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  • 04.09.2018 · IWW-Abrufnummer 204208

    Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 16.08.2018 – 10 Sa 469/18

    Ein Busfahrer, der (auf einer überwiegend von Touristen genutzten Buslinie) Gelder für Fahrscheine entgegen nimmt, ohne die entsprechenden Fahrscheine zu drucken und auszuhändigen, kann auch ohne Abmahnung fristlos entlassen werden.


    Urteil

    in Sachen

    hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 10. Kammer,
    auf die mündliche Verhandlung vom 16. August 2018
    durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht W. als Vorsitzenden
    sowie den ehrenamtlichen Richter Sch. und die ehrenamtliche Richterin K. für Recht erkannt:
     
    I.
    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. Februar 2018 - 56 Ca 13272/17 - wird zurückgewiesen.

    II.
    Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

    III.
    Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.054,48 EUR festgesetzt.

    IV.
    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 16. Oktober 2017.

    Der Kläger ist 58 Jahre alt (geb… 1960), geschieden und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. November 2013 bei der Beklagten als Omnibusfahrer mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2.763,62 EUR beschäftigt.

    Mit Schreiben vom 16. Oktober 2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. November 2017.

    Der Kläger meinte, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung nicht gegeben sei und im Übrigen die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt sei. Er bestritt auch die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats. Weiter wandte sich der Kläger gegen sämtliche weiteren Beendigungstatbestände und begehrte für den Fall des Obsiegens seine Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.

    Die Beklagte hält einen wichtigen Grund für gegeben, der zugleich auch die ordentliche Kündigung rechtfertige. Der Kläger habe am 11. September 2017 von Fahrgästen Geld für Fahrscheine eingenommen, ohne diese aber zu erstellen und auszuhändigen. Dieses sei im Rahmen einer Sonderüberwachung durch einen Personalprüfer der Beklagten festgestellt worden. Diese Sonderüberwachung war aufgrund einer Kundenbeschwerde vom 30. Juli 2017 angeordnet worden. In dieser hatte ein Fahrgast formuliert, dass ein Fahrer das Entgelt kassiert habe, aber keinen Fahrschein an einen englischsprachigen Berlin-Touristen habe herausgeben wollen. Dazu habe der Fahrer mehrmals formuliert: „you don’t need a ticket“.

    Von dem vollständigen Sachverhalt vom 11. September 2017 habe der kündigungsberechtigte Leiter des Bereichs Omnibus Torsten Mareck am 18. September 2017 erfahren.

    Noch am 11. September 2017 wurde der Kläger unter Mitteilung der Vorwürfe zu einer Anhörung am 12. September 2017 gebeten. Zu der Anhörung am 12. September 2017 wurde auf Wunsch des Klägers ein Personalratsmitglied hinzugezogen. Ausweislich des Protokolls der Anhörung, dessen Unterzeichnung der Kläger verweigerte, erklärte der Kläger zu den Vorwürfen:

    „Stimmt überhaupt nicht, ich habe FS verkauft. FG haben bezahlt und den Fahrschein selbst genommen und eingesteckt. Es ist auf dem Video zu erkennen. Nach Kassensturz und abrechnen haben doch nur 3,30 € gefehlt.

    Ich tue doch nur meine Arbeit, ich lebe seit 30 Jahren in Deutschland, habe keinen Grund BVG-Geld einzustecken.“

    Zugleich sollte ausweislich des Anhörungsprotokolls eine Videodatensicherung zur Entlastung durchgeführt werden.

    Zu dem Kündigungsvorwurf wurde dem Personalrat unter dem 18. September 2017, zugegangen am 19. September 2017, folgender Sachverhalt unter Beifügung verschiedener Unterlagen, u.a. auch eines Formblatts „Zustimmungsantrag zur außerordentlichen Kündigung“ und „Zustimmungsantrag zur hilfsweisen ordentlichen Kündigung“ mitgeteilt:

    Herr Y. wurde am 01.11.2013 als Omnibusfahrer eingestellt.

