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  • 02.12.2020 · IWW-Abrufnummer 219266

    Finanzgericht Schleswig-Holstein: Urteil vom 02.09.2020 – 2 K 159/19

    "Rentenbeginn" i.S. des § 22 EStG ist auch dann das Jahr der tatsächlichen Bewilligung, wenn der bereits früher bestehende Rentenanspruch satzungsgemäß auf Antrag des Rentenberechtigten hinausgeschoben wird.


    Finanzgericht Schleswig-Holstein

    Urteil vom 02.09.2020


    In dem Rechtsstreit

    wegen Einkommensteuer 2016

    hat der 2. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts am 2. September 2020 für Recht erkannt:

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

    Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über die Rechtsfrage, wie der Rentenbeginn aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) zu bestimmen ist.

    Die Kläger sind verheiratet und werden gemäß § 26 EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezieht Beteiligungseinkünfte aus selbständiger Arbeit, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Renteneinkünfte. Daneben beziehen die Kläger Einkünfte aus gewerblichen Beteiligungen. Bei den Renteneinkünften des Klägers bezieht der Kläger neben einer Rente aus dem Bund der Deutschen Rentenversicherung eine Rente des Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerks für Rechtsanwälte. Ausweislich der Satzung besteht ein Anspruch auf die Rente des Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerks für Rechtsanwälte grundsätzlich mit Vollendung des 65. Lebensjahres.

    Unmittelbar vor Erreichen der Altersgrenze beantragte der Kläger entsprechend den Regelungen in der Satzung des Versorgungswerks (§ 12 Abs. 2) am 1. Oktober 2009, die Rentenzahlungen über die Altersgrenze zunächst bis zur Vollendung des 66. Lebensjahres hinauszuschieben. Dem wurde mit Schreiben vom 14. Oktober 2009 entsprochen. Entsprechend wurde in den Folgejahren verfahren. Die Rente wurde insgesamt bis Oktober 2012 aufgeschoben.

    Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2016 wurde am 7. November 2017 eingereicht. Der Einkommensteuerbescheid 2016 ging am 21. März 2018 zur Post. Berücksichtigt wurden als sonstige Einkünfte u.a. die Rente des Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerks für Rechtsanwälte in Höhe von 49.582 € (darin enthaltener Anpassungsbetrag 976 €), als Beginn der Rente wurde hierbei auf den 1. Oktober 2012 abgestellt. Der steuerfreie Teil der Rente wurde mit 17.499,- EUR angesetzt. Dieser Betrag war für das Jahr 2013 aus einem Besteuerungsanteil von 64% errechnet worden.

    Am 20. April 2018 legten die Kläger Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 ein. Zur Begründung führten sie aus, dass der Rentenbeginn für die Altersrente des Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerks für Rechtsanwälte nicht das Jahr 2012, sondern das Jahr 2009 zu berücksichtigen sei. Der reguläre Rentenbeginn wäre der 1. Oktober 2009 gewesen. Ab diesem Zeitpunkt bestünde ein Anspruch auf die Altersrente. Auf Antrag des Klägers zu 2. sei der Beginn der Rentenzahlung bloß über die Altersgrenze hinaus bis zum 1. Oktober 2012 aufgeschoben worden.

    Das Finanzamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 21. Oktober 2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, dass die tatsächliche Bewilligung der Rente sowie die Zahlungsaufnahme in das Jahr 2012 fallen würden. Vorgelagerte satzungsmäßige Antrags-, Wahl- oder Aufschubrechte könne man nach der eindeutigen Formulierung im BMF-Schreiben vom 19. August 2013 (Bundessteuerblatt Teil I, S. 1087, Rz. 219, Textziffer C.V.1.c) nicht berücksichtigen.

    Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage. Die Kläger knüpfen an ihren Einspruch an und behaupten, dass das vom Finanzamt aufgegriffene Schreiben des BMF vom 19. August 2013 nicht auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar sei, da es hier zu einem Auseinanderfallen des Anspruchs auf die Altersrente einerseits und dem Leistungsbeginn andererseits komme und dieser Fall durch das ohnehin nicht verpflichtende Schreiben des BMF nicht erfasst werde. Vielmehr komme es bei der Bestimmung des Rentenbeginns gemäß § 22 EStG auf das Erreichen der Altersgrenze an. Dies ergebe sich aus der Satzung des Versorgungswerks. Die reguläre Zahlung der Rente hätte somit ab Oktober 2009 erfolgen müssen. Dass diese Zahlung auf Antrag des Klägers aufgeschoben worden sei, ändere am Beginn der Rente nichts.

