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  • 26.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211363

    Landesarbeitsgericht Sachsen: Urteil vom 17.07.2019 – 2 Sa 364/18

    § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB wird im Arbeitsrecht nicht von § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG verdrängt (entgegen BAG vom 25.09.2018 - 8 AZR 26/18 - ).


    In dem Rechtsstreit

    ...

    hat das Sächsische Landesarbeitsgericht -Kammer 2 -durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Frau ... und Herrn ... auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juli 2019

    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Berufung der Beklagten/Widerklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 10.09.2018 - 11 Ca 114/18 - wird auf Kosten der Beklagten/Widerklägerin

    z u r ü c k g e w i e s e n .

    Revision ist für sie und insoweit zugelassen, als sie auch zur Zahlung einer Verzugspauschale in Höhe von dreimal 40,00 € = 120,00 € verurteilt ist. Im Übrigen ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten in dem Berufungsverfahren unverändert darüber, ob die Beklagte zu verurteilen ist, an den Kläger Vergütung für



    - Oktober 2017 in Höhe von 2.412,96 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.11.2017 zzgl. einer Verzugspauschale in Höhe von 40,00 € nette abzüglich gezahlter 462,98 € netto,



    - November 2017 in Höhe von 2.412,96 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.12.2017 zzgl. einer Verzugspauschale in Höhe von 40,00 € netto abzüglich gezahlter 462,98 € netto



    und



    - Dezember 2017 in Höhe von 1.830,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.01.2018 zzgl. einer Verzugspauschale in Höhe von 40,00 € netto



    zu zahlen.



    Die dahingehenden Klageansprüche hat das vom Kläger angegangene Ausgangsgericht (Arbeitsgericht Dresden vom 10.09.2018 - 11 Ca 114/18 -) ausgeurteilt. Ergänzend geht es in dem Berufungsverfahren der Beklagten auf ihren unechten Hilfsantrag widerklagend darum, die von ihr zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Ausgangsurteil gezahlten Beträge zurückzuerlangen.



    Von der erneuten Darstellung des Tatbestandes im ersten Rechtszug wird hier aufgrund der Regelung in § 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG abgesehen und stattdessen auf den Tatbestand des Ausgangsurteils Bezug genommen. In ihm ist nach Aktenlage sowie nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens das Vorbringen beider Parteien vollständig und richtig beurkundet. Tatbestandsrügen sind nicht erhoben.



    Zu ergänzen ist, dass der Kläger ausweislich der Abrechnung der Brutto-Netto-Bezüge für die Monate Oktober, November und Dezember 2017 ohne die von der Beklagten/Widerklägerin (fortan lediglich: Beklagte) vorgenommenen Abzüge monatlich 2.412,96 € brutto als Arbeitsvergütung zu beanspruchen gehabt hätte. Zu ergänzen ist weiter, dass der Kläger in der bei dem Arbeitsgericht Dresden gegen die Beklagte geführten Sache (12 Ca 2233/17) nicht nur die Kündigung angegriffen, sondern auch seine Prozessbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen von/bei der Beklagten verlangt hat.



    Die Beklagte hat gegen das ihr am 17.09.2018 zugestellte Ausgangsurteil am 15.10.2018 Berufung eingelegt und diese am 14.11.2018 ausgeführt.



    Sie bleibt bei ihrem dahingehenden Verteidigungsvorbringen des Inhalts, wonach sich der Kläger auf seine Vergütung für den Streitzeitraum den Wert desjenigen anrechnen zu lassen habe, was er bei ... bzw. ... zu erwerben böswillig unterlassen habe.



    Darüber hinaus müsse sich der Kläger hilfsweise auf den Vergütungsanspruch ersparte Aufwendungen für den Arbeitsweg zum bisherigen Arbeitsort von 10 km einfache Strecke anrechnen lassen: 20 km x 57 Arbeitstage = 1.140 km, bei einem Durchschnittsverbrauch von 8 Liter/100 km und ca. 1,40 €/Liter Benzinkosten = 127,68 € netto. Die ausgeurteilte Verzugspauschale könne er nach der mittlerweile zu der die Kostentragungspflicht betreffenden Regelung in § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG vorliegenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht beanspruchen.



    Die Beklagte beantragt,



    die Klage unter Abänderung des Ausgangsurteils abzuweisen und den Kläger zu verurteilen, an sie



    - 1.830,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.11.2017 bis 02.10.2018 zzgl. Verzugspauschale von 40,00 € für den Monat Oktober 2017,



    - 1.830,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.12.2017 bis 02.10.2018 zzgl. Verzugspauschale von 40,00 € für den Monat November 2017



    und



    - 1.830,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.01.2018 bis 02.10.2018 zzgl. Verzugspauschale von 40,00 € für den Monat Dezember 2017



    nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 5.611,10 € seit 02.10.2018 (zurück) zu bezahlen.



