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  • · Fachbeitrag · AGG

    Die Nicht-Einladung zum Vorstellungsgespräch kann eine Altersdiskriminierung sein

    Im Rahmen einer Auswahlentscheidung bei einer Einstellung oder Beförderung liegt ein Nachteil für einen Bewerber oder ArbN bereits vor, wenn dieser nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die ungünstigere Behandlung liegt bereits in der Versagung einer Chance, sodass es irrelevant ist, ob es im Zug der Auswahlentscheidung später tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers kommt (BAG 23.8.12, 8 AZR 285/11, Abruf-Nr. 122753).

     

    Sachverhalt

    Der ArbG schaltete unter dem 22.6.09 eine Stellenanzeige in einem Internetportal, in der es u.a. heißt:

     

    • „... Für unsere aktuellen Projekte suchen wir zur Unterstützung zwei freiberufliche Mitarbeiter (bei Eignung auch Festanstellung möglich) zwischen 25 und 35 Jahren. Net Entwickler (n.w.) SQL-Datenbankentwickler ...“

     

    Bewerber B, der am 27.3.56 geboren ist, bewarb sich erfolglos auf diese Stellen. Der ArbG lud einen Bewerber aus Berlin zu einem Vorstellungsgespräch ein, sah dann aber von einer Einstellung von Mitarbeitern überhaupt ab.

     

    Unter dem 27.10.09 erhob B vor dem Arbeitsgericht Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 26.400 EUR. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, die Berufung des B wurde vom LAG Berlin-Brandenburg (17 Sa 1410/10) zurückgewiesen. Die Revision des B führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG.

     

    Entscheidungsgründe

    Der 8. Senat des BAG stellt zunächst klar, dass ein Bewerber nach § 6 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 AGG als „Beschäftigter“ in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG fällt. Darüber hinaus bezieht § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AGG auch arbeitnehmerähnliche Personen in den Schutzbereich des AGG ein, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg angeht.

     

    Weder sei die objektive Eignung des Bewerbers noch die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung eine Voraussetzung für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des AGG nach § 6 Abs. 1 S. 2 AGG. Auch sei der Bewerber B ungünstiger als ein anderer Bewerber, nämlich der zum Vorstellungsgespräch eingeladene Bewerber, behandelt worden. Ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung liege bereits vor, wenn der Bewerber oder Beschäftigte nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden worden sei. Die Benachteiligung liege in der Versagung einer Chance. Ein Entschädigungsanspruch sei nach § 15 Abs. 2 AGG auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Bewerber bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, sondern nur der Höhe nach begrenzt. Auch sei es für die Frage, ob eine Benachteiligung in Form der Versagung einer Chance vorliege, irrelevant, ob es im Zuge des Auswahlverfahrens tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers gekommen sei. Der ArbG dürfe nicht durch geeignete Verfahrensgestaltung, wie das vorläufige Absehen von einer Stellenbesetzung, die Chancen von Bewerbern so mindern, dass seine Entscheidung praktisch unangreifbar werde.

     

    Da der Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, sei ihm bereits im Vorfeld der eigentlichen Besetzungsentscheidung die Chance auf Einstellung genommen worden. Dies stelle eine ungünstigere Behandlung dar, unabhängig von der Frage, ob der B bei „passendem Alter“ tatsächlich eingestellt worden wäre.

     

    Im Weiteren führt das BAG aus, es sei gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden. Das LAG habe keine ausreichenden Feststellungen zur Frage der vorliegenden objektiven Eignung des Bewerbers B für die ausgeschriebene Stelle getroffen. Hierauf komme es an, denn das Vorliegen einer vergleichbaren Situation zwischen den Bewerbern setze voraus, dass die Bewerber für die ausgeschriebene Stelle gleichermaßen objektiv geeignet seien. Ein objektiv ungeeigneter Bewerber könne keine immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen. Dies stehe mit dem Schutzzweck des AGG nicht im Einklang.

     

    Für eine objektive Eignung des Bewerbers sei aber nicht allein das Anforderungsprofil der Stelle maßgeblich, sondern die Anforderungen, die an die jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung zu stellen seien. Dies bedeute, dass auch Bewerber, die die auf der zu besetzenden Stelle auszuübenden Tätigkeiten grundsätzlich verrichten könnten, ohne jede Voraussetzung des Anforderungsprofils zu erfüllen, dem Schutz vor Diskriminierung bedürften. Gerade Anforderungsprofile in Stellenanzeigen würden häufig Qualifikationen benennen, deren Vorhandensein sich der ArbG zwar wünsche, die aber nicht zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung seien.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung bringt darüber Klarheit, dass bereits die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch im Rahmen einer benachteiligenden Auswahl zwischen den Bewerbern grundsätzlich den ArbG schadenersatzpflichtig macht. Dies gilt unabhängig davon, ob er die Stelle tatsächlich besetzt, oder - aufgrund besserer Einsicht hinsichtlich der Formulierung der Anzeige - auf die Besetzung verzichtet. Der ArbN-Vertreter muss aber die objektive Eignung des Mandanten für die Stelle, auf die die Bewerbung Bezug nimmt im Zweifel nachweisen. Nur wenn ein Bewerber nach objektiven Kriterien überhaupt für die Stelle (abstrakt) in Betracht kommt, kann ein Entschädigungsanspruch, der grundsätzlich nach § 15 Abs. 2 AGG auf drei Bruttomonatsgehälter der in Aussicht genommenen Stelle begrenzt sein dürfte, infrage kommen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Unzulässige Frage nach eingestelltem Ermittlungsverfahren an Bewerber: BAG in AA 13, 10
    • Kein Auskunftsanspruch des nicht berücksichtigten Stellenbewerbers: EuGH in AA 12, 167
    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 76 | ID 39090320