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  • 18.06.2021 · IWW-Abrufnummer 223035

    Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Schlussurteil vom 13.04.2021 – 7 Sa 497/19

    1. Werden nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils weitere Kündigungen ausgesprochen und diese mit Kündigungsschutzanträgen zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht, handelt es sich dabei um eine Klageänderung in der Berufungsinstanz, deren Zulässigkeit sich nach § 533 ZPO richtet. Dies gilt auch dann, wenn erstinstanzlich ein allgemeiner Feststellungsantrag gestellt wurde und dieser mit der Berufung wiederholt wird.

    2. zur Unzulässigkeit einer solchen Klageänderung in der Berufungsinstanz


    In Sachen
    hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 7. Kammer,
    im schriftlichen Verfahren aufgrund der bis zum 19. März 2021 eingereichten Schriftsätze
    durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht .... als Vorsitzende
    sowie die ehrenamtlichen Richter Frau ....und Herrn ....
    für Recht erkannt:

    Tenor:
    I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14.09.2019 - 23 Ca 2453/18 - wird im Übrigen zurückgewiesen.


    II. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Klägerin zu 33 % und der Beklagte zu 67 % zu tragen.


    Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz hat die Klägerin zu 68 % und der Beklagte zu 32 % zu tragen. Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten hat die Klägerin zu 14 % zu tragen. Im Übrigen hat sie der Nebenintervenient selbst zu tragen.


    III. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Kündigungen.



    Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A Berlin PLC & Co Luftverkehrs KG, über deren Vermögen am 1. November 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Die Klägerin ist seit dem 14.05.2007 bei dem Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgängerinnen als Flugbegleiterin gegen ein monatliches Bruttoentgelt von zuletzt 2.446,90 Euro beschäftigt.



    Nach Massenentlassungsanzeigen bei der Agentur für Arbeit Berlin Nord vom 12. Januar 2018 sowie Anhörung der Personalvertretung vom 19. Januar 2018 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 27. Januar 2018.



    Mit weiterem Schreiben vom 27. August 2020, der Klägerin zugegangen am 28. August 2020 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, diesmal zum 30. November 2020 (Bl. 948 - 950 d.A.). Mit Schreiben vom 28. Januar 2021 sprach der Beklagte eine weitere Kündigung zum 30. April 2021 aus (Bl. 1095 - 1097 d.A.).



    Mit ihrer am 15. Februar 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin mit einem Kündigungsschutzantrag gegen die Kündigung vom 27. Januar 2018 gewandt. Sie hat diese Kündigung für sozial ungerechtfertigt und u.a. wegen Fehler im Massenentlassungsverfahren für rechtsunwirksam gehalten.



    Die Klägerin hat - soweit für das Berufungsverfahren noch relevant - beantragt,

    1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 27.01.2018, der Klagepartei zugegangen am 29.01.2018, nicht aufgelöst worden ist;2.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände, insbesondere weitere Kündigungen, aufgelöst worden ist;3....für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1)4.den Beklagten zu verurteilen, an die Klagepartei einen Nachteilsausgleich zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird;5....äußerst hilfsweise für den Fall des Unterliegens zu Ziffer 4)6.festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an die Klagepartei einen Nachteilsausgleich als Neumasseverbindlichkeit zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird7...



    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.



    Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 14.Januar 2019, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung sei aufgrund der erfolgten Stilllegung des Betriebes durch betriebsbedingte Gründe gerechtfertigt, die erforderliche Massenentlassungsanzeige sei ordnungsgemäß erfolgt und die Personalvertretung hinreichend beteiligt worden, sonstige Unwirksamkeitsgründe stünden der Kündigung nicht entgegen. Der allgemeine Feststellungsantrag sei mangels Feststellungsinteresse unzulässig, da neben der streitgegenständlichen Kündigung keine weiteren Beendigungstatbestände erkennbar seien. Die weiter geltend gemachten Ansprüche bestünden nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.



    Gegen dieses der Klägerin am 28. Januar 2019 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 27. Februar 2019 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Mai 2019- beim Landesarbeitsgericht am 14. Mai 2019 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.