    Der Kläger beantragt



    die Zurückweisung der Berufung.



    Auch der Kläger bleibt im Wesentlichen bei seinem erstinstanzlichen Vorbringen. Hinsichtlich des Arbeitswegs hätte es für ihn keinen Unterschied gemacht, wenn er anstelle für die Beklagte für eines der beiden auf demselben Betriebsgelände tätigen Drittunternehmen tätig geworden wäre.



    Wegen der Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien sowie ihrer umfangreichen Rechtsausführungen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    I.



    Die zulässige Berufung ist unbegründet. Denn die - ihrerseits zulässige - Klage ist im ausgeurteilten Umfang begründet. Damit fällt die auf den unechten Hilfsantrag geführte Widerklage aus § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO der Kammer nicht zur Entscheidung an.



    1. Dem Kläger steht die ausgeurteilte Hauptforderung gegen die Beklagte aufgrund der Regelung in § 615 Satz 1 BGB zu.



    a) Danach kann der zur Dienstleistung verpflichtete Arbeitnehmer für die infolge des mit der Annahme seiner Dienste in Verzug befindlichen dienstberechtigten Arbeitgebers nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Allerdings muss er sich nach § 615 Satz 2 BGB u. a. den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.



    Zur Begründung des Annahmeverzugs bedarf es bei einer unwiderruflichen Freistellung in einer Kündigungserklärung keines wörtlichen Angebots (§ 295 Satz 1 BGB; BAG vom 06.09.2006 - 5 AZR 703/05 - Juris Rdnr. 21).



    Nach der Anrechnungsvorschrift des § 615 Satz 2 BGB ist - wie nach jener in § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG - zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitswahl (Art. 12 GG) die Aufnahme einer anderweitigen Arbeit zumutbar ist (vgl. BAG vom 11.10.2006 - 5 AZR 754/05 - Juris Rdnr. 18). Das Unterlassen unzumutbarer Erwerbsarbeit ist nicht als "böswillig" anzusehen. Die Unzumutbarkeit der Beschäftigung kann sich aus schlechteren Vertragsbedingungen ergeben, wenn eine nicht allein auf eine ggf. eintretende Verminderung des Verdienstes abstellende Gesamtbetrachtung ergibt, dass die Abweichungen von den beim bisherigen Arbeitgeber geltenden Vertragsbedingungen nicht hinnehmbar sind (vgl. BAG vom 22.03.2017 - 5 AZR 337/16 - Juris Rdnr. 23). "Böswillig" unterlässt der Arbeitnehmer anderweitigen Verdienst, wenn er vorsätzlich ohne ausreichenden Grund Arbeit ablehnt (BAG vom 22.03.2017 - 5 AZR 337/16 - Juris Rdnr. 17).



    b) In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich jedenfalls hier im Einzelnen Folgendes:



    Die Beklagte ist aufgrund der als "unwiderruflich" bezeichneten Freistellungserklärung in dem Kündigungsschreiben mit der Annahme der Dienste des Klägers in Verzug geraten, ohne dass dieser seine Arbeit hätte wörtlich anbieten müssen.



    Fahrtkosten als ersparte Aufwendungen muss sich der Kläger nicht anrechnen lassen. Die Ursächlichkeit des Unterbleibens der Dienstleistung hierfür hat der Kläger in Abrede gestellt, und für sie - die Ursächlichkeit - ist im Übrigen auch nichts vorgetragen (sondern nur eine angebliche Ersparnis).



    Nicht anrechnen lassen muss sich der Kläger, was er bei ... oder ... hätte verdienen können. Bei ... hätte er einen Stundenlohn von 10,56 € brutto und bei ... in Höhe von 9,21 € brutto erzielen können. Demgegenüber ist er bei der Beklagten ausgehend von einem Monatsbezug in Höhe von 2.412,96 € brutto auf einen Stundenlohn in Höhe von 13,92 € brutto gekommen (2.412,96 € brutto/Monat bei einer 40-Stunden-Woche ergibt bei 173,33 Stunden/Monat [40 Stunden/Woche x 13 Monate : 3 Monate] jenen Stundenlohn, wenn 2.412,96 € brutto durch 173,33 Stunden geteilt werden). Dies hätte für den Kläger bei ... eine Einbuße von 24,14 % und bei ... sogar von 33,84 % ergeben. Demgegenüber hatte der Kläger gegen die Beklagte für die Dauer des Laufs der Kündigungsfrist aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis noch Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung zu unveränderten Bedingungen; ihm war schließlich nicht außerordentlich fristlos gekündigt worden. In einer derartigen Situation temporären Bestands-und Änderungsschutzes (was übrigens die Frage nach der Wirksamkeit der Freistellung aufwirft, vgl. ErfK/Preis § 611 a BGB Rdnr. 570) ist es dem Kläger jedenfalls nicht vorzuwerfen, er habe durch unterbliebenen Antritt bei ... oder/und ... vorsätzlich "ohne ausreichenden Grund" Arbeit abgelehnt. Insbesondere hatte er sich gegenüber der Beklagten auch nicht mit der Freistellung einverstanden erklärt, sondern - im Gegenteil - durch Kündigungsschutzklage und Prozessbeschäftigungsanspruch sein unverändertes Beschäftigungsinteresse dokumentiert.