    Am 25.04.2016 kam es erstmals zu einem Vorfall bezüglich der Inkassotätigkeit des Herrn Y.. …

    Am 29.07.2017 erreichte das Beschwerdemanagement (FVM-M21) eine weitere Beschwerde. Der Beschwerdeführer schreibt u.a.: „Fahrer kassiert Entgelt und will keinen Fahrschein geben. Auskunft: „you don’t need a ticket“ (mehrmals) Erst nach mehrmaliger Aufforderung haben wir (englischsprachiger Berlintourist – … - und ich) schließlich den Fahrschein erhalten. Unglaublicher Vorfall!...“ Als betreffender Fahrer wurde Herr Y. ermittelt.

    Aufgrund dieses Vorfalls wurde am 04.08.2017 eine Sonderüberwachung beim Betriebsleiterbüro beantragt.

    Herr Y. wurde am 11.09.2017 zwischen 13:57 Uhr und 14:15 Uhr auf dem Weg vom s+U Bhf Alexanderplatz/Memhardstr. Bis zur Charité – Campus Mitte mit dem Omnibus der Linie TXL überprüft.

    Folgendes wurde festgestellt:

    „An der Haltestelle S+U Alexanderplatz (13:58 Uhr) legten zwei männliche Fahrgäste, ukrainischer Herkunft, 6 Euro in Münzen auf den Kassentisch und baten um zwei Fahrscheine Regeltarif AB. Herr Y. betätigte mehrfach den Wechsler und signalisierte damit, dass er kein ausreichendes Wechselgeld habe. Das Fahrgeld schob Herr Y. in den Wechsler, ohne Fahrscheine auszudrucken, und winkte die beiden Herren durch. Dieser Vorgang wiederholte sich an der o.g. Haltestelle bei ebenfalls zwei männlichen Herren aus Bottrop & Recklinghausen, die einen 5 Euro Schein und Münzen auf den Kassentisch legten. Auch hier kassierte Herr Y. und druckte keine Fahrscheine aus.

    Um 14:02 Uhr betraten an der Haltestelle Spandauer Straße/Marienkirche mehrere Fahrgäste den Omnibus durch die Mitteltür. Einer der zugestiegenen Fahrgäste bat um den Verkauf von zwei Fahrscheinen Regeltarif AB. Ein weiterer Fahrgast, der mit einem 20 Euro Schein eine Tageskarte AB kaufen wollte, wurde wieder durch mehrfaches Betätigen des Wechslers signalisiert, dass kein ausreichendes Wechselgeld vorhanden wäre. Herr Y. kassierte für die Fahrscheine Regeltarif AB das Fahrgeld, druckte wiederum keine Fahrscheine aus und nahm langsam die Fahrt wieder auf. Der Fahrgast forderte die bereits bezahlten Fahrscheine ein, die Herr Y. an der Haltestelle Staatsoper (14:05 Uhr) dann auch ausdruckte. Die Tageskarte AB wurde ebenfalls ausgedruckt und dem Fahrgast das Wechselgeld aus dem Wechsler übergeben.
    Das Prüfpersonal vergewisserte sich bei den Fahrgästen, unter Vorlage seines Anordnungsausweises, von der Richtigkeit der verkauften Fahrscheine. Eine Unregelmäßigkeit konnte in diesem konkreten Fall nicht erkannt werden.

    Um 14:06 Uhr wies sich das Prüfpersonal bei Herrn Y. mittels seines Anordnungsausweises aus und untersagte Herrn Y. mit sofortiger Wirkung weitere Kassier- und Verkaufstätigkeiten“

    Herr Y. wurde zum Sachverhalt angehört. Er bestreitet das Vorgefallene und erklärte, dass die Fahrgäste die Fahrscheine erhalten hätten.

