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  • · Fachbeitrag · Betriebsvereinbarung

    Inkrafttreten einer Betriebsvereinbarung ist nicht abhängig von der Belegschaft

    von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA FamR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

    | ArbG und Betriebsrat können die Geltung einer Betriebsvereinbarung nicht davon abhängig machen, dass die betroffenen ArbN zustimmen. |

     

    Sachverhalt

    Die Betriebsparteien streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung (BV). 2007 schloss der ArbG mit dem Betriebsrat eine BV zu variablen Vergütungsbestandteilen der im dortigen Lager beschäftigten ArbN ab. Das Inkrafttreten der BV wurde jedoch unter die Bedingung gestellt, dass ihr „80 Prozent der abgegebenen Stimmen“ der in ihren Geltungsbereich fallenden ArbN bis zum Ablauf einer vom ArbG gesetzten Frist „einzelvertraglich“ schriftlich zustimmen. Sollte das vereinbarte Quorum nicht erreicht werden, wurde die Wirksamkeit einseitig in die Hände des ArbG gelegt. Dieser hatte das Recht, die Anzahl der abgegebenen Stimmen für wirksam zu erklären, sodass die BV doch in Kraft treten konnte. In Umsetzung dieser Regelungen ist die BV wirksam geworden. Sie wurde jahrelang angewendet.

     

    Der Betriebsrat begehrt nunmehr die Feststellung der Unwirksamkeit der BV, da die vereinbarten Regelungen zum Inkrafttreten rechtswidrig seien. Die Vorinstanzen wiesen den Antrag ab (LAG München 15.6.18, 3 TaBV 6/18).

     

    Entscheidungsgründe

    Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hatte vor dem BAG Erfolg (28.7.20, 1 ABR 4/19, Abruf-Nr. 217405). Der 1. Senat stellte einen Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtlich geregelten Wirkungen einer BV fest, der im Ergebnis zur Unwirksamkeit der BV führe.

     

    Die normative Wirkung einer BV folge direkt aus § 77 Abs. 4 BetrVG. Sie könne daher nicht von einem Zustimmungsquorum der Belegschaft abhängig gemacht werden. Darin liege ein Verstoß gegen die Strukturprinzipien der Betriebsverfassung, welche in der unmittelbaren und zwingenden Wirkung einer BV Ausdruck fänden. Ein gewählter Betriebsrat sei Repräsentant der Belegschaft und nehme die ihm gesetzlich übertragenen Aufgaben wahr. Er werde als Organ der Betriebsverfassung im eigenen Namen kraft seines Amtes tätig, wobei sowohl der Aufgabenkreis als auch die Tätigkeitsweise gesetzlich geregelt seien. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben sei der Betriebsrat nicht an Weisungen der durch ihn vertretenen ArbN gebunden. Er bedürfe auch nicht vorheriger Zustimmung oder nachträglicher Genehmigung für sein Handeln.

     

    Die gesetzlich vorgeschriebene Wirkung einer BV sei daher die Fortsetzung des Repräsentationsgedankens. Die unmittelbare und zwingende Wirkung einer BV gelte unabhängig vom Willen oder der Kenntnis der Parteien eines Arbeitsvertrags und erfasse auch später in den Betrieb eintretende ArbN. Das schließe es aus, die Geltung einer BV an das Erreichen eines Zustimmungsquorums verbunden mit dem Abschluss einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit dem ArbG zu knüpfen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die betriebliche Praxis ist so vielschichtig wie es die Belegschaft selbst ist. Der Gesetzgeber hat daher die betriebliche Mitbestimmung u. a. dafür etabliert, dass eine Interessenbündelung der ArbN-Seite auch auf betrieblicher Ebene stattfinden kann. Das sollte und soll nicht nur der Interessendurchsetzung der ArbN, sondern auch dem ArbG dienen. Dieser erhält für innerbetriebliche Belange einen konkreten Ansprechpartner, mit dem er gemeinsam normativ tätig sein kann. Durch das Instrument der BV können grundsätzliche Regelungen zwingend und unmittelbar einvernehmlich festgelegt werden.

     

    Praktisch sind Betriebsräte zwar gut beraten, bei ihren Handlungen dem Willen der Mehrheit der durch sie vertretenen ArbN zu folgen. Rechtlich darf dies jedoch nicht dazu führen, dass die Betriebsratsarbeit imperativ ausgeführt oder durch Elemente direkter innerbetrieblicher Demokratie ersetzt wird. Derartiges sieht das BetrVG nicht vor, sodass einzig der Gesetzgeber entsprechende Änderungen vornehmen könnte. Anlass dazu dürfte aber nicht bestehen. ArbG und Betriebsräte sollen vertrauensvoll zusammenarbeiten und sich auf tatsächlicher Ebene rückversichern, ob die von Ihnen jeweils angestrebten Verhandlungsziele auf betriebsverfassungsrechtlicher Ebene dem Wohle des Betriebs und der Belegschaft dienen. Betriebsversammlungen und Mitarbeiterbefragungen sind daher zwar Instrumente, um Stimmungsbilder zu erhalten. Wie mit solchen Stimmungsbildern dann umgegangen wird, obliegt der eigenen Entscheidungsgewalt der Betriebsparteien.

     

    Quelle: Ausgabe 12 / 2020 | Seite 203 | ID 46952118