19.08.2015 · IWW-Abrufnummer 145145
Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 27.10.2014 – 9 W 29/14
1. Bei einer Klage auf laufende Rentenleistungen erhöht sich der Streitwert normalerweise nicht, wenn der Kläger während des Prozesses die seit Rechtshängigkeit fällig gewordenen Beträge beziffert und zum Gegenstand eines gesonderten Zahlungsantrags macht.
2. Eine Streitwerterhöhung findet allerdings dann statt, wenn die laufenden Rentenleistungen (nur) Gegenstand eines Feststellungsantrags sind, und der Kläger wegen der nachträglich fällig gewordenen Beträge zu einem Zahlungsantrag übergeht.
3. Zur Berechnung des Wertes der Klageänderung, wenn der Kläger wegen eines Teiles der Rentenleistungen vom Feststellungantrag zum Leistungsantrag übergeht.
Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschl. v. 27.10.2014
Az.: 9 W 29/14
In Sachen
...
wegen Forderung
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Streitwertfestsetzung in den Beschlüssen des Landgerichts Offenburg vom 18.11.2013 und vom 26.05.2014 - 6 O 37/12 - dahingehend abgeändert, dass der Wert des Verfahrens vor dem Landgericht auf 137.248,37 EUR festgesetzt wird.
Die weitergehende Beschwerde der Beklagten wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Kläger hat im Verfahren vor dem Landgericht Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend gemacht. Zwischen den Parteien war streitig, ob die Voraussetzungen für Versicherungsleistungen der Beklagten vorliegen. Die Beklagte machte zudem geltend, sie sei vom Versicherungsvertrag wirksam zurückgetreten.
Mit seiner am 15.09.2009 eingegangenen Klageschrift verlangte der Kläger die Zahlung rückständiger Rentenleistungen bis einschließlich September 2009 in Höhe von 39.893,04 EUR. Des Weiteren beantragte der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte bis längstens September 2022 eine monatliche Rente in Höhe von 1.813,32 EUR zu zahlen habe. In einem dritten Antrag begehrte er die Feststellung, dass der von der Beklagten erklärte Rücktritt unwirksam sei und der Versicherungsvertrag fortbestehe.
Mit Schriftsatz vom 09.08.2013 änderte der Kläger den ersten Klageantrag dahingehend, dass er nunmehr Zahlung in Höhe von 125.119,08 EUR verlangte. In diesen Antrag hatte der Kläger die während des laufenden Rechtstreits fällig gewordenen Rentenbeträge bis einschließlich August 2013 einbezogen. Die beiden anderen Anträge (Feststellung einer Leistungsverpflichtung bis längstens September 2022 in Höhe von monatlich 1.813,32 EUR und Feststellung des Fortbestands des Versicherungsvertrages) blieben unverändert. Die mit Schriftsatz vom 09.08.2013 geänderten Anträge wurden in dieser Form in der letzten mündlichen Verhandlung vom 11.09.2013 vom Kläger gestellt. Die geänderten Anträge waren Gegenstand des Endurteils vom 26.09.2013. (Soweit der Tatbestand des Urteils für den Zahlungsantrag des Klägers einen anderen Betrag nennt, handelt es sich um ein offenkundiges Versehen.)
Mit Beschluss vom 18.11.2013 hat das Landgericht den Streitwert auf 280.339,27 EUR festgesetzt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Beklagten. Sie vertritt die Auffassung, der Streitwert betrage lediglich 116.052,48 EUR. Der Wert setze sich zusammen aus Einzelbeträgen von 39.893,04 EUR für die geltend gemachten rückständigen Leistungen, 60.927,55 EUR für die Feststellung der laufenden Leistungsverpflichtung der Beklagten und 15.231,89 EUR für die Feststellung des Fortbestands der Versicherung.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 26.05.2014 der Beschwerde teilweise abgeholfen und den Wert auf 201.260,52 EUR festgesetzt. Bei den beiden Feststellungsanträgen sei den Wertangaben der Beklagten zu folgen. Für den Zahlungsantrag sei jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ein Betrag von lediglich 39.893,04 EUR anzusetzen. Vielmehr sei der Betrag im späteren Zahlungsantrag vom 09.08.2013 in Höhe von 125.119,08 EUR maßgeblich. Soweit das Landgericht der Beschwerde der Beklagten nicht abgeholfen hat, sind die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - zur Entscheidung vorgelegt worden.
Die Beteiligten hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Beklagte hält an ihrem Beschwerdeziel - Festsetzung des Streitwerts auf insgesamt 116.052,48 EUR - fest. Das Landgericht habe übersehen, dass bei der Wertfestsetzung für rückständige Leistungen nur diejenigen Beträge zu berücksichtigen seien, die bis zur Klageeinreichung fällig geworden seien. Eine spätere Änderung des Zahlungsantrags wegen der im Laufe des Rechtstreits durch Zeitablauf weiter fällig gewordenen Raten wirke sich auf den Streitwert nicht aus.