    Wir weisen die Behauptung des Herrn Y. als Schutzbehauptung zurück. Es besteht der dringende Verdacht, dass er Fahrgelder einnimmt, ohne die dazugehörigen Fahrscheine auszudrucken. Der Mitarbeiter des Betriebsleiterbüros hat die Vorgänge beobachtet und bestätigt. Die beiden ukrainischen Fahrgäste bekamen von Herrn Y. keine Fahrscheine, die beiden Herren aus Bottrop & Recklinghausen erst nach mehrmaliger Aufforderung. Die beiden letztgenannten und der Personalprüfer stehen uns im Übrigen als Zeugen zur Verfügung.

    Zudem lässt auch die Beschwerde vom 29.07.2017 ein gleiches Verhalten vermuten. Wir müssen also davon ausgehen, dass sich Herr Y. an Fahrgeldeinnahmen der BVG bereichert, zumindest besteht der dringende Verdacht.

    Im Rahmen seiner Tätigkeit als Omnibusfahrer und der damit verbundenen Inkassotätigkeit ist Herr Y. tagtäglich mit Geldbeträgen des Unternehmens betraut. Insofern hätte er sich seiner besonderen Vertrauensstellung in jedem Fall bewusst sein müssen. Sein Verhalten ist deshalb auch völlig unakzeptabel und kann unter keinen Umständen geduldet werden.

    Das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauensverhältnis ist so nachhaltig gestört, dass wir es als nicht zumutbar ansehen, es fortzuführen.

    Auch eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände und Belange des Herrn Y. musste zu dem Ergebnis führen, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für uns nicht mehr möglich ist.

    Wir bitten deshalb um Ihre Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Verdachtskündigung. Hilfsweise soll eine ordentliche Verdachtskündigung ausgesprochen werden.

    Am 26. September 2017 beschloss der Personalrat, den Kündigungsbegehren nicht zuzustimmen. Mit Schreiben vom 26. September 2018 verlangte er unter anderem, den Videobeweis aus dem Bus heranzuziehen.

    Dementsprechend fand am 29. September 2018 die Einigungsverhandlung nach § 80 PersVG Berlin unter Hinzuziehung des Gesamtpersonalrates statt. In dem dazu gefertigten Protokoll ist festgehalten:

    „Die Dienststelle wird umgehend eine Videoauswertung veranlassen.

    Sofern sich der Verdacht des Fehlverhaltens bestätigt, wird die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung durch P ersetzt.“

    Weiter ist diesem Protokoll zu entnehmen:
    P.S.
    Die Videoauswertung fand am 05.10.2017 statt. Wie dem beiliegenden Protokoll zu entnehmen ist, hat sich der Verdacht erhärtet. Damit gilt die Zustimmung als ersetzt.

    13. Okt. 2017 Rü mit PR, Hr. H.
    Das Gremium akzeptiert die Entscheidung

    Am Freitag, dem 13. Oktober 2017 teilte der Personalrat der Beklagten mit, dass auf eine Anrufung der Einigungsstelle nach § 81 PersVG Berlin verzichtet werde.

    Darauf ging dem Kläger am Montag, dem 16. Oktober 2017 gegen 10:20 Uhr durch Einwurf des Kündigungsschreibens in seinen Hausbriefkasten die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zu.

    Der Kläger bestreitet, zwei männlichen Fahrgästen keine Fahrscheine ausgehändigt zu haben. Er bestreitet auch den Vortrag der Beklagten bezüglich der Vorgänge an der Haltestelle Spandauer Straße/Memhardstraße. Es sei allen Fahrgästen mit Ticketwunsch bei Zahlung des Fahrpreises auch sofort ein Fahrschein ausgehändigt worden, was auf dem Videomitschnitt zu sehen sei. Soweit Fahrscheine nicht sofort ausgegeben worden seien, sei dies allein verkehrsbedingt der Fall gewesen. Der Vorwurf der Beklagten bestätige sich in dem Videomitschnitt, in den der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter am 9. Februar 2018 Einsicht genommen hatten, nicht. Der Einsatz eines Sonderermittlers verletze das Persönlichkeitsrecht des Klägers und führe zu einem gerichtlichen Beweisverwertungsverbot.