    Die Klägerin macht in ihrer Berufungsbegründung umfangreiche Ausführungen zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zum allgemeinen Feststellungsantrag seien unzutreffend, da der Beklagte keine Erklärung abgegeben habe, dass es sich bei der streitgegenständlichen Kündigung um den einzigen Beendigungstatbestand handle. Auf die Berufungsbegründung im Einzelnen wird Bezug genommen (s. Bl. 607 - 725 d.A.).



    Mit Schriftsätzen vom 20. Oktober 2020 (Bl. 974 ff. d.A) und vom 18. Februar 2021 (Bl. 1093 ff. d.A.) hat die Klägerin erklärt, sie erweitere die Klage auf die Kündigungen vom 27.August 2020 sowie vom 28. Januar 2021. Diese Kündigungen seien sozial ungerechtfertigt, aber auch wegen eines Verstoßes gegen das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 BGB rechtwidrig. Eine ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens und Erstattung der erforderlichen Massenentlassungsanzeige werde ebenso bestritten wie die ordnungsgemäße Anhörung der Personalvertretung. Auf die Schriftsätze vom 20. Oktober 2020 sowie vom 18. Februar 2021 im Einzelnen wird Bezug genommen. Die Kündigung vom 28. Januar 2021 sei zudem unwirksam, weil die Schriftform nicht gewahrt sei.



    Es handle sich insoweit um eine zulässige Klageänderung im Sinne des § 533 ZPO. Wesentlich für eine Klageänderung in diesem Sinne sei, dass die Prozesssubstanz des ursprünglichen Verfahrens auf den neuen Inhalt übernommen werde. Bei den Kündigungsschutzklagen betreffend die Kündigungen vom 27. August 2020 und vom 28. Januar 2021 gehe es um dasselbe Arbeitsverhältnis wie bei den bisherigen Anträgen. Diese Klageänderung sei sachdienlich. Maßgeblich hierfür sei die Prozesswirtschaftlichkeit. Die Zulassung der Klageänderung führe zu einer sachgemäßen und endgültigen Erledigung des Streits, andernfalls sei mit einer weiteren Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zu rechnen. Der Antrag stütze sich auf nach § 529 ZPO ohnehin zugrunde zu legende Tatsachen, die Kündigung sei betriebsbedingt und aufgrund der Insolvenz ausgesprochen, es gebe insoweit keinen anderen Kündigungsgrund. Das Vorbringen zu den Unwirksamkeitsgründen sei nach § 67 ArbGG zulässig. Zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens habe es die beiden weiteren Kündigungen noch nicht gegeben, so dass diese auch nicht hätten angegriffen werden können. Der allgemeine Feststellungsantrag wahre die Frist für die neue Kündigung, auch wenn dieser erstinstanzlich zurückgewiesen worden sei.



    Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 12. August 2020 den Berufungsantrag betreffend die Unwirksamkeit der Kündigung vom 27. Januar 2018 anerkannt hat, hat das Landesarbeitsgericht nach Anhörung der Parteien mit Anerkenntnisteilurteil vom 2. November 2020 auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Januar 2019 - 23 Ca 2453/18 teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche Kündigung des Beklagten vom 27. Januar 2018 nicht aufgelöst worden ist.



    Die Klägerin beantragt - nachdem sie den Auskunftsantrag zurückgenommen hat - zuletzt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Januar 2019, Aktenzeichen 23 Ca 2453/18, abzuändern und1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 27.08.2020 aufgelöst worden ist2.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 28.01.2021 nicht aufgelöst worden ist.3.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände, insbesondere weitere Kündigung aufgelöst worden ist.



    Der Beklagte

    die Berufung zurückzuweisen.



