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  • 15.06.2011 · IWW-Abrufnummer 112074

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 15.04.2011 – 3 K 169/10

    1. Als regelmäßige Arbeitsstätte ist die ortfeste Betriebsstätte des ArbG zu verstehen, der der ArbN zugeordnet ist und die er nachhaltig aufsucht.


    2. Die Arbeitsstätte muss der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des ArbN sein.


    3. Ein ArbN kann bei seinem ArbG auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten haben.



    4. Wird ein als Personalreserve beschäftigter Sparkassenmitarbeiter wechselnd in insgesamt 14 Filialen eingesetzt, so entspricht der Arbeitseinsatz nicht mehr dem Typus der Beschäftigung an einer regelmäßigen Arbeitsstätte.


    Tatbestand
    Streitig ist die Frage, ob es sich bei 14 Sparkassenfilialen, in denen der Kläger als Personalreserve wechselnd eingesetzt wird, um regelmäßige Arbeitsstätten handelt.
    Die Kläger sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger ist Bankkaufmann und bei der K Sparkasse angestellt. Im Streitjahr 2008 wurde der Kläger wie schon im Vorjahr 2007 als Personalreserve in insgesamt 14 Filialen eingesetzt, die im nördlichen Teil des Landkreises K gelegen sind. Der Kläger erkundigt sich dabei am Morgen des jeweiligen Arbeitstages bei der Sparkasse danach, wo er konkret eingesetzt wird. Der Einsatzort ist abhängig von spontan aufgetretenen Personalausfällen.
    Im Einzelnen war der Kläger im Jahre 2008 wie folgt eingesetzt:

