22.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235945
Finanzgericht Münster: Urteil vom 11.05.2023 – 8 K 520/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand
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Streitig ist, ob die Klage fristgerecht erhoben worden ist.
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Der Kläger erzielt als Mitarbeiter der A-Bank Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2020 (Streitjahr) machte er Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer i. H. v. 2.683 EUR sowie eine Minderung des bisher vom Arbeitgeber versteuerten Sachbezugs für die Privatnutzung eines PKW um 4.012,81 EUR geltend (unter Zugrundelegung der Fahrtenbuchmethode gegenüber einer vom Arbeitgeber vorgenommenen Pauschalversteuerung). Bezüglich des vom Arbeitgeber überlassenen Fahrzeugs erklärte der Kläger, dass ein sog. Voll-Leasing-Modell vorliege, bei dem sämtliche Betriebskosten des Fahrzeugs durch die vom Arbeitgeber entrichteten Leasingraten abgegolten würden. Er könne daher keine Einzelbelege (Tankquittungen, Werkstatt-Rechnungen etc.) vorlegen, sondern lediglich eine Bescheinigung des Arbeitsgebers zu den von diesem getragenen Kosten.
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Im Einkommensteuerbescheid vom 26.08.2021 erkannte der Beklagte die Fahrtenbuchmethode unter Hinweis auf die fehlenden Einzelnachweise nicht an. Zudem beschränkte der Beklagte die abzugsfähigen Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer auf 1.250 EUR.
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Den hiergegen gerichteten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 28.01.2022 (einem Freitag), die an den Prozessbevollmächtigten des Klägers adressiert war, als unbegründet zurück. Die 9-seitige Einspruchsentscheidung umfasste durch Druck auf Vorder- und Rückseite insgesamt fünf Blatt Papier der Größe DIN A4 und wurde vom zuständigen Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle persönlich unterschrieben. Die Einspruchsentscheidung wurde mit einfachem Brief versandt.
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Der Kläger hat ‒ vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten ‒ Klage erhoben, die bei Gericht am 03.03.2022 eingegangen ist. Hierzu führt er aus, dass ihm die Einspruchsentscheidung am 03.02.2022 (einem Donnerstag) „zugestellt“ worden sei. Die der Klageschrift beigefügte Einspruchsentscheidung weist einen Eingangsstempelaufdruck mit dem Datum „03.02.2022“ auf.
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Auf Nachfrage des Gerichts teilt der Beklagte im Hinblick auf die Aufgabe zur Post mit, dass er für den üblichen Schriftverkehr kein Postausgangsbuch führe. Der Ablauf der Postversendung gestalte sich so, dass ein Mitarbeiter der Poststelle des Beklagten die Ausgangspost der verschiedenen Dienststellen des Beklagten arbeitstäglich gegen 10:30 Uhr abhole und versandfertig mache. Die tägliche Ausgangspost werde sodann gegen 14:10 Uhr vom Postdienstleister A GmbH & Co. KG (nachfolgend „A GmbH & Co. KG“) abgeholt. Der Sachbearbeiter, der die Einspruchsentscheidung verfasst habe, versehe Schreiben, die er erst nach Abholung durch die Poststelle fertigstelle, stets mit dem Datum des Folgetags, da diese Schriftstücke erst dann abgeholt würden. Nach Umstellung auf die elektronische Aktenführung existiere grundsätzlich keine Verfügung mehr, auf der ein „Ab-Vermerk“ händisch eingetragen werde. Der Nachweis der Aufgabe zur Post erfolge vielmehr nach abschließender Zeichnung und Bereitstellung für den Postversand dadurch, dass das Schriftstück in der elektronischen Akte endgültig abgelegt werde. Einmal am Tag (um 21 Uhr) erfolge eine automatische Verarbeitung der Dokumente, wodurch sich das Dokument (revisionssicher) im Langzeitspeicher befinde. Für die hier streitige Einspruchsentscheidung sei anhand des Dialogfelds „Dokumenteneigenschaften“ feststellbar, dass die Einspruchsentscheidung am 27.01.2022 nach 10:30 Uhr abschließend gefertigt und mit dem Datum vom 28.01.2022 versehen worden sei, da erst an diesem Tag die Abholung und Aufgabe zur Post habe erfolgen können. Dem üblichen Ablauf entsprechend sei die Einspruchsentscheidung somit am 27.01.2022 fertiggestellt und in ihrer physischen Form für den Folgetag (in einem Briefumschlag) in den Postausgang gelegt worden, von der Poststelle am 28.01.2022 gegen 10:30 Uhr abgeholt, dort weiter bearbeitet (zugeklebt und sortiert) und an den Postdienstleister übergegeben worden. Auch seien keine Umstände festgestellt worden, die auf Verzögerungen oder Unregelmäßigkeiten des (hauseigenen oder externen) Postversands hindeuteten. Zum Nachweis des beschriebenen Ablaufs hat der Beklagte dem Gericht die folgenden Unterlagen vorgelegt:
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- einen Ausdruck der „Dokumenteneigenschaften“ aus der elektronischen Akte, die die Felder „Datum Abschließen 27.01.2022“ und „Datum des Schreibens 28.01.2022“ ausweist,
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- zwei Screenshots der zusätzlich zur elektronischen Akte auf dem Dienstrechner des Sachbearbeiters abgespeicherten Word-Datei, wonach die letzte Änderung des Word-Dokumentes am 27.01.2022 um 12:05 Uhr erfolgt ist,
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- einen von dem Sachbearbeiter zusätzlich geführten manuellen „Laufzettel“, auf dem im Textfeld „EE zur Post am:“ handschriftlich das Datum „28.01.22“ eingetragen ist.
