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  • · Fachbeitrag · Testamentserrichtung

    Testierunfähigkeit bei Demenz vom Alzheimertypus

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    • 1.Die Frage, ob eine Demenz leichtgradig, mittelschwer oder schwer ist, muss im Hinblick auf die vier verschiedenen Dimensionen der Demenz (Gedächtnisleistungen, kognitive Leistungen, Fähigkeit zu vernünftigen Erwägungen, Formbarkeit) beurteilt werden.
    • 2.Eine mittelschwere Demenz vom Alzheimertypus ist den „krankhaften Störungen der Geistestätigkeit“ i.S. von § 2229 Abs. 4 BGB zuzuordnen.
    • 3.Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Person, die an Altersdemenz mittleren Grades mit Phasen der Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit leidet, nicht wirksam testieren kann.

    (OLG München 17.7.13, 3 U 4789/09, n.v., Abruf-Nr. 133523).

     

    Sachverhalt

    Die Kläger begehren im Verhältnis zu ihrem Bruder, dem Beklagten, die Feststellung ihres Erbrechts nach ihrer im Jahr 05 verstorbenen Mutter. Das Erbrecht hängt davon ab, ob die Mutter bei der Errichtung ihres Testaments aus dem Jahr 95 testierfähig war.

     

    Das LG hat das Testament mangels Testierfähigkeit für unwirksam gehalten und das Erbrecht der Kläger festgestellt. Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Feststellung des LG. Bei der Erblasserin habe nur eine leichtgradige und keine mittelschwere Demenz vorgelegen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Das LG hat zutreffend die letztwillige Verfügung der Erblasserin aus dem Jahr 95 mangels Testierfähigkeit als unwirksam angesehen. Den Klägern ist der ihnen obliegende Beweis der Testierunfähigkeit gelungen.

     

    Die Testierfähigkeit setzt voraus, dass der Testierende nach seinen Vorstellungen ein Testament errichtet und er weiß, welchen Inhalt die darin enthaltenen letztwilligen Verfügungen aufweisen. Er muss in der Lage sein, sich ein klares Urteil über folgende Punkte zu bilden:

     

    • Welche Tragweite haben seine Anordnungen?
    • Welche Wirkungen üben sie auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen aus?
    • Welche Gründe sprechen für und gegen die sittliche Berechtigung der Anordnungen?

     

    Der Testierende muss nach seinem so gebildeten Urteil frei von Einflüssen Dritter handeln können.

     

    Bei einer Demenz vom Alzheimertypus ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

     

    • Eine Demenz stellt ein Störungs- und Krankheitsbild dar, das aus einer Reihe von Komponenten besteht: den kognitiven Störungen, den Wahrnehmungsstörungen, den Gedächtnisstörungen, den emotionalen Störungen, der Störung der Entscheidungsfähigkeit und ferner der Störung der vernünftigen Erwägungen. Die Beurteilung der Qualität einer Demenz ist nur durch die Zusammenführung dieser verschiedenen Gesichtspunkte möglich. Für die Testierfähigkeit ist insbesondere das Störungsbild der erhöhten Formbarkeit bedeutsam.

     

    • Bei einer mittelschweren Demenz ist der Betroffene auf fremde Hilfe angewiesen und ist somit in seinem Urteil nicht mehr frei vom Einfluss interessierter Dritter. Es muss von einer Testierunfähigkeit ausgegangen werden. Die Frage, ob eine Demenz leichtgradig, mittelschwer oder schwer ist, muss im Hinblick auf die vier verschiedenen Dimensionen der Demenz (Gedächtnisleistungen, kognitive Leistungen, Fähigkeit zu vernünftigen Erwägungen und Formbarkeit) beurteilt werden.

     

    • Es ist zu klären, ob eine vaskuläre Demenz möglich bzw. wahrscheinlich ist bzw. eine Mischform (zwischen vaskulärer und rein metabolisch bedingter Alzheimer-Demenz) vorliegt. Denn bei derartigen Konstellationen sind Fluktuationen möglich, die bedeuten, dass auch in einer besonders neurokognitiv guten Verfasstheit ein Testament errichtet werden kann.

     

    • Der Begriff der Demenz ist nicht nur als Beeinträchtigungsgrad kognitiver Funktionen wie Orientiertheit, Gedächtnis, Textverständnis, Texte schreiben oder im Dialog sprechen, zu verstehen. Vielmehr ist er im Zustandekommen einer Persönlichkeitsveränderung mit erheblicher Verringerung der Einheit der Willensbildung (Integrationsfähigkeit verschiedener mentaler Aspekte) und Störung der Kontinuität der Person (Kontinuität von persönlichkeitsspezifischen Überzeugungen über längere Zeit hinweg) zu sehen.