    Der Beklagte hält die Klageerweiterung für unzulässig. Für die Zulässigkeit einer Klageerweiterung gelte nach § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG der Maßstab des § 533 ZPO. Die Entscheidung über die weiteren Kündigungen könne nicht auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht ohnehin zugrunde zu legen habe. Diesen weiteren Kündigungen liege ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde, insbesondere bei den formellen Voraussetzungen wie das Konsultationsverfahren, die Massenentlassungsanzeigen und die Anhörungen der Personalvertretung. Es handle sich um neuen Vortrag, der einen gegenüber dem erstinstanzlichen Vortrag vollkommen anderen Sachverhalt betreffe. Im Übrigen begründet der Beklagte die weiteren Kündigungen.



    Mit Schriftsätzen vom 10. Februar 2021 und vom 12. Februar 2021 haben die Parteien einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Rechtsvortrages wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    Die Berufung ist - soweit über sie nach dem Anerkenntnisteilurteil noch zu entscheiden war - zulässig, aber unbegründet.



    1. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b), c) ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).



    Dies gilt auch für den allgemeinen Feststellungsantrag. Die Klägerin hat sich mit ihrer Berufung gegen die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu einem fehlenden Feststellungsinteresse gewandt und sich damit im Sinne der Anforderungen (vgl. BAG, Urteil vom 14. März 2017 - 9 AZR 633/15, Rn. 11, juris) mit diesen auseinandergesetzt.



    Über die Berufung konnte nach Ablauf der Einreichungsfrist (§ 128 Abs. 2 ZPO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem die Parteien mit Schriftsätzen vom 10. Februar 2021 und vom 12. Februar 2021 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben.



    2.Die Berufung ist hinsichtlich der beiden Klageerweiterungen unbegründet. Diese sind in der Berufungsinstanz unzulässig. Wie die Kammer 9 des Landesarbeitsgerichts in ihrem Urteil vom 22. Januar 2021 (9 Sa 926/19) zu einer identischen Konstellation in einem Parallelverfahren bereits ausgeführt hat, handelt sich um Klageänderungen im Sinne des § 533 ZPO (2.1). Die Voraussetzungen der Zulassung einer solchen liegen nicht vor (2.2).



    2.1 Die nunmehr angekündigten Anträge gemäß § 4 KSchG betreffend die Kündigungen vom 27. August 2020 und vom 28. Januar 2021 sind Klageänderungen im Sinne des § 263 ZPO, die im Rahmen der Berufung nur unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig sind. Der erstinstanzlich gestellte und mit der Berufung weiterverfolgte allgemeine Feststellungsantrag ändert hieran nichts.



    2.1.1 § 533 ZPO regelt die Zulässigkeit von Klageänderungen in der Berufungsinstanz. Im Hinblick auf den Normzweck, die doppelte Nutzung des Streitstoffes zu ermöglichen, ist als Klageänderung jede Änderung des bisherigen Streitgegenstands ebenso wie die zusätzliche Geltendmachung eines neuen Streitgegenstands anzusehen (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 533 Rn. 8). Auf Änderungen des Klageantrages im Sinne des § 264 ZPO findet § 533 ZPO hingegen keine Anwendung. § 533 ZPO bezieht sich nur auf Klageänderungen im Sinne des § 263 ZPO (BGH, Urteil vom 21. März 2018 - VIII ZR 68/17 -, BGHZ 218, 139-162; BGH, Urteil vom 7.5.2015 - VII ZR 145/12 - Rn 24; Roth in: Stein/Jonas ZPO, 23. Aufl. § 264 Rn. 3; BAG, Urteil vom 21. April 2009 - 3 AZR 285/07 -, Rn. 20, juris).



    2.1.2 Ausgehend hiervon sind die mit Schriftsätzen vom 20. Oktober 2020 und vom 18. Februar 2021 in das Berufungsverfahren eingeführten Kündigungsschutzanträge Klageerweiterungen im Sinne von § 263 ZPO. Es handelt sich um zwei völlig neue Lebenssachverhalte, die nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung waren.