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Auf die vorgelegten Nachweise sowie das Schreiben des Beklagten vom 22.04.2022 wird Bezug genommen.
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Der Kläger teilt auf Hinweis des Gerichts, dass er für die Widerlegung der Zugangsfiktion im Rahmen des Möglichen substantiiert Tatsachen vorzutragen habe, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuteten und damit Zweifel an der Zugangsfiktion begründeten, mit, dass außer dem Eingangsstempel auf der Einspruchsentscheidung keine Vermerke über den Posteingang angefertigt worden seien. Auch bestehe keine Möglichkeit zu weiteren Nachforschungen, da die für den Posteingang zuständige Mitarbeiterin am Tag des Zugangs urlaubsbedingt abwesend gewesen sei. Der „Post-Dienst“ werde im Urlaubsfall durch eine der anderen Mitarbeiterinnen (ohne das deren Name festgehalten werde) stellvertretend und täglich wechselnd übernommen. Der Briefumschlag mit dem Poststempel sei (wie üblich) nicht aufbewahrt worden. Hierzu habe keine Veranlassung bestanden. Denn nicht er, der Kläger, sondern der Beklagte sei für die Aufgabe zur Post beweispflichtig (unter Verweis auf Bundesfinanzhof (BFH), Beschl. v. 26.02.2021, X B 108/20, BFH/NV 2021, 929). Die Ausführungen des Beklagten enthielten keine belastbaren Angaben zum Zeitpunkt der Aufgabe zur Post. Der Beklagte habe durch die Beschreibung zur Fertigstellung des Dokuments sowie der verwaltungsinternen Abläufe nicht dargelegt, wann die Einspruchsentscheidung tatsächlich seinen Machtbereich verlassen habe, also an den Postdienstleister übergeben worden sei. Das Datum der Einspruchsentscheidung lasse keinen sicheren Rückschluss auf den Zeitpunkt der Aufgabe zur Post zu, eine schriftliche Dokumentation der Übergabe an „A GmbH & Co. KG“ fehle gänzlich. Auch spreche die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass die Weiterverarbeitung der an einem Freitag erlassenen Einspruchsentscheidung beim Beklagten oder später beim Postdienstleister erst nach dem Wochenende erfolgt sein könne.
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Ferner sei der Postdienstleister „A GmbH & Co. KG“ unzuverlässig. So habe sein, des Klägers, Prozessbevollmächtigter seine frühere Vertragsbeziehung zu „A GmbH & Co. KG“ fristlos gekündigt, da es zu erheblichen Beschwerden der Mandantschaft über die Qualität der Zustellungen gekommen sei (u.a. beschädigter Zustand der Briefe, fehlender Inhalt). Auch stelle sein Prozessbevollmächtigter immer wieder fest, dass die mit „A GmbH & Co. KG“ versandte Post erst nach erheblichem Zeitablauf zugestellt werde. Als Beispiel hierfür hat der Prozessbevollmächtigte ein an ihn adressiertes Hinweisschreiben des Sozialgerichts N-Stadt vom 14.03.2022 vorgelegt, welches ihm ‒ ausweislich des Eingangsstempels ‒ erst am 08.04.2022 zugegangen sei. Auch in jüngster Zeit hätten den Prozessbevollmächtigten durch „A GmbH & Co. KG“ übermittelte Schreiben des Beklagten mit erheblichen Zeitverzögerungen erreicht. So habe er ein Schreiben des Beklagten vom 16.03.2023 erst am 23.03.2023 erhalten. Der zugehörige ‒ dem Gericht vorgelegte ‒ Briefumschlag weist Daten des Postdienstleisters „B“ vom 16.03.2023 und „A GmbH & Co. KG“ vom 20.03.2023 auf. Die überlangen Postlaufzeiten von „A GmbH & Co. KG“ empfinde der Prozessbevollmächtigte mittlerweile als „normal“.
