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  • 12.01.2024 · IWW-Abrufnummer 239147

    Landgericht Bonn: Beschluss vom 22.11.2023 – 65 Qs 19/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Bonn

     
    Tenor:

    Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Amtsgerichts A vom 20.10.2023 wird als unbegründet verworfen.

    Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Eine Kostenerstattung findet nicht statt.

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    Gründe:

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    I.

    3
    In dem bei der Staatsanwaltschaft A gegen den Beschuldigten wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften geführten Ermittlungsverfahren ist Herr Rechtsanwalt B dem Beschuldigten mit Beschluss vom 27.10.2022 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Nach vorhergehender Beratung durch seinen Pflichtverteidiger hat der Beschuldigte mit Schriftsatz seines Pflichtverteidigers vom 22.06.2023 auf das Eigentum an der Festplatte, auf der sich die kinderpornographischen Bilder befunden haben sollen und deren Herausgabe verzichtet. Mit Verfügung vom 26.06.2023 hat die Staatsanwaltschaft A das Ermittlungsverfahren gemäß § 154 StPO im Hinblick auf die rechtskräftig erkannte Strafe aus dem Verfahren Staatsanwaltschaft A Az. 781 Js 410/20 SE eingestellt.

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    Mit Schriftsatz vom 03.07.2023 hat Herr Rechtsanwalt B die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 662,83 € brutto beantragt.

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    Er hat hiermit neben einer Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG i.H.v. 176,00 €, einer Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG i.H.v. 145,00 €, einer Gebühr für die Mitwirkung an der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung nach Nr. 4141, 4104 VV RVG i.H.v 145,00 € sowie der Auslagenpauschale und der Dokumentenpauschale i.H.v. von 20,00 € bzw. 22,00 € eine 1,0 Verfahrensgebühr für die Einziehung und verwandte Maßnahmen nach Nr. 4142 VV RVG aus einem Wert von 200,00 € i.H.v. 49,00 € geltend gemacht. Das Amtsgericht A hat mit Beschluss vom 17.08.2023 den Wert der Werteinziehung auf 200,00 € festgesetzt.

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    Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.09.2023 hat die Urkundsbeamtin des Amtsgerichts - nach Anhörung der Bezirksrevisorin - die zu erstattenden notwendigen Gebühren und Auslagen ‒ unter Absetzung der Verfahrensgebühr für die Einziehung und verwandte Maßnahmen nach Nr. 4142 VV RVG aus einem Wert von 200,00 € i.H.v. 49,00 € netto - auf 604,52 € brutto festgesetzt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen

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    Herr Rechtsanwalt B hat mit Schriftsatz vom 20.09.2023 Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss eingelegt.

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    Das Amtsgericht A hat durch Beschluss vom 20.10.2023 den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.09.2023 dahingehend abgeändert, dass zusätzlich die weitere Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG in Höhe von 49,00 € festgesetzt wird.

    9
    Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatskasse vom 09.11.2023, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

    10
    II.

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    Die gemäß § 56 Abs. 2 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde ist unbegründet.

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    1. Das Amtsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung dem Pflichtverteidiger des Beschuldigten Herrn Rechtsanwalt B eine weitere Gebühr i.H.v. 49,00 € nach Nr. 4142 VV RVG zugesprochen.

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    Diese zusätzliche Verfahrensgebühr entsteht nach Nr. 4142 Abs. 1 VV RVG u.a. für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf eine Einziehung bezieht. Die Gebühr wird bereits durch die beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes ausgelöst, wenn eine Einziehung in Betracht kommt, die Maßnahme muss weder gerichtlich angeordnet noch beantragt sein (Knaudt in: v. Seltmann, BeckOK RVG, 61. Edition, Stand: 01.09.2023, RVG VV 4142 Rn. 10 m.w.N.). Berät der Rechtsanwalt seinen Mandanten dahin, dass dieser einer formlosen Einziehung zustimmt, löst auch dies die Gebühr aus Nr. 4142 VV RVG aus (KG Berlin, Urteil vom 18.07.2005, Az. 5 Ws 256/05, NStZ-RR 2005, 358; vgl. Knaudt in: v. Seltmann, BeckOK RVG, 61. Edition, Stand: 01.09.2023, RVG VV 4142 Rn. 10 m.w.N.).

