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  • 11.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231701

    Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 09.08.2022 – 6 E 324/22

    Erfolglose Beschwerde im Kostenfestsetzungsverfahren.

    Für die Entstehung einer Erledigungsgebühr ist maßgeblich, ob der ursprünglich anhängig gemachte Streitgegenstand durch die Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten unstreitig erledigt werden konnte.

    Auslagen für Ablichtungen aus den Gerichts- und Behördenakten sind erstattungsfähig, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war.


    Oberverwaltungsgericht NRW


    Tenor:
    Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

    Gründe:

    1
    Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung von drei Richterinnen (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO i. V. m. § 109 Abs. 1 Satz 2 JustG NRW).

    2
    Eine die Zuständigkeit des Einzelrichters bzw. der Einzelrichterin

    3
    - im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für alle Geschlechter -

    4
    begründende spezialgesetzliche Regelung liegt nicht vor. Die Vorschriften, die bei Kosten- und Streitwertbeschwerden eine Beschwerdeentscheidung des Rechtsmittelgerichts durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter vorsehen, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde (vgl. §§ 66 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2,  68 Abs. 1 Satz 5 GKG, §§ 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2,  56 Abs. 2 Satz 1 RVG), sind im Rahmen der nach § 146 Abs. 1 VwGO erhobenen Beschwerde, die - wie hier - einen die Erinnerung nach den §§ 151, 165 VwGO zurückweisenden Beschluss des Verwaltungsgerichts betrifft, nicht einschlägig.

    5
    Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25.1.2011 - 1 E 32/11 -, juris Rn. 1, vom 2.10.2009 - 13 E 1111/09 -, juris Rn. 2 f. und vom 8.7.2009 - 18 E 1013/08 -, NJW 2009, 2840 = juris Rn. 1 f. jeweils m. w. N.; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 24.9.2021 - 13 OA 362/21 -, juris Rn. 1 und vom 11.6.2007 - 2 OA 433/07 -, juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 19.1.2007 - 24 C 06.2426 -, NVwZ-RR 2007, 497 ff. = juris Rn. 15 ff.

    6
    Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 18.3.2022 mit zutreffenden Gründen zurückgewiesen. Die Klägerin kann weder die Festsetzung einer Erledigungsgebühr (1.) noch die Festsetzung der vollständigen Kopierkosten (2.) beanspruchen.

    7
    1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer Erledigungsgebühr.

    8
    Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - VV RVG). Nach Nr. 1002 Satz 1 VV RVG entsteht die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Die anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung muss in einer besonderen Tätigkeit des Rechtsanwalts liegen, die über die bereits mit der Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) abgegoltene Einlegung und Begründung des Rechtsbehelfs hinausgeht und auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtet ist.

    9
    Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.10.2014 - 12 E 567/14 -, juris Rn. 11, und vom 19.12.2013 - 16 E 204/13 -, juris Rn. 15.

    10
    Erforderlich ist darüber hinaus eine für die Erledigung kausale Mitwirkung des Rechtsanwalts. Eine rechtliche Vermutung für die Ursächlichkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist in Nr. 1002 Satz 1 VV RVG nicht enthalten. Hat der Rechtsanwalt eine auf die Aufhebung oder Abänderung des Verwaltungsakts gerichtete Tätigkeit entfaltet und erfolgt anschließend die Aufhebung oder Abänderung des Verwaltungsakts, so spricht allerdings eine tatsächliche Vermutung für die Ursächlichkeit seines Handelns. Gibt aber der Sachverhalt Anhalt dafür, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts für die Aufhebungs- oder Abänderungsentscheidung der Behörde nicht ursächlich war, ist die Kausalität zu verneinen.

    11
    Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.12.2013 - 16 E 204/13 -, a. a. O. Rn. 19.

    12
    Davon ausgehend ist hier keine Erledigungsgebühr entstanden. Mit der Erinnerung bzw. mit der Beschwerde sind keine Bemühungen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin dargetan worden, die eine für die Erledigung des Verfahrens ursächliche Mitwirkung erkennen lassen. Die Erledigung des Verfahrens beruht vielmehr auf dem gerichtlichen Hinweis vom 22.12.2021, der das beklagte Land veranlasst hat, seinen Bescheid vom 31.5.2021, mit dem es die Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe abgelehnt hat, aufzuheben und die Klägerin im Januar 2022 in das Beamtenverhältnis auf Probe zu übernehmen. Damit hat das beklagte Land ihrem - auf die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe „zum nächstmöglichen Termin“ - gerichteten Klagebegehren vollumfänglich entsprochen.

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    Vor diesem Hintergrund geht auch der Verweis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf die Entscheidung des Senats vom 30.8.2011 - 6 E 775/11 - an der Sache vorbei. Hiernach kann, worauf der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zutreffend hinweist, eine die Erledigungsgebühr auslösende Mitwirkung darin liegen, dass der Rechtsanwalt den Kläger dahin beraten hat, ein nur teilweise materiell-rechtlich erledigtes Verfahren in Übereinstimmung mit der Beklagtenseite insgesamt für erledigt zu erklären. So liegt der Streitfall aber nicht. Das beklagte Land hat dem Klageantrag - wie ausgeführt - vollumfänglich entsprochen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin irrt, wenn er meint, zur vollumfänglichen Klagelosstellung hätte es einer Ernennung zur Beamtin auf Probe auf einen zurückliegenden Zeitpunkt bedurft. Dies war nicht beantragt und wäre im Übrigen auch rechtlich unmöglich, vgl. § 8 Abs. 4 BeamtStG.

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    Der Einwand der Klägerin, sie hätte das Verfahren im Wege einer Klageerweiterung fortführen können, habe dies auf Anraten ihres Prozessbevollmächtigten jedoch unterlassen, sodass dieser an der Erledigung mitgewirkt habe, verfängt ebenfalls nicht. Denn bei einer - danach nur noch möglichen auf Schadenersatz gerichteten - Klageerweiterung handelt es sich um die Geltendmachung eines neuen Streitgegenstands. Für die Entstehung der begehrten Erledigungsgebühr kommt es aber darauf an, ob der ursprünglich anhängig gemachte Streitgegenstand durch die Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten unstreitig erledigt werden konnte. Ohne Belang ist, ob die Klägerin eine weitere ‑ einen anderen Streitgegenstand betreffende - Klage gegen ihren Dienstherrn hätte erheben können.

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    2. Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg die Dokumentenpauschale für die Ablichtung des gesamten ihrem Prozessbevollmächtigten übersandten Verwaltungsvorgangs geltend machen.

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    Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, soweit sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO notwendig sind. Die Erstattungsfähigkeit der Auslagen der Anwälte für Fotokopierkosten richtet sich wiederum nach Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG, Teil 7. Bei Auslagen für Ablichtungen aus den Gerichts- und Behördenakten handelt es sich danach nicht um allgemeine Geschäftskosten, die mit den Gebühren abgegolten werden. Dies ergibt sich aus der Vorbemerkung 7, Abs. 1 von Teil 7 der Anlage 1. Denn Nr. 7000, Auslagentatbestand 1a VV RVG setzt eine gesonderte Pauschale für Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten fest, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war.

    17
    Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung geboten ist, ist auf die Sichtweise eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Rechtsanwalts, der sich mit der betreffenden Akte beschäftigt hat, abzustellen. Dabei muss kein kleinlicher Maßstab angelegt werden. Dem Rechtsanwalt steht ein gewisser Ermessensspielraum zu, denn er und nicht das Gericht, das nachträglich über die Berechnung oder Erstattungsfähigkeit der Dokumentenpauschale zu entscheiden hat, ist für die ihm anvertraute Führung der Rechtssache verantwortlich. Dieses Ermessen muss der Rechtsanwalt aber ausüben. Er darf nicht ohne weiteres die gesamte Behördenakte ablichten. Vielmehr muss er eine grobe Prüfung und vorläufige Bewertung des ihm zur Einsicht überlassenen Materials vornehmen. Denn die Verwaltungsakten enthalten im Allgemeinen zahlreiche Schriftstücke, die auch zu Beginn eines Prozesses für den Rechtsanwalt erkennbar ohne Bedeutung für dessen Ausgang sind. Wenn durch den Rechtsanwalt eine Auswahl der zu kopierenden Dokumente überhaupt nicht erfolgt, widerspricht dies auch dem für die Abrechnung der Dokumentenpauschale im Kostenrecht geltenden Gebot, die Ersatzpflicht Dritter möglichst niedrig zu halten.

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    Vgl. zur Thematik: OVG NRW, Beschluss vom 18.10.2006 - 7 E 1339/05 -, NVwZ-RR 2007, 500 = juris Rn. 28, 33; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.5.2020 - 4 O 42/20 -, juris Rn. 7; BayVGH, Beschluss vom 18.2.2020 - 5 M 19.2487 -, BayVBl 2020, 535 = juris Rn. 6; VG Kassel, Beschluss vom 20.1.2020 - 6 K 2849/16.KS.A -, juris Rn. 5 f.; VG Würzburg, Beschlüsse vom 20.3.2020 - W 7 M 19.1560 -, juris Rn. 14, und vom 4.5.2012 - W 6 M 12.30075 -, juris Rn. 20 ff. m. w. N.; Kunze in: BeckOK, 61. Ed. 1.4.2022, VwGO § 162 Rn. 75.1.

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    Dass die Ablichtung des gesamten Verwaltungsvorganges nach diesen Maßgaben zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war, lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen. Allein der Einwand, dass sich häufig nicht bereits bei Erhalt der Akten, sondern erst im weiteren Verlauf des Verfahrens herausstelle, welche Gesichtspunkte von Belang seien, genügt nach dem Vorstehenden gerade nicht. Auch das weitere Vorbringen der Klägerin lässt nicht erkennen, dass ihr Prozessbevollmächtigter insoweit sein Ermessen ausgeübt hat. Er hat vielmehr eingeräumt, vor der vollständigen Ablichtung der Akte keine Prüfung vorgenommen zu haben, welche Kopien erforderlich sind, sondern sich für die Vervielfältigung der gesamten Akte entschieden habe, weil dies für ihn einen geringeren Aufwand bedeutet habe als die Akte im Einzelnen auf für das Verfahren relevante Inhalte durchzusehen. Seine eigene Arbeitserleichterung kann jedoch weder zu Lasten des beklagten Landes noch der Staatskasse gehen.

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    Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch den Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die Kopie des gesamten Verwaltungsvorgangs sei aufgrund der nur für zwei Tage gewährten Akteneinsicht notwendig gewesen, als nicht geeignet angesehen, sein Vorgehen zu rechtfertigen. Denn dem Prozessbevollmächtigten wurde der Verwaltungsvorgang nicht nur für zwei Tage, sondern für zwei Wochen überlassen. Im Übrigen hätte er auch die Möglichkeit gehabt, um Fristverlängerung nachzusuchen, wenn er auch innerhalb des ihm zur Akteneinsicht gewährten zweiwöchigen Zeitraums keine Kapazitäten zur Sichtung des Verwaltungsvorgangs gehabt hätte.

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    Dahinstehen kann schließlich, ob in dem Zeitraum, in dem ihm die Akten zur Einsichtnahme überlassen worden sind, ein Besprechungstermin mit der Klägerin, wie er geltend macht, nicht möglich gewesen ist. Denn dies steht nicht im Zusammenhang mit der ihn für die Kostenerstattung treffende Obliegenheit, den Verwaltungsvorgang vor einer vollständigen Ablichtung auf Inhalte durchzugehen, die ersichtlich zur Rechtsverteidigung irrelevant sind oder bereits bekannt waren bzw. hätten sein müssen (z. B. eigene Schriftsätze oder Schriftstücke, die der Klägerin vorlagen oder hätten vorliegen müssen). Eine solche Durchsicht war dem Prozessbevollmächtigten auch ohne Besprechung mit der Klägerin zumutbar.

    22
    Keiner Entscheidung bedarf, ob die Festsetzung der Kopierkosten danach vollständig hätte abgelehnt werden müssen oder die von dem Urkundsbeamten vorgenommene pauschale hälftige Kürzung rechtlich zulässig ist, da die Klägerin durch die - ihr unter Umständen zu Unrecht zugestandene - hälftige Gewährung der geltend gemachten Dokumentenpauschale jedenfalls nicht beschwert ist und das beklagte Land kein Rechtsmittel gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss erhoben hat.

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    Vgl. die Berechtigung zur hälftigen Kürzung bejahend: LSG Bayern, Beschluss vom 8.11.2016 - L 15 SF 256/14 E - juris Rn. 30; VG Würzburg, Beschlüsse vom 20.3.2020 - W 7 M 19.1560 -, a. a. O. Rn. 17 und vom 4.5.2012 - W 6 M 12.30075 -, a. a. O. Rn. 27; VG Augsburg, Beschluss vom 17.10.2012 - Au 7 M 11.1600 -, juris Rn. 15; a. A. zur vollständigen Zurückweisung der Kopierkosten: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.5.2020 - 4 O 42/20 -, a. a. O. Rn. 10; VG Kassel, Beschluss vom 20.1.2020 ‑ 6 K 2849/16.KS.A -, a. a. O. Rn. 7 ff.; VG Dresden, Beschluss vom 21.8.2019 - 12 K 2345/16.A -, juris Rn. 11.

    24
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil lediglich die Festgebühr nach Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG anfällt.

    25
    Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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