    2.1.2.1 Die Klägerin hat in der ersten Instanz mit ihrem Kündigungsschutzantrag die Feststellung begehrt, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 27. Januar 2018 aufgelöst worden ist. Streitgegenstand einer solchen Kündigungsschutzklage ist die Frage, ob das Arbeitsverhältnis durch diese bestimmte Kündigung zu dem in der Kündigung vorgesehenen Zeitpunkt geendet hat (std Rspr. vgl. z.B. BAG 12.05.2005 - 2 AZR 426/04 - NJW 2006, 395), d.h. hier die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung vom 27. Januar 2018 zum 30. April 2018 beendet wurde. Streitgegenstand der Klageerweiterung ist dementsprechend die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Kündigung vom 27. August 2020 zum 30. November 2020 bzw. vom 28. Januar 2021 zum 30. April 2021 beendet worden ist. Damit betreffen alle drei Anträge unterschiedliche Lebenssachverhalte und jeweils eigene Streitgegenstände.



    2.1.2.2 Der Annahme einer Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO steht nicht entgegen, dass die Klägerin bereits erstinstanzlich einen allgemeinen Fortbestehensantrag gestellt hat und mit der Berufung die Entscheidung des Arbeitsgerichts zur Unzulässigkeit dieses Antrags angegriffen hat. Der erstinstanzlich gestellte allgemeine Feststellungsantrag erfasste von seinem Streitgegenstand her nicht den Streitgegenstand der Klageerweiterungen vom 20. Oktober 2020 und vom 28. Januar 2021. Mithin handelt es sich bei ihnen nicht um bloße Beschränkungen des erstinstanzlichen Antrags im Sinne von § 264 ZPO.



    Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 ZPO ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über diesen Termin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der (jeweiligen) Tatsacheninstanz. Erfasst von einem solchen Antrag sind alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe. Die Rechtskraft eines positiven Feststellungsurteils schließt eine auf ihnen beruhende Beendigung aus (BAG 26.9.2013 - 2 AZR 682/12 - Rz 31 - NZA 2014, 443).



    Die zeitliche Grenze wird jedoch durch die letzte mündliche Verhandlung in der jeweiligen Tatsacheninstanz bestimmt. Der in der ersten Instanz gestellte allgemeine Feststellungsantrag kann von seinem Streitgegenstand her nicht solche Kündigungen erfassen, die erst nach dem arbeitsgerichtlichen Urteil ausgesprochen werden. Denn Streitgegenstand und Urteilsgegenstand sind identisch. Der Urteilsgegenstand kann sich aber nicht auf Sachverhalte erstrecken, die sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung zugetragen und deshalb nicht von den Parteien zur Stützung ihres Antrags vorgetragen werden können (vgl. z.B. BAG vom 10.10.2002 - 2 AZR 622/01 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 49 unter B 2 b bb) Das arbeitsgerichtliche Urteil stellt eine zeitliche Zäsur dar (vgl. Gallner/Mestwerdt/ Nägel, Kündigungsschutzrecht 7. Auflage 2021 § 4 KSchG Rz 54).



    Diese zeitliche Zäsur wird nicht durch die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihres in der ersten Instanz gestellten allgemeinen Feststellungsantrags aufgehoben. Die Klägerin begründet ihre Berufung nicht damit, der Beklagte habe vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils eine weitere Kündigung ausgesprochen, die Gegenstand des arbeitsgerichtlichen Urteils hätte sein sollen, das Arbeitsgericht habe insofern das Feststellungsinteresse zu Unrecht verneint. Vielmehr dient die Berufung gegen die Klageabweisung zur Aufrechterhaltung des allgemeinen Fortbestehensantrags, mit dem Ziel, die Einhaltung der Klagefrist auch hinsichtlich zukünftiger Kündigungen zu sichern. Dies spricht dafür, den über die Instanz weiterverfolgten allgemeinen Feststellungsantrag ohne einen bereits vorliegenden Beendigungstatbestand im Sinne eines Hinweises oder einer Warnung zu verstehen, die Klägerin wolle sich weiterhin gegen künftige Beendigungstatbestände wenden. Er mag insoweit einer Wirksamkeit einer späteren Kündigung nach § 4 KSchG bzw. der Berufung hierauf während der Rechtshängigkeit dieses Antrages entgegenstehen, führt aber nicht dazu, dass nach Abschluss der ersten Instanz ausgesprochene Kündigungen von vornherein als Gegenstand des Berufungsverfahrens anzusehen sind (so schon LAG Berlin -Brandenburg vom 22 Januar 2021 - 9 Sa 926/19).