    In der mündlichen Verhandlung erläutert der Kläger nochmals die Rechtslage nach der Satzung des Versorgungswerks. Letztendlich stelle sich die Situation so dar, dass er die Rente mit Erreichen des 65. Lebensjahrs erhalten habe, den Betrag dann aber zur Erhöhung seiner Rente dem Versorgungswerk wieder zur Verfügung gestellt habe.

    Die Kläger beantragen,

    den Bescheid des Beklagten für 2016 über Einkommensteuer vom 21. März 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2019 zu ändern, den in den Bescheid eingesetzten steuerfreien Teil der Rente aus dem Schleswig-Holsteinischen Versorgungswerk für Rechtsanwälte nicht mit 36 %, sondern mit 42 % und den steuerpflichtigen Anteil der Rente entsprechend nicht mit 64 %, sondern mit 58 % anzunehmen, soweit es um den Teil dieser Rente geht, der bei Rentenbezug beginnend ab dem 1. Oktober 2009 erfolgt wäre.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte bezieht sich auf seine Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2019 und hält daran fest, dass der Wortlaut des BMF-Schreibens vom 19. März 2013 den hier vorliegenden Fall umfasse. Zudem sei die Auslegung des Begriffs des Rentenbeginns systemwidrig.

    Wegen des Sachverhalts im Übrigen und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die vorgelegten Akten sowie die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen. Diese waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung.

    Entscheidungsgründe
    Die Klage ist unbegründet.

    Der angefochtene Verwaltungsakt ist nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten; eine Änderung kommt somit nicht in Betracht (§ 100 Abs. 1, 2 Finanzgerichtsordnung - FGO).

    Das Finanzamt hat zu Recht bei den sonstigen Einkünften des Klägers den steuerfreien Teil der Rente des Versorgungswerks für Rechtsanwälte in Höhe von 17.499 € angesetzt.

    Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG gehören zu den sonstigen Einkünften auch Leibrenten, die unter anderem aus den berufsständischen Versorgungseinrichtungen erbracht werden, soweit sie jeweils der Besteuerung unterliegen. Bemessungsgrundlage für den der Besteuerung unterliegenden Anteil ist nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) Satz 2 der Jahresbetrag der Rente. Nach Satz 3 ist der der Besteuerung unterliegende Anteil nach dem Jahr des Rentenbeginns und dem in diesem Jahr maßgebenden Prozentsatz aus der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Aus dieser Tabelle ergibt sich bei einem "Jahr des Rentenbeginns" 2009 ein Besteuerungsanteil in Höhe von 58 %, bei einem "Jahr des Rentenbeginns" 2012 demgegenüber ein Besteuerungsanteil in Höhe von 64 %. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente ist der steuerfreie Teil der Rente. Dieser gilt schließlich nach Satz 5 ab dem Jahr, das dem Jahr des Rentenbeginns folgt, für die gesamte Laufzeit des Rentenbezugs.

    Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage ist der Ansatz des steuerfreien Teils der Rente mit einem Betrag von 17.499 € nicht zu beanstanden.

    1.

    Es ist aufgrund der Regelung in § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) Satz 5 EStG bereits zweifelhaft, inwieweit der Kläger den steuerfreien Betrag in der Höhe noch im Streitjahr 2016 angreifen kann, obwohl dieser Betrag im Jahr 2013 mit 17.499 € ermittelt worden ist. Insofern ist unklar, welche Folge die Anordnung einer gesetzlichen Fiktion ("gilt") für die "gesamte Laufzeit des Rentenbezugs" haben soll. Dass die regelmäßigen Anpassungen des Jahresbetrags der Rente nicht zu einer Neuberechnung führen und bei einer Neuberechnung außer Betracht bleiben, ist in Satz 7 ausdrücklich geregelt. Hierfür wäre die gesetzliche Fiktion nicht erforderlich. In der Literatur wird in dieser Regelung "ein lebenslang geltender, grundsätzlich gleichbleibender Freibetrag" (Fischer in Kirchhof/Seer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 22, Rn. 40) gesehen, der "für jeden Rentnerjahrgang auf Dauer festgeschrieben wird" (Nacke in Blümich, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 22, Rn. 118). Nach Schmidt/Weber-Grellet (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 22, Rn. 93) bleibt der steuerfreie Teil "für die gesamte Laufzeit der Rente unverändert".

