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  • 20.03.2023 · IWW-Abrufnummer 234300

    Oberlandesgericht Dresden: Urteil vom 14.02.2023 – 4 U 2331/22

    1. Eine juristische Person kann sich gegenüber einer unwahren Tatsachenbehauptung auf die Gewährleistung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen unabhängig davon, ob hierdurch auch ihre wirtschaftliche Wertschätzung betroffen ist.

    2. Die unmittelbare Betroffenheit durch eine Äußerung liegt auch dann vor, wenn diese Äußerung im Wahlkampf gegen den politischen Gegner erfolgt und auf diesen zielt, zugleich aber eine Behauptung über den Betroffenen enthält.

    3. Dass zu Wahlkampfzwecken auch polemische Zuspitzungen erlaubt sind, kann im Rahmen der Abwägung nicht gegenüber Ansprüchen Dritten, die nicht an diesem Wahlkampf teilnehmen, eingewandt werden.

    4. Eine wertneutrale Falschdarstellung, die Unterlassungsansprüche ausschließt, liegt dann nicht mehr vor, wenn eine Beeinträchtigung in nennenswerter Weise zwar nicht feststeht, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden kann.


    Oberlandesgericht Dresden

    Urteil vom 14.02.2023


    Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat in dem Verfahren 4 U 2331/22 am 14. Februar 2023 für Recht erkannt:
    Tenor:

    I.
    Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 18.11.2022 abgeändert und die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es zu unterlassen, in Bezug auf den Verfügungskläger wörtlich oder sinngemäß folgende Äußerungen zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

    "'Sicherer Hafen': H. und J. haben den Beitritt zur Initiative ,Sicherer Hafen' unterstützt. Folge: Förderung von Schlepperorganisationen, wie ,Mission Lifeline' mit Steuergeldern. Mit diesen Geldern finanziert diese Organisation die Überfahrt von Nordafrikanern über das Mittelmeer in unsere Sozialsysteme.",

    wenn dies geschieht, wie im Juli 2022 in dem Flyer "D. retten - K. wählen" in nachfolgend abgebildeter Weise geschehen:

    xxx

    II.
    Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfügungsverfahrens.

    Gründe

    I.

    (von der Darstellung des Tatbestands wird gem. §§ 540, 313a Abs. 2 ZPO abgesehen).

    II.

    Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers (Klägers) hat vollumfänglich Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Dem Kläger steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch aus §§ 823, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog zu. Die in dem Flyer "D. retten - K. wählen" enthaltene Äußerung enthält eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, die der Kläger nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht hinnehmen muss.

    1. Dass es sich bei dem Kläger um einen eingetragenen Verein und damit um eine juristische Person des Privatrechts handelt, steht der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht entgegen. Es entspricht vielmehr gefestigter Rechtsprechung, dass juristische Personen des Privatrechts nicht nur Ehrenschutz genießen (BGH GRUR 1975, 208 - Deutschland-Stiftung; BGH GRUR 1976, 210 - Der Geist von Oberzell; BGH NJW 2005, 279, 282 [BGH 16.11.2004 - VI ZR 298/03] und NJW 2009, 1872 [BGH 03.02.2009 - VI ZR 36/07] Tz. 10 - Fraport-Manila-Skandal), sondern sich auch auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen können (BGH NJW 1994, 1281, 1282), wobei sie allerdings insoweit verfassungsrechtlich nur aus Art. 2 Abs. 1 und nicht auch aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz geschützt sind (BVerfGE 106, 28 = NJW 2002, 3619 [BVerfG 09.10.2002 - 1 BvR 1611/96] Rn. 42 in Juris; Senat, Urteil vom 1. Juni 2018 - 4 U 217/18 -, juris) und sich hierauf nur insoweit berufen können, als sie nach ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und in ihren Funktionen dieses Schutzes bedürfen, d.h. soweit ihr sozialer Geltungsanspruch in ihrem Aufgabenkreis, insbesondere als Arbeitgeber oder Wirtschaftsunternehmen betroffen ist (BGH NJW 1994, 1281, 1282 [BGH 08.02.1994 - VI ZR 286/93]; NJW 1980, 2807, 2808 [BGH 08.07.1980 - VI ZR 177/78] - Medizin-Syndikat I). In diesen Grenzen steht juristischen Personen sowohl ein Recht am eigenen Bild als auch am eigenen Wort als Ausprägungen des Persönlichkeitsrechts zu (BVerfGE 106, 28 Rn 38 ff., insbesondere Rn. 42 in Juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 8. Juli 2015 - 4 U 182/14 -, Rn. 118, juris; Senat, Urteil vom 9. 5. 2017 - 4 U 102/17 -, Rn 29, juris). Ob der Kläger sich wegen der behaupteten Auswirkungen der streitgegenständlichen Äußerung auf die Spendenbereitschaft seiner Förderer daneben noch auf einen Verstoß gegen § 824 BGB berufen könnte, der die wirtschaftliche Wertschätzung von Personen und Unternehmen vor unmittelbaren Beeinträchtigungen im Wirtschaftsverkehr schützt, die durch Verbreitung unwahrer Behauptungen über sie herbeigeführt werden (Senat, Beschluss vom 15. August 2022 - 4 U 1083/22 -, Rn. 4, juris), kann unter diesen Umständen dahinstehen.