    Filiale Tage
    Gi 56
    Ho 33
    He 2
    Li 21
    Va 8
    Ve 13
    Ka 1
    Ho 4
    Ni 15
    BK 36
    Li 1
    Tr 3
    104
    In der Einkommensteuererklärung für 2008 gab der Kläger unter Bezugnahme auf R 9.4 Abs. 3 Lohnsteuerrichtlinien die Fahrten zu der Filiale in Gi als Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte an. Die Fahrten zu den übrigen Filialen sah er als Dienstreisen an. Er ermittelte eine Entfernung von 11.274 km und Fahrtkosten in Höhe von 3.382,20 €. Außerdem machte er Verpflegungsmehraufwand für 207 Tage in Höhe von insgesamt 1.242,- € geltend.
    Der Beklagte ging demgegenüber davon aus, dass es sich bei sämtlichen Fahrten um Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte handele, die somit nur mit 0,30 € je Entfernungskilometer berücksichtigt werden könnten. Verpflegungsmehraufwendungen könnten dementsprechend nicht berücksichtigt werden.
    Bei der Eingabe der Daten in den Computer hat der Beklagte durch Versehen die Fahrten zur Filiale Li gänzlich außer Ansatz gelassen.
    Insgesamt berücksichtigte der Beklagte im Einkommensteuerbescheid 2008 vom 22. Juni 2009 die Fahrtkosten zu den 13 Filialen, die der Kläger nach Dienstreisegrundsätzen in Ansatz gebracht hatte, mit einem Betrag von 1.566,- € und setzte die Einkommensteuer 2008 auf 4.581,- € fest.
    Der Kläger ist der Auffassung, dass allein die Filiale Gi als regelmäßige Arbeitstätte angesehen werden könne. Für die anderen Filialen fehle es an der erforderlichen Nachhaltigkeit des Arbeitseinsatzes. Vom Typus der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seien solche Fahrten nicht umfasst, die durch einen häufigen Ortswechsel geprägt seien. Die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle, in denen eine regelmäßige Arbeitsstätte angenommen werde, hätten jeweils eine deutlich geringere Anzahl von Einsatzstellen aufgewiesen.
    Die Kläger beantragen,
    unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 2008 vom 22. Juni 2008 und des Einspruchsbescheids vom 22. Dezember 2009 weitere Werbungskosten in Höhe von 3.058,- € zu berücksichtigen.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Der Beklagte ist der Auffassung, dass es für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte ausreiche, dass der Arbeitnehmer eine bestimmte Anzahl von Filialen immer wieder, wenn auch in unregelmäßigen Abständen, aufsuche. Der Kläger sei bereits im Vorjahr in den Filialen, die sich in einem bestimmten Umkreis befinden würden, tätig geworden. Aus der Regelung in R 9.4 Abs. 3 Satz 2 LStR, wonach zwingend eine regelmäßige Arbeitsstätte anzunehmen sei, wenn der Steuerpflichtige sie an mindestens 46 Tagen im Jahr aufgesucht habe, könne kein Umkehrschluss gezogen werden, dass dieses bei einer geringeren Anzahl nicht der Fall sei.
    Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung auf den Hinweis des Gerichts, dass die Fahrten zur Filiale Li gänzlich unberücksichtigt geblieben seien, den Einkommensteuerbescheid 2008 geändert und die Einkommensteuer auf 4.547,- € herabgesetzt.
    Gründe
    Die Klage ist begründet.
    Die Filialen der K Sparkasse, die der Kläger in seiner Eigenschaft als Personalreserve aufsucht, stellen keine regelmäßige Arbeitsstätte dar. Der Kläger kann deshalb seine Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen geltend machen und Verpflegungsmehraufwendungen für die Zeit der Abwesenheit von seiner Wohnung abziehen.
    Werbungskosten sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der für das Streitjahr 2008 geltenden Gesetzesfassung auch die Aufwendungen des Arbeitnehmer für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 € anzusetzen. Nach früherem Gesetzeswortlaut bezog sich die Abzugsbeschränkung auf „Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte”. Mit Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. I 2006, 1652) ist der Gesetzeswortlaut um das Adjektiv „regelmäßig” ergänzt worden.
    Demgegenüber kann der Steuerpflichtige die Aufwendungen für beruflich veranlasste Fahrten zu auswärtigen Tätigkeitsstätten, die keine regelmäßigen Arbeitsstätten darstellen, nach dem allgemeinen Werbungskostenbegriff des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich der Höhe nach unbeschränkt abziehen. Der Steuerpflichtige kann hierbei auch – wie im Streitfall der Kläger – die Fahrtkostenpauschale nach H 9.5 Stichwort „Pauschale Kilometersätze” Lohnsteuerrichtlinien von 0,30 € je Streckenkilometer in Ansatz bringen, sofern der Ansatz dieses Pauschalsatzes nicht, wovon im Streitfall angesichts einer Gesamtfahrstrecke einschließlich der Filiale Gi von 13.514 km nicht auszugehen ist, zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt.
    Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG kann der Steuerpflichtige einen Pauschbetrag für Mehraufwendungen für die Verpflegung von 6,- € pro Tag abziehen, wenn er wegen einer vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt weniger als 14 Stunden, aber mindestens 8 Stunden abwesend ist. Aus dem Erfordernis, dass der Steuerpflichtige beruflich veranlasst außerhalb seines Tätigkeitsmittelpunkts tätig sein muss, folgt, dass bei Einsatz des Arbeitnehmers an der regelmäßigen Arbeitsstätte ein Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen ausscheidet.
