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  • · Fachbeitrag · Mieterinsolvenz

    BGH klärt Rechtsfolgen der „Enthaftungserklärung“

    von RiOLG Günther Geldmacher, Düsseldorf

    • 1. Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Treuhänders gemäß § 109 Abs. 1 S. 2 InsO („Freigabeerklärung“) erhält der Mieter die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über seine Wohnung zurück. Eine Kündigung des Vermieters ist ab diesem Zeitpunkt dem Mieter gegenüber auszusprechen.
    • 2. Die Vorlage einer „frei erfundenen“ Vorvermieterbescheinigung stellt eine erhebliche Verletzung (vor)vertraglicher Pflichten dar, die eine Vertragsfortsetzung für den Vermieter unzumutbar machen und somit eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann (BGH 9.4.14, VIII ZR 107/13 Abruf-Nr. 141435).
     

    Sachverhalt

    Der Kläger, Mieter einer Wohnung der Beklagten, erhielt vor Abschluss des Mietvertrags von der Hausverwalterin das Formular „Vorvermieterbescheinigung“. Darin sollte sein bisheriger Vermieter bestätigen, wie lange das Mietverhältnis gedauert, ob der Kläger Kaution und Miete pünktlich gezahlt und seine sonstige Verpflichtungen aus dem Mietvertrag erfüllt habe. Der Kläger gab die Formulare vor Vertragsschluss ausgefüllt zurück. Danach hatte er seit 03 von einem Herrn B eine Wohnung gemietet und seine Pflichten aus dem Mietvertrag stets pünktlich erledigt. Am 5.11.09 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Der vom Gericht eingesetzte Treuhänder erklärte mit Schreiben vom 3.12.09 die „Freigabe“ des Mietverhältnisses gemäß § 109 Abs. 1 S. 2 InsO. Mit Schreiben vom 16.9.10 kündigten die Beklagten gegenüber dem Kläger fristlos. Grund: Die Vorvermieterbescheinigung sei gefälscht („frei erfunden“) gewesen. Weder habe der Kläger an der angegebenen Adresse gewohnt noch mit dem genannten Vermieter in dem genannten Zeitraum überhaupt einen Mietvertrag abgeschlossen. Die Räumungswiderklage der Beklagten hat in zweiter Instanz Erfolg. Der BGH verweist den Rechtsstreit an das LG zurück.

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis zu Leitsatz 1

    Der BGH entscheidet erstmals, welche Auswirkungen die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO und der Ablauf der in § 109 Abs. 1 S. 1 InsO genannten Frist für das betreffende Wohnraummietverhältnis hat.

     

    Ist Gegenstand des Mietverhältnisses die Wohnung des Schuldners, hat der Insolvenzverwalter/Treuhänder nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO das Recht, zu erklären, dass Ansprüche des Vermieters, die nach Ablauf der in Satz 1 genannten, auf das Monatsende bezogenen Frist von drei Monaten fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Die Bestimmung dient dem Schutz der persönlichen Wohnung des Schuldners. Um dem Schuldner seine Mietwohnung möglichst zu belassen, ist dem Insolvenzverwalter die Befugnis, den Mietvertrag zu kündigen, entzogen. Will der Verwalter das Mietverhältnis nicht fortsetzen, kann er stattdessen durch die Erklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO eine Enthaftung der Masse von sämtlichen Ansprüchen aus dem Mietverhältnis bewirken, der sie durch den in § 108 Abs. 1 InsO angeordneten Fortbestand des Mietverhältnisses ausgesetzt ist (BGH MK 08, 208 Abruf-Nr. 082432) Im Gegenzug erhält der Mieter die Chance, durch die Übernahme der Mietzahlung aus seinem freien Vermögen die Wohnung zu behalten.

     

    Umstritten war bisher, ob die Enthaftungserklärung zur Folge hat, dass der Mietvertrag freigegeben und auf den Schuldner übergeleitet wird und dadurch wieder vollständig dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners unterliegt, der in diesem Fall auch alleiniger Kündigungsadressat wird, oder ob sich die Bedeutung der Erklärung darauf beschränkt, dass die Masse nicht mehr für die später fällig werdenden Verbindlichkeiten haftet, der Treuhänder aber Vertragspartei bleibt und deshalb nur ihm gegenüber wirksam gekündigt werden kann (Nachweise Urteilsgründe Tz. 11, 12).

     

    Der VIII. Senat entscheidet die von ihm bisher offen gelassene Frage (NJW 12, 2270) wie aus dem Leitsatz ersichtlich. Die Entscheidung steht in Einklang mit der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 14/5680, S. 27) und beruht auf einer Wortlautinterpretation des § 109 InsO und Praktikabilitätsgründen. Wenn die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO an die Stelle der Kündigung tritt, folgt hieraus, dass die Zuständigkeit des Verwalters für die weitere Vertragsdurchführung ab diesem Zeitpunkt wieder dem Mieter zufällt. Das heißt: Dieser erhält die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis zurück.

