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  • 14.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186539

    Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 07.06.2016 – 8 Sa 1381/15


    Tenor:
    1. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.


    2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



    Gründe



    I.



    Die Parteien haben über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung der Beklagten gestritten.



    Der 49 Jahre alte Kläger, dessen Homosexualität der Beklagten bekannt ist, war bei dieser bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem Jahre 1996 als Verkaufsreisender / Auslieferungsfahrer für Kaffeeprodukte gegen Zahlung eines Bruttomonatsgehaltes von zuletzt 3.250,00 € beschäftigt. Für die Beklagte sind regelmäßig weniger als 10 Mitarbeiter tätig. In Absprache mit dem Kläger schaffte die Beklagte zu Beginn des Jahres 2015 ein Auslieferungsfahrzeug der Marke Ford an, welches diesem für seine Liefertouren vorwiegend im Raum Düsseldorf/Köln zur Verfügung stehen sollte. Im Hinblick auf die optische Gestaltung des Fahrzeugs wurden dem Kläger von der Beklagten mehrere Vorschläge unterbreitet, denen der Kläger für das Design der Fahrerseite zustimmte und für dasjenige der Beifahrerseite zumindest nicht ausdrücklich widersprach; die Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig. Ende Juni 2015 wurde das Fahrzeug an die Beklagte ausgeliefert. Seine linke Seitentür war absprachegemäß so lackiert, dass eine Person "ohne Kopf" zu sehen war, die so bekleidet war, wie der Kläger sich gewöhnlich zu kleiden pflegte. Die Schiebetür auf der Beifahrerseite war so lackiert, dass sie den Eindruck vermittelte, offen zu stehen und einen Einblick ins Fahrzeuginnere zu gewähren. Dabei ragten aus den dort zu erkennenden Kaffeebohnen zwei nackte Frauenbeine mit halb ausgezogenen Pumps in die Luft. Der Kläger absolvierte mit diesem Fahrzeug seine Auslieferungstour zumindest am 25.06.2015, nach Darstellung der Beklagten auch an den Tagen zuvor. Dabei wurde er von Kunden und Dritten auf die "sexistische" und "frauenfeindliche" Werbung angesprochen; diese "ginge gar nicht". Am Morgen des Freitag, den 26.06.2015, ließ der Geschäftsführer der Beklagten die zuvor grauen Radfelgen des Transporters gegen rote austauschen. Als der Kläger, der den Wagen zuvor bereits beladen hatte, dies bemerkte, montierte er die grauen Felgen wieder an. Nachdem der Geschäftsführer einen erneuten Felgenwechsel angeordnet hatte, kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem Kläger, deren Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind. Der Kläger erklärte, mit diesem "Puffauto" fahre er nicht und verließ in der Folge das Betriebsgelände. Er begab sich zum Arzt und wurde arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum 15.09.2015 an. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 30.06.2015 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.2015.



    Im Rahmen der fristgemäß erhobenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger sich gegen beide Kündigungen gewendet. Er hat gemeint, ein wichtiger Kündigungsgrund liege nicht vor. Selbst die ordentliche Kündigung sei wegen ihrer diskriminierenden Wirkung unwirksam. Der Kläger selbst sei trotz seiner der Beklagten bekannten sexuellen Ausrichtung bewusst und gegen seinen Willen zum Bestandteil einer sexistischen Werbung gemacht worden.



    Die Beklagte hat sich darauf gestützt, der Kläger habe am 26.06.2015 beharrlich die ihm obliegende Arbeitsleistung verweigert und damit einen wichtigen Kündigungsgrund geliefert. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, der sich zuvor mit der Lackierung seines Fahrzeugs sehr zufrieden gezeigt habe, nur wegen der Felgenfarbe die Arbeit niedergelegt habe. Der Kläger sei an diesem Morgen auch nicht erkrankt gewesen. Von einer Diskriminierung durch die Kündigung könne keine Rede sein.



    Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.10.2015 der Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung stattgegeben. Zwar könne eine beharrliche Arbeitsverweigerung des Klägers vorgelegen haben; gleichwohl erweise sich eine außerordentliche Kündigung wegen Fehlens einer vorangegangenen Abmahnung und im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung insbesondere vor dem Hintergrund der erheblichen Betriebszugehörigkeit des Klägers als unverhältnismäßig. Die ordentliche Kündigung indes sei wirksam, weil der Kläger keinen allgemeinen Kündigungsschutz nach Maßgabe des KSchG genieße und der Kündigung keine diskriminierende Wirkung zukomme.



    Im Berufungsrechtszug haben die Parteien auf die von der Beklagten form- und fristgerecht eingelegte Berufung nur noch um die Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung gestritten. Sie haben in der mündlichen Verhandlung vom 07.06.2016 einen Vergleich in der Hauptsache geschlossen und unter Ziffer V. geregelt, dass über die Kosten des Berufungsrechtszugs eine Entscheidung des Gerichts nach § 91a ZPO erfolgen soll. Mitgeregelt im Vergleich haben die Parteien die Frage der finanziellen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses bis zum Beendigungszeitpunkt sowie Art und Inhalt des dem Kläger noch zu erteilenden Zeugnisses.



    II.



    Die Kosten des Rechtsstreits (einschließlich derer des Vergleichs) waren der Beklagten gemäß § 91a Abs. 1 ZPO aufzuerlegen.



    1.



    Gegenstand der vorliegenden Entscheidung sind neben den Kosten der Berufung auch diejenigen des Vergleichs vom 07.06.2016. Die Regelung des § 98 ZPO, wonach die Kosten des Vergleichs als gegeneinander aufzuheben anzusehen sind, wenn die Parteien nichts anderes vereinbaren, greift nicht. Denn die Parteien haben ein anderes nach dem Verständnis von § 98 Satz 1 ZPO nicht erst dann vereinbart, wenn sie selbst eine materiell hiervon abweichende positive Einigung über die Kostenfrage erzielen; sie können ihren Vergleich vielmehr mittels einer so genannten negativen Kostenregelung in dem protokollierten Text oder auch konkludent auf die Hauptsache beschränken, die dadurch erledigt und woraus ersichtlich wird, dass es nach ihrem Willen noch einer gerichtlichen Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO bedarf, um den Streit über die Verfahrenskosten zu beenden (vgl. BGH, Beschl. v. 15.03.2006 - XII ZR 209/05, Rdn. 3 f., NJW-RR 2006, 1000 [BGH 15.03.2006 - XII ZR 209/05] ; Beschl. v. 08.12.2006 - V ZR 249/05, Rdn. 1, NJW 2007, 835 [BGH 08.12.2006 - V ZR 249/05] ; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 98 Rdn. 3; jeweils m.w.N.). Ob Letzteres zutrifft, muss durch Auslegung ermittelt werden; sowohl notwendig als auch ausreichend ist es in diesem Zusammenhang, dass sich dem Vergleich eine positive Andeutung dahin entnehmen lässt, wegen der Kosten des Rechtsstreits werde eine sachbezogene Klärung durch das Gericht gewünscht (vgl. insb. BGH, Beschl. v. 15.03.2006 - XII ZR 209/05, Rdn. 3 f.; aaO). Letzteres ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn die Prozessparteien in den Text ihrer Einigung explizit eine Klausel aufnehmen, wonach die Kostenentscheidung vom Gericht getroffen werden soll (vgl. etwa OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.01.2009 - 9 WF 9/09, Rdn. 9, MDR 2009, 406). In diesem Sinne ist auch die Regelung in Ziffer V. des hiesigen Vergleichs zu verstehen: Eine positive Übereinkunft hinsichtlich des Kostenpunktes hatten der Kläger und die Beklagte nicht zu erzielen vermocht. Die Verfahrenskosten gegeneinander aufzuheben, hätte nicht der Vergleichsquote in der Hauptsache entsprochen, worauf - angesichts der üblicherweise in den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) enthaltenen Leistungsbeschränkungen - speziell der rechtsschutzversicherte Kläger achten musste. Angesichts dessen ist auch nicht ersichtlich, welches Interesse die Parteien daran haben konnten, dass in einem rein deklaratorischen und für die Kostenfestsetzung entbehrlichen Beschluss die gesetzliche Kostenfolge des § 98 ZPO ausweist. Schon aus dem Wortlaut der verwendeten Formulierung ergibt sich hier, dass die Entscheidung als solche dem Gericht vorbehalten bleiben sollte, von diesem also nicht nur formell, sondern auch inhaltlich zu treffen war.