     

    Wenn man bei den diagnostischen Kriterien die DSM 3-Methode der amerikanischen Psychiatrie anwendet, wird für die mittelschwere Demenz angenommen, dass eine selbstständige Lebensführung mit Schwierigkeiten möglich und ein gewisses Ausmaß an Aufsicht erforderlich ist.

     

    Die Kläger haben nach diesen Maßstäben bewiesen, dass die Erblasserin im Jahr 95 i.S. von § 2229 Abs. 4 BGB testierunfähig war. Sie war wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit nicht in der Lage, die Bedeutung einer von ihr abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Die hier vorliegende mittelschwere Demenz vom Alzheimertypus, führt zu „krankhaften Störungen der Geistestätigkeit“ i.S. von § 2229 Abs. 4 BGB. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Person, die an Altersdemenz mittleren Grades mit Phasen der Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit leidet, nicht wirksam testieren kann.

     

    In der Literatur wird bei einer (mittel-) und schweren Demenz eine Testierunfähigkeit angenommen (Wetterling/Neubauer in: Testierfähigkeit von Dementen, Psychiatrische Praxis 23 (1996), 213 bis 218):

     

    • Bei diesem Grad des Gedächtnisverlusts bzw. der Beeinträchtigung der intellektuellen (kognitiven) Fähigkeiten ist davon auszugehen, dass der Betreffende nicht mehr uneingeschränkt in der Lage ist, eine Entscheidung hinsichtlich des Inhalts seines Testaments zu bilden.

     

    • Er ist aufgrund der intellektuellen (kognitiven) Beeinträchtigungen nur noch eingeschränkt in der Lage, die Tragweite der letztwilligen Verfügung zu erfassen und ihre Auswirkungen auf die Betroffenen zu beachten.

     

    • Er ist aufgrund seiner intellektuellen (kognitiven) Beeinträchtigungen auf fremde Hilfe angewiesen und somit in seinem Urteil nicht mehr frei von Einflüssen interessierter Dritter.

     

    Praxishinweis

    Die Testamente selbst und weitere Schriftstücke können nicht als „objektive Zeugnisse für die Testierfähigkeit der Erblasserin“ angesehen werden. Es greift zu kurz, aus solchen Schriftstücken und eigenständigen Ausführungen entnehmen zu wollen, sie gäben einen klaren Willen des Erblassers wieder. Es wird zu wenig den Beeinflussungsmöglichkeiten Rechnung getragen.

     

    In den Demenzfällen ist ferner zu berücksichtigen, dass die Betroffenen versuchen „ihre Fassade zu halten“. Die Dementen halten sich häufig nicht für krank. Ein Betreuungsantrag wird teilweise als persönlicher Angriff aufgefasst. Neben den intellektuellen Einbußen, dem Verlust an Wissen und Können, nehmen sie diesen Verlust auch nicht wahr. Ferner können - trotz schon vorliegender Testierunfähigkeit - noch tief verwurzelte Fähigkeiten bestehen bleiben. So konnte im vorliegenden Fall die Erblasserin, die seit 40 Jahren regelmäßig Klavier spielte, noch Klavier spielen, obwohl sie durchgängig testierunfähig war.

     

    Indizien für eine Beeinflussbarkeit, die gegen die Testierfähigkeit spricht, sind z.B. Folgende: Es liegen mehrfache sich widersprechende Testamente innerhalb kürzerer Zeit vor, die unter dem mutmaßlichen Einfluss verschiedener Personen entstanden sind, die aus dem Testament einen persönlichen Nutzen ziehen können. Sie sind ggf. an unterschiedlichen Orten errichtet worden. Eine Willensschwäche mit der Möglichkeit der Einflussnahme ist anzunehmen, wenn z.B. die Personen, die einen Einfluss ausüben können, dem Testierenden sehr nahestehen oder der Testierende sogar von diesen Personen abhängig ist, weil er zu Hause von diesen versorgt und gepflegt wird, bzw. bei diesen wohnt. In diesen Fällen versagt der Schutz des § 14 HeimG (Bund) bzw. der im Anschluss an den Übergang der Gesetzgebungskompetenz von den Bundesländern erlassenen Gesetze.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zimmermann/G.Möller, Erbrechtliche Nebengesetze, § 14 HeimG und Anhang zu § 14 HeimG mit den Landesheimgesetzen
    Quelle: Ausgabe 12 / 2013 | Seite 201 | ID 42394037