    Der Bundesfinanzhof definiert die regelmäßige Arbeitsstätte als ortsfeste Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig aufsucht (BFH Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BStBl. II 2005, 788). Die Arbeitsstätte muss der ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers sein. Die Finanzverwaltung geht von einer regelmäßigen Arbeitsstätte aus, wenn die betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers vom Arbeitnehmer durchschnittlich im Kalenderjahr an einem Arbeitstag je Arbeitswoche aufgesucht wird oder auf Grund der dienst-/arbeitsrechtlichen Vereinbarung aufzusuchen ist (R 9.4 Abs. 3 Satz 3 Lohnsteuerrichtlinien).
    Es ist unbestritten, dass der Arbeitnehmer bei seinem Arbeitgeber auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten haben kann. Voraussetzung ist nur, dass er die ortsfesten betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht (BFH Urteile vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BFH/NV 2005, 1691 und VI R 25/04, BFH/NV 2005, 1694; vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53).
    Regelmäßige Arbeitsstätten hat der BFH angenommen bei einem Rettungsassistenten des DRK, der an insgesamt fünf verschiedenen Rettungsstationen beschäftigt ist (BFH Urteil vom 14. September 2005 VI R 93/04, BFH/NV 2006, 53), bei einem Busfahrer, der seinen Bus an verschiedenen Busdepots abholt (BFH Urteile vom 11. Mai 2005 VI R 15/04, BFH/NV 2005, 1691) und dem Bezirksleiter einer Einzelhandelskette, der fünf bis acht Filialen zugeordnet war, die er allerdings jeweils arbeitstäglich aufgesucht hatte (BFH Urteil vom 7. Juni 2002 VI R 53/01, BStBl II 2002, 878). Ebenfalls regelmäßige Arbeitsstätten haben das Hessische Finanzgericht (Urteil vom 27. März 2008 1 K 1104/07, EFG 2008, 1289) im Falle einer als Personalreserve in vier Kindergärten eingesetzten Erzieherin sowie das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht (Urteil vom 25. Oktober 2007 3 K 214/08, EFG 2008, 788) bei einem an drei Orten beschäftigten Orchestermusiker angenommen. Schließlich hat das FG München (Urteil vom 18. August 2009 2 K 4031/06, EFG 2009, 2014) selbst 15 Filialen, die von einer Districtmanagerin aufgesucht wurden, noch als regelmäßige Arbeitsstätten angesehen,
    Die unterschiedlichen steuerlichen Regelungen für Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte einerseits und sonstigen Auswärtstätigkeiten andererseits finden ihre Rechtfertigung darin, dass sich der Arbeitnehmer bei einer auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegten regelmäßigen Arbeitsstätte in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann, beispielsweise, indem er Fahrgemeinschaften bildet, öffentliche Verkehrsmittel nutzt oder durch die Wahl des Wohnsitzes die Mobilitätskosten senkt. Liegt keine auf Dauer und Nachhaltigkeit angelegte regelmäßige Arbeitsstätte vor, so dass sich der Arbeitnehmer nicht in der aufgezeigten Weise auf die Fahrtkosten einstellen kann, ist nach Auffassung des BFH eine das Nettoprinzip durchbrechende beschränkte Abzugsfähigkeit der Aufwendungen sachlich nicht gerechtfertigt (BFH Urteil vom 10. April 2008 VI R 66/05, BStBl. II 2008, 825).
    Nach diesen Maßstäben können nach Auffassung des Gerichts mit Ausnahme der Filiale Gi die verschiedenen Beschäftigungsstätten des Klägers nicht mehr als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden. Die Tätigkeit des Klägers ist in einem solchen Maße zersplittert und wird auf eine Vielzahl von Einsatzorten aufgespalten, dass der Arbeitseinsatz in der einzelnen Filiale nicht mehr dem Typus der Beschäftigung an einer regelmäßigen Arbeitsstätte entspricht.
    In einem derartigen Fall ist der Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage, sich auf die Beschäftigungssituation einzustellen und durch geeignete Maßnahmen seine Fahrtkosten zu mindern. Dies gilt hier insbesondere auch deshalb, weil der Kläger erst am jeweiligen Morgen von der Zentrale erfährt, in welche Filiale er sich zu begeben hat. Damit entspricht der Fall mehr dem Typus der Einsatzwechseltätigkeit, bei der der Arbeitnehmer an laufend verschiedenen Einsatzorten beschäftigt wird. Insgesamt fehlt es an der für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte erforderlichen Nachhaltigkeit des Arbeitseinsatzes.
    Das Gericht sieht sich mit seiner Entscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH. Die Entscheidungen des BFH betrafen zumeist Fälle, in denen der Arbeitnehmer an zumindest nicht mehr als fünf Orten beschäftigt war, d.h. die Beschäftigung in der einzelnen Betriebsstätte entsprach im Jahresdurchschnitt dem Arbeitseinsatz an einem Tag pro Woche. In einem solchen Fall kann noch von einer hinreichend nachhaltigen Beschäftigung an der einzelnen Arbeitsstätte ausgegangen werden. Der oben zitierte Fall des Bezirksleiters einer Einzelhandelskette (BFH Urteil vom 7. Juni 2002 VI R 53/01, a.a.O.) ist nach Auffassung des Gerichts nicht vergleichbar, weil der Bezirksleiter jede einzelne der mehreren Filialen jeden Tag aufgesucht hatte. Hier geht der Beklagte demgegenüber selbst bei Filialen, die der Kläger nur ein bis zwei Mal im Kalenderjahr aufgesucht hat, von regelmäßigen Arbeitsstätten aus. Ein dem Streitfall vergleichbarer Sachverhalt lag allein der Entscheidung des FG München vom Urteil vom 18. August 2009 2 K 4031/06, a.a.O. zugrunde. Dieser Rechtsmeinung kann sich das Gericht jedoch nicht anschließen.
    Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 2 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
    Das Gericht lässt die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, weil die Frage, bis zu welcher Anzahl an Beschäftigungsstellen noch von einer regelmäßigen Arbeitsstätte ausgegangen werden kann, bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist.

    VorschriftenEStG § 9 Abs. 1 Satz 1

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