    In einem derartigen Fall ist gemäß § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO - unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen - über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden; als maßgeblich erweist sich dabei keineswegs das vergleichsweise Nachgeben beider Prozessparteien im Rahmen der Einigung, sondern - ähnlich wie bei Kostenentscheidungen nach übereinstimmender (ausdrücklicher) Erledigungserklärung der Hauptsache - die Frage, wer ohne den Vergleichsabschluss die Kosten des Rechtsstreits - unter besonderer Berücksichtigung von dessen voraussichtlichem Ausgang - zu tragen gehabt hätte, wobei unter Billigkeitsgesichtspunkten allerdings auch eine Rolle spielen kann, welche Kostenverteilung die Parteien selbst (speziell in dem erzielten Vergleich) als angemessen und daher anzustreben angesehen haben (vgl. dazu insb. BGH, Beschl. v. 08.12.2006 - V ZR 249/05, Rdn. 17, NJW 2007, 835 [BGH 08.12.2006 - V ZR 249/05] ; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 98 Rdn. 3). Hieran fehlt es im Streitfall allerdings: Nach den mündlichen Verhandlungen der Parteien anlässlich des Kammertermins vom 07.06.2016 konnten die Parteien gerade keine Einigung über eine bestimmte Kostenregelung erzielen. Eine solche lässt sich auch dem Vergleich vom selben Tage nicht entnehmen.



    2.



    Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes hätte nach billigem Ermessen die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie im Rechtsstreit unterlegen gewesen wäre.



    a) Wie bereits im Hinweisbeschluss des Gerichts vom 02.02.2016 angedeutet und in der mündlichen Verhandlung nochmals ausgeführt, stand die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen fristlosen Kündigung vom 30.06.2015 zur Überzeugung des Gerichts fest, ohne dass es weitergehender tatbestandlicher Feststellungen bedurft hätte. Ein wichtiger Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB lag nicht vor.



    (1) Es ist schon fraglich, ob der Kläger am 26.06.2015 überhaupt beharrlich die Arbeitsleistung verweigert hat. Eine Arbeitsverweigerung setzte nämlich eine bestehende Arbeitsverpflichtung des Klägers voraus, an der wegen einer etwa infolge des heftigen Streites mit dem Geschäftsführer eintretenden Arbeitsunfähigkeit (der Kläger hat von "Herzrasen" berichtet, das müsste die Beklagte nach kündigungsrechtlichen Grundsätzen widerlegen!) durchaus zu zweifeln sein könnte. Abgesehen davon dürfte es an der erforderlichen Intensität der Weigerung des Klägers fehlen. Diese erfolgte nämlich in einer emotionalen Ausnahmesituation und bezog sich gerade nicht auf die Fahrtätigkeit für die Beklagte an sich (sondern nur mit genau diesem Fahrzeug); hinzu kommt, dass dem Kläger wegen des Fehlens einer Abmahnung möglicherweise die Tragweite seines (Fehl-) Verhaltens nicht bewusst war. Der Kläger muss sich auch nicht - wie die Beklagte offensichtlich zu meinen scheint - zwangsläufig widersprüchliches Verhalten vorwerfen lassen, weil er doch im Vorfeld mit der Lackierung des Fahrzeugs und der Farbe der Radkappen einverstanden gewesen ist. Denn es macht durchaus einen Unterschied, eine beabsichtigte Lackierung auf Entwürfen zu sehen und hinterher tatsächlich in einem entsprechend lackierten Fahrzeug seiner Arbeit nachzugehen; das gilt erst recht dann, wenn es schon am ersten Einsatztag deutlich kritische bis schroff ablehnende Reaktionen Dritter auf die werbende Gestaltung gibt, mit der der Kläger als Repräsentant der Beklagten in der Öffentlichkeit unmittelbar in Zusammenhang gebracht wird.



