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  • · Fachbeitrag · Einkommensteuer

    BFH erleichtert nachträgliche Verlustfestsetzung von Kosten für Erststudium und andere Anlässe

    | Hatten Sie in einem Jahr, in dem Sie nicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet waren, Werbungskosten oder Betriebsausgaben, können Sie diese rückwirkend steuerlich noch geltend machen. Eine aktuelle BFH-Entscheidung erlaubt die Feststellung dieser Ausgaben im Jahr 2015 in Form verrechenbarer Verluste rückwirkend bis ins Jahr 2008. |

    Grundsätze zur Verlustverrechnung

    Für die Feststellung von steuerlichen Verlusten für die Vergangenheit gelten folgende Spielregeln (§ 10d Abs. 4 S. 4 EStG):

     

    • 1. Bestandskraft: Wurde für ein Steuerjahr eine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt, und ist der Steuerbescheid bereits bestandkräftig, können bisher nicht geltend gemachte Ausgaben nachträglich auch nicht mehr im Rahmen einer Verlustfeststellung berücksichtigt werden.
    •  
    • 2. Keine Steuererklärungen: Etwas anderes gilt, wenn für ein Steuerjahr noch keine Einkommensteuererklärung eingereicht wurde und auch keine Veranlagung mehr erfolgen kann, weil die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Nach Auffassung des BFH können die Verluste für die festsetzungsverjährten Steuerjahre nachträglich noch erklärt und festgesetzt werden, wenn die siebenjährige Festsetzungsfrist für die Verlustfeststellung noch nicht abgelaufen ist (BFH, Urteil vom 13.1.2015, Az. IX R 22/14, Abruf-Nr. 176530).

     

    Das Besondere an Punkt 2 ist, dass die Festsetzungsfrist bei freiwilliger Abgabe einer Steuererklärung (Antragsveranlagung) vier Jahre beträgt, die Festsetzungsfrist für die Verlustfeststellung dagegen laut BFH sieben Jahre. Deshalb kommt die vom BFH festgelegte Spielregel Nummer 2 zum Verlustvortrag nur zur Anwendung, wenn es um Verluste eines Jahres geht, in dem keine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung bestanden hat.

    Auswirkung der nachträglichen Verlustfeststellung

    Die nachträgliche Verlustfeststellung führt dazu, dass das Finanzamt einen Verlustfeststellungsbescheid erlässt und die Verluste mit erstmaligen Einkünften verrechnet. Wie das im konkreten Fall funktioniert, zeigt folgendes Beispiel:

     

    • Beispiel

    Heike Huber, ledig, hatte in den Jahren 2008 bis 2010 Ausgaben für ein Zweitstudium in Höhe von 3.000 Euro pro Jahr. Steuererklärungen hat sie für diese Jahre bislang nicht eingereicht. Einkünfte hat Huber erstmals im Jahr 2011 erzielt. Das Einkommen im Jahr 2011 betrug 60.000 Euro.

     

    1. Prüfung Festsetzungsverjährung

    Festsetzungsverjährung

    2008

    2009

    2010

    Einkommensteuer (4 Jahre)

    31.12.2012

    31.12.2013

    31.12.2014

    Verlustfeststellung (7 Jahre)

    31.12.2015

    31.12.2016

    31.12.2017

    Fazit: Da die siebenjährige Festsetzungsfrist für die Verlustfeststellung nach dem BFH-Urteil noch nicht abgelaufen ist, kann Frau Huber beim Finanzamt für die Ausgaben der Jahre 2008 bis 2010 eine nachträgliche Verlustfeststellung beantragen.

     

     

    2. Verlustfeststellung durch Finanzamt

    Kann Heike Huber dem Finanzamt die Höhe der Ausgaben, die ihr in den Jahren 2008 bis 2010 entstanden sind, plausibel nachweisen, wird das Finanzamt zum 31. Dezember 2010 den Verlust in Höhe von 9.000 Euro in einem Verlustfeststellungsbescheid festhalten.

     

    3. Verlustverrechnung in der Einkommensteuererklärung

    Für die freiwillige Abgabe der Einkommensteuererklärung 2011 hat Heike Huber vier Jahre Zeit, also bis zum 31. Dezember 2015. Gibt sie diese fristgerecht ab, werden die nachträglich festgestellten Verluste in Höhe von 9.000 Euro nach § 10d Abs. 4 S. 4 EStG mit anderen Einkünften im Jahr 2011 verrechnet.

