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  • 08.01.2010 · IWW-Abrufnummer 227664

    Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 16.12.2004 – VI 263/02

    Bei einem Video-Editor, der ausschließlich im Bereich der Herstellung von Werbefilmen tätig ist, ist eine künstlerische Tätigkeit nur im Ausnahmefall gegeben.


    Tatbestand

    Streitig ist, ob der Kläger als Cutter bzw. Video-Editor in den Streitjahren eine freiberufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausgeübt hat.

    Der 1965 geborene Kläger war nach dem Abitur 1985 zunächst für ein Jahr als Produktionsassistent einer Filmproduktionsfirma tätig. Von Dezember 1986 bis November 1988 arbeitete er als Trainee bei ... einem Radiosender. Zwischen 1989 und 1993 war er wiederum als Produktionsassistent und als Editor/Filmeditor-Assistent bei Filmproduktionsfirmen tätig. Ferner war er 1993 ca. ein halbes Jahr als „Studiotechnical Manager” für ... einen Fernsehsender tätig. Seit 1994 ist er selbständig im Bereich „Film Editing & Creative Conceptions” tätig.

    In den Streitjahren erklärt der Kläger Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit als Video Editor und ab 1999 als konzeptioneller Berater. Mit Einkommensteuerbescheiden für 1997 vom 05.08.1998, für 1998 vom 27.10.1999 und für 1999 vom 15.12.2000 setzte der Beklagte die Steuer erklärungsgemäß, aber unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Nach einer Betriebsprüfung sah der Beklagte die Tätigkeit des Klägers nicht mehr als freiberuflich an und erließ unter dem 11.01.2002 geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen - der Höhe nach geänderte - Einkünfte nunmehr aus Gewerbebetrieb der Besteuerung zugrunde gelegt wurden. Ferner ergingen am selben Tag Gewerbesteuermessbescheide für 1993 - 1999. Der Einkommensteuer- und der Gewerbesteuermessbescheid für 2000 datieren vom 21.08.2002. Hier gegen richteten sich die Einsprüche vom 11.02.2002 (betreffend 1997 bis 1999) und vom 26.08.2002 (betreffend 2000).

    Während des Rechtsbehelfsverfahrens reichte der Kläger Darstellungen seiner Tätigkeit sowie ein Gutachten von Prof. A ein. Danach wird der Kläger „dem zeitgemäßen Bild des Film- und Video-Editors als künstlerischem Haupturheber bei der Herstellung von Filmen in großem Maße gerecht und ist in der Werbebranche wegen seines überdurchschnittlich hohen kreativen Inputs und Standards bekannt” (Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten vom 27.04.2002 sowie auf die Schriftsätze des Bevollmächtigten vom 22.05.2002 nebst Anlagen Bezug genommen). Mit Einspruchsentscheidung vom 20.11.2002 wies der Beklagte die Einsprüche zurück, weil der Kläger nicht eigenschöpferisch tätig werde. Die Gestaltung des Werkes obliege im Ergebnis allein dem Regisseur. Dem Kläger verbleibe kein Raum für eine eigenschöpferische Leistung.

    Mit der Klage vom 20.12.2002 wendet sich der Kläger gegen die Beurteilung seiner Tätigkeit als gewerbliche. Er, der Kläger, werde schon frühzeitig in die Konzeption der Werbespots eingeschaltet. Er gestalte das vielfältige Material nicht nur auf der Basis des Schnittes, sondern auch im audiovisuellen Bereich von Licht- und Toneffekten. Ferner sei Indiz für seine künstlerische Tätigkeit auch der Umstand, dass er Mitglied der Künstlersozialkasse sei. Seine Kunden schätzten insbesondere seine kreativen Fähigkeiten (diesbezüglich wird ergänzend wegen der Einzelheiten auf die gem. Schriftsatz vom 14.02.2003 eingereichten Referenzen Bezug genommen).

    Der Kläger beantragt, die Gewerbesteuermessbescheide für 1997 bis 1999, jeweils vom 11.01.2002, sowie für 2000 vom 21.08.2002 und die Einspruchsentscheidung vom 20.11.2002 aufzuheben.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen

    und nimmt auf seine Einspruchsentscheidung Bezug.

    Das Gericht hat gem. Beschluss vom 16.01.2004 Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage, ob die Tätigkeit des Klägers als künstlerisch im Sinne von § 18 Abs. 1 EStG zu beurteilen ist. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift über den Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin vom 26.05.2004 Bezug genommen. Der Kläger hat den vom Sachverständigen zugrunde gelegten Kunstbegriff als zu eng kritisiert und schriftsätzlich weiteren Beweis für seine künstlerische Tätigkeit angetreten unter Berufung auf das Zeugnis von Prof. A sowie das sachverständige Zeugnis von Prof. B von der Hochschule für Fernsehen und Film in München.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift über die Senatssitzung vom 16.12.2004 Bezug genommen.

    Die den Kläger betreffenden Einkommen-, Gewerbe-, und Umsatzsteuerakten nebst Rechtsbehelfs- und Bp-Akten zur Steuer-Nr.: ... haben vorgelegen.

    Gründe

    Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

    Der Beklagte hat die Einkünfte des Klägers zu Recht als solche aus Gewerbebetrieb angesehen und deshalb der Gewerbesteuer unterworfen.

    1.) Gewerbebetrieb ist nach § 15 Abs. 2 S. 1 EStG jede selbstständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbstständige Arbeit anzusehen ist. Demgegenüber gehört zu den freiberuflichen Tätigkeiten i.S.v. § 18 Abs. 1 S. 2 EStG auch die selbstständig ausgeübte künstlerische Tätigkeit. Das Wesen künstlerischer Betätigung liegt nach allgemeiner Ansicht und nach der Rechtsprechung des BFH und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 15.10.1998, IV R 1/97, BFH NV 1999, 465; vom 11.07.1991, IV R 102/90, BStBl II 1992, 413; BVerfG v. 24.02.1971, 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173; vom 17.07.1984, 1 BvR 16/82, BVerfGE 67, 213) in der freien schöpferischen Gestaltung, in der der Steuerpflichtige seine individuelle Anschauungsweise und Darstellungskraft zum Ausdruck bringt und die über eine hinreichende Beherrschung der Technik hinaus eine gewisse Gestaltungshöhe erreicht. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, ist von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall abhängig, die das Gericht nach seiner freien Überzeugung zu beurteilen hat. Dabei kommt der allgemeinen Verkehrsauffassung besonderes Gewicht zu (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil v. 15.10.1998, IV R 1/97 a.a.O. mit weiteren Nachweisen).

    2.) Unter Beachtung dieser Grundsätze und nach dem Gesamtverlauf des Verfahrens hat das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger in den Streitjahren eine künstlerische Tätigkeit ausgeübt hat.

    Der Senat stützt sich dabei entscheidend auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. C. Dieser hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass in dem Bereich der Herstellung von Werbefilmen, in dem der Kläger in den Streitjahren ausschließlich tätig war, einerseits generell eine konventionelle Formensprache vorherrscht, weil die Botschaft der Werbung besonders verständlich sein und vom Betrachter schnell erfasst werden muss, dass sich aber andererseits eine künstlerische Leistung vornehmlich in einer eigenen Formensprache widerspiegelt. Eine kreative bzw. künstlerische Leistung liegt daher dann vor, wenn eine eigene Formensprache entwickelt und versucht wird, Deutungsräume zu erweitern. Wegen des Erfordernisses der Eingängigkeit von Werbung hat sich daher nach den Darlegungen des Sachverständigen für die Werbung letztlich eine eigene Formensprache entwickelt, die besonders verständlich sein muss. Auf der Grundlage dieser allgemeinen Beurteilung künstlerischer Formensprache insbesondere auch im Bereich der Werbung ist der Sachverständige sodann nach Auswertung der ihm unterbreiteten und vom Kläger als typische Arbeiten aus den Streitjahren zusammengestellten Arbeitsproben zu dem Ergebnis gelangt, dass die handwerklich sehr guten Arbeiten die gängige Formensprache der Werbung verwenden. Da es für eine künstlerische Tätigkeit aber auf die Entwicklung einer eigenen Formensprache und des Einfließens eigener Erfindungen und Ideen in das Arbeitsergebnis ankommt, mangelt es an einer eigenen künstlerischen Gestaltung. Der Sachverständige hat in den Arbeitsproben des Klägers ausschließlich gängige Formenmuster und eine gängige Formensprache wieder gefunden.

    Der Sachverständige hat für den Senat auch überzeugend dargelegt, dass im Bereich der Werbung wegen des Erfordernisses der Eingängigkeit der Botschaften letztlich kaum Raum für eine künstlerische Gestaltung im Sinne einer eigenen Formensprache bleibt und dass dies sogar für renommierte Regisseure zu gelten hat. Gerade im Bereich des Schnitts hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass nur ausnahmsweise Raum für eine neue Formensprache besteht, bspw. bei der „Erfindung” des sog. Jumpcuts, einer bis dahin ungewöhnlichen und geradezu vermiedenen Schnitttechnik. Der Sachverständige hat zwar eingeräumt, dass nicht täglich eine neue Formensprache erfunden werden könne, dass es aber durchaus möglich sei, eine vorhandene Formensprache auf eigene Art weiter zu entwickeln oder neu einzusetzen. Derartige Möglichkeiten hat er in den begutachteten Arbeiten nicht gefunden und keine eigene Handschrift des Klägers zu erkennen vermocht.

    Dahin dahinstehen kann, ob einem Cutter/Video-Editor theoretisch überhaupt ein ausreichender eigener künstlerischer Gestaltungsraum verbleibt oder ob er letztlich als Teil eines Teams unter der Gesamt- und Endverantwortung des Regisseurs derart in Vorgaben eingebunden ist, dass für eine eigene Gestaltung kein Raum bleibt. Denn der Sachverständige hat unter Zugrundelegung der abstrakten Möglichkeit, dass der Cutter/Video-Editor generell einen Spielraum für den Ausdruck eigener Gestaltungen hat, eine künstlerische Tätigkeit beim Kläger nicht finden können.