    (2) Jedenfalls trägt die fristlose Kündigung vom 30.06.2015 dem das Kündigungsschutzrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht Rechnung. Der Beklagten war in Anbetracht der fast zwei Jahrzehnte währenden, unbelasteten Betriebszugehörigkeit ohne weiteres zuzumuten, den Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Sie hätte ihn - wenn nicht schon am Morgen des 26.06.2015, dann jedenfalls nach seiner Genesung - auf einem anderen Fahrzeug einsetzen können und stattdessen einem Kollegen des Klägers die Führung von dessen Fahrzeug überantworten können. Gegebenenfalls ergänzend hätte sie eine Gehaltszahlung des Klägers für den 26.06.2015 verweigern und/oder von diesem Schadensersatz verlangen können, falls es an diesem Tag zu Umsatzeinbußen gekommen war. Die Einlassung des Geschäftsführers der Beklagten, er habe doch gar nicht gewusst, ob überhaupt und wann der Kläger an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wolle, da er keinen Kontakt zu diesem habe herstellen können, verfängt nicht. Notfalls hätte die Beklagte schriftlich mit dem Kläger Kontakt aufnehmen und ihm etwa im Rahmen einer schriftlichen fristgerechten Kündigung mitteilen können, wie er für die Dauer der Kündigungsfrist eingesetzt wird. Abgesehen davon lässt sich für die Zeit nach dem 26.06.2015 keinesfalls feststellen, dass der Kläger weiterhin die Arbeit verweigert hat. Der Kläger war arbeitsunfähig krankgeschrieben, ohne dass die Beklagte durch entsprechenden Sachvortrag den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch nur erschüttert geschweige denn bewiesen hätte, dass der Kläger seine Erkrankung tatsächlich vorgetäuscht hatte.



    b) An der Auferlegung der Kosten auch des Mehrvergleichs auf die Beklagte änderte sich im Übrigen nichts, wenn es auf die Beurteilung der einschlägigen "Verlustquoten" im Vergleich ankäme. Der Kläger hat insoweit nur marginal nachgegeben, indem er sich etwaigen Resturlaub auf die Kündigungsfrist hat anrechnen lassen. Demgegenüber hat die Beklagte den 31.12.2015 als Beendigungszeitpunkt akzeptiert, sich zur Gehaltszahlung an den Kläger verpflichtet, soweit diese zu beanspruchen war, und dem Kläger die Erteilung eines guten Arbeitszeugnisses nach dessen Vorschlag zugesagt. Der Vergleich war aus Sicht der Beklagte im Ergebnis jedoch dadurch gerechtfertigt, dass weiteren kostenträchtigen Rechtsstreitigkeiten - wegen der Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsabgeltung und des Inhalts des Arbeitszeugnisses des Klägers - vorgebeugt wurde.



    3.



    Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht besteht nicht, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO nicht vorliegen. Gegen den vorliegenden Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

    Schneider
    Nauck
    Messing

    Vorschriften§ 91a ZPO, § 91a Abs. 1 ZPO, § 98 ZPO, § 98 Satz 1 ZPO, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 626 Abs. 1 BGB, § 574 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO