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  • 12.03.2025 · IWW-Abrufnummer 247019

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 12.03.2024 – 19 W 42/23

    Bei der Streitwertfestsetzung ist der Antrag auf Wiederherstellung eines gelöschten Profils in einem sozialen Netzwerk mit dem Antrag auf Freischaltung eines dauerhaft gesperrten Profils vergleichbar.

    Der Antrag, weitere Sperren oder Deaktivierungen wegen nicht näher bezeichneter künftiger Beiträge ohne vorherige Anhörung zu unterlassen, ist mit einem Bruchteil hiervon (hier: 1/4) zu bewerten.


    Tenor:

    Auf die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 11.04.2023, 3 O 226/22, wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf EUR 15.000,00 festgesetzt.
    Gründe

    I.

    Die Klägerin hat in ihrer Klage beantragt, ihr bei der Beklagten unterhaltenes und von dieser gelöschtes Profil vollständig wieder herzustellen, alle Lösch- und Sperrvermerke aus dem Nutzerdatensatz zu löschen und es zu unterlassen, die Klägerin wegen der Veröffentlichung von Beiträgen ohne vorherige Möglichkeit zur Gegenäußerung zu sperren. Wegen der Einzelheiten der Antragsfassung wird auf die Klageschrift Bezug genommen.

    Das erstinstanzliche Verfahren ist durch Rücknahme der Klage beendet. In der Folge hat das Landgericht Karlsruhe durch Beschluss vom 11.04.2023, 3 O 226/22, den Streitwert auf EUR 27.500,00 festgesetzt (Wiederherstellung des Nutzerkontos EUR 20.000,00, Löschung im Nutzerdatensatz EUR 2.500,00, Unterlassung weiterer Sperren EUR 5.000,00, AS I 184). Hiergegen richtet sich die am 23.05.2023 eingegangene Beschwerde der Beklagten, mit der sie eine Festsetzung des Streitwerts auf maximal EUR 7.750,00 begehrt (Wiederherstellung des Nutzerkontos EUR 5.000,00, Löschung im Nutzerdatensatz EUR 1.250,00, Unterlassung weiterer Sperren maximal EUR 1.500,00). Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 05.06.2023 nicht abgeholfen mit der Begründung, die Beschwerde sei unzulässig, da die Beklagte nach der Rücknahme der Klage durch einen ggf. zu hoch festgesetzten Streitwert nicht nachteilig betroffen sei.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien, insbesondere zur Streitwerthöhe, wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

    Die Einzelrichterin hat das Verfahren gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 6 Satz 2 GKG dem Senat übertragen.

    II.

    Die gemäß § 68 GKG statthafte und zulässige Beschwerde der Beklagten ist teilweise begründet.

    1. Die Beschwerde ist zulässig. Dabei kann offen blieben, ob sich eine Beschwer der Beklagten daraus ergibt, dass diese sich nach ihrem eigenen Vorbringen in einem außergerichtlichen Vergleich zu einer anteiligen Übernahme der Gerichtskosten verpflichtet hat, und vor allem, ob diese Beschwer den Wert von EUR 200,00 (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) übersteigt. Denn auch eine obsiegende Partei ist bereits durch eine zu hohe Streitwertfestsetzung beschwert, wenn sie im Verfahren von einem Rechtsanwalt vertreten worden ist. Denn die Gebühren, die sie dem Rechtsanwalt schuldet, ermitteln sich nach dem festgesetzten Streitwert (§ 32 Abs. 1 GKG); der gegen den Gegner bestehende Kostenerstattungsanspruch ändert nichts daran, dass sie gegenüber dem Rechtsanwalt zur Zahlung der Gebühren verpflichtet ist (OLG Saarbrücken NJW-RR 2019, 1535 [OLG Dresden 03.06.2019 - 4 W 443/19] - juris, Rn. 1; OLG Frankfurt, NJW-RR 2016, 763 [BGH 07.04.2016 - IX ZB 69/15] - juris, Rn. 5; BeckOK/Laube, Kostenrecht, 44. Ed., Stand 01.01.2024, § 68 Rn. 58). Die Differenz zwischen der Verfahrensgebühr aus dem festgesetzten und dem beantragten Streitwert übersteigt den Betrag von EUR 200,00.

    2. Die Beschwerde ist auch teilweise begründet. Der Streitwert für die erste Instanz wird insgesamt auf EUR 15.000,00 festgesetzt.