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    Vorliegend ist bzgl. der in Rede stehenden Festplatte mit den inkriminierten Dateien eine Einziehung in Betracht gekommen (vgl. zu einer solchen Konstellation nur BGH, Beschluss vom 08.02.2012, Az. 4 StR 657/11, NStZ 2012, 319). Herr Rechtsanwalt B hat in dieser Verfahrenssituation nicht nur mit Schriftsatz vom 22.06.2023 für den Beschuldigten auf das Eigentum und die Herausgabe der Festplatte verzichtet, sondern ihn ausweislich der Schriftsätze vom 16.02.2023, 22.06.2023 bzw. 08.08.2023 auch vorangehend hierzu beraten.

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    Die Entstehung der Gebühr ist auch nicht gemäß Nr. 4142 Abs. 2 VV RVG ausgeschlossen, da der Gegenstandswert vorliegend nicht niedriger als 30,00 € war, sondern ausweislich des ‒ rechtskräftigen ‒ Beschlusses des Amtsgerichts A vom 17.08.2023 auf 200,00 € festgesetzt worden ist.

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    Die Gebühr ist vorliegend ‒ wie das Amtsgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden hat ‒ auch durch die o.a. Tätigkeit von Herrn Rechtsanwalt B im Stadium des bei der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens entstanden. Es steht der Entstehung der Gebühr insbesondere nicht entgegen, dass dieses Ermittlungsverfahren nach § 154 StPO eingestellt worden ist und sich hierdurch kein gerichtliches Verfahren angeschlossen hat.

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    Denn die Gebühr entsteht nach Nr. 4142 Abs. 3 VV RVG u.a. „für das Verfahren des ersten Rechtszugs einschließlich des vorbereitenden Verfahrens“. Es kann hierbei dahinstehen, dass die Vorschrift grundsätzlich rechtszugbezogen ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 29.11.2028, Az. 3 StR 625/17, BeckRS 2018, 35965) und es sich bei einem Rechtszug um „einen Verfahrensabschnitt eines Rechtsstreits vor einem bestimmten (…) Gericht“ (so Creifelds, Rechtswörterbuch) handelt. Denn bereits der Wortlaut des Absatzes 3 bezieht ausdrücklich in das die Gebühr auslösende Handeln im Verfahren des ersten Rechtszugs das Handeln im vorbereitenden Verfahren mit ein. Nach Sinn und Zweck der Regelung soll hiermit ebenfalls auch eine entsprechende Tätigkeit ausschließlich im Ermittlungsverfahren vergütet werden, ohne dass es einen Unterschied macht, ob dieses später in diesem Stadium abgeschlossen worden ist oder in ein gerichtliches Verfahren übergegangen ist. Denn mit der Gebühr soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass zu den im Strafprozess unumgänglichen Überlegungen zur Schuld- und Straffrage eine weitere, die Eigentums- und Vermögenslage des Mandanten berührende Thematik hinzugetreten ist, die regelhaft Mehrarbeit verursacht (KG Berlin, Urteil vom 18.07.2005, Az. 5 Ws 256/05, NStZ-RR 2005, 358). Hierfür ist aber der Ausgang des Ermittlungsverfahrens, in dem die anwaltliche Tätigkeit erbracht worden ist, irrelevant. Im Übrigen spricht für dieses Ergebnis auch, dass die Entstehung der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG nicht voraussetzt, dass der Rechtsanwalt gerichtlich tätig worden ist, sondern dass sie auch für eine außergerichtliche beratende Tätigkeit des Rechtanwalts entsteht (vgl. nur Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Auflage 2023, RVG VV 4142 Rn. 12 m.w.N.). In welchem Verfahrensstadium eine solche außergerichtliche beratende Tätigkeit erbracht worden ist, ob dies im Ermittlungsverfahren der Fall gewesen ist oder in einem späteren gerichtlichen Verfahren, kann für die grundsätzliche Entstehung der Gebühr als solche nach Überzeugung der Kammer dann auch nicht relevant sein. Nr. 4142 Abs. 3 VV RVG ist vor diesem Hintergrund nach Überzeugung der Kammer lediglich als Klarstellung dahingehend zu verstehen, dass sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im Verfahren des ersten Rechtszugs anwaltlich erbrachte Tätigkeiten im Zusammenhang mit einer Einziehung insgesamt nur einmal vergütet werden.

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    2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 S. 2 u. 3 RVG.