    2. Die Höhe der sich ohne Abzüge ergebenden bereits vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Hauptforderung steht außer Streit. Als Schuldnerin hat die Beklagte die Forderung - wie ebenfalls bereits ausgeurteilt - gemäß §§ 288 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 BGB, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, 614 Satz 2 BGB in ausgeurteilter Höhe zu verzinsen. Darüber hinaus hat der Kläger gegen die Beklagte aufgrund deren Schuldnerverzuges nach § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB auch Anspruch auf Zahlung der ebenfalls bereits ausgeurteilten Pauschalen in Höhe von monatlich 40,00 € für die in den Monaten Oktober, November und Dezember unterbliebenen Lohnleistungen.



    § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB wird im Arbeitsrecht entgegen BAG vom 25.09.2018 (8 AZR 26/18 - Juris - mit ausführlicher Begründung Rdnr. 23 ff.; BAG vom 19.12.2018 - 10 AZR 231/18 - Juris unter Bezugnahme in Rdnr. 75 auf BAG vom 25.09.2018 a. a. O.) nicht von § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG verdrängt. Nach § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG besteht zwar in Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs (bei den Gerichten für Arbeitssachen) kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistandes. Die "Pauschale" des § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB hat aber den Verzug des Schuldners zur Voraussetzung und stellt keine "Entschädigung wegen Zeitversäumnis" des Gläubigers dar. Nicht dieser hat etwas (Zeit) versäumt, sondern der Schuldner ist mit der zu beanspruchenden Entgeltleistung säumig. Bereits dem Wortlaut nach vermag § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG einen Anspruch aus § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB daher nicht auszuschließen. Die entgegenstehende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts entfernt sich grundlos vom Gesetzeswortlaut. Die Annahme, wonach § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG Auswirkung auch auf eine Kostentragungspflicht (so die Überschrift der Vorschrift) aus Gründen des materiellen Rechts habe, mag zwar mit der Historie der Regelung begründbar gewesen sein. Allerdings hat sich durch § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB jedenfalls insoweit und beschränkt auf den Regelungsbereich jener Vorschrift die Rechtslage zugunsten von Gläubigern eines Schuldners, der kein Verbraucher ist, also u. a. gerade zugunsten von Arbeitnehmern gegenüber ihren Arbeitgebern, geändert. Selbst wenn der Gesetzeswortlaut des § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG in Kollision zum Regelungsgehalt des § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB stehen sollte - wie nicht -, würde letztgenannte Bestimmung als die zeitlich jüngere Regelung vorgehen. Der Gesetzgeber des § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG konnte das Inkrafttreten der die unionsrechtliche Zahlungsverzugsrichtlinie umsetzenden Regelung in § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB nicht vorhersehen (in diesem Sinne bereits zutreffend Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven vom 20.11.2018 - 6 Ca 6390/17 - Juris Rdnr. 36 und vom 05.03.2019 - 6 Ca 6294/18 - Juris Rdnr. 40), und ein (etwaiger) überholter gesetzgeberischer Wille lässt sich mithin auch nicht gegen eine Anwendbarkeit des § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB ins Feld führen.



    II.



    Die Beklagte hat aufgrund der Regelung in § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer ohne Erfolg gebliebenen Berufung zu tragen.



    Für sie ist die Revision zuzulassen, weil das Urteil von der letzterwähnten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Zugelassen ist die Revision deshalb insoweit, als die Beklagte auch zur Zahlung einer Verzugspauschale in Höhe von dreimal 40,00 € = 120,00 € verurteilt ist. Im Übrigen ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.



    Im Folgenden wird gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 ArbGG über das Rechtsmittel und das Gericht, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Frist und Form belehrt.

    Vorschriften§ 69 Abs. 3 Satz 2 ArbGG, § 12 a Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 717 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 615 Satz 1 BGB, § 615 Satz 2 BGB, § 295 Satz 1 BGB, § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG, § 242 BGB, Art. 12 GG, §§ 288 Abs. 1 Satz 2, Satz 1 BGB, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, 614 Satz 2 BGB, § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB, § 97 Abs. 1 ZPO, § 9 Abs. 5 Satz 1 ArbGG