     

    Zu versteuerndes Einkommen ohne Verlustverrechnung

    60.000 Euro

    Steuerbelastung 2011 nach Grundtabelle (ESt, Soli)

    17.964 Euro

    Verlustvortrag für nachträglich beantragte Verluste

    9.000 Euro

    Zu versteuerndes Einkommen neu nach Verlustverrechnung

    51.000 Euro

    Steuerbelastung 2011 neu nach Grundtabelle (ESt, Soli)

    13.985 Euro

    Steuerersparnis durch nachträgliche Verlustfeststellung

    3.979 Euro

     

    Wer profitiert vom BFH-Urteil zur Verlustfeststellung?

    Von der Möglichkeit der nachträglichen Verlustfeststellung profitieren Sie unter anderem, wenn bei Ihnen einer der folgenden Sachverhalte zutrifft:

     

    1. Existenzgründer in spe

    Sie hatten in der Vergangenheit Ausgaben im Zusammenhang mit einer geplanten Existenzgründung und haben mangels Einnahmen in diesem Jahr keine Einkommensteuererklärung beim Finanzamt eingereicht.

     

    • Beispiel

    Fredi Maier sind in den Jahren 2009 und 2010 vorweggenommene Betriebsausgaben im Zusammenhang mit einer geplanten Existenzgründung in Höhe von insgesamt 1.500 Euro entstanden. Seit 2011 erzielt Herr Maier tatsächlich Einkünfte aus einem Einzelunternehmen.

    Folge: Da die vierjährige Festsetzungsfrist zur Einkommensteuer für die Jahre 2009 bis 2010 bereits abgelaufen ist, die siebenjährige Festsetzungsfrist zur Verlustfeststellung für diese Steuerjahre aber noch nicht, kann Maier im Jahr 2015 die Verlustfeststellung von 1.500 Euro sowie die Verlustverrechnung im Jahr 2011 beantragen.

     

    2. Vorbereitung auf den Wiedereinstieg ins Berufsleben

    Eine nachträgliche Verlustfeststellung ist auch möglich, wenn Ihnen in der Vergangenheit in festsetzungsverjährten Jahren Kosten im Zusammenhang mit dem Wiedereinstieg ins Berufsleben entstanden sind und Sie mangels Einnahmen in diesen Jahren noch keine Einkommensteuererklärung eingereicht haben. Profitieren dürften hier alleinstehende Mütter oder Väter, die ihre Kinder zu Hause betreut haben, sowie Arbeitslose.

     

    • Beispiel

    Patrick Becker hat im Jahr 2008 keine Einkünfte erzielt, weil er arbeitslos war. Weil er mit seiner Lebensgefährtin zusammenlebte, erhielt er in diesem Jahr auch keine staatlichen Unterstützungen. Für eine Fortbildung zum Wiedereinstieg ins Berufsleben hatte Herr Becker aus eigener Tasche 900 Euro gezahlt.

    Folge: Da es sich bei diesen Kosten um vorweggenommene Betriebsausgaben handelte, kann Herr Becker nachträglich eine Verlustfeststellung beantragen.

     

    3. Kosten im Zusammenhang mit Zweitausbildung

    Sind Ihnen im Rahmen eines Zweitstudiums Ausgaben entstanden, dürfen Sie dem Finanzamt diese Kosten als vorweggenommene Werbungskosten präsentieren. Ist das bisher unterblieben, können Sie das nachträglich unter den geschilderten Voraussetzungen nachholen. Von einem Zweitstudium spricht man, wenn Sie vor dem Studium entweder bereits ein Studium oder eine Lehre abgeschlossen haben.

     

    • Beispiel

    Nathalie Müller hat für ein Vollzeit-Zweitstudium in den Jahren 2008 bis 2010 Kosten von insgesamt 12.000 Euro gehabt. Einkünfte hat sie in diesen Jahren nicht erzielt.

    Folge: Da es sich um vorweggenommene Werbungskosten handelt, darf Frau Müller beim Finanzamt eine Verlustfeststellung für diese Ausgaben in Höhe von 12.000 Euro beantragen und nachträglich eine Verlustverrechnung beantragen.