    2. Die streitgegenständliche Äußerung stellt bei einer Auslegung am Maßstab des Durchschnittslesers keine Meinungsäußerung, sondern eine unwahre Tatsachenbehauptung dar. In diesem Rahmen ist der gesamte Flyer heranzuziehen, weil Äußerungen nicht für sich genommen, sondern im Gesamtzusammenhang auszulegen sind, in dem sie gefallen sind (vgl. nur BGH, Urteile vom 28. Juni 1994 - VI ZR 252/93 - und vom 16. November 2004 - VI ZR 298/03 beide juris). Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Ansicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis des unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut - der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann - und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Eine Tatsachenbehauptung zeichnet sich dabei dadurch aus, dass die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist, was bei Meinungsäußerungen ausscheidet, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet werden und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen (BGH VersR 1999, 1162; NJW-RR 1999, 1251 m.w.N.; BVerfG NJW 1992, 1439, 1440). Die Abgrenzung ist nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Adressaten vorzunehmen. Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden (BGH, Urteil vom 22. September 2009 - VI ZR 19/08 -, Rn. 11, juris m.w.N.; Senat, Beschluss vom 26. März 2021 - 4 U 2442/20 -, Rn. 22, juris).

    3. Bei Anwendung dieser Grundsätze stellt die Äußerung "Folge: Förderung von Schlepperorganisationen, wie ,Mission Lifeline' mit Steuergeldern." eine Tatsachenbehauptung dar. Sie findet sich in dem als Anlage Ast 1 vorgelegten und für die Oberbürgermeisterwahl 2022 in D. von der Verfügungsbeklagten (Beklagten) erstellten Flyer "D. retten - K. wählen" im Rahmen einer Zusammenstellung vermeintlicher "Notstände", die dem Leser unter der Rubrik "Wollen Sie das? - Das müssen Sie über H. und J. wissen" präsentiert wird. Der Beitritt zur Initiative "Sicherer Hafen" steht dort in einer Reihe mit den Punkten "Klima-Notstand verhängt" und "Nazi-Notstand verhängt", woraus für den Durchschnittsleser deutlich wird, dass es sich hierbei um abgeschlossenen Tatbestände handelt, die der Kandidat der Beklagten dem Oberbürgermeister und der Kandidatin der GRÜNEN vorhält. Hiervon abgesetzt findet sich auf derselben Seite eine weitere Aufzählung zukünftiger Handlungsfelder, die durch die Überschriften "H.- Slogan und Ziele" sowie "J. - Slogan und Ziele" abgesetzt und mit der Aufforderung an die Wähler verknüpft wird, D. vor der Verwirklichung dieser Ziele zu "retten". Der Durchschnittsleser, der beide Übersichten zur Kenntnis nimmt, wird hieraus folgern, dass auch die als "Folge" des Beitritts der Stadt D. zur Initiative "Sicherer Hafen" bezeichnete "Förderung von Schlepperorganisationen wie Mission Lifeline" bereits abgeschlossen ist. Schon dieser Kontext steht der von der Beklagten vertretenen Auslegung entgegen, es handele sich hierbei nur um eine als Schlussfolgerung anzusehende Befürchtung, welche Folgen sich aus diesem Beitritt in der Zukunft noch ergeben könnten. Gegen ein solches Verständnis spricht auch die Verwendung des Präsens im Folgesatz "Mit diesen Geldern finanziert diese Organisation [= der Kläger] die Überfahrt über das Mittelmeer in unsere Sozialsysteme", aus der der Leser vielmehr schlussfolgern wird, dass dieser Prozess bereits eingesetzt hat und gegenwärtig noch andauert und dass der Kläger hierzu durch eine bereits erfolgte "Förderung von Steuergeldern" in die Lage versetzt wurde, die wiederum auf dem Beitritt zu der Initiative "Sicherer Hafen" beruht. Ob sich aus dieser Initiative direkte Fördermaßnahmen ergeben und ob der Kläger hiervon profitiert hat, ließe sich aber im Beweiswege klären und weist damit einen hinreichenden tatsächlichen Gehalt auf. Auch wenn in dem Aufzählungspunkt hierzu keine näheren Details mitgeteilt werden, wie diese "Förderung mit Steuergeldern" im Einzelnen ausgestaltet sein soll, geht dessen Aussagehalt damit über einen bloßen Slogan oder eine schlagwortartige Äußerung, die wegen ihrer Substanzarmut nicht als eigenständige Behauptung eines bestimmten Sachverhalts angesehen werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - I ZR 2/21 -, Rn. 51, juris), deutlich hinaus.