    Soweit der Sachverständige es für möglich gehalten hat, dass eine künstlerische Tätigkeit eher im Bereich der konzeptionellen Beratung denkbar sein könnte, hat der Kläger aber klargestellt, dass seine konzeptionelle Beratung immer im Zusammenhang mit der Cuttertätigkeit steht. Dementsprechend hat er auch, trotz des Hinweises des Sachverständigen, dass sich eine derartige Beratungstätigkeit auch in den Honorarrechnungen niederschlagen müsste, keine derartigen Rechnungen vorgelegt.

    Der Senat sieht keinen Anlass, diesen Wertungen des Sachverständigen nicht zu folgen. Der Sachverständige verfügt als Professor an der Hochschule für bildende Künste über die erforderliche Kompetenz, eine künstlerische Betätigung - und zwar auch auf dem hier streitigen Gebiet des Cuts bzw. des Video-Editings - zu beurteilen. An der Hochschule ist er ständig mit der Beurteilung künstlerischer Tätigkeiten befasst, zudem ist er auch ein erfahrener Gerichtssachverständiger. Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, der Sachverständige sei nicht in der Lage, das gestellte Beweisthema angemessen zu beurteilen, weil er einen sehr tradierten, zu restriktiven Kunstbegriff vertrete. Insoweit will der Kläger den Sachverständigen offenbar bewusst falsch verstehen, denn der Sachverständige hat nicht behauptet, dass eine künstlerisch gestaltete Werbung überhaupt nicht möglich sei, sondern nur, dass sie wegen der besonderen Anforderungen und Zweckgebundenheit von Werbung eher die Ausnahme ist.

    Die maßgeblichen, von der Rechtsprechung entwickelten Begriffe der eigenschöpferischen Leistung, der individuellen Gestaltungskraft und der künstlerischen Gestaltungshöhe sind nur im Wege einer - auf der Grundlage sachverständiger Fachkunde - wertenden Betrachtung auszufüllen. Diese wertende Betrachtung hat der Sachverständige für den Senat mit in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Erwägungen vorgenommen. Demgegenüber kann nicht durch die Einholung mehrerer Gutachten unterschiedlicher Sachverständiger aus unterschiedlichen Bereichen gewissermaßen eine Mehrheitsentscheidung herbeigeführt werden. Insoweit sieht das Gericht keine Veranlassung, ein weiteres Gutachten (§ 82 FGO i.V.m. § 412 ZPO) durch die vom Kläger benannten Sachverständigen einzuholen oder diese Sachverständigen, die die Arbeiten des Klägers teilweise offenbar aus vorheriger Zusammenarbeit bereits kennen, als (sachverständige) Zeugen zu hören.

    Soweit der Kläger bereits eine gutachterliche Stellungnahme von Prof. A zur Akte gereicht hat, vermag diese das Gericht nicht von einer künstlerischen Tätigkeit des Klägers zu überzeugen. Diese Stellungnahme enthält in erster Linie eine Beschreibung der Tätigkeit eines Film- und Videoeditors, die in die Bemerkung mündet, dass der Filmeditor einer der künstlerischen Haupturheber bei der Herstellung von Filmen sei. Diese Äußerung ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, denn der Kläger hat selbst im Erörterungstermin erläutert, dass das letzte Wort selbstverständlich beim Regisseur liegt und er dessen Anweisungen umsetzt. Soweit Prof. A zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger der von ihm, Prof. A, aufgestellten Definition des Film- und Videoeditors in großem Maße gerecht werde, lässt sich hieraus nicht der Schluss ziehen, dass die Arbeiten des Klägers die erforderliche künstlerische Gestaltungshöhe erreichen.

    Auch die vom Kläger eingereichte Diplomarbeit von Martin Meyerhofer, „Werbung als Kunst” gibt für das Gericht keinen Anlass, eine weitere sachverständige Begutachtung durchzuführen. Denn diese Arbeit befasst sich mit der mehr abstrakten Frage, ob Werbung Kunst sein kann und der These, dass unterschiedliche Werbeschaffende, unterschiedliche Kunstbegriffe vertreten. Bei der Beurteilung der Tätigkeit des Klägers geht es aber nicht um „Kunst” oder „Nichtkunst”, sondern um die Beurteilung einer Tätigkeit bzw. deren Arbeitsprodukten unter der Fragestellung, ob die Arbeiten eine gewisse künstlerische Gestaltungskraft aufweisen. Im Übrigen kommt auch diese Arbeit zu dem Ergebnis, dass die von ihr „gewonnenen Erkenntnisse eher negativ für die Werbekunst zu deuten sind” (Seite 35).

    Schließlich kommt auch dem Umstand, dass der Kläger Mitglied der Künstlersozialkasse ist, keine entscheidende Bedeutung bei der in diesem Verfahren zu beurteilenden Frage der künstlerischen Tätigkeit zu. Denn das Gericht hat aus eigener Sachkompetenz zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine freiberufliche Tätigkeit i.S.v. § 18 Abs. 1 EStG vorliegen.

    3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

    VorschriftenEStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2