehren des Beklagten, die Stelle nur mit einer Frau zu besetzen, nach den Vorschriften des AGG legitim sein könne. Denn die Frage war objektiv gar nicht geeignet, das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen oder überhaupt die Motivation des Beklagten für die vorgenommene Stellenausschreibung aufzuklären. Der Kläger hat lediglich danach gefragt, ob ausschließlich eine Frau gesucht wird. Er hat weder in dem Bewerbungsschreiben noch im Zusammenhang mit der Ablehnung am 2. September 2021 nach den Gründen gefragt, weshalb nur eine Frau eingestellt werden soll. Ein Leser des Bewerbungstextes hatte keine Veranlassung, bei der gestellten Frage von sich aus zu den Hintergründen der Stellenausschreibung irgendwelche Aussagen zu tätigen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger beim Verfassen seines Textes angenommen hat, mit dieser Frage veranlasse er den Beklagten, weitere Auskünfte darüber zu geben, aus welchen Gründen er nur eine Frau suche.
(5) Einziger Grund für die Frage war demnach die Absicht des Klägers, hierdurch die Absage seiner Bewerbung mit der Begründung, es werde eine Frau gesucht, zu provozieren.
bb) Bereits die unter Punkt II. 2 b) aa) dargestellten Umstände begründen den Rechtsmissbrauchseinwand. Weitere Umstände im Zusammenhang mit der Bewerbung bestätigen im Übrigen das aufgezeigte Ergebnis, nämlich, dass es dem Kläger mit seiner Bewerbung nicht darum ging, den Beklagten davon zu überzeugen, dass er ein geeigneter Bewerber war, sondern dass es ihm nur darum ging, den formalen Bewerberstatus zu erlangen und eine Absage seiner Bewerbung mit der Begründung, er sei ein Mann, provozieren wollte.
(1) Obwohl der Kläger am 29. August 2021 darauf hingewiesen wurde, dass der telefonische Kontakt bevorzugt wird, da es dringend sei, nutzte der Kläger ausschließlich die elektronische Kommunikation. Seine Einlassung, er habe von Ägypten aus nicht telefonieren können, hält die Kammer für unglaubwürdig. Zwar mag es sein, dass der Kläger nicht über ein entsprechendes Mobiltelefon verfügte. Es ist von ihm aber in keiner Weise nachvollziehbar dargelegt worden, weshalb er nicht ein anderes Telefon für ein Auslandsgespräch nutzen konnte. Obwohl der Hinweis auf die Dringlichkeit erfolgt war, erklärte der Kläger in seiner Bewerbung weder, wann er wieder in Deutschland sein wird, noch kündigte er an, er werde sich dann telefonisch mit dem Unternehmen in Verbindung setzen. Hierdurch verdeutlichte er, dass er nicht bereit ist, auf die Vorstellungen des Beklagten einzugehen.
(2) Auch die erste Frage des Klägers nach dem Namen und der Anschrift der Firma spricht dafür, dass der Kläger mit der dann folgenden Bewerbung nur den formalen Bewerberstatus erlangen wollte und er ferner beabsichtigte, die Absage der Bewerbung zu provozieren, um dann einen Entschädigungsanspruch durchzusetzen. Die Frage nach Name und Anschrift der Firma begründete der Kläger mit dem Anliegen "damit man sich bewerben kann". Tatsächlich war es aufgrund der im Portal eBay-Kleinanzeigen vorgesehenen Möglichkeit der elektronischen Kontaktaufnahme nicht erforderlich, den Namen und die Anschrift der Firma zu kennen, um sich zu bewerben. So zeigt auch die dann von dem Kläger abgegebene Bewerbung, dass er die ihm mitgeteilten Informationen für die Abgabe seiner Bewerbung nicht benötigte und auf diese Informationen auch gar nicht eingeht. Er gab weder eine telefonische Bewerbung noch eine Bewerbung per Brief ab, sondern nutzte die bereits vorgesehene elektronische Möglichkeit, die er zuvor auch für die Frage nach Name und Anschrift genutzt hatte. Der Kläger spricht in seinem Bewerbungstext weder den Inhaber der Firma an, noch nimmt er auf die in Berlin gelegene Anschrift konkret Bezug. Mit seiner Frage und der dann erfolgten Antwort hatte der Kläger aber bereits vor der Bewerbung sichergestellt, dass er ausreichende Kontaktdaten hatte, um einen Entschädigungsanspruch schriftlich geltend zu machen beziehungsweise um beim Arbeitsgericht eine entsprechende Entschädigungsklage zu erheben.
cc) Soweit der Kläger wiederholt ausführt, sein Fall sei nicht vergleichbar mit dem Fall, der der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Oktober 2018 - 8 AZR 562/16 - zugrunde lag, ist es zutreffend, dass es sich um unterschiedliche Sachverhalte handelt. Hieraus folgt aber nicht, dass im vorliegenden Fall der Rechtsmissbrauchseinwand zu verneinen ist. Vielmehr ergibt sich unter Anwendung der vom Bundesarbeitsgericht auch in dieser Entscheidung aufgestellten rechtlichen Grundsätze, dass der hier zur Entscheidung vorgetragene unstreitige Sachverhalt den Rechtsmissbrauchseinwand begründet. Es wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. Der Umstand, dass der Kläger im Zeitpunkt der Bewerbung arbeitssuchend und wohnungslos gewesen ist, steht der Annahme des Rechtsmissbrauchseinwands im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. Maßgeblich ist allein, aus welchen Gründen die Bewerbung erfolgt ist, auf deren Grundlage die streitgegenständliche Entschädigung begehrt wird. Daher ist es für den vorliegenden Rechtsstreit auch ohne Bedeutung, ob sich der Kläger in anderen Fällen um Stellen beworben hat, weil er bezogen auf diese Stellen Interesse hatte, tatsächlich einen entsprechenden Arbeitsvertrag abzuschließen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Absatz 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 Absatz 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
IV. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 72 Absatz 2 ArbGG liegen nicht vor.
Verkündet am 20. Januar 2023