    4. Dass sich die streitgegenständliche Behauptung in erster Linie mit den Oberbürgermeisterkandidaten befasst und der Kläger nur als Beispiel für eine aus Sicht der Beklagten verfehlte Politik dieser Personen herangezogen wird, steht seiner Aktivlegitimation für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht entgegen. Allerdings kann gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. (BGH, Urteile vom 6. Dezember 2005 - VI ZR 265/04- juris Rn. 21 mwN; vom 15. April 1980 - VI ZR 76/79 - juris Rn. 11). Durch eine Äußerung unmittelbar in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen kann aber nicht nur sein, wer im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht oder auf wen sie zielt. Erscheint die Persönlichkeitssphäre des Dritten selbst als zum Thema eines Berichts oder einer Äußerung zugehörig, so ist sie auch dann berührt, wenn die Veröffentlichung auf eine andere Person zielt und diese Person im Mittelpunkt der Berichterstattung steht (BGH, Urteil vom 6.12.2022 - VI ZR 237/21 - zur Veröffentlichung vorgesehen). So liegt der Fall hier.

    5. Diese Behauptung ist unwahr. Unstreitig ist, dass sich der als Anlage AG1 vorgelegten Beschlussausfertigung Stadtrat (SR/034/2022) vom 3.3.2022, die den Beitritt der Landeshauptstadt D. zur Initiative "sicherer Hafen" enthält, keinerlei finanzielle Zusagen an Trägervereine wie den Kläger entnehmen lassen, die als "Förderung mit Steuergeldern" verstanden werden könnten. Ziff. 7 dieser Beschlussausfertigung bezieht sich entgegen der im Schriftsatz vom 25.1.2023 vertretenen Auffassung nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut ausschließlich auf "Hilfsangebote für die Ukraine", nicht jedoch auf Zuschüsse für Seenotrettungsorganisationen wie den Kläger. Unabhängig hiervon hat der Kläger aber auch durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, eine wie auch immer geartete Förderung aus dieser Initiative nicht erhalten zu haben, die Beklagte ist dem auf ausdrückliche Nachfrage im Termin vom 24.1.2023 nicht entgegengetreten. Auch im Schriftsatz vom 25.1.2023 hat sie eingeräumt, dass sich aus dem Beschluss des Stadtrats keine "unmittelbare Zuwendung" an den Kläger ergibt; allein dies ist aber Gegenstand der streitgegenständlichen Behauptung, von deren Unwahrheit der Senat daher ausgeht. Mit ihrer Auffassung, diese Behauptung müsse bereits deswegen als wahr angesehen werden, weil der Kläger als eingetragener Verein von der "Inanspruchnahme des Gemeinnützigkeitsrechts" profitiere, weil an ihn geleistete Spenden steuerlich abzugsfähig seien, dringt die Beklagte schon deshalb nicht durch, weil sich die steuerliche Abzugsfähigkeit von Spenden aus § 10b EStG und nicht aus dem Beitritt zur Initiative "Sicherer Hafen" ergibt und nicht einmal ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Klägers und dem Beitritt der Landeshauptstadt zu dieser Initiative besteht. Angesichts dessen wird kein verständiger Durchschnittsleser die Behauptung "Folge: Förderung mit Steuermitteln" auf eine solche Abzugsfähigkeit von Spenden beziehen, von der der Kläger im Übrigen auch nur mittelbar profitiert.

