· Fachbeitrag · Grundsteuer
BFH hält Grundsteuer „Bundesmodell“ für verfassungskonform
Der BFH hat in drei Verfahren entschieden, dass er die Vorschriften des Ertragswertverfahrens, die nach dem sogenannten Bundesmodell in elf Ländern für die Bewertung von Wohnungseigentum als Grundlage für die Berechnung der Grundsteuer ab dem 01.01.2025 herangezogen werden, für verfassungskonform hält.
Die Sachverhalte der drei Verfahren
Geklagt hatten Wohnungseigentümer aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Berlin:
- Im Verfahren Az. II R 25/24 klagten Miteigentümer einer 54 qm großen vermieteten Eigentumswohnung in guter Wohnlage in Köln, im Souterrain eines vor 1949 errichteten Mehrfamilienhauses.
- Im Verfahren Az. II R 31/24 klagten die Inhaber einer im Jahr 1995 erbauten, selbstgenutzten Wohnung mit 70 qm Wohnfläche in einer sächsischen Gemeinde.
- Im Verfahren Az. II R 3/25 klagte der Eigentümer einer vermieteten Wohnung mit 58 qm in einem vor 1949 erbauten Mehrfamilienhaus in einfacher Wohngegend in Berlin.
Das Finanzamt hatte in allen drei Fällen den jeweiligen Grundsteuerwert zum Stichtag 01.01.2022 auf Basis des Ertragswertverfahrens (§ 249 Abs. 1 Nr. 4, 250 Abs. 2 Nr. 4, §§ 252 S. 1 BewG) berechnet. Der festgestellte Grundsteuerwert wurde dann der Festsetzung der Grundsteuer ab 01.01.2025 durch die jeweilige Kommune zu Grunde gelegt. Nachdem die angerufenen FG die Klagen jeweils als unbegründet zurückgewiesen hatten, machten die Steuerzahler in den Revisionsverfahren vor dem BFH erneut jeweils umfangreiche Vestöße gegen das GG geltend.
Formell habe sich der Bundesgesetzgeber nach dem Urteil des BVerfG vom 10.04.2018 (Az. 1 BvL 11/14, Az. 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, Abruf-Nr. 200583), durch das die damals geltenden Einheitswerte für verfassungswidrig erklärt wurden, für den Erlass des Grundsteuerreformgesetzes (GrStRefG) vom 26.11.2019 nur auf seine Fortschreibungskompetenz aus Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG gestützt. Die mit der noch vor Inkrafttreten des GrStRefG im Jahr 2019 eingeführten konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 S. 1 GG verbundenen gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten habe er nicht vollständig ausgeschöpft, was einer Ermessensunterschreitung auf gesetzgeberischer Ebene gleichkomme.
Das Bundesmodell leide an einem erheblichen kompetenzrechtlichen Konstruktionsfehler. Inhaltlich habe der Gesetzgeber den Belastungsgrund der Grundsteuer nicht hinreichend bestimmt. Ferner arbeite das Bundesmodell mit starken Typisierungen und Pauschalierungen, die zu keiner realitätsgerechten Bewertung führen würden. Die für die Steuerberechnung herangezogenen Parameter seien zu ungenau, um relativ im Verhältnis der Steuerpflichtigen untereinander gerechte, dem Gleichheitssatz von Art. 3 Abs. 1 GG entsprechende Immobilienwerte abzubilden. Bei den Bodenrichtwerten gebe es oft keine hinreichenden Daten, die Bodenrichtwertzonen seien häufig sehr grob gewählt und objektspezifische Besonderheiten (z. B. abweichende Grundstücksgrößen oder Altlasten) würden nicht berücksichtigt. Die zur Berechnung des Rohertrags des Grundstücks herangezogenen landeseinheitlichen Nettokaltmieten seien zu pauschal und würden insbesondere innerhalb von Großstädten nicht unterscheiden, ob die Wohnung in einer teuren Gegend oder einem sozialen Brennpunkt liege und ob sie hochwertig oder einfach ausgestattet sei. Pauschalierte Zu- und Abschläge anhand Mietniveaustufen seien nicht für die Grundsteuer, sondern für die Berechnung des Wohngeldes ‒ und damit einer „steuerfremden“ Materie ‒ erhoben worden.
Darum hat der BFH die Klagen abglehnt
Der BFH bestätigte inhaltlich die Auffassungen der Vorinstanzen und versagte den Revisionen in der Sache den Erfolg. Er ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der in den Streitfällen anzuwendenden Regelungen überzeugt; eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt daher nicht in Betracht.
1. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Das GrStRefG ist nach Darstellung des BFH formell verfassungsgemäß. Insbesondere stand dem Bund nach Art. 105 Abs. 2 S. 1 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu. Diese Kompetenz wurde durch das Gesetz zur Änderung des GG vom 15.11.2019 und damit noch vor Inkrafttreten des GrStRefG vom 26.11.2019 eingefügt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Gesetzgeber in der Begründung zum Gesetzentwurf auch auf die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG gestützt hat, weil seiner Ansicht nach mit dem Gesetzentwurf fortgeltendes Bundesrecht lediglich fortgeschrieben werde. Entscheidend ist allein, dass sich zum Zeitpunkt der Verabschiedung der neuen Regelungen durch das GrStRefG Ende November 2019 aus dem GG eine einschränkungslose Zuständigkeit des Bundes ergab.
2. Materielle Verfassungsmäßigkeit
Der BFH ist nicht davon überzeugt, dass die Vorschriften des Ertragswertverfahrens gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen. Das BVerfG hat wiederholt entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 GG eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage einer Steuer für alle Steuerpflichtigen verlangt. Die Bemessungsgrundlage muss so gewählt und ausgestaltet sein, dass sie den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abbildet. Der Gesetzgeber darf bei der Ausgestaltung generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.
Er darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber kann Praktikabilitätserwägungen Vorzug vor Gesichtspunkten der Ermittlungsgenauigkeit einräumen und dabei auch beträchtliche Bewertungs- und Ermittlungsunschärfen in Kauf nehmen, um die Festsetzung und Erhebung der Steuer handhabbar zu halten (z. B. BVerfG, Urteil vom 10.04.2018, Az. 1 BvL 11/14, Abruf-Nr. 200583).
Gemessen an diesen Vorgaben hält der BFH die Ausgestaltung des Ertragswertverfahrens für verfassungskonform. Der Gesetzgeber hat ein Bewertungssystem geschaffen, das konzeptionell einer Verkehrswertorientierung folgt und darauf angelegt ist, im Durchschnitt aller zu bewertenden Objekte den „objektiviert-realen Grundstückswert“ innerhalb eines Korridors des gemeinen Werts annäherungsweise zutreffend zu erfassen.
Zu den folgenden wichtigen Streitpunkten hat der BFH wie folgt ausgeführt:
- a) Die vom Gesetzgeber gewählten Bewertungsvorschriften sind grundsätzlich geeignet, den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation realitätsgerecht abzubilden. Belastungsgrund für die neue Grundsteuer ist nach dem Willen des Gesetzgebers das Innehaben von Grundbesitz und die dadurch vermittelte Möglichkeit einer ertragbringenden Nutzung, die sich im Sollertrag widerspiegelt und dem Steuerpflichtigen eine entsprechende objektive Leistungsfähigkeit vermittelt.
- b) Die Maßgeblichkeit von gesetzlich typisierten Bodenrichtwerten zur Bestimmung des Bodenwerts (vgl. §§ 257 Abs. 1 S. 1, 247 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BewG), die eine Abweichung von 30 Prozent nach oben oder nach unten zwischen dem Wert des zu bewertenden Grundstücks und dem für die jeweils einschlägige Bodenrichtwertzone als Durchschnittswert herangezogenen Bodenrichtwertgrundstück grundsätzlich erlaubt (vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 der Immobilienwertermittlungsverordnung), verstößt nicht gegen eine realitäts- und relationsgerechte Bewertung im Sinne der Anforderungen des BVerfG. Die Bodenrichtwerte werden von den Gutachterausschüssen aus der Kaufpreissammlung (§ 196 Abs. 1 S. 1 BauGB) und damit aus Marktdaten abgeleitet. Sie stellen durchschnittliche Lagewerte für den Grund und Boden in einer Bodenrichtwertzone als räumlich zusammenhängendem Gebiet dar und können nicht jedes der einzelnen dort belegenen Grundstücke individuell wertmäßig korrekt erfassen. Die bei einer typisierten Betrachtung zwangsläufig auftretenden Wertverzerrungen werden dadurch begrenzt, dass die Grundstücksmerkmale des Bodenrichtwertgrundstücks mit den vorherrschenden wertbeeinflussenden grund- und bodenbezogenen Merkmalen des zu bewertenden Grundstücks übereinstimmen müssen. Die gesetzliche Zulässigkeit der Typisierung hinsichtlich der Ermittlung von Bodenrichtwerten, die sich auch im Rahmen der Grundbesitzbewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie der Grunderwerbsteuer bewährt hat, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass im Einzelfall berechtigte und gerichtlich überprüfbare Einwendungen gegen die Art und Weise der Ermittlung der Bodenrichtwerte durch die Gutachterausschüsse vorliegen können.
