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  • · Fachbeitrag · Sonderthema: Personenbedingte Kündigung

    Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit

    | Personenbedingte Kündigungsgründe sind vielfältig. Im letzten Beitrag des Sonderthemas berichten wir dazu, wie das BAG zu einer interessanten Frage Stellung genommen, die in der gerichtlichen Praxis selten virulent geworden ist, aber verstärkt bedeutsam werden könnte: Ein ArbN war personenbedingt gekündigt worden, weil der ArbG rückwirkend für ihn Sozialversicherungsbeiträge nachentrichten und gegebenenfalls weiterhin solche abführen musste. Wir stellen diese neue Fallgruppen der personenbedingten Kündigung vor. |

     

    Der 46-jährige ArbN wurde als „studentische Aushilfe“ beschäftigt. Folge war, dass er nicht kranken-, pflege- und arbeitslosenversicherungspflichtig war. Deshalb brauchte auch der ArbG keine ArbG-Beiträge zu leisten. Ab 2002 wurde eine Versicherungsfreiheit bei studentischen ArbN nur noch für eine Studienzeit von bis zu 25 Fachsemestern anerkannt. Da der ArbN bereits im 41. Semester studierte, wurde daraufhin festgestellt, dass seine Beschäftigung (und wohl die weiterer unter ähnlichen Bedingungen beschäftigter ArbN) sozialversicherungspflichtig war und weiterhin sein werde. Daraufhin kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis vornehmlich deshalb, weil die Beschäftigung des ArbN nunmehr sozialversicherungspflichtig sei. Der ArbG ist von einer personenbedingten Kündigung ausgegangen. Er sah den Umstand, den ArbN als Studenten sozialversicherungsfrei beschäftigen zu können, als „nach dem Arbeitsvertrag vorausgesetzte persönliche Eigenschaft“ des ArbN an, die nunmehr entfallen sei. Damit stellte er den Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit bezüglich des ArbN etwa dem Wegfall der persönlichen Leistungsfähigkeit einer ArbN infolge eines schweren Unfalls oder einer langwierigen Erkrankung gleich (hierzu näher Stake AA 07, 160; Berkowsky AA 07, 94; AA 06, 184). Dem ist das BAG nicht gefolgt.

     

    1. Voraussetzungen der personenbedingten Kündigung?

    Das BAG weist darauf hin, dass personenbedingte Kündigungsgründe (nur) solche sind, die auf persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des ArbN beruhen. Mit der Befugnis zur personenbedingten Kündigung soll dem ArbG die Möglichkeit eröffnet werden, das Arbeitsverhältnis zu beenden, wenn der ArbN die erforderliche Eignung oder Fähigkeit nicht (mehr) besitzt, um künftig die geschuldete Leistung - ganz oder teilweise - nicht mehr zu erbringen. Eine personenbedingte Kündigung setzt also eine Nicht- oder Schlechterfüllung der geschuldeten Arbeitsleistung voraus.

     

    Wendet man diese Grundsätze an, wird deutlich, dass der ArbN nach wie vor in der Lage ist, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Dazu fehlt ihm weder die erforderliche Eignung noch die entsprechende Fähigkeit.

     

    Eine Nicht- oder Schlechtleistung hat der ArbG nicht geltend gemacht. Der ArbN ist weiterhin in der Lage, die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Damit liegen personenbedingte Kündigungsgründe ersichtlich nicht vor.

    2. Störung des Austauschverhältnisses als Kündigungsgrund?

    Es ist aber nicht zu verkennen, dass der Eintritt der Sozialversicherungspflicht die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses deutlich zulasten des ArbG verändert hat. Die nach dem Vertrag vorausgesetzten Kosten der Beschäftigung des studentischen ArbN haben sich durch den Eintritt der Sozialversicherungspflicht deutlich erhöht, insbesondere wenn der ArbG eine größere Zahl solcher „studentischen Hilfskräfte“ beschäftigt. Diese Fallgestaltung kommt einer Störung der Geschäftsgrundlage gleich. Allerdings folgt hieraus kein Kündigungsgrund bezüglich des Arbeitsverhältnisses.

    3. Bedingungsanpassung bei Störung der Geschäftsgrundlage?

    In Betracht kommen kann aber - und das sollte in der Praxis immer berücksichtigt werden - eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB. Voraussetzung ist, dass der einen Partei - hier also dem ArbG - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Dabei sind hohe Hürden zu überwinden. Wegen der deutlichen Betonung der Umstände des einzelnen Falls haben die Gerichte hier einen erheblichen Entscheidungsspielraum. Eine Prognose, ob der ArbG im konkreten Fall erfolgreich eine Vertragsanpassung hätte verlangen können, ist deshalb praktisch kaum möglich.

    PRAXISHINWEIS | Erfolgschancen dürften allerdings nur bestehen, wenn der ArbG nicht versucht, die gesamte Kostensteigerung auf den ArbN abzuwälzen. Dann wäre die Gefahr groß, dass das Arbeitsgericht dieses Ergebnis nicht als interessengerecht ansehen und der Versuch, den Vertrag an die veränderten Umstände anzupassen, scheitern könnte. Aber eine in etwa gleichmäßige Verteilung der (erhöhten) Kostenlast auf beide Parteien könnte möglicherweise erzielt werden.