     

    Eine Fortdauer der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Erklärung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO hinaus wäre zudem für die Parteien des Mietvertrags umständlich und wenig praktikabel und für den Treuhänder mit einem Verwaltungsaufwand verbunden, der sich für die Masse nachteilig auswirken könnte. Grund: Sämtliche Erklärungen des Vermieters müssten zunächst dem Treuhänder gegenüber erklärt und von diesem an den Mieter weitergeleitet werden.

     

    Der Umstand, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die Mietkaution (beziehungsweise der bedingte Rückgewähranspruch) in die Masse fällt, rechtfertigt - so der BGH - keine andere Beurteilung. Grund: Dem Gesetzgeber ist es nicht vorrangig darum gegangen, dass die Kaution der Masse zur Verfügung steht. Vielmehr sollte der Mieter davor bewahrt werden, dass der Treuhänder den Mietvertrag kündigt, um die Kaution verwerten zu können (BT-Drucksache 14/5680, S. 27).

     

    Beachten Sie | Die Wirkung der Enthaftungserklärung tritt erst nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 S. 1 InsO ein. Bis dahin besteht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Verwalters fort. Das heißt: Eine Vermieterkündigung muss bis zum Fristablauf an den Verwalter adressiert werden, selbst wenn dieser die Enthaftungserklärung vor Ausspruch der Kündigung abgegeben hat. Ab Wirksamkeit der Enthaftungserklärung sind sämtliche Erklärungen des Vermieters (Abmahnung, Kündigung, Mieterhöhung, Betriebskostenabrechnung) dem Mieter gegenüber abzugeben.

     

    Die Frage, ob mit einem Übergang der Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis auch ein (bedingter) Kautionsrückzahlungsanspruch auf den Mieter zurückfällt, hat der BGH offen gelassen.

    Entscheidungsgründe/Praxishinweis zu Leitsatz 2

    Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Vorlage einer gefälschten Urkunde im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Mietvertrags eine erhebliche Pflichtverletzung darstellt, die als Kündigungsgrund i.S. von § 543 Abs. 1 BGB ausreicht. Zu Recht, wie der BGH bestätigt. Auch wenn einzelne in dem Formular über das vorangegangene Mietverhältnis gestellte Fragen unzulässig gewesen wären und es dem Beklagten deshalb freigestanden hätte, insoweit unwahre Angaben zu machen, sind Fragen nach der Person und Anschrift des Vorvermieters, der Dauer des vorangegangenen Mietverhältnisses und der Erfüllung der mietvertraglichen Pflichten - ebenso wie Fragen nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen - hiervon ausgenommen. Grund: Sie betreffen nicht den persönlichen oder intimen Lebensbereich des Mieters und sind aus diesem Grund nicht unzulässig. Sie sind auch grundsätzlich geeignet, sich über die Bonität und Zuverlässigkeit des potentiellen Mieters ein gewisses Bild zu machen, sodass die Vorlage einer gefälschten oder „frei erfundenen“ Vorvermieterbescheinigung eine erhebliche Verletzung (vor)vertraglicher Pflichten darstellt, die das gegenseitige Vertrauensverhältnis irreparabel zerstören und eine Vertragsfortsetzung für den Vermieter unzumutbar machen kann.

     

    Auch wenn ein früherer Vermieter nicht verpflichtet ist, seinem bisherigen Mieter bei Beendigung des Mietverhältnisses über die Erteilung einer Quittung über die vom Mieter empfangenen Mietzahlungen hinaus eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung zu erteilen (BGH MK 10, 24, Abruf-Nr. 093602), darf der neue Vermieter vor Abschluss eines Mietvertrags eine diesbezügliche Bescheinigung erbitten. Verweigert der Vorvermieter die Abgabe der Erklärung, muss der Mietinteressent dies offen legen. Fälscht er - wie hier - die Vorvermieterbescheinigung, riskiert er die fristlose Kündigung oder die Anfechtung des Mietvertrags wegen arglistiger Täuschung.

     

    Ob die Kündigung der Beklagten Bestand hat, wird das Berufungsgericht erneut zu prüfen haben. Grund: Es hat das unter Beweis gestellte Vorbringen des Klägers übergangen, den Beklagten sei bereits im Jahr 2007 bekannt geworden, dass die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung des Vorvermieters gefälscht war. Eine erst drei Jahre danach erklärte Kündigung ist aber möglicherweise nicht mehr innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt und könnte deshalb mit Rücksicht auf Treu und Glauben oder nach § 314 Abs. 3 BGB (BGH MK 10, 130, Abruf-Nr. 102070) unwirksam sein.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Eingehend zu den Problemen der Selbstauskunft, Wetekamp, MK 11, 120
    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 137 | ID 42753098