        a. Für den Klageantrag zu 1 (Wiederherstellung des gelöschten Profils einschließlich der Verknüpfung mit den Profilen anderer Nutzer und Gewährung des Zugriffs) bringt der Senat einen Streitwert von EUR 10.000,00 in Ansatz. Der Bundesgerichtshof hat in einem nicht veröffentlichten Beschluss vom 27.01.2022, III ZR 4/21, den Streitwert für einen Antrag auf Freischaltung des Nutzerkontos, Gewährung des unbeschränkten Zugangs und Wiederherstellung aller Beiträge auf EUR 10.000,00 festgesetzt. Die Übertragung dieser Bewertung erscheint dem Senat auch auf den vorliegenden Fall angemessen. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass bei Anträgen, die sich gegen eine 30tägige Sperre eines Nutzerkontos in einem sozialen Netzwerk richten, von einem Streitwert von EUR 2.500,00 auszugehen ist (BGH, Beschluss vom 26.11.2020, III ZR 124/20 - juris, Rn. 11; BGH, Beschluss vom 25.02.2021, III ZR 172/20 - juris, Rn. 9), dass der Betrag jedoch bei längerer oder mehrfacher Sperre des Benutzerkontos nicht einfach mit der Anzahl der von einer Sperre betroffenen Monate multipliziert werden kann, sondern moderat zu erhöhen ist (BGH, Beschluss vom 28.01.2021, III ZR 156/20 - juris, Rn. 13). Zugleich entspricht dieser Betrag bereits dem Doppelten des in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG vorgesehenen Regelstreitwerts für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten und erscheint daher ausreichend und angemessen. Der Senat schließt sich daher insofern dem Beschluss des 7. Senats des Oberlandesgericht Karlsruhe vom 29.09.2023, 7 W 30/23 - juris, Rn. 38ff., an, der auch unter Berücksichtigung der divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung einen Streitwert von EUR 10.000,00 für geboten und angemessen erachtet hat, um den Interessen an der Wiederherstellung eines gelöschten Kontos bei der Beklagten gerecht zu werden. Dass der Fall des Bundesgerichtshofs eine dauerhafte Sperre wegen der Anmeldung des Nutzers mit einem Pseudonym betraf, der vorliegende Fall jedoch die vollständige Deaktivierung des Kontos wegen behaupteter Verstöße der Beiträge der Klägerin gegen die Gemeinschaftsstandards, gebietet im Ergebnis keine abweichende Bewertung. Denn beide Konstellationen führen zu einer für die Streitwertbestimmung maßgeblichen vergleichbaren Beeinträchtigung der Kommunikationsfreiheit (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.09.2023, 7 W 30/23 - juris, Rn. 42).

        b. Für den Klageantrag zu 2 (Berichtigung der Daten im Nutzerdatensatz durch Löschung aller Lösch- und Sperrvermerke) wird - wie vom Landgericht im angefochtenen Beschluss - ein Streitwert von EUR 2.500,00 in Ansatz gebracht. Die Beklagte stützt ihr Vorgehen auf mehrere von der Klägerin gepostete Beiträge. Der Bundesgerichtshof hat in Fällen für die Berichtigung des Datensatzes um einen Verstoß einen - im Vergleich zu einer bereits verhängten Sperre - hälftigen Betrag von EUR 1.250,00 als angemessen erachtet. Dieser Betrag kann indes bei einer begehrten Berichtigung des Datensatzes um mehr als zwei Verstöße ebenfalls nicht einfach mit der Anzahl der begehrten Berichtigungen multipliziert werden. Andernfalls ergäbe sich eine höhere Beschwer als im Fall einer bereits verhängten Sperre. Vielmehr wird die Beschwer bei abgewiesenen Klageanträgen auf Berichtigung des Datensatzes der Beklagten um mehrere Verstöße gegen ihre Nutzungsbedingungen begrenzt durch die bei einer bereits verhängten Sperre gegebene Beschwer (EUR 2.500,00; vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2021, III ZR 156/20 - juris, Rn. 15).

        c. Den Streitwert für Klageantrag zu 3 (Unterlassung weiterer Sperren oder Deaktivierungen des Kontos wegen künftiger Beiträge ohne vorherige Anhörung) setzt der Senat auf den von der Klägerin zuletzt angenommenen Mindestbetrag von EUR 2.500,00 fest.

    Für Anträge auf Unterlassung künftiger Beitragslöschungen und Kontosperrungen hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen bereits vorausgegangene Klageanträge denselben Beitrag, jedoch andere Zeiträume zum Gegenstand haben, einen Wert von EUR 1.500,00 für angemessen gehalten, um einerseits der separaten Antragstellung und andererseits der Bedeutung des Unterlassungsantrages im Gesamtgefüge der Anträge hinreichend Rechnung zu tragen (BGH, Beschluss vom 25.02.2021, III ZR 172/20 - juris, Rn. 13; BGH, Beschluss vom 28.01.2021, III ZR 156/20 - juris, Rn. 16).

    Im vorliegenden Fall begehrt die Klägerin jedoch nicht, auch bei Wiederholung eines bestimmten Beitrages nicht erneut gesperrt zu werden, sondern das Unterlassen einer Sperrung oder Kontodeaktivierung wegen der Veröffentlichung von - nicht näher benannten - künftigen Beiträgen, ohne vorab über die beabsichtigte Sperrung/ Kontodeaktivierung informiert zu werden und die Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung zu erhalten. Sie begehrt damit unabhängig von dem Inhalt künftiger Beträge, vorher Gehör gewährt zu bekommen. Den Wert dieses Antrags, der sich insofern nicht mit den weiteren von ihr gestellten Anträgen überschneidet, bewertet der Senat mit einem Viertel des auf die Wiederherstellung des Profils nach einer Deaktivierung gerichteten Antrags (dazu a.), also EUR 2.500,00. Dies trägt einerseits dem Umstand, dass der Antrag eine Vielzahl künftiger Beiträge betrifft, andererseits dem Umstand, dass allein die Gewähr von Gehör noch nichts darüber aussagt, ob es im Anschluss gleichwohl zu einer Sperrung oder Kontodeaktivierung kommt, nach Auffassung des Senats angemessen Rechnung.

    III.

    Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 68 Abs. 3 GKG.

    RechtsgebieteStreitwert, Nutzerkonto in sozialem Netzwerk, Wiederherstellung