    4. Anpassen der Bedingungen durch Änderungskündigung?

    In Betracht ziehen sollte der ArbG in einem solchen Fall auch eine Änderungskündigung mit dem Ziel, die Kostenbelastung des Arbeitsverhältnisses in etwa neutral zu gestalten. Insoweit sollte der ArbG die gleichen Grundsätze wie bei einem Anpassungsverlangen nach § 313 BGB (s.o.) beachten. Dann kann eine Chance bestehen, dass das Arbeitsgericht eine solche Änderungskündigung für gerechtfertigt ansieht. Aber auch hier scheint eine einigermaßen gesicherte Prognose nicht möglich.

     

    PRAXISHINWEIS | Jedenfalls scheitert eine Beendigungskündigung, wie sie der ArbG im vorliegenden Fall vorgenommen hat, schon an dem Grundsatz des „Vorrangs der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung“. Der ArbG hätte, wenn überhaupt, im vorliegenden Fall mit einiger Aussicht auf Erfolg nur eine Änderungskündigung erklären können. Das hat er hier versäumt. Das BAG hat deshalb in seiner Entscheidung ausdrücklich offen gelassen, ob die Voraussetzungen einer Änderungskündigung in diesem Fall vorgelegen hätten.

     

    5. Bedeutung der Entscheidung über den Fall hinaus

    Diese Grundsätze gelten für alle Fälle, in denen eine Veränderung der äußeren Umstände nicht nur geringfügige Veränderungen im Synallagma eines Arbeitsvertrags bewirkt. Solche Veränderungen können z.B. durch Veränderungen des Steuer- oder Sozialversicherungsrechts oder durch steigende Anforderungen im Arbeitsschutzrecht entstehen.

    6. Beteiligung des Betriebsrats

    Soweit eine Beendigungs- oder Änderungskündigung beabsichtigt ist, ist der Betriebsrat nach § 102 BetrVG zu beteiligen. Der Betriebsrat muss nicht beteiligt werden, soweit der ArbG im einzelnen Arbeitsverhältnis eine Anpassung der Arbeitsbedingungen nach § 313 BGB anstrebt. Geschieht dies allerdings auf kollektiver Ebene, indem der ArbG eine solche Anpassung nach allgemeinen Grundsätzen bei einer Mehrzahl von ArbN anstrebt, kommt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in Betracht. Das hängt jedoch von der konkreten Ausgestaltung der beabsichtigten Maßnahme ab. Liegt in der Anpassung der Arbeitsbedingungen durch erhebliche Änderung des Tätigkeitsbilds der Arbeit jedoch eine Versetzung, ist der Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 S. 1, § 95 Abs. 3 BetrVG zu beteiligen.

     

    Checkliste / Reaktion des ArbG bei Veränderungen im Synallagma

    • Steigen die Kosten eines einzelnen Arbeitsverhältnisses durch Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. Eintritt der Sozialversicherungspflicht in einem studentischen Arbeitsverhältnis), so ist eine (personenbedingte) Kündigung ein ungeeignetes Mittel, dieser Kostensteigerung zu begegnen. Die Sozialversicherungspflicht ist kein kündigungsrelevanter, der Person des ArbN „anhaftender“ Umstand.

     

    • Steigt die Kostenbelastung des ArbG durch derartige, von ihm nicht zu beeinflussende äußere Umstände signifikant an, kann er versuchen, über die Regeln der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB eine Anpassung der Vertragsbedingungen zu erreichen. Das ist aber kein einfacher und risikofreier Weg.

     

    • In Betracht kommt in solchen Fällen eine Änderungskündigung mit dem Ziel, die Mehrkostenbelastung innerhalb des Arbeitsverhältnisses interessengerecht zu verändern. Es gilt der Grundsatz des „Vorrangs der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung“. Aber auch die Erfolgsaussichten einer Änderungskündigung dürfen in solchen Fällen nicht überschätzt werden. Die Arbeitsgerichte haben einen großen Entscheidungsspielraum.

     

    • Wählt der ArbG den Weg der (Änderungs-) Kündigung, ist das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 102 BetrVG zu beachten.

     

    • Wählt der ArbG die „kollektive Vertragsanpassung“, hat der Betriebsrat ggf. ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dabei kommt es auf den Einzelfall und die beabsichtigte rechtliche Gestaltungsform an.

     

    • Die Möglichkeiten, durch äußere (rechtliche) Einflüsse verursachte Kostensteigerungen im einzelnen Arbeitsverhältnis durch Anpassung innerhalb des Arbeitsverhältnisses mehr oder weniger zu neutralisieren, sind sehr beschränkt. Ganz ausgeschlossen sind sie aber, je nach Fallgestaltung, nicht.
     

    Weiterführender Hinweis

    • Hiermit endet das Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“. Sollten Sie sich für Mietrecht interessieren: Im Newsletter MK Mietrecht kompakt bereiten wir demnächst das Sonderthema „Kündigung eines Mietverhältnisses“ auf. Melden Sie sich doch einfach unter mk.iww.de kostenlos an!
    Quelle: ID 43313506