II.
Die gemäß § 68 Abs. 1 GKG zulässige Streitwertbeschwerde der Beklagten ist teilweise begründet. Der Wert des Verfahrens vor dem Landgericht beträgt 137.248,37 EUR.
1. Den Wert des Feststellungsantrags, mit welchem eine Leistungspflicht der Beklagten in Höhe von monatlich 1.813,32 EUR bis längstens 01.09.2022 festgestellt werden sollte, hat das Landgericht zutreffend mit 60.927,75 EUR angenommen. Maßgeblich ist gemäß § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 9 ZPO der dreieinhalbfache Wert des einjährigen Bezuges der Rente. Dies ergibt einen Ausgangsbetrag von 76.159,44 EUR. Da die Klägerin für die wiederkehrenden Leistungen keinen Zahlungsantrag, sondern lediglich einen Feststellungsantrag gestellt hat, ist gemäß § 3 ZPO ein Feststellungsabschlag von 20% vorzunehmen (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 30. Auflage 2014, § 9 ZPO, RdNr. 1). Daraus ergibt sich der Wert von 60.927,75 EUR für diesen Antrag.
2. Der Wert für die Feststellung des Fortbestands des Versicherungsverhältnisses beträgt - abweichend von der Wertfestsetzung des Landgerichts - 21.195,89 EUR. Im Wege der Schätzung (§ 3 ZPO) richtet sich der Wert dieses Antrags nach den geltend gemachten monatlichen Rentenleistungen (1.813,32 EUR) zuzüglich der nach dem Vertrag geschuldeten monatlichen Versicherungsprämien (710,00 EUR). Dies ergibt zusammen 2.523,32 EUR. Für die Feststellung des Fortbestands der Versicherung sind 20% des dreieinhalbfachen Jahresbetrages anzusetzen, woraus sich der Betrag von 21.195,89 EUR ergibt. (Vgl. zu dieser Berechnung, insbesondere zur rechnerischen Mitberücksichtigung der Versicherungsprämie, BGH, VersR 2012, 76).
3. Für den Zahlungsantrag, mit welchem der Kläger die Leistung von rückständigen Rentenzahlungen verlangt hat, sind grundsätzlich die bei Einreichung der Klage, also am 15.09.2009, fälligen Beträge maßgeblich. Daraus ergibt sich ein anzusetzender Wert von 39.893,04 EUR. Die Begrenzung des Streitwerts auf die bei Klageeinreichung fälligen Rückstände ergibt sich unmittelbar aus § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG (vgl. auch BGH, NVersZ 1999, 239).
4. Die Erweiterung des Zahlungsantrags von ursprünglich 39.893,04 EUR wegen der während des Rechtstreits fällig gewordenen Beträge auf 125.119,08 EUR im Schriftsatz vom 09.08.2013 führt zu einem zusätzlichen Wert von 15.231,69 EUR.
a) Wenn bei wiederkehrenden Leistungen ein bezifferter Leistungsantrag während des Rechtstreits wegen später fällig werdender Beträge erhöht wird, führt dies - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG nicht ohne Weiteres zu einer Streitwerterhöhung. Verlangt ein Kläger von Anfang an die Zahlung wiederkehrender Leistungen in Höhe eines bestimmten monatlichen Betrages, richtet sich der Wert dieses Antrags nach § 9 ZPO. Wenn sodann nach Klageeinreichung fällig werdende Beträge nachträglich beziffert werden, ändert sich der Streitgegenstand nicht. Denn diese nachträglich bezifferten Beträge waren von Anfang an im Antrag auf Zahlung monatlicher Leistungen enthalten. Es spielt für die Vollstreckungsmöglichkeiten des Klägers keine Rolle, ob nachträglich fällig gewordene Raten ausdrücklich beziffert werden, oder ob diese Raten Teil eines Antrags auf wiederkehrende Leistungen, bei dem lediglich der Monatsbetrag genannt ist, bleiben. Der Gesetzgeber hat in § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG daraus die Konsequenz gezogen, dass bei einem Rechtstreit über wiederkehrende Leistungen eine nachträgliche Bezifferung derjenigen Beträge, die inzwischen fällig geworden sind, keine Auswirkungen auf den Streitwert haben soll. Dies ist in der Streitwertfestsetzung des Landgerichts nicht berücksichtigt.