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Das Gericht hat schriftliche Auskünfte des Postdienstleisters „A GmbH & Co. KG“ zur (allgemeinen und konkret streitgegenständlichen) Postzustellung an die Adresse des Prozessbevollmächtigten eingeholt. Daraufhin hat „A GmbH & Co. KG“ mitgeteilt, dass die A-Straße (die Straße, in der der Prozessbevollmächtigte seinen Kanzleisitz hat) in einem Gewerbegebiet liege. In Gewerbegebieten sei die Post im Januar/Februar 2022 grundsätzlich von Dienstag bis Freitag zugestellt worden sowie zusätzlich am Montag; am Montag sei die Post zugestellt worden, die in einem Wohngebiet (Zustellung dort von Dienstag bis Samstag) am Samstag zugestellt worden wäre. Ein am Freitag beim Beklagten abgeholter Brief hätte am A-Straße daher in der Regel an dem folgenden Montag zugestellt werden müssen. Im Rahmen der Antwortschreiben hat „A GmbH & Co. KG“ zwei sog. Sendungsdetails vorgelegt und dazu mitgeteilt, dass weitere Sendungen für die zu den vom Gericht angefragten Zeitpunkten (28.01.2022 und 31.01.2022) für die seitens des Gerichts genannte Adresse (die des Prozessbevollmächtigten) nicht registriert worden seien. Die Sendungsdetails enthalten folgende Angaben:
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Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.
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Wegen der weiteren Auskunft wird auf die Antwortschreiben von „A GmbH & Co. KG“ vom 17.03.2023 (welches ausweislich des Briefumschlages am 17.03.2023 zur Post aufgegeben, per Einwurf-Einschreiben durch „A GmbH & Co. KG“ versandt worden und bei Gericht am 21.03.2023 eingegangen ist) und vom 02.05.2023 (Eingang bei Gericht am 03.05.2023) Bezug genommen.
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Bezüglich des (erst) am 21.03.2023 erfolgten Eingangs des Antwortschreibens vom 17.03.2023 hat „A GmbH & Co. KG“ mitgeteilt, dass dies bei normalem Verlauf früher hätte zugehen müssen. Bedingt durch die Schließung des Unternehmens Ende Juni 2023 und den sukzessiven Wegfall des Personals werde die Post in einigen Bezirken alle ein bis zwei Tage zugestellt.
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Bezüglich des Auskunftsersuchens führt der Kläger an, dass sich daraus entnehmen lasse, dass die Einspruchsentscheidung gerade nicht am 28.01.2022 zur Post aufgegeben worden sei. Denn die Einspruchsentscheidung wäre ‒ „je nachdem, ob diese doppelseitig bedruckt“ worden wäre ‒ mitsamt Briefumschlag entweder ca. 49 Gramm oder ca. 29 Gramm schwer gewesen, während die „Sendungsdetails“ ein Gewicht von 34 Gramm ausweisen würden. Die Einspruchsentscheidung könne somit nicht in dem am 28.01.2022 beim Beklagten abgeholten Brief enthalten gewesen sein. Selbiges gelte ‒ bei einem Gewicht von neun Gramm ‒ für das am 01.02.2022 abgeholte Schreiben. Auch könne dem Antwortschreiben entnommen werden, dass es bedingt durch Personalumbesetzungen vorkommen könne, dass an einzelnen Anschriften kurzfristig nur alle zwei Tage Post zugestellt werde, sowie dass eine Zustellung an der Adresse des Prozessbevollmächtigten generell nur von Dienstag bis Freitag erfolgen würde. Im Übrigen belege auch das Antwortschreiben vom 17.03.2023 aufgrund des Eingangs beim Gericht am 21.03.2023 die Unzuverlässigkeit von „A GmbH & Co. KG“, da dieses nach den eigenen Angaben von „A GmbH & Co. KG“ bereits am 18.03.2023 hätte zugestellt werden müssen. Die Angaben von „A GmbH & Co. KG“ hinsichtlich der üblichen Laufzeiten seien ferner dadurch widerlegt, dass die Zustellung des an den Klägervertreter gerichteten Schreibens des Beklagten vom 16.03.2023 nicht erst einen Tag nach Übergabe an „A GmbH & Co. KG“, also am 21.03.2023, erfolgt sei, sondern erst drei Tage nach erfolgter Übergabe.
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Der Kläger beantragt,
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den Einkommensteuerbescheid 2020 vom 26.08.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.01.2022 dahingehend zu ändern, dass Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit i. H. v. 93.719 EUR berücksichtigt werden,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen und
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die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er ist der Auffassung, dass die Aufgabe zur Post am 28.01.2022 zweifelsfrei feststehe.
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Die Sache ist am 11.05.2023 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig, weil sie nach Ablauf der Klagefrist beim Finanzgericht einging.
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Die Frist zur Erhebung der vorliegenden Anfechtungsklage beträgt nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Monat. Sie begann gemäß § 54 Abs. 1 FGO am 31.01.2022 (einem Montag), da die Einspruchsentscheidung an diesem Tag als bekannt gegeben galt, und endete am 28.02.2022 (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 und Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch).
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Gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 1 Abgabenordnung (AO) gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AO).
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Nach ständiger Rechtsprechung des BFH setzt die Drei-Tages-Bekanntgabefiktion voraus, dass feststeht, wann der mit einfachem Brief übersandte Verwaltungsakt tatsächlich zur Post aufgegeben worden ist. Im Hinblick darauf, dass dieser Zeitpunkt allein dem Wissens- und Verantwortungsbereich der Finanzbehörde zuzuordnen ist, bedarf es insoweit keines substantiierten Bestreitens durch den Steuerpflichtigen. Etwaige Versäumnisse des Steuerpflichtigen bei der Substantiierung des Zeitpunkts des Zugangs des Verwaltungsaktes beeinflussen gerade nicht den Grad der richterlichen Überzeugungsbildung für dessen Aufgabe zur Post; beide für die Anwendung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO maßgeblichen Ereignisse sind unabhängig voneinander zu beurteilen. Lässt sich das Datum der Aufgabe zur Post nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststellen, ist die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht anwendbar (BFH, Beschl. v. 26.02.2021, X B 108/20, BFH/NV, 2021, 193 m.w.N.).