    Gelegentlich funktioniere das Fahrkartensystem wegen „Lesefehler“ (dann Neustart des Motors oder Behebung durch die Leitstelle) nicht oder aus Sicherheitsgründen könne während der Fahrt nicht sofort kassiert werden. An dem betreffenden Tag sei das aber nicht der Fall gewesen.

    Auch rechtfertige das Nichtaushändigen eines Fahrscheins allenfalls eine Abmahnung. Angesichts der technischen Ausbildung des Klägers hätte die Beklagte jedenfalls ein milderes Mittel mit einer Versetzung des Klägers auf einen Arbeitsplatz ohne den Umgang mit Geldern vorsehen müssen.

    Weiter bestreitet der Kläger die Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB und die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats, da diesem die wesentlichen Sozialdaten des Klägers nicht mitgeteilt worden seien.

    Im Rahmen des Rechtsstreits haben der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter am 7. Februar 2018 Einsicht in das Videomaterial genommen.

    Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Sonderprüfers als Zeugen und Einsichtnahme in den Videomitschnitt die Klage abgewiesen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stehe für das Gericht fest, dass der Kläger am 11. September 2017 von mehreren Fahrgästen Geld entgegengenommen habe, ohne Fahrausweise zu drucken und auszugeben bzw. erst auf beharrliche Nachfrage der Fahrgäste ausgegeben habe. Dieses habe der Zeuge glaubhaft bekundet. Dessen Aussage habe sich durch die Videoaufzeichnung bestätigt. Weiter bestätige die Auswertung der elektronisch gespeicherten Fahrausweisverkäufe, dass der Kläger im relevanten Zeitraum nicht wie von ihm behauptet, die Fahrscheine verkauft habe. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine Manipulation des Systems seien weder vorgetragen noch ersichtlich, so dass der der Kündigung zugrundeliegende dringende Tatverdacht vorliege und es der Beklagten wegen des zerstörten Vertrauensverhältnisses unzumutbar sei, den Kläger weiterzubeschäftigen. Da die Beklagte den Kläger im Beisein einer Vertrauensperson unter vorheriger Mitteilung der Vorwürfe angehört habe, seien auch die förmlichen Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung gegeben. Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses beziehe sich auch auf eine Beschäftigung zu geänderten Bedingungen. Die Kündigung sei nach Abschluss des rechtzeitig eingeleiteten personalvertretungsrechtlichen Verfahrens umgehend ausgesprochen worden, so dass sie trotz Überschreitens der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB rechtzeitig erfolgt sei. Anhaltspunkte, dass die Kündigung unter Verstoß gegen das AGG ausgesprochen worden sei, wie der Kläger es erwähnt habe, seien nicht ersichtlich.

    Gegen dieses den Klägervertretern am 7. März 2018 zugestellte Urteil haben diese am 6. April 2018 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist am 7. Juni 2018 begründet.

    Der Kläger habe am 11. September 2017 weder Fahrgeld von Kunden kassiert ohne Fahrscheine auszuhändigen, noch habe er diese nicht zeitnah im elektronischen Kassenmodul des Busses dokumentiert. Die Aussage des Zeugen sei nicht glaubwürdig gewesen. Gerade die Schilderung von verschiedenen Details etwa 5 Monate nach dem Vorfall würden das belegen. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass diese Erinnerung durch eine Einsicht in den Videomitschnitt beeinflusst worden sei. Der Zeuge sei präpariert worden. Bei dem Mitschnitt habe es sich offensichtlich nicht um einen ungekürzten Mitschnitt einer Kamera im Bus vom 11. September 2017 gehandelt, sondern um zusammengestückeltes lückenhaftes Material aus mehreren Kameras, welches für die Aufzeichnung zusammengeschnitten worden sei. Deshalb könne auch aus der Videoaufzeichnung nicht hergeleitet werden, dass der Kläger Geld vereinnahmt habe, ohne Wechselgeld herauszugeben oder Fahrausweise zu drucken. Es hätten die betroffenen Fahrgäste befragt werden müssen. Auch der Personalrat habe in seiner Stellungnahme auf Ungereimtheiten hingewiesen.