- c) Ebenso wenig führen die für die Wertberechnung von Wohnungseigentum im Ertragswertverfahren heranzuziehenden pauschalierten Nettokaltmieten zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung. Die aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamts abgeleiteten Nettokaltmieten pro Quadratmeter Wohnfläche (vgl. Anlage 39 zum BewG) differenzieren zwar neben der Gebäudeart, dem Baujahr des Gebäudes und der Wohnfläche allein nach der Belegenheit der Wohnung in einem Bundesland und führen dadurch zu (immerhin) 45 möglichen unterschiedlichen Ansätzen für einen Mietzins; innerhalb des jeweiligen Bundeslandes findet eine weitere örtliche Differenzierung nur aufgrund von pauschalierten Zu- und Abschlägen anhand Mietniveaustufen statt, die auf der Eingruppierung für Zwecke des Wohngeldbezugs nach § 12 Abs. 3 des Wohngeldgesetzes in Verbindung mit § 1 Abs. 3 Anlage 1 Wohngeldverordnung und somit einer für die öffentliche Hand plausibel ermittelten Berechnungsgrundlage beruhen. Da die Mietniveaustufen jeweils für eine gesamte Gemeinde/Stadt festgelegt werden, unterbleibt dort eine Differenzierung nach einzelnen Stadtteilen ‒ auch in großen Metropolen, in denen erhebliche Mietzinsunterschiede bestehen können. Für Immobilien in guten Lagen kommt es dadurch in der Regel zu einem Ansatz unterhalb der tatsächlich gezahlten oder erzielbaren Mieten, während der pauschalierte Ansatz für Immobilien in schlechteren Lagen häufig über dem tatsächlich erzielbaren/erzielten Mietzins liegt. Dies kann zu Ungleichbehandlungen führen, weil die in der Nettokaltmiete zum Ausdruck kommende Ertragskraft von Immobilien in guten Lagen nicht vollständig erfasst wird. Diese möglichen Ungleichbehandlungen sind nach Auffassung des BFH jedoch durch das legitime Ziel eines weitgehend automatisierten Grundsteuervollzugs verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
Nach Auffassung des BFH hat daher der Gesetzgeber hinsichtlich des Ertragswertverfahrens seinen Spielraum bei der Abwägung der mit dem Bewertungskonzept verfolgten Ziele mit den damit notwendig verbundenen Ungleichheiten nicht überschritten. Insbesondere durfte der Gesetzgeber dem durch das BVerfG vorgegebenen Ziel, einen erneuten „Bewertungsstau“ zu vermeiden, indem die künftigen periodischen Fortschreibungen automatisiert durchgeführt werden, eine hohe Bedeutung beimessen.
Die Konsequenz für die drei Revisionsverfahren
In den Rechtssachen II R 25/24 und II R 3/25 wurde die Revision jeweils als unbegründet zurückgewiesen.
In der Rechtssache Az. II R 31/24 war die Revision aus verfahrensrechtlichen Gründen teilweise begründet. Vor dem FG hatte die Klägerin sich neben dem Bescheid über den Grundsteuerwert auch gegen den Grundsteuermessbescheid gewendet. Das FG hatte die Klage gegen den Grundsteuermessbescheid (= Folgebescheid des Grundsteuerwertbescheids) als unzulässig angesehen, da die Klägerin keine besonderen Einwände gegen den Grundsteuermessbescheid erhoben und ihr deshalb bezüglich dieses Bescheids das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt habe. Der BFH hingegen sah auch die Klage gegen den Grundsteuermessbescheid als unbegründet an.
Wichtig Die vollständig abgefassten Urteile in allen drei Verfahren werden - so der BFH ‒ erst Anfang 2026 vorliegen und auf der Homepage des BFH unter
Wirken sich die BFH-Urteile auf andere Bundesländer aus?
Die drei aktuellen Entscheidungen sind lt. BFH auch für Wohnungseigentümer in den Ländern Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen von Bedeutung, da diese Länder ebenfalls das „Bundesmodell“ verwenden.
Für Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen haben die aktuellen Entscheidungen keine Konsequenzen, da diese Länder eigene Grundsteuermodelle verwenden.