    6. Die im Anschluss hieran gebotene Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen geht zu Lasten der Beklagten aus. Enthält eine Äußerung einen erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern, tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurück, weil an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse besteht (vgl. statt aller Senat, Beschluss vom 26. März 2021 - 4 U 2442/20 -, Rn. 24, juris). Daran ändert auch nichts, dass die Behauptung sich vorliegend in einem für Wahlkampfzwecke verwendeten Flyer findet, mit dem in erster Linie in den politischen Meinungskampf eingegriffen werden sollte. Zwar sind im politischen Meinungskampf auch polemische Zuspitzungen und Vergröberungen und die Kritik am "anderen Lager" dabei um der Gewährleistung willen, die Art. 5 Abs. 1 GG für die wirksame Darstellung der eigenen Meinung auch und gerade im politischen Meinungskampf zuerkennt, grundsätzlich auch auf die Gefahr hin hinzunehmen, dass Zuhörer den Stellenwert solcher Polemik falsch einschätzen (BGH, NJW 1984, 1102, 1103 [BGH 15.11.1983 - VI ZR 251/82]; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 05. Dezember 2016 - 1 U 5/16 -, Rn. 79, juris). Dies gilt allerdings nicht für am politischen Meinungskampf unbeteiligte Dritte, zu denen vorliegend auch der Kläger zählt, der am Oberbürgermeisterwahlkampf weder teilgenommen noch in irgendeiner Weise in diesen eingegriffen hat. Überdies greift die weite Zulässigkeit von Äußerung im politischen Meinungskampf dort nicht, wo der Sachverhalt bei voller Berücksichtigung politischer Redeweisen im Kern der Sachaussage falsch dargestellt ist (Senat, Urteil vom 9. Mai 2017 - 4 U 102/17 -, Rn. 33, juris). Dies ist hier aber - wie aufgezeigt - der Fall.

    7. Allerdings ist das Persönlichkeitsrecht nur bei Darstellungen berührt, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind; es gebietet hingegen nicht, dem Betroffenen einen Abwehranspruch zuzubilligen, wenn es allein um Tatsachenbehauptungen geht, die sich nicht in nennenswerter Weise auf das Persönlichkeitsbild des Betroffenen auswirken können. Derartige "wertneutrale Falschdarstellungen" begründen keine Unterlassungsansprüche, was im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23.10.2007 - 1 BvR 150/06 -, Rn. 20, juris; Senat, Urteil vom 10. August 2021 - 4 U 1156/21 -, Rn. 11, juris; Beschluss vom 14.10.2019 - 4 U 2001/19 -, Rn. 10, juris; Beschluss vom 11.11.2018 - 4 U 1214/18 -, Rn. 7, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2017 - 4 U 166/16 -, Rn. 166, juris). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Zwar hat der Kläger den behaupteten Zusammenhang zwischen dem ebenfalls behaupteten Rückgang des Spendenaufkommens und der streitgegenständlichen Behauptung nicht mit den im Verfügungsverfahren zulässigen Beweismitteln glaubhaft gemacht. Ein solcher Zusammenhang ist aber schon angesichts der umfassenden Verbreitung des streitgegenständlichen Flyers im OB-Wahlkampf 2022 auch nicht von vornherein ausgeschlossen, auch wenn der Spenderkreis des Klägers und die Anhängerschaft der Beklagten nur eine geringe Schnittmenge aufweisen wird. Wie er sich darüber hinaus in einem Verfügungsverfahren mit einer für § 294 ZPO notwendigen Sicherheit glaubhaft machen ließe, erscheint fraglich. Es tritt hinzu, dass die behauptete Finanzierung des Klägers "mit Steuergeldern" auch einen Rückschluss auf dessen Abhängigkeit von einer solchen Förderung zuließe, was wiederum geeignet ist, seine sachliche Unabhängigkeit von staatlichen Stellen in Zweifel zu ziehen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass hierdurch auch die Glaubwürdigkeit des Klägers in seinem spezifischen Unterstützerkreis in Zweifel gezogen werden könnte. Bei nochmaliger Gesamtabwägung kann angesichts dessen nicht von einer bloß wertneutralen Falschbehauptung ausgegangen werden.