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Vorliegend steht nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO) für das erkennende Gericht fest, dass die per einfachem Brief versandte Einspruchsentscheidung am 28.01.2022 vom Beklagten tatsächlich zur Post aufgegeben wurde.
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Zum einen ergibt sich aus der Schilderung des Beklagten, dass die Einspruchsentscheidung bereits am 27.01.2022 fertiggestellt und ‒ da die Fertigstellung zeitlich erst nach der am 27.01.2022 Postabholung durch die Poststelle erfolgte ‒ auf den 28.01.2022 vordatiert wurde. Diese Angaben werden durch den vom Beklagten vorgelegten Ausdruck der „Dokumenteneigenschaften“ aus der elektronischen Akte sowie durch die Screenshots der zusätzlich zur elektronischen Akte auf dem Dienstrechner des Sachbearbeiters abgespeicherten Word-Datei gestützt. Denn daraus lässt sich entnehmen, dass die Einspruchsentscheidung letztmalig am 27.01.2022 um 12:05:34 Uhr geändert worden ist. Der weitere Vortrag des Beklagten sowie der zusätzlich vom Sachbearbeiter geführte manuelle „Laufzettel“ veranschaulichen, dass die Einspruchsentscheidung durch den Sachbearbeiter am 27.01.2022 zur Weiterleitung an die amtseigene „Poststelle“ bereitgelegt wurde und von dieser am 28.01.2022 gegen 10:30 Uhr ‒ und somit rechtzeitig vor der arbeitstäglichen Postabholung durch „A GmbH & Co. KG“ ‒ im Büro des Sachbearbeiters abgeholt wurde. Da der Sachbearbeiter die Einspruchsentscheidung eigenständig unterschrieben hat, bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es zwischen der Fertigstellung der Einspruchsentscheidung und der Bereitstellung für die amtsinterne „Poststelle“ zu einer zeitlichen Verzögerung gekommen sein könnte.
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Zum anderen ist der Senat auch davon überzeugt, dass die Einspruchsentscheidung von der amtsinternen Poststelle am 28.01.2022 an „A GmbH & Co. KG“ übergeben wurde.
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Zwar handelt es sich bei den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen nur um Nachweise dafür, dass die Einspruchsentscheidung am 28.01.2022 von dem zuständigen Sachbearbeiter an die amtseigene Poststelle weitergeleitet wurde, hingegen nicht dafür, dass die Einspruchsentscheidung an diesem Tag auch noch von der Poststelle an den Postdienstleister übergeben wurde. Einen erhöhten Beweiswert hat der Absendevermerk nur dann, wenn der Vermerk von einem Bearbeiter stammt, der die Absendung persönlich vorgenommen oder sich in anderer Weise von ihrem Vollzug überzeugt hat. Sofern ‒ wie hier ‒ der Absendevermerk von einem Bearbeiter stammt, der lediglich glaubt, den Tag der Aufgabe zur Post voraussagen zu können, ist darüber zu entscheiden, ob angesichts des im Finanzamt geregelten Postabsendeverfahrens eine solche Voraussage mit hinreichender Gewissheit getroffen werden kann; verbleibende Zweifel gehen zu Lasten der Behörde (u.a. BFH, Urt. v. 19.12.1984, I R 7/82, BFHE 143, 200, BStBl. II 1985, 485; Vorlagebeschluss vom 17.09.2002, IX R 68/98, BFHE 199, 493, BStBl. II 2003, 2). Auch kann bei Fertigung eines Absendevermerks in einer Dienststelle des Beklagten und der erst anschließenden Weiterleitung an die Poststelle nicht ausgeschlossen werden, dass ein zur Versendung bestimmtes Schriftstück die Poststelle gar nicht erreicht hat (BFH, Urt. v. 28.09.2000, III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211). Dementsprechend muss das Finanzgericht bei Fehlen eines Absendevermerks der Poststelle nach seiner freien Überzeugung beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht; die Regeln eines Anscheinsbeweises sind insoweit nicht anwendbar (BFH, Beschl. v. 03.07.2009, IX B 18/09, juris m.w.N.).