    Der Kläger führt weiter aus, dass die elektronisch gespeicherten Fahrausweisverkäufe noch nicht einmal die nach den Videoaufzeichnungen korrekt durchgeführten Zahlungsvorgänge komplett darstellen würden. Am 11. September 2017 habe der Drucker in dem vom Kläger gefahrenen Bus nicht richtig funktioniert und der Monitor „Lesefehler“ angezeigt, so dass Tickets entweder nicht gedruckt oder verzögert aus dem Automaten ausgeworfen worden seien. Das Wechselgeld werde von den Fahrgästen unten aus dem Fahrscheinautomaten selbst herausgenommen, soweit es sich um Münzen handele. Ob das erfolgt sei, sei der Zeugenaussage nicht zu entnehmen. Der Kläger gehe davon aus, dass die Kündigungsvorwürfe konstruiert und die Kündigung rassistisch motiviert sei. Der Kläger sei nach der Anhörung des Personalrats vom Betriebsleiter, der den Kündigungsvorwurf eingeleitet habe, rassistisch beleidigt worden.
     
    Entscheidungsgründe

    I.

    Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

    II.

    Die zulässige Berufung ist aber nicht begründet. Denn zur Überzeugung auch des Berufungsgerichts hat der Kläger von Fahrgästen Geld für Fahrscheine entgegengenommen, ohne diese auszuhändigen oder auch nur deren Druck auszulösen.

    Im Ergebnis und auch in der Begründung ist keine andere Beurteilung als in erster Instanz gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht folgt dem Arbeitsgericht Berlin hinsichtlich der Begründung und sieht insoweit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer nur wiederholenden Begründung ab. Das gilt auch für das ordnungsgemäß durchgeführte personalvertretungsrechtliche Verfahren und die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB. Die Angriffe der Berufung sind nicht geeignet, die Rechtslage anders zu beurteilen.

    1.
    Auf die Zeugenaussage des Personalprüfers kam es nicht mehr entscheidend an, da die Videoaufzeichnung eindeutig war (siehe dazu 2.). Dennoch hätte auch sie allein zur Begründung der Kündigung gereicht.

    Das Arbeitsgericht hat schon aufgrund der Zeugenaussage widerspruchsfrei festgestellt, dass der Vorwurf der Nichtausgabe von Fahrscheinen durch den Kläger  in mehreren Fällen innerhalb kurzer Zeit erfolgte. Insbesondere hat das Arbeitsgericht die Beweisaufnahme zutreffend gewürdigt und bei der Urteilsbegründung beachtet. Das Landesarbeitsgericht geht bei der Bewertung der Zeugenaussagen erster Instanz vom selben objektiven Erklärungswert aus wie die erste Instanz, eine Wiederholung der Zeugenvernehmung war daher nicht nötig (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 – I ZR 255/16).

    1.1
    Die Kammer hatte keinerlei Anhaltspunkte, dass die Aussage des Zeugen in der ersten Instanz nicht glaubhaft und der Zeuge nicht glaubwürdig gewesen wäre. Der Zeuge war kein Zufallszeuge eines Tatgeschehens, sondern hatte sich ausdrücklich zur Kontrolle des Klägers in den Bus begeben. Der Zeitraum der Beobachtung des Klägers umfasste auch nur ca. 10 Minuten. Insofern verwundert es nicht, dass der Zeuge sich zahlreiche Einzelheiten der Beobachtung gemerkt hat. Zusätzlich hatte der Personalprüfer seine Erkenntnisse schriftlich festgehalten, um dort noch einmal Einsicht zu nehmen.

