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  • · Fachbeitrag · Rechtsprechung

    Sektoraler Heilpraktiker für ausgebildete Physiotherapeuten auch ohne schriftliche Prüfung

    von RA und FA für Medizinrecht Rainer Hellweg, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de 

    | Seit 2009 ist es anerkannt, dass die Physiotherapie mit einer gegenständlich beschränkten (sektoralen) Heilpraktikererlaubnis als eigenständiger Heilberuf ausgeübt werden kann. Eine in diesem Zusammenhang regelmäßig wiederkehrende Frage ist die, ob der ausgebildete Physiotherapeut eine zusätzliche Prüfung ablegen muss. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg am 14. November 2013 ein Urteil gesprochen, das für Physiotherapeuten interessante Möglichkeiten eröffnet (Az. 8 LB 225/12). |

    Der rechtliche Hintergrund

    Das Heilpraktikergesetz sieht eigentlich nur eine Erlaubnis zur umfassenden Ausübung der Heilkunde für Nichtärzte vor, ohne Beschränkung auf bestimmte Bereiche. Durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 26. August 2009 (Az. 3 C 19.08, Abruf-Nr. 093812) wurde aber klargestellt, dass auch eine sektorale Heilpraktikererlaubnis erteilt werden kann, die auf das Gebiet der Physiotherapie beschränkt ist. Hieraus erwächst allerdings keine Zulassung und Abrechnungsmöglichkeit im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Vergütung muss gegenüber den Patienten direkt abgerechnet werden. Eine Kostenerstattung ist nur teilweise durch private Krankenversicherungen oder Beihilfestellen möglich, was am besten im Vorhinein geklärt werden sollte. Die sektorale Heilpraktikererlaubnis eröffnet jedoch die Möglichkeit, eigenständig - ohne ärztliche Zuweisung - im Berufsbild Physiotherapie tätig zu sein.

    Voraussetzungen und Prüfungserfordernis

    Um die sektorale Heilpraktikererlaubnis für den Bereich der Physiotherapie zu erlangen, müssen nach der Rechtsprechung nachgewiesen werden:

     

    • Ausreichende diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf die einschlägigen Krankheitsbilder,
    • Kenntnisse über die Abgrenzung der heilkundlichen Tätigkeit als Physiotherapeut gegenüber Ärzten und allgemeinumfassend tätig werdenden Heilpraktikern sowie
    • Kenntnisse in Berufs- und Gesetzeskunde einschließlich der rechtlichen Grenzen der nichtärztlichen Ausübung der Heilkunde.

     

    Ein ausgebildeter Physiotherapeut muss sich, wenn er die sektorale Heilpraktikererlaubnis erlangen möchte, einer eingeschränkten Überprüfung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten unterziehen - so das BVerwG in seinem oben genannten Urteil. Was aber heißt das genau? Hierzu hat das OVG Lüneburg jetzt Stellung genommen.

    Der Fall des OVG Lüneburg

    In dem vom OVG Lüneburg entschiedenen Fall ging es um einen ausgebildeten Physiotherapeuten, der zunächst mehrere Jahre als Angestellter gearbeitet und dann als Selbstständiger eine Praxis für Krankengymnastik mit dem Schwerpunkt neurologischer Behandlungen geführt hatte. Außerdem hatte er umfängliche Fortbildungen und Zusatzausbildungen absolviert. Auf Anweisung der zuständigen Behörde unterzog sich der Physiotherapeut der schriftlichen Heilpraktikerüberprüfung. Von 28 gestellten Fragen beantwortete er 20 richtig. Weil die 75 Prozent-Quote nicht erreicht wurde, sah die Behörde die für die Erteilung der Erlaubnis erforderlichen Kenntnisse als nicht nachgewiesen an. Sie verweigerte dem Physiotherapeuten die sektorale Heilpraktikererlaubnis.

     

    Hiergegen wandte sich der Physiotherapeut vor Gericht. Im Ergebnis gab ihm das OVG Lüneburg im Berufungsverfahren recht. Zwar stellte das Gericht klar, dass allein die erfolgreich abgeschlossene Ausbildung zum Physiotherapeuten nicht hinreichend sei, um ohne Weiteres die auf dem Bereich der Physiotherapie beschränkte Heilpraktikererlaubnis zu erlangen. In dem dort entschiedenen Fall sah das Gericht allerdings über die in der Ausbildung zum Physiotherapeuten vermittelten Inhalte hinaus nur noch „geringfügige Kenntnislücken“.

     

    Das OVG Lüneburg argumentierte, dass sich gegenüber dem Stand des Urteils des BVerwG aus dem Jahr 2009 Ausbildungspraxis und Berufsbild des Physiotherapeuten verändert hätten. Auch wenn der Physiotherapeut die Erstdiagnose in seiner Praxis nicht durchführen dürfe, vermittele ihm seine Ausbildung doch auch Kenntnisse über diagnostische Verfahren. Auch seien in der Praxis in der Verordnung des Arztes häufig bloß ein Leitsymptom oder eine Diagnosegruppe angegeben, sodass der Physiotherapeut die konkrete Diagnose faktisch selbst abklären müsse.

     

    Das OVG Lüneburg hob ausdrücklich hervor, dass in dem dort entschiedenen Fall der Physiotherapeut über eine Berufserfahrung von fast 20 Jahren - davon mehr als 15 Jahre selbstständig - verfügte und umfangreiche Fortbildungen und Zusatzausbildungen absolviert hatte. Dadurch war nach Auffassung des Gerichts die „geringfügige Kenntnislücke“ geschlossen. Somit sei eine weitergehende Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten gar nicht mehr notwendig gewesen, sodass es unerheblich sei, dass der Physiotherapeut durch die schriftliche Prüfung gefallen sei. Unabhängig von der Prüfung sei ihm eine sektorale Heilpraktikererlaubnis für den Bereich Physiotherapie zu erteilen.

     

    FAZIT | Das Urteil des OVG Lüneburg stellt eine Einzelfallentscheidung dar, in der die langjährige Berufserfahrung und die Zusatzqualifikationen des Physiotherapeuten besondere Würdigung fanden. Allerdings können Physiotherapeuten, die solche oder ähnliche Voraussetzungen mitbringen, aus dem Urteil Chancen für sich ableiten. Unter Umständen kann die sektorale Heilpraktikererlaubnis für den Bereich Physiotherapie erlangt werden, ohne die - häufig erheblichen Lernaufwand erfordernde - schriftliche Prüfung absolvieren zu müssen.

     
    Quelle: Ausgabe 03 / 2014 | Seite 14 | ID 42534965