b) Der vorliegende Fall weist allerdings eine Besonderheit auf: Der Kläger hat bei den wiederkehrenden Leistungen keine Zahlung verlangt, sondern lediglich eine Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten. Das bedeutet, dass die Antragsänderung im Schriftsatz vom 09.08.2013 nicht nur eine - für den Streitgegenstand unerhebliche - sprachliche Änderung darstellt. Vielmehr stellt der Antrag vom 09.08.2013 insoweit eine Klageänderung dar, als der Kläger nunmehr wegen der nachträglich fällig gewordenen Beträge vom Feststellungsantrag auf einen Zahlungsantrag übergegangen ist. Die Differenz zwischen neuem und altem Zahlungsantrag (125.119,08 EUR ./. 39.893,04 EUR = 85.226,04 EUR) ist für die Klageänderung maßgeblich. Denn dieser Differenzbetrag war ursprünglich (nur) Teil einer Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten, und ist nunmehr Gegenstand eines Zahlungsantrags geworden. Da der Streitwert eines Leistungsantrags grundsätzlich höher anzusetzen ist als der Wert eines Feststellungsantrags, muss der Wert der im Übergang zum Leistungsantrag liegenden Klageänderung zu einer Streitwerterhöhung führen. (Vgl. zum Verhältnis von Leistungsantrag und Feststellungsantrag bei wiederkehrenden Leistungen BGH, NJW 1951, 802; Dörndorfer in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, 3. Auflage 2014, § 43 GKG, RdNr. 11; allgemein zur Werterhöhung bei einer Klageänderung Zöller/Herget a.a.O., § 3 ZPO, RdNr. 16 "Klageerweiterung".)
c) Für den Wert der Klageänderung ist der Streitgegenstand im Schriftsatz vom 09.08.2013 mit dem Streitgegenstand in der Klageschrift zu vergleichen. Die zusätzlich verlangten Zahlungen in Höhe von 85.226,04 EUR (125.119,08 EUR ./. 39.893,04 EUR) waren bei Einreichung der Klage bereits Gegenstand des Feststellungsantrags (gerichtet auf wiederkehrende Leistungen). Daher liegt es nahe, die Differenz der Werte von Leistungsantrag einerseits und Feststellungsantrag andererseits bezogen auf den Erhöhungsbetrag von 85.226,04 EUR als Wert der Klageänderung anzusetzen. Wenn man davon ausgeht, dass der Betrag von 85.226,04 EUR mit einem Anteil von 80% bereits Gegenstand des Feststellungsantrags war, erscheint es plausibel, den Übergang vom Feststellungs- zum Leistungsantrag mit einem Wert von 20% dieses Betrages anzusetzen. Daraus würde sich rechnerisch ein zusätzlicher Wert von 17.045,21 EUR (20% von 85.226,04 EUR) ergeben.
d) Die Werterhöhung ist jedoch gemäß § 9 ZPO i.V.m. § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG auf 15.231,69 EUR zu begrenzen. Denn der Wert kann nicht höher liegen als der Wert von Anträgen, bei denen der Kläger nicht nur Feststellung einer Leistungspflicht beantragt hätte, sondern Verurteilung zur Zahlung der wiederkehrenden Leistungen. Die Feststellung einer Leistungspflicht ist ein Minus gegenüber der Zahlung, so dass der Streitwert der Feststellung durch den Wert eines entsprechenden Leistungsantrags begrenzt wird.
Hätte der Kläger von Anfang an Zahlung wiederkehrender Leistungen in Höhe von 1.813,32 EUR verlangt, so wäre der Wert dieses Antrags gemäß § 9 ZPO der dreieinhalbfache Jahresbetrag, also 76.159,44 EUR, gewesen. Jede spätere zusätzliche Bezifferung von Beträgen, die nach Klageeinreichung fällig wurden, hätte gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. § 9 ZPO nicht zu einer Erhöhung dieses Wertes geführt. In dieser Variante wäre der Streitwert des Antrags auf Zahlung wiederkehrender Leistungen um 15.231,69 EUR höher gewesen als der Wert des vorliegenden Feststellungsantrags (76.159,44 EUR ./. 60.927,75 EUR). Der teilweise Übergang des Klägers von der Feststellung zur Leistung (durch die Bezifferung im Schriftsatz vom 09.08.2013) bleibt in der Sache hinter dem Gegenstand eines ursprünglichen vollständigen Leistungsantrags zurück. Daher kann der Wert der Klageänderung den angegebenen Differenzbetrag von 15.231,69 EUR nicht übersteigen.
5. Nach alledem ergibt sich für den Streitwert folgende Abrechnung:
Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten 60.927,75 EUR
Feststellung des Fortbestands der Versicherung 21.195,89 EUR
Zahlungsantrag (Rückstände bei Klageeinreichung) 39.893,04 EUR
Klageänderung (teilweise Übergang von der Feststellung zur Leistung) 15.231,69 EUR
Summe: 137.248,37 EUR.
6. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).