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Im Streitfall ist die am 28.01.2022 erfolgte Weiterleitung an „A GmbH & Co. KG“ auch ohne ein (vom Beklagten nicht geführtes) Postausgangskontrollbuch oder einen von der Poststelle gefertigten Absendevermerk anhand der Sendungsdaten von „A GmbH & Co. KG“ zweifelsfrei feststellbar. So hat „A GmbH & Co. KG“ im Rahmen des schriftlichen Auskunftsersuchens erklärt, am 28.01.2022 ausweislich der GPS-Daten um 13:36 Uhr die Post beim Beklagten abgeholt zu haben. Dass sich die Einspruchsentscheidung bei normalem Ablauf in der übergebenen Post befand, ergibt sich daraus, dass die Ausgangspost des konkret zuständigen Sachbearbeiters ausweislich der detaillierten Schilderung des Beklagten bei diesem arbeitstäglich gegen 10:30 Uhr abgeholt und an die Poststelle weitergeleitet wird. Es verblieb somit innerhalb der Poststelle des Beklagten hinreichend Zeit, den konkreten Briefumschlag zuzukleben und für die Abholung bereitzustellen. Dass die Einspruchsentscheidung auch tatsächlich an „A GmbH & Co. KG“ übergeben wurde, ergibt sich wiederum daraus, dass die Merkmale der Einspruchsentscheidung mit den Sendungsdaten von „A GmbH & Co. KG“ vom 28.01.2022 übereinstimmen: Zwar war es dem Senat nicht möglich, die vom Kläger mit der Ladung zum Termin angeforderte Original-Einspruchsentscheidung in Augenschein zu nehmen. Jedoch lassen unabhängig von dieser Inaugenscheinnahme sämtliche Umstände darauf schließen, dass die Einspruchsentscheidung am 28.01.2022 abgesandt wurde. Denn die Original-Einspruchsentscheidung weist ausweislich der im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgten Erklärung des Prozessbevollmächtigten einen Knick auf, was auf die Versendung in einem Briefumschlag des Formats C5 schließen lässt. Mitsamt eines Exemplars der vom Beklagten verwendeten Briefumschläge im Format C5 sind fünf Blätter des Papiers, das der Beklagte gewöhnlich für Einspruchsentscheidungen verwendet, nach dem vom Senat in der mündlichen Verhandlung mithilfe einer (allerdings ungeeichten) Waage durchgeführten Wiegevorgangs insgesamt 35 Gramm schwer. Dieses Gewicht stimmt ‒ bis auf einen geringen Unterschied von einem Gramm ‒ mit den „Sendungsdetails“ überein, die „A GmbH & Co. KG“ dem Gericht für eine vom Beklagten an die Adresse des Prozessbevollmächtigten gerichtete Postversendung vom 28.01.2022 vorgelegt hat. Zwar heißt es in den Sendungsdetails, dass die Briefsendung im Format C4 erfolgt sei. Allerdings spricht alles dafür, dass es sich um einen Erfassungsfehler handelt. Zu berücksichtigen ist dabei, dass es keinen Unterschied macht, ob sich ein Brief in einem Umschlag des Formats C4 oder des Formats C5 befindet, solange das Gewicht 500 Gramm nicht übersteigt: Das von „A GmbH & Co. KG“ erhobene Entgelt ist in beiden Fällen gleich. Zudem kann die Einspruchsentscheidung nicht durch den am 01.02.2022 eingelieferten Brief versandt worden sein, weil dieser das Briefformat C6 und ein Gewicht von (nur) 9 Gramm aufwies. Selbst wenn der Beklagte die Einspruchsentscheidung ‒ was angesichts von 5 Blättern eher fernliegend erscheint ‒ in einem Brief des Formats C6 versandt hätte, wäre die Postsendung mit 29 Gramm deutlich schwerer gewesen. Zudem hätte die Einspruchsentscheidung in diesem Fall zwingend zwei weitere Knicke aufweisen müssen. Da die Einspruchsentscheidung dem Prozessbevollmächtigten tatsächlich zuging, muss die Einspruchsentscheidung auch in einer der beiden von „A GmbH & Co. KG“ angegebenen Postsendungen enthalten gewesen sein. Denn weitere Postsendungen des Beklagten sind nach Auskunft von „A GmbH & Co. KG“ am 28.01., 31.01. und 01.02.2022 für die Anschrift des Prozessbevollmächtigten nicht registriert worden. Hätte es an diesen Tagen weitere Postsendungen gegeben, hätten diese registriert sein müssen, da „A GmbH & Co. KG“ alle Briefsendungen standardmäßig nach deren Abholung im Briefzentrum den jeweiligen Kunden zuordnet und die Sendungsdetails für 410 Tage speichert. Die Annahme einer Einlieferung erst am 02.02.2022 scheidet nach den geschilderten Abläufen aus.
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Dem Kläger ist es demgegenüber nicht gelungen, berechtigte Zweifel an der gesetzlichen Bekanntgabefiktion zu begründen.