    1.2
    Auch unterlag die Aussage des Personalprüfers keinem Verwertungsverbot. Bei der Observation des Klägers durch einen Personalprüfer im September 2017 im Auftrag der Beklagten handelte es sich zwar um eine Datenerhebung im Sinne von § 3 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 7, § 32 Abs. 2 BDSG in der damaligen Fassung (heute Art. 4 Nr. 1, 2 und 7 sowie 88 DSGVO). Durch die Überwachung wurden in einem für die Beklagte bestimmten Bericht Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Klägers im Sinne des § 3 Abs. 1 BDSG beschafft (§ 3 Abs. 3 BDSG). Auf eine automatisierte Verarbeitung der Angaben oder einen Dateibezug kommt es nach § 32 Abs. 2 BDSG bei der Datenerhebung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses nicht an (vgl. BAG vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 597/16).

    Der mit einer Datenerhebung verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers muss auch im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten (BAG, Urteil vom 17. November 2016 - 2 AZR 730/15). Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen (BAG vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 597/16). Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (BAG, Beschluss vom 15. April 2014 - 1 ABR 2/13 (B). Die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Danach muss im Falle einer der (verdeckten) Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahme zur Aufdeckung von Straftaten im Rahmen von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung bestehen. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, ist auch nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG unzulässig.

    Hier handelte es sich aber nicht um eine Ermittlung ins Blaue hinein, sondern in der Kundenbeschwerde vom 30. Juli 2017 war ein eindeutiges Fehlverhalten des Fahrers, der von der Beklagten später als der Kläger ermittelt wurde, genau beschrieben. Wie die Beschwerde belegt, geht der Ansehensverlust der Beklagten durch das Fehlverhalten des Klägers deutlich über das reine Arbeitsverhältnis der Parteien hinaus. Durch die persönliche Beobachtung durch einen Personalprüfer hat die Beklagte den mildesten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers gewehrt, um den Vorwurf aus der Kundenbeschwerde aufzuklären. Auch wurde die Kontrolle bereits nach ca. 10 Minuten dem Kläger mitgeteilt, so dass er auch noch eine zeitnahe Erinnerung über die Vorkommnisse bewahren konnte.


    2.
    Die Kammer hat Einsicht in die Videoaufzeichnung vom 11. September 2017 aus dem vom Kläger gelenkten Bus genommen, welche sowohl die Beklagte wie auch der Kläger und der bei der Beklagten gebildete Gesamtpersonalrat jeweils verlangt bzw. angeregt hatten. In der Berufungsverhandlung wurde die Aufzeichnung ab 13:56 Uhr bis zum Ende gegen 14:15 Uhr mittels Beamer an die Wand projiziert und gemeinsam mit den Parteien und ihren Vertretern angesehen. Darin zeigt sich der von der Beklagten geschilderte kündigungsrelevante Ablauf zur Begründung der Verdachtskündigung deutlich. Auch die erstinstanzlich mit der Anlage B 4 von der Beklagten vorgetragenen vier Fahrscheinverkäufe sind dort, wenn auch ca. 22 Sekunden zeitversetzt, gut sichtbar.

    Der erste von der Beklagten in der Berufungsbegründung auf Seite 4 geschilderte Fahrgast (13:58:15) hat nach der Videoaufzeichnung auf den „Kassentresen“ oberhalb des Münzfachs 2 Münzen abgelegt. Der Kläger hat ca. 4-5mal Handbewegungen zu den Münzschächten gemacht. Auch wenn die rechte Hand des Fahrgastes zeitweise nicht zu sehen ist und sich etwa in Höhe des Münzausgabefachs befunden haben dürfte, hebt er zum Ende der Teilsequenz die Hand, ohne dass dort Münzen enthalten wären. Jedenfalls hat der Fahrer den etwa 20 cm von den Münzschächten entfernten Fahrschein“automaten“ im Zusammenhang mit diesem Vorgang nicht bedient. Es wurde auch kein entsprechender Versuch unternommen. Es gibt keinerlei Handbewegung des Fahrers zu dem Fahrschein“automaten“.

