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  • · Fachbeitrag · Haftung

    Grundsatzentscheidung des OLG Köln: Apotheker haftet bei Verschreibungsfehler

    von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Rainer Hellweg, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de 

    | Ob bei der Apothekerhaftung wie bei der Arzthaftung Beweiserleichterungen zugunsten der Patientenseite gelten, war bislang in der Rechtsprechung ungeklärt. In einer grundsätzlichen Entscheidung hat dies das Oberlandesgericht (OLG) Köln nunmehr bejaht. Neben dem Arzt wurde deshalb auch der Apotheker zur Haftung für die fehlerhafte Medikation herangezogen ( OLG Köln, Urteil vom 7.8.2013, Az. 5 U 92/12, Abruf-Nr. 133387 ). |

    Sachverhalt

    Ein Kinderkardiologe hatte einem Säugling mit Down-Syndrom, bei dem eine Herzoperation geplant war, Lanitop verschrieben. Aufgrund eines Übertragungsfehlers in der Arztpraxis von der Medikamentenliste des Arztes hin zur Ausstellung des Rezeptes durch eine Mitarbeiterin war anstelle von Tropfen versehentlich als Zusatz „50 Tbl.“ - also Tabletten - angegeben worden. Diese enthalten gegenüber Tropfen die achtfache Dosierung des Digitaliswirkstoffs und sind als Darreichungsform nur für Erwachsene und Heranwachsende vorgesehen.

     

    Nach Einlösung des Rezepts wurden der Mutter die Tabletten in der Apotheke durch eine Mitarbeiterin ausgehändigt. Die Fehlerhaftigkeit des Rezepts wurde dort nicht erkannt. Vielmehr sprach die Apothekenmitarbeiterin gegenüber der Mutter sogar die Empfehlung aus, die Tabletten aufzulösen und so dem Säugling einzuflößen. Die medizinische Situation des Babys mit dem Down-Syndrom war dem Apotheker bekannt und die vom Arzt - noch richtig - erstellte Medikamentenliste lag dem Apotheker vor.

     

    Nachdem das Medikament dem Säugling einige Tage verabreicht worden war, kam es zu einem Herzstillstand. Zwar konnte das Baby reanimiert werden. Es trug jedoch eine Hirnschädigung und einen Darmschaden sowie erhebliche Entwicklungsstörungen davon. Die Eltern verklagten daraufhin sowohl den Kinderkardiologen als auch den Apotheker, in dessen Betrieb das Digitalispräparat ausgegeben worden war, auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.

    Entscheidungsgründe

    Das OLG Köln bestätigte eine Haftung sowohl des Kinderkardiologen als auch des Apothekers. Das Gericht argumentierte, bei Einlösung des Rezepts in der Apotheke hätte der Verordnungsfehler erkannt und die Eltern hätten auf die Fehlmedikation hingewiesen werden müssen. Zumindest hätte beim Arzt nachgefragt werden müssen. Dass all dies unterblieben sei, rechtfertige die Annahme einer Sorgfaltspflichtverletzung, die dem Apotheker zuzurechnen sei. Auch der Umstand, dass das Medikament durch eine Mitarbeiterin und nicht durch den Apotheker selbst herausgegeben wurde, konnte den Apotheker nicht entlasten. Jedem Apotheker und jedem Angestellten einer Apotheke müsse bekannt sein, ob ein gefährliches Herzmedikament in einer bestimmten Darreichungsform für Erwachsene oder für Kleinkinder und Säuglinge bestimmt ist. Zudem träfen den Apotheker hinsichtlich seines Personals Instruktions- und Überwachungspflichten.

     

    Während des Prozesses stand außerdem die Kausalität infrage, ob die Entwicklungsstörungen des Kindes nicht allein durch das Down-Syndrom bedingt, sondern auch auf einen hypoxischen Hirnschaden infolge der Überdosierung zurückzuführen waren. Bei der Beurteilung ging das Gericht auch zulasten des Apothekers von einem sogenannten „groben Behandlungsfehler“ aus. Der Fehler bei der Aushändigung des Medikaments in der Apotheke hätte schlechterdings nicht passieren dürfen, befand das Gericht.Somit greife eine Beweislastumkehr zugunsten der Patientenseite. Die für die Arzthaftung entwickelten Grundsätze zur Beweislastverteilung bei grobem Behandlungsfehler müssten auch für die Haftung von Apothekern gelten. Seine insofern analoge Betrachtungsweise begründete das OLG Köln mit einer „gleichgelagerten Sach- und Interessenlage“. Auf dieser Basis wurde die Kausalität und damit eine Haftung auch des Apothekers bejaht.

    Rechtlicher Hintergrund

    In der Arzthaftung gilt schon seit Langem: Grundsätzlich muss der Patient beweisen, dass eine fehlerhafte Behandlung den Schaden verursacht hat. Bei einem groben Behandlungsfehler wird hingegen erst einmal angenommen, dass dieser Ursache für den Schaden war. Der Arzt müsste dann den Gegenbeweis antreten. Da Kausalzusammenhänge im Sinne von Ursache und Wirkung bei medizinischen Behandlungsabläufen häufig nicht mit hundertprozentiger Sicherheit nachweisbar sind, ist die Frage der Beweislastverteilung oft entscheidend in Arzthaftungsprozessen. Wer den ihm obliegenden Beweis nicht führen kann, unterliegt im Prozess.

    Anmerkung

    Dass die im Arzthaftungsrecht von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Beweislasterleichterungen zugunsten der Patienten in bestimmten Fällen auch für den Bereich der Apothekerhaftung gelten, hat das OLG Köln in seinem aktuellen Urteil erstmals so entschieden. Allerdings hat das OLG bei dieser Frage von grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, sodass eine höchstrichterliche Klärung abzuwarten bleibt.

     

    PRAXISHINWEIS |  In jedem Fall sollten Apotheker künftig noch sorgfältiger darauf achten und ihre Mitarbeiter instruieren, die eingereichten Rezepte auf mögliche Verschreibungsfehler zu überprüfen. Im Zweifel sollte zunächst Rücksprache mit dem verordnenden Arzt gehalten werden, bevor das Medikament herausgegeben wird. Die strikte Befolgung des Grundsatzes „lieber eine Nachfrage zu viel als eine zu wenig“ kann vor möglichen Haftungsprozessen schützen.

    Quelle: Ausgabe 12 / 2013 | Seite 13 | ID 42393022