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Nach der Rechtsprechung des BFH muss ein Steuerpflichtiger, der nicht den Zugang des Verwaltungsakts an sich bestreitet, sondern lediglich behauptet, ihn nicht innerhalb des Drei-Tages-Zeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erhalten zu haben, sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen substantiieren, um Zweifel an der gesetzlichen Bekanntgabefiktion zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische ‒ Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ‒ ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Es genügt nicht schon einfaches Bestreiten, um die gesetzliche Vermutung über den Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstücks zu entkräften. Es müssen vielmehr Zweifel berechtigt sein, sei es nach den Umständen des Falles, sei es nach dem schlüssig oder jedenfalls vernünftig begründeten Vorbringen des Steuerpflichtigen (BFH, Urt. v. 14.06.2018, III R 27/17, BFHE 262, 193, BStBl. II 2019, 16 m.w.N.). Das Erfordernis an einen substantiierten Tatsachenvortrag darf allerdings nicht dazu führen, die Regelung über die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Finanzbehörde trifft, zu Lasten des Steuerpflichtigen umzukehren (BFH, Urt. v. 14.06.2018, III R 27/17, BFHE 262, 193, BStBl. II 2019, 16 m.w.N.), sodass an den Grad der Substantiierung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen sind (BFH, Beschl. v. 26.02.2021, X B 108/20, BFH/NV 2021, 929). Hat der Steuerpflichtige seinen Vortrag im Rahmen des ihm Möglichen substantiiert, hat das Finanzgericht die Frage, ob „Zweifel“ daran bestehen, dass ihm die Einspruchsentscheidung innerhalb der Drei-Tages-Frist zugegangen ist, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu beantworten, § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO (BFH, Urt. v. 14.06.2018, III R 27/17, BFHE 262, 193, BStBl. II 2019, 16).
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Auch unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ergeben sich im vorliegenden Fall keine berechtigten Zweifel an dem typischen Geschehensablauf, dass die Einspruchsentscheidung den Prozessbevollmächtigten des Klägers am dritten Tag nach Aufgabe zur Post erreicht hat.
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Zum Nachweis für den erst am 03.02.2022 erfolgten Zugang stützt sich der Kläger auf den auf der Einspruchsentscheidung angebrachten Eingangsstempel seines Bevollmächtigten. Zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist ist ein abweichender Eingangsvermerk ‒ als solcher ist der Eingangsstempel zu werten ‒ hingegen alleine nicht ausreichend, auch wenn dieser als private Urkunde zu beurteilen wäre (BFH, Beschl. v. 27.02.1998, IX B 29/96, BFH/NV 1998, 1064; Beschl. v. 30.11.2006, XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389; Beschl. v. 25.02.2010, IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115). Eine als mögliche anwaltliche Versicherung zu wertende Erklärung des Prozessbevollmächtigten genügt zur Glaubhaftmachung des Zugangszeitpunktes ebenso nicht, wenn objektive Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten (BFH, Beschl. v. 25.02.2010, IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115). Als objektives Beweismittel kommt nach der Rechtsprechung des BFH der betreffende Briefumschlag mit dem sich darauf befindlichen Poststempel in Betracht (BFH, Beschl. v. 25.02.2010, IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115; Beschl. v. 01.12.2010, VIII B 123/10, BFH/NV 2011, 410). Da der Kläger den Briefumschlag nicht vorlegen konnte, muss der Senat nicht entscheiden, ob er sich dieser Sichtweise anschließen könnte. Der Kläger weist insoweit zu Recht darauf hin, dass der Poststempel Aufschluss über den Tag der Aufgabe zur Post gibt, jedoch nicht über den Tag des Zugangs beim Empfänger. Allerdings hätte es nahegelegen, den ‒ nach dem Vorbringen des Klägers ‒ vorliegenden atypisch langen Postlauf umgehend beim Beklagten schriftlich oder telefonisch anzuzeigen und ‒ im Falle einer telefonischen Anzeige ‒ einen Gesprächsvermerk zu fertigen (BFH, Beschl. v. 16.05.2007, V B 169/06, BFH/NV 2007, 1454).
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Berechtigte Zweifel an der Zugangsfiktion ergeben sich auch nicht aus der im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgten Befragung des Prozessbevollmächtigten. Der Prozessbevollmächtigte hat erläutert, dass ein eingehendes Schriftstück grundsätzlich von der für die Post zuständigen Mitarbeiterin mit einem Eingangsstempelaufdruck versehen und dann (ohne Briefumschlag) an den Berufsträger der Bürogemeinschaft, an den das Schriftstück gerichtet sei, weitergeleitet werde. Diese Mitarbeiterin sei am 03.02.2022 urlaubsbedingt abwesend gewesen, so dass eine der anderen Mitarbeiterinnen den „Post-Dienst“ versehen habe. Wer dies gewesen sei, lasse sich nicht feststellen, weil nicht festgehalten worden sei, wer die Vertretung übernommen habe. Dies werde grundsätzlich nicht festgehalten. Die Mitarbeiterinnen regelten dies untereinander. Hieraus lässt sich entnehmen, dass die Einspruchsentscheidung dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit dem Eingangsstempelaufdruck „03.02.2022“ vorgelegt wurde und er hiernach die Klagefrist berechnete. Wer das Eingangsdatum aufgebracht hat, ist unklar. Zudem lässt sich nicht feststellen, dass die Vertretung der zuständigen Mitarbeiterin organisatorisch sichergestellt war. Die durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgenommene Fristenkontrolle gibt keinen Aufschluss darüber, an welchem Tag die Einspruchsentscheidung zugegangen ist. Denn diese (per DATEV oder Outlook) vorgenommene Kontrolle basiert ausschließlich auf dem Eingangsstempelaufdruck, der sich bereits auf dem Schriftstück befindet, wenn es dem Prozessbevollmächtigten vorgelegt wird.