    Damit gibt es aber keine Überschneidungen des erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Streitgegenstandes, die die Anwendung von § 264 ZPO rechtfertigen könnten. Die Anträge aus den Schriftsätzen vom 9. Dezember 2020 und vom 17. Februar 2021 stellen Klageänderungen dar, die den Anforderungen des § 533 ZPO entsprechen müssen.



    2.1.3. Ein solches Verständnis eines fortgeführten allgemeinen Feststellungsantrages in der Berufungsinstanz wird auch der Systematik der weiteren gesetzlichen Regelungen gerecht. Dazu hat die Kammer 9 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in der Entscheidung vom 22. Januar 2021 folgendes ausgeführt:



    Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer voll umfänglich an.



    2.2 Die Voraussetzungen des § 533 ZPO liegen nicht vor.



    2.2.1 Für die Zulässigkeit einer Klageerweiterung im Berufungsverfahren gelten aufgrund des Verweises in § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Grundsätze des § 533 ZPO, ohne dass das Gesetz eine abweichende Sondervorschrift für Kündigungsschutzklagen vorsähe. Danach ist eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz zulässig, wenn entweder der Gegner einwilligt oder das Gericht die Klageerweiterung für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt ist, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat (BAG, Urteil vom 14. Dezember 2017 - 2 AZR 86/17 -, BAGE 161, 198-211, Rn. 18). Der gekündigte Arbeitnehmer wiederum hat es selbst in der Hand, ob er eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erhebt oder in einem bereits im Berufungsverfahren befindlichen Rechtsstreit die Klage entsprechend erweitert und sich damit dem Risiko ihrer Unzulässigkeit aussetzt, sollten die Voraussetzungen des § 533 ZPO nicht erfüllt sein (BAG, Urteil vom 14. Dezember 2017 - 2 AZR 86/17 -, BAGE 161, 198-211, Rn. 22).



    2.2.Die beiden Klageerweiterungen erweisen sich als nicht sachdienlich. Diese können nicht gem. § 533 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht ohnehin seiner Entscheidung zugrunde zu legen hätte.



    Hierfür reicht es nicht aus, dass es um dasselbe Arbeitsverhältnis geht. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses ist nicht Gegenstand der Auseinandersetzungen, es geht um die Wirksamkeit weitere Kündigungen. Die Klägerin macht geltend, die Kündigung vom 27. August 2020 sei mangels ordnungsgemäßem Konsultationsverfahren, mangels ordnungsgemäßer Beteiligung der Personalvertretung und mangels ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige unwirksam. Der Sachvortrag der Beklagten zu dem Konsultationsverfahren, der Beteiligung der Personalvertretung und der Erstattung einer Massenentlassungsanzeige betreffend die Kündigung vom 27. Januar 2018 kann der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Erforderlich sind neue Feststellungen eines bisher streitigen Sachverhaltes. Die Klägerin macht weiter geltend, die Kündigung sei mangels ordnungsgemäßer Sozialauswahl unwirksam. Auch insoweit kann es nicht um eventuell vergleichbare Arbeitnehmer im Januar 2018 gehen, sondern um einen neuen Sachverhalt. Gleiches gilt für die weitere Kündigung vom 28. Januar 2021.



    Auch der streitige Sachvortrag zur Frage einer Stilllegung des Betriebes oder eines Betriebsübergangs wirft für die Kündigungen vom 27. August 2020 und vom 28. Januar 2021 neue Fragen auf. Die Klägerin beruft sich bei all diesen Kündigungen auf einen Betriebsübergang. Nimmt man dies mit der Klägerin an (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 27. Februar 2020 - 8 AZR 215/19 -, Rn. 92ff, juris), stellt sich über die für die Kündigung vom 9. Juli 2018 zu prüfenden Voraussetzungen hinaus weiter die Frage, ob im Falle eines Betriebsübergangs von einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten im August 2020 bzw. im Februar 2021 noch ausgegangen werden kann. Auch dies bedingt weitere Feststellungen eines bisher streitigen Sachverhaltes.