    Die rechtlichen Folgen aus diesen Einschätzungen bleiben unklar. Allerdings ist davon auszugehen, dass mit der Fiktion in Satz fünf des § 22 Nr. 1 Satz 3 a) aa) EStG keine gesonderte Feststellung einer Besteuerungsgrundlage im Sinne des § 179 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) angeordnet wird. Eine formelle Bindungswirkung des Ansatzes des steuerfreien Teils in 2013 auch für das Streitjahr 2016 ist daher nicht anzunehmen. Inwieweit sich jedoch jedenfalls eine materielle Bindungswirkung aus der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente im Erstjahr für die Folgezeit ergibt, kann der Senat offenlassen. Denn die Steuerfestsetzung erweist sich auch ohne eine solche Bindungswirkung als rechtmäßig.

    2.

    Das Finanzamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Besteuerungsanteil der Rente aus dem Versorgungswerk im Erstjahr 2012 mit 64 % und damit ein steuerfreier Betrag in Höhe von 17.499 € auch für das Streitjahr anzusetzen ist. Maßgeblich für diese Entscheidung ist, wie die Formulierung "Jahr des Rentenbeginns" in § 22 EStG zu verstehen ist. Hierzu finden sich im Gesetz keine weiteren Regelungen. Nach Ansicht der Verwaltung ist "unter Beginn der Rente der Zeitpunkt zu verstehen, ab dem die Rente (gegebenenfalls nach rückwirkender Zubilligung) tatsächlich bewilligt wird (siehe Rentenbescheid)" (vgl. BMF-Erlass vom 19. August 2013, BStBl. I 2013, 1087, Rn. 220). Auch in der Literatur wird - soweit ersichtlich - der Rentenbeginn als Zeitpunkt der tatsächlichen Bewilligung angesehen (Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 22, Rn. 285; Blümich/Nacke, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 22, Rn. 116; Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 22, Rn. 176; Kirchhof/Seer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 22, Rn. 39). Nach dem BFH-Urteil vom 9. Dezember 2015 (Aktenzeichen X R 30/14, BStBl. II 2016, 624) liegt der Rentenbeginn in dem Jahr, in dem der Kläger die Leistungen - unabhängig von ihrem Rechtsgrund - tatsächlich erhalten und sich seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht hat. In den Urteilen vom 30. September 1980 (VIII R 13/79, BStBl. II 1981, 155) und 6. April 1976 (VIII R 184/72, BStBl. II 1976, 452) zu § 22 EStG alter Fassung hat der BFH unter dem "Beginn der Rente" den Zeitpunkt verstanden, in dem der Rentenanspruch entstanden ist.

    Nach Auffassung des Senats ergibt die Auslegung des Begriffes "Jahr des Rentenbeginns", dass im Streitfall maßgebend das Jahr der ersten tatsächlichen Rentenzahlung, also 2012, ist. Schon der Wortlaut spricht eher für ein Abstellen auf ein tatsächliches Ereignis als auf einen möglichen Rechtsanspruch. Denn nach dem Duden ist die Bedeutung des Wortes "Beginn" als Augenblick, in dem etwas einsetzt, definiert. Dies spricht für einen eher tatsächlichen Umstand. Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich für die Auslegung nichts herleiten (BT-Drucks. 15/2150, S. 40 ff.), da keine weiteren Ausführungen zu dieser Frage gemacht werden. Entscheidend ist das Ergebnis der Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung. Das Einkommensteuergesetz steht unter dem verfassungsrechtlichen Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 2, Rn. 9). Die finanzielle Leistungsfähigkeit wird bei einer Rentenzahlung aber erst bei einer tatsächlichen Zahlung erhöht und nicht bei einem bestehenden Rechtsanspruch, auf den zunächst verzichtet wird (so ähnlich auch BFH-Urteil vom 30. September 1980, a.a.O.). Im Übrigen hätte die Rechtsansicht der Kläger zur Folge, dass die tatsächlich ab 2012 einheitlich gezahlte Rente des Klägers für die Besteuerung in vier Einzelrenten zerlegt werden müsste: für den Hauptteil der Rente, auf den seit 2009 Anspruch bestanden hat, sowie die jeweiligen Erhöhungsbeträge der folgenden drei Jahre. Hier müsste jeweils ein eigenständiger Steuerfreibetrag ermittelt werden. Dies würde dem auch in gewissem Umfang pauschalierenden Zweck des § 22 EStG widersprechen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

    Hinweis:
    Aktenzeichen des BFH: X R 29/20

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 22 Nr. 1 S. 3

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