Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Mieterinsolvenz

    Enthaftungs- (§ 109 InsO) und Freigabeerklärung (§ 35 InsO) unterliegen gleichen Grundsätzen

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    • 1. Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders hinsichtlich der Wohnung des Schuldners erlangt der Mieter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Mietvertragsverhältnis zurück.
    • 2. Dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder fehlt die Prozessführungsbefugnis, gegen den Vermieter Ansprüche auf Auszahlung von Guthaben aus Nebenkostenabrechnungen an die Masse für einen Zeitraum nach Wirksamwerden der Enthaftungserklärung geltend zu machen.
     

    Sachverhalt

    Die Klägerin wurde mit Eröffnung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners am 11.8.09 zur Treuhänderin bestellt. Der Schuldner bewohnte eine von der Beklagten angemietete Wohnung. Mit Schreiben vom 26.8.09 an die Beklagte gab die Klägerin die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO ab. Sie begehrt Auszahlung eines Betriebskostenguthabens für den Abrechnungszeitraum 2010 von 754,11 EUR, welches ihr die Beklagte mit Schreiben vom 12.9.11 mitgeteilt, aber an den Schuldner ausgekehrt hat. Die Klage hat in den Instanzen Erfolg. Die Revision führt zur Klageabweisung.

     

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis

    Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über, im vereinfachten Insolvenzverfahren gemäß § 313 Abs. 1, § 80 Abs. 1 InsO auf den Treuhänder. Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort.

     

    MERKE | § 108 Abs. 1 InsO verdrängt insoweit § 103 Abs. 1 InsO unter der Prämisse, dass die Mietsache im Zeitpunkt der Eröffnung des Vermieterinsolvenzverfahrens bereits an den Mieter übergeben war (BGHZ 173, 116).

     

    Ansprüche aus einem nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO fortbestehenden Mietverhältnis sind gem. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO Masseverbindlichkeiten, wenn ihre Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Dies gilt auch im vereinfachten Insolvenzverfahren hinsichtlich des Wohnraummietverhältnisses des Schuldners. Grundsätzlich steht dem Verwalter das Sonderkündigungsrecht gemäß § 109 Abs. 1 S. 1 InsO zu, nicht aber, wenn es sich um die Wohnung des Schuldners handelt. Insoweit bleibt ihm nur die Möglichkeit der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO. Ohne diese wäre die für die Zeit nach Verfahrenseröffnung anfallende Miete wegen § 108 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO als Masseverbindlichkeit zu befriedigen. Gibt der Verwalter die Enthaftungserklärung ab, verbleibt es bis zum Ablauf der Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO bei dem Fortbestehen des Mietverhältnisses mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse (BGH, NZM 12, 638). Für die Zeit danach haftet die Masse bei fortbestehendem Mietvertrag nicht mehr für die danach fällig werdenden Ansprüche des Vermieters.

     

    Nachdem bereits der Mietsenat des BGH (MK 14, 137, Abruf-Nr. 141435) entschieden hat, dass der Mieter mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung gemäß § 109 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über seine Wohnung in vollem Umfang zurückerhält, hat sich nunmehr auch der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat dieser Auffassung angeschlossen.

     

    Der Senat zieht eine Parallele zu der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO, für deren Schaffung sich der Gesetzgeber an § 109 Abs. 1 S. 2 InsO orientiert hat (BT-Drucksache 16/3227 S. 17). Danach muss der Insolvenzverwalter hinsichtlich einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners in jedem Fall erklären, ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Freigabe erstreckt sich auf das Vermögen des Schuldners, das seiner gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse (BGHZ 192, 322). Zwar betrifft der Gesetzeswortlaut lediglich Ansprüche gegen die Masse. Ansprüche aus freigegebenen Vertragsverhältnissen können jedoch bei § 35 Abs. 2 S. 1 InsO nur vom Schuldner geltend gemacht werden. Mit der Freigabeerklärung ist die allgemeine Überleitung des Vertragsverhältnisses von der Masse auf den Schuldner verbunden. Nur dies ermöglicht - so der BGH - eine klare Abgrenzung der die Masse und der den Schuldner treffenden, aus der selbstständigen Tätigkeit herrührenden Verbindlichkeiten. Für die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Dass § 109 Abs. 1 S. 2 InsO bei der Schaffung des § 35 Abs. 2 InsO Pate stand, verdeutlicht, dass auch die freigabeähnliche Erklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO das Vertragsverhältnis als Ganzes betrifft.

     

    Der durch die Enthaftungserklärung hinsichtlich des Mietverhältnisses bewirkte Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner schmälert die Haftungsmasse nicht. Forderungen des Vermieters muss der Schuldner aus seinem insolvenzfreien Vermögen erfüllen. Hierauf könnten die Gläubiger auch außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht zugreifen (BGH ZIP 08, 1736).

     

    Beachten Sie | Die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO ist anders als die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 S. 1 InsO nicht gegenüber dem Schuldner abzugeben, sondern gegenüber dem Vermieter. Daneben ist der Schuldner zu informieren (MüKo/Eckert, InsO, § 109 Rn. 50).

     

    Durch die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO erhält der Mieter entsprechend der Zielvorstellung des Gesetzgebers die Möglichkeit, durch die Übernahme der Mietzahlung und der Nebenkostenvorauszahlung aus seinem freien Vermögen die Wohnung zu behalten (BGH ZIP 08, 1736).

     

    Der Rückfall der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Schuldner lässt zugleich die Prozessführungsbefugnis des Verwalters entfallen. Klagt dieser - wie hier - nach Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO gegen den Vermieter auf Auszahlung eines Betriebskostenguthabens, ist seine Klage unzulässig.

     

    Wegen der Parallelität der Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO mit der Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 S. 1 InsO liegt es aus Sicht des IX. Senats nahe, auf das von der Enthaftungserklärung betroffene Mietverhältnis dieselben Grundsätze anzuwenden, die bei der Freigabe nach § 35 Abs. 2 S. 1 InsO gelten. Bei einer Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO können die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, auf die ab diesem Zeitpunkt durch die selbstständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist dagegen die Vollstreckung gemäß § 89 InsO in diese Vermögensgegenstände verwehrt (BT-Drucksache 16/3227 S. 17; BGHZ 192, 322). Eine Herausgabevollstreckung des Insolvenzverwalters oder Treuhänders aus § 148 Abs. 2 InsO ist hinsichtlich solcher Gegenstände nicht möglich (BGH WM 14, 741).

     

    Löst die Enthaftungserklärung aber gleiche Rechtsfolgen aus wie die Freigabeerklärung, muss - entgegen der Annahme des Gesetzgebers (BT-Drucksache 14/5680, 27 zu Nr. 11) - konsequenterweise auch der Kautionsrückzahlungsanspruch massefrei werden und an den Schuldner zurückfallen (Cymutta, NZI 14, 617). Der BGH sieht in den Ausführungen des Gesetzgebers keinen zwingenden Grund, dem Verwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Kaution zu belassen, lässt die Lösung der Streitfrage aber offen.

     

    Quelle: Ausgabe 10 / 2014 | Seite 168 | ID 42933860