    3.Aus diesen Gründen war die weitergehende Klage insgesamt abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 97, 92 ZPO.



    Für die Errechnung der Kostenquote war für die erste Instanz ein Streitwert in Höhe von 11.011,05 Euro zugrunde zu legen. Dieser setzt sich - ausgehend von einem monatlichen Bruttoentgelt von 2.446,90 Euro - zusammen aus drei Bruttomonatsverdiensten für den Kündigungsschutzantrag, ein Bruttomonatsverdienst für den Weiterbeschäftigungsantrag sowie einem halben Bruttomonatsverdienst für den geltend gemachten Auskunftsanspruch. Der Hilfsantrag war nicht zu berücksichtigen, da eine Entscheidung über ihn nicht ergangen ist. Nachdem die Beklagte den Kündigungsschutzantrag hinsichtlich der Kündigung vom 27. Januar 2018 anerkannt hat, entfiel die Rechtshängigkeit dieses Antrags, ohne dass es dafür einer gerichtlichen Entscheidung bedurfte. Da der Antrag auf Weiterbeschäftigung und der Auskunftsantrag rechtskräftig abgewiesen wurde, hat die Klägerin insoweit die Kosten zu tragen, wohingegen der auf den Kündigungsschutzantrag entfallende Anteil der Beklagten aufzuerlegen war.



    Für die Errechnung der Kostenquote für die zweite Instanz war ein Streitwert in Höhe von 23.245,55 Euro zugrunde zu legen (je drei Bruttomonatsentgelte für den Kündigungsschutzantrag betreffend die Kündigung vom 27. Januar 2018, die Kündigung vom 27. August 2020 und die Kündigung vom 28. Januar 2021, ein halber Bruttomonatsverdienst für den Auskunftsanspruch). Der Hilfsantrag auf Nachteilsausgleich fiel aufgrund des Anerkenntnisses des Hauptantrages nicht zur Entscheidung an und war deshalb nicht zu berücksichtigen. Entsprechend dem teilweisen Obsiegen (Kündigung vom 27. Januar 2018) und teilweisen Unterliegen (Kündigung vom 27. August 2020 und Kündigung vom 28. Januar 2021) bzw. der Rücknahme der Berufung (Auskunftsantrag) der Klägerin ergibt sich die Kostenquote.



    Für die Entscheidung über die durch die Nebenintervention verursachten Kosten nach § 101 ZPO wurde der Berechnung der Kostenquote ein Streitwert von 7.237,48 Euro zugrunde gelegt (drei Bruttomonatsentgelte für den Kündigungsschutzantrag betreffend die Kündigung vom 27. Januar 2018, ein halbes Bruttomonatsentgelt für den Auskunftsantrag). Die Klageerweiterung betreffend die Kündigung vom 27. August 2020 und vom 28. Januar 2021wurde nicht berücksichtigt, da insoweit ausdrücklich keine Streitverkündung und im Übrigen auch kein Beitritt erfolgt ist, d.h. keine Kosten der Nebenintervention verursacht wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Oktober 2019 - II ZR 94/17 -, Rn. 11, juris). Im entsprechend anteiligen Umfang hat die Klägerin nach § 101 ZPO auch die durch die Nebenintervention entstandenen Kosten zu tragen, nachdem der Streitverkündete dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten mit Schriftsatz vom 6. März 2019 beigetreten ist. Die weitergehenden Kosten hat der Streitverkündete selbst zu tragen.



    4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Das Verhältnis des Streitgegenstandes von allgemeinen Fortbestehensantrag in der Berufungsinstanz und Kündigungsschutzanträgen betreffend Kündigungen, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung beim Arbeitsgericht ausgesprochen wurden, ist aus Sicht des Berufungsgerichts noch nicht hinreichend geklärt.

    Reber
    Otto
    Wagner

    Verkündet am 13. April 2021

    Vorschriften