    Beim zweiten Fahrgast (13:58:25) macht der Fahrer nach Erhalt des 5-Euro-Scheins zwei Handbewegungen zum Münzschacht und gibt dem Fahrgast sodann - entgegen der Darstellung der Beklagten –eine der beiden Münzen des vorhergehenden Fahrgastes, die sich noch auf dem „Kassentresen“ befanden. Auch hier gibt es aber keinerlei Handbewegung des Fahrers zu dem Fahrschein“automaten“.

    Beim dritten und vierten Fahrgast (13:58:45) hält der Kläger nach wie vor den 5-Euro-Schein des zweiten Fahrgastes in der Hand. Der vierte Fahrgast übergibt einen 10-Euro-Schein. Kurz danach legt der dritte Fahrgast 2 Münzen auf den „Kassentresen“, die er nach einem kurzen Gespräch wieder wegnimmt. Sodann legen der dritte und der vierte Fahrgast jeweils eine Münze auf den Kassentresen, woraufhin der vierte Fahrgast vom Fahrer den 5-Euro-Schein erhält. Auch hier gibt es aber keinerlei Handbewegung des Fahrers zu dem Fahrschein“automaten“.

    Dass der Kläger als Fahrer des Busses Gelder eingenommen hat, ohne dafür Fahrscheine zu erstellen, steht für die Berufungskammer nach Einsicht in die Videoaufzeichnung fest. Die Videoaufzeichnung belegt deutlich, dass der Kläger zumindest in diesen vier Fällen keinerlei Versuch unternommen hat, Fahrscheine zu erstellen. Denn eine Bedienung des Fahrschein“automaten“ wie bei den Fahrgästen 5 und 6 (13:59:45) gab es nicht.

    Es handelte sich auch jeweils um Fahrgäste, die den Bus durch die vordere Tür bestiegen hatten und deren Bezahlvorgang mit dem Weitergehen in den Bus abgeschlossen war. Dieses konnte mit einer Einsicht in die Videoaufzeichnung bis zum Ende deutlich festgestellt werden, denn zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger bereits den Bus verlassen (müssen).

    Anhaltspunkte für den vom Kläger behaupteten Zusammenschnitt der Aufnahmen sind nicht ersichtlich. Abgesehen davon, dass der Zeitstempel auf die tausendstel Sekunde permanent mitläuft, wird durch die Kamera im Eingangsbereich des Busses durch die vordere Tür permanent der Straßenrand aufgenommen. Und es handelt sich eindeutig um eine nahtlose Aufnahme des seitlichen Straßenbildes auf der Linie TXL.

    3.
    Auch wenn der Kläger entgegen seiner ausdrücklichen gegenteiligen Behauptung in erster Instanz in der Berufungsbegründung von einem zeitweise defekten Fahrschein“automaten“ sprach, zeigte die Videoaufzeichnung ganz eindeutig, dass bei jedem Versuch des Klägers, das Gerät zu betätigen, auch ein Fahrschein gedruckt wurde.

    4.
    Der Vorwurf des Klägers, dass die Kündigung gegenüber ihm rassistisch motiviert sei, entbehrt jeder Grundlage. Tatsachen dazu sind jedenfalls nicht vorgetragen. Selbst wenn der Betriebsleiter den Kläger nach der Personalratsanhörung am 4. Oktober 2017 mit „Du Afrikaner, Schwarzer, komm her …“ rassistisch beleidigt haben sollte, steht die Kündigung damit in keinerlei Zusammenhang. Die Kündigung wurde auf ein objektives strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Klägers gegründet und die Beklagte hatte nicht die Hautfarbe des Klägers, sondern die Kundenbeschwerde zum Anlass für die Mitfahrt genommen.
    Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen. Der Gebührenwert des Verfahrens entspricht dem erster Instanz.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen.

    Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.

    R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

    Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben. Der Kläger wird auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72a ArbGG hingewiesen.

    Vorschriften§ 626 BGB