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Auch die vom Kläger behauptete ‒ nach der Auffassung des Prozessbevollmächtigten mittlerweile als „normal“ empfundene ‒ generelle Unzuverlässigkeit von „A GmbH & Co. KG“ begründet keine berechtigten Zweifel an der Zugangsvermutung. Denn weder ein allgemeiner Einwand auf Unregelmäßigkeiten innerhalb der Finanzbehörde (BFH, Beschl. v. 16.05.2007, V B 169/06, BFH/NV 2007, 1454) noch auf Unregelmäßigkeiten bei der Austragung der Post durch den Postdienstleister reichen zur Erschütterung aus (Niedersächsisches FG, Urt. v. 06.08.1996, VII B 96/96, EFG 1997, 3; FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 03.07.2014, 10 K 10238/13, EFG 2014, 1893). Hieran ändert auch das an den Prozessbevollmächtigten gerichtete Schreiben des Sozialgerichts Münster vom 14.03.2022, welches laut Eingangsstempel am 08.04.2022 zugegangen ist, sowie die Tatsache, dass das Antwortschreiben von „A GmbH & Co. KG“ vom 17.03.2023 erst am 21.03.2023 beim Finanzgericht einging, nichts. Denn unabhängig davon, dass bezüglich des Schreibens des Sozialgerichts nicht klar ist, wann dieses das Sozialgericht verlassen hat und ob sich der verspätete Eingang des Antwortschreibens von „A GmbH & Co. KG“ dadurch erklären lässt, dass „A GmbH & Co. KG“ seinen Betrieb Ende Juni 2023 (also über ein Jahr nach dem hier streitigen Zeitraum) einstellen wird und deshalb sukzessive Personal wegfällt, lässt sich aus vereinzelt verzögerten Postversendungen nicht der Rückschluss ziehen, dass per se berechtigte Zweifel an einer im Einklang mit der Drei-Tages-Fiktion stehenden Postversendung bestehen. In objektiver Hinsicht sind vielmehr die von „A GmbH & Co. KG“ vorgelegten, durch die Firma D durchgeführten Laufzeitmessungen für den Zeitraum Januar bis März 2022 heranzuziehen. Denn ausweislich dieses Messergebnisses hat „A GmbH & Co. KG“ die Referenzwerte nach § 2 Ziffer 3 Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) für die Laufzeiten „E+1“ i. H. v. 80 % und „E+2“ i. H. v. 95 % eingehalten. Auch der vom Kläger vorgelegte Briefumschlag, welcher das an den Prozessbevollmächtigten gerichtete Schreiben des Beklagten vom 16.03.2023 beinhaltet haben soll, lässt entgegen der klägerischen Auffassung den Rückschluss zu, dass „A GmbH & Co. KG“ innerhalb der Drei-Tages-Fiktion zustellt. Denn das Schreiben ist ausweislich der Briefstempel zunächst an „B“ übergeben und von da aus erst am 20.03.2023 an „A GmbH & Co. KG“ weitergeleitet worden, sodass „A GmbH & Co. KG“ diesen drei Tage nach dort erfolgtem Eingang, am 23.03.2023, zugestellt hat. Im Übrigen hat sich die Übermittlung des Schreibens vom 16.03.2023 anders gestaltet als die der Einspruchsentscheidung vom 28.01.2022. Denn das Schreiben vom 16.03.2023 ist unter Einschaltung von zwei Postdienstleistern bekannt gegeben worden, sodass die Zugangsvermutung deshalb widerlegt sein kann (vgl. BFH, Urt. v. 14.06.2018, III R 27/17, BFHE 262, 193, BStBl. II 2019, 16; Beschl. v. 07.05.2019, III B 59/18, BFH/NV 2019, 897). Im hiesigen Fall hingegen hat „A GmbH & Co. KG“ ausdrücklich mitgeteilt, zum Zeitpunkt Januar und Februar 2022 bei Zustellungen des Beklagten keine Subunternehmer eingesetzt zu haben.
43
Sofern der Kläger geltend macht, dass „A GmbH & Co. KG“ (an seinen in einem Gewerbegebiet ansässigen Prozessbevollmächtigten) nur von dienstags bis freitags zustellen würde, ist diese ‒ nicht näher substantiierte ‒ Behauptung nicht geeignet, Zweifel an der Geltung der Drei-Tages-Fiktion zu wecken. Insbesondere widerspricht diese Behauptung den Antwortschreiben von „A GmbH & Co. KG“ vom 17.03.2023 (vgl. Tz. 3c und Tz. 6c) und vom 02.05.2023. Diesen Schreiben lässt sich zweifelsfrei entnehmen, dass „A GmbH & Co. KG“ zwar montags grundsätzlich nicht zustellt. Da samstags in Gewerbegebieten keine Zustellung erfolgt, wird die Post, die an sich samstags hätte zugestellt werden müssen, am darauffolgenden Montag zugestellt. Die klägerische Auffassung, dass der Montag standardmäßig zustellfrei sei, trifft somit laut Auskunft des Postdienstleisters im „Ausnahmefall“ Gewerbegebiet nicht zu (vgl. auch Tz. 7a des Antwortschreibens vom 17.03.2023).
