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  • · Sozialrecht

    Implantate werden auch bei Würgereiz infolge sexuellen Missbrauchs nicht zur „Kassenleistung“

    Bild: ©Pixelot - stock.adobe.com

    von RA, FA MedR Dr. med. dent. Wieland Schinnenburg, Hamburg, rechtsanwalt-schinnenburg.de

    | Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat in einem tragischen Fall erneut bestätigt, dass gesetzlich Versicherte auch bei Würgereiz keinen Anspruch auf eine Versorgung mit Zahnimplantaten nebst Suprakonstruktion haben (Urteil vom 15.04.2021, Az. L 9 KR 540/17). Das LSG Berlin-Brandenburg folgt damit seiner Linie, dass ein solcher Anspruch nur in extremen Ausnahmefällen bestehen kann. Bereits am 17.08.2020 hatte das Gericht mit ausführlicher Begründung entschieden, dass ein bestehender Würgereiz keinen Anspruch auf eine Implantatversorgung bei Kassenpatienten begründet (Az. L 9 KR 12/18; ZP 02/2021, Seite 24 ). |

     

    Der Fall

    Aktuell hatte das LSG über einen sehr berührenden Fall zu entscheiden: Ein mittlerweile rund 60 Jahre alter Mann war zwischen seinem 14. und 21. Lebensjahr mehrfach Opfer sexuellen Missbrauchs geworden. Hierzu gehörte auch erzwungener Oralverkehr. Nach einer Stellungnahme eines Arztes habe diese Traumatisierung bewirkt, dass der Mann Würgereiz und Ekel entwickelt habe.

     

    Die Entscheidungsgründe

    Das LSG sah aber auch in diesem extremen Fall keinen Anlass, eine implantatgestützte Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zuzusprechen. Dies komme nur dann in Betracht, wenn eine Ausnahmeindikation vorliege, wie sie in der einschlägigen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) festgelegt sei (online unter iww.de/s5726). Einzig denkbare Ausnahmeindikationen sind danach größere Kiefer- und Gesichtsdefekte, eine extreme Xerostomie, die generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen sowie „nicht willentlich beeinflussbare muskuläre Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z. B. Spastiken)“.

     

    Nach Auffassung des LSG fällt ein Würgereiz nicht darunter. Der Würgereiz sei eine „vegetativ bzw. psychomotorisch bedingte Störung der Rachenmuskulatur“. Der Mund- und Gesichtsbereich sei also gar nicht betroffen. Im Übrigen sei eine Versorgung mit Implantaten auch keine „medizinische Gesamtbehandlung“, die das Gesetz voraussetze, damit eine „Kassenleistung“ überhaupt vorliegen könne. Die Wiederherstellung der Kaufunktion könne nur Teil einer solchen Gesamtbehandlung sein. Eine andere Bewertung folge auch nicht aus dem Opferentschädigungsgesetz, denn für dieses gelten die Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 11, Abs. 1, S. 2 Bundesversorgungsgesetz) gleichsam.

     

    FAZIT | Es bleibt dabei: Implantatversorgungen sind nur in den vom G-BA definierten extrem seltenen Ausnahmefällen „Kassenleistung“.

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2021 | Seite 2 | ID 47524904