    8. Anders als die Beklagte meint, entfällt auch die nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche Wiederholungsgefahr nicht allein deswegen, weil die Behauptung im Rahmen eines mittlerweile abgeschlossenen Wahlkampfes aufgestellt wurde. Die Verletzung eines Unterlassungsgebots begründet insofern die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für identische Verletzungsformen, sondern auch für andere Pflichtverletzungen, soweit die Verletzungshandlungen im Kern gleichartig sind (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - III ZR 192/20 -, Rn. 115 - 116, juris). An die Entkräftung dieser Vermutung sind strenge Anforderungen zu stellen, regelmäßig ist sie nur bei Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung anzunehmen. Darüber hinaus ist sie ausnahmsweise dann als widerlegt anzusehen, wenn der Eingriff durch eine einmalige Sondersituation veranlasst war (BGH, Urteil vom 27. April 2021 - VI ZR 166/19 -, Rn. 23, juris; vgl. Senat Beschluss vom 04.10.2021 - 4 W 625/21 - noch nicht veröffentlicht; Senat Beschluss vom 5. Oktober 2021 - 4 U 1407/21 -, Rn. 11, juris). Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. Der streitgegenständliche Flyer fasst vielmehr die Kernanliegen der Beklagten zusammen, zu denen auch die Einschränkung der Unterstützung von Vereinen wie dem Kläger gehört. Es kann schon aufgrund dessen nicht ausgeschlossen werden, dass gleiche oder im Kern gleichartige Äußerungen auch in Zukunft von der Beklagten aufgestellt werden, zumal diese die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum heutigen Tage verweigert.

    9. Es liegt daneben auch ein Verfügungsgrund vor. In Presse- und Äußerungssachen ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Verfügungsgrund für eine auf Unterlassung gerichtet einstweilige Verfügung regelmäßig zu bejahen, wenn keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten, gegeben ist (zuletzt Senat, Urteil vom 21. Juli 2020 - 4 W 242/20 -, Rn. 5, juris; Beschluss vom 25. Januar 2018 - 4 U 1675/17 -, juris). Dies ist eine Frage des Einzelfalles, für die sich gleichwohl in der Rechtsprechung Regelfristen herausgebildet haben, bei deren Überschreitung von einer Selbstwiderlegung auszugehen ist (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Urteil vom 14.1.2015 - 6 U 156/14 - juris; Wenzel-Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. Kap 12 Rn 145 weitergehend OLG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2014 - 7 W 141/14 - juris OLG Stuttgart, Urteil vom 08. Februar 2017 - 4 U 166/16 -, Rn. 35 - 36, juris). Der Senat geht insofern von einer Regelfrist von einem Monat gerechnet ab Kenntnis von der Äußerung aus (Senat, Urteil vom 27. November 2018 - 4 U 1282/18 -, Rn. 11, juris). Diese Frist betrug hier gerechnet vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der beanstandeten Äußerung "im Juli 2022" bis zum Eingang der Antragsbegründung beim Landgericht Dresden am 28.07.2022 maximal 4 Wochen. Überdies hat der Kläger den Beklagten am 20.07.2022 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Von einer Selbstwiderlegung ist aber solange nicht auszugehen, wie sich der Betroffene um eine außergerichtliche Erledigung der Streitigkeit bemüht (OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. April 2013 - 16 W 21/13 -, juris).

    III.

    Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 91 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 3 ZPO, 48 Abs. 2 GKG.

    RechtsgebieteBGB, GGVorschriftenBGB § 823, BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2, GG Art. 2 Abs. 1, GG Art. 2 Abs. 5