     

    Verlustfeststellung bei Erststudium

    Die nachträgliche Verlustfeststellung sollten auch Steuerzahler beantragen, die vor vielen Jahren Ausgaben für ein Erststudium selbst tragen mussten.

     

    Wichtig | Sie wissen, dass Ausgaben für ein Erststudium eigentlich nur als Sonderausgaben und beschränkt auf 6.000 Euro pro Jahr abgezogen werden dürfen. Für Sonderausgaben scheiden eine Verlustfeststellung und ein -vortrag zwar aus. Dennoch sollten Sie eine Verlustfeststellung beantragen. Denn beim BVerfG sind mehrere Verfahren zu der Frage anhängig, ob Ausgaben im Zusammenhang mit einem Erststudium nicht doch vorweggenommene Werbungskosten sind (BVerfG, Az. 2 BvL 23/14, 2 BvL 24/14 und 2 BvL 27/14).

     

    • Beispiel

    Hans Basler, ledig, hat in den Jahren 2008 bis 2010 ein Erststudium absolviert. Er musste in dieser Zeit studienbedingte Kosten in Höhe von 12.000 Euro tragen. Sein Einkommen im Jahr 2011 betrug 50.000 Euro.

     

    Schritt 1: Berechnung der Steuerentlastung

    So rechnet Herr Basler

    So rechnet das Finanzamt

    Steuerbelastung 2011 bisher (ESt, Soli)

    13.553 Euro

    13.553 Euro

    Steuerbelastung 2011 neu (ESt/Soli)

    8.750 Euro

    13.553 Euro

    Steuervorteil durch nachträgliche Verlustfeststellung

    4.803 Euro

    0 Euro

     

     

    Schritt 2: Beantragung einer nachträglichen Verlustfeststellung

    Herr Basler muss in einem formlosen Schreiben die nachträgliche Verlustfeststellung beantragen. Er sollte dabei darauf hinweisen, dass die Kosten fürs Erststudium seiner Meinung nach vorweggenommene Werbungskosten sind und deshalb eine Verlustfeststellung möglich sein muss.

     

    Schritt 3: Einspruch gegen Ablehnung der Verlustfeststellung

    Das Finanzamt wird die nachträgliche Verlustfeststellung ablehnen und sich weigern, im Jahr 2011 Verluste zu verrechnen. Dagegen muss Herr Basler mit einem Einspruch vorgehen und mit Hinweis auf die anhängigen Verfahren beim BVerfG einen Antrag auf Ruhen des Einspruchsverfahrens stellen.

    Nachträgliche Verlustfeststellung bei Erstausbildung

    Steuerzahler, die in der Vergangenheit Kosten für eine Erstausbildung aus eigener Tasche finanzieren mussten, und diese nachträglich über eine Verlustfeststellung steuerlich reaktivieren wollen, gehen genauso vor wie oben im Beispiel zum Erststudium beschrieben.

    Empfehlungen für das Kostennachweis-Problem

    So gut das BFH-Urteil zur nachträglichen Verlustfeststellung auch ist. Probleme dürfte in der Praxis der Nachweis der Ausgaben machen. Denn wer vor zehn Jahren nicht wusste, dass er die Kosten steuerlich geltend machen kann, wird Belege, Quittungen und Unterlagen bereits entsorgt haben.

     

    PRAXISHINWEIS | Haben Sie keine Belege mehr, sollten Sie auf keinen Fall „Studienkosten pauschal“ oder „Geschätzte Studienkosten“ erklären. Erstellen Sie vielmehr einen Eigenbeleg und listen Sie die einzelnen Ausgaben nach Ihren Erinnerungen auf. Der Vorteil an dieser Aufschlüsselung der Studienkosten ohne Belege: Bei einer Pauschale in einem Betrag kürzt das Finanzamt in aller Regel bis zu 75 Prozent der geschätzten Studienkosten. Sind die Kosten dagegen aufgeschlüsselt, fällt die Kürzung meist deutlich moderater aus. Sie liegt erfahrungsgemäß dann nur zwischen 20 Prozent und 50 Prozent.

     
    Quelle: Ausgabe 06 / 2015 | Seite 5 | ID 43365946

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