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Der Senat folgt auch nicht der Ansicht des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg, wonach die Drei-Tages-Fiktion ‒ wohl generell ‒ nicht anwendbar sein soll, wenn nach dem Absendetag innerhalb der Drei-Tages-Frist planmäßig zwei zustellfreie Tage liegen bzw. regelmäßig an einem Werktag keine Postzustellung stattfindet (FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.08.2022, 7 K 7045/20, EFG 2023, 81 ‒ anhängiges Revisionsverfahren: BFH VI R 18/22). Zwar stellte „A GmbH & Co. KG“ an der Kanzleianschrift des Prozessbevollmächtigten aufgrund der Lage in einem Gewerbegebiet im Januar und Februar 2022 nicht an Samstagen zu, sodass zwischen der am 28.01.2022 (Freitag) erfolgten Aufgabe zur Post und dem (vermuteten) Zugang am 31.01.2022 (Montag) zwei zustellfreie Tage liegen. Auch sieht § 2 Nr. 5 PUDLV vor, dass eine Zustellung mindestens einmal werktäglich zu erfolgen hat (dazu BFH, Beschl. v. 23.02.2018, X B 61/17, BFH/NV 2018, 601). Dass an zwei aufeinanderfolgenden Tagen planmäßig keine Zustellung erfolgt, führt nach Auffassung des Senats jedoch ebenso wie ein regelmäßig zustellfreier Werktag nicht dazu, dass die Drei-Tages-Fiktion unabhängig vom Vortrag des Steuerpflichtigen unanwendbar ist. Hierfür sprechen auch nicht die konkreten Umstände des Streitfalles: Ausweislich der „Sendungsdetails“ ist die Einspruchsentscheidung um 17:41:14 Uhr im Sortierzentrum eingegangen. Da die im Sortierzentrum erfassten Briefe nach der Auskunft von „A GmbH & Co. KG“ sodann gegen ca. 04:30 Uhr des Folgetages in das zuständige Zustelldepot für die dortige Zustellung ausgeliefert werden, ist ein hinreichender Zeitraum verblieben, der auf eine tatsächliche Weiterleitung an das Zustelldepot schließen lässt. Anhaltspunkte dafür, dass eine bereits am Samstag im Zustelldepot eingegangene Sendung, die erst am Montag zustellt worden soll, an diesem Tag nicht zugestellt wird, bestehen nicht. Zur konkret befragten Sendung hat „A GmbH & Co. KG“ mitgeteilt, „wie üblich“ zugestellt zu haben, eventuelle personelle Ausfälle seien durch Vertretungen abgesichert gewesen. Im Übrigen ist zu beachten, dass der Messwert „E+2“ von „A GmbH & Co. KG“ im fraglichen Zeitraum i. H. v. 95,5 % den Zeitraum zwischen dem Einlieferungstag und dem zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag und nicht den Zeitraum zwischen Anlieferung an das zuständige Zustelldepot und Postzustellung abbildet (vgl. § 2 Nr. 3 PUDLV), sodass etwaige Verzögerungen durch den zustellfreien Samstag und Weiterleitungen an das Zustelldepot bereits berücksichtigt sind. Bei einer Zustellquote von 95,5 % kann nicht (generell) von einer atypischen Konstellation ausgegangen werden, die ohne Vorliegen weiterer Umstände die Drei-Tages-Fiktion entkräftet.
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Dem Kläger war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO). Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Pflicht einzuhalten. Der Kläger hat weder Wiedereinsetzungsgründe geltend gemacht noch sind entsprechende Gründe ersichtlich. Der Kläger muss sich das Verhalten seines Prozessbevollmächtigten nach § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen lassen. Die Klagefrist wurde versäumt, weil die Frist ausgehend vom 03.02.2022 und nicht ‒ wie es erforderlich und richtig gewesen wäre ‒ vom 31.01.2022 berechnet wurde. Die Drei-Tages-Fiktion nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO und die hierzu ergangene BFH-Rechtsprechung hätten bekannt sein müssen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hätte daher entweder Beweisvorsorge im Hinblick auf die von ihm zu begründenden Zweifel an der Drei-Tages-Fiktion treffen oder die Frist ausgehend vom 31.01.2022 berechnen müssen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 FGO zuzulassen. Der Senat weicht hinsichtlich der hier entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg ab (Urt. v. 24.08.2022, 7 K 7045/20, EFG 2023, 81 ‒ anhängiges Revisionsverfahren: BFH VI R 18/22), wonach die Zugangsvermutung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO unabhängig davon entfällt, ob der Empfänger berechtigte Zweifel gegen den nach der Zugangsvermutung berechneten Bekanntgabezeitpunkt erhoben hat, wenn innerhalb der Drei-Tages-Frist planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bzw. regelmäßig an einem Werktag keine Postzustellung stattfindet.