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  • · Fachbeitrag · Aktuelle Gesetzgebung

    Beweisaufnahme: In diesen Fällen entsteht eine höhere Gebühr

    von Diplom-Rechtspfleger Joachim Volpert, Willich

    | Die durch das 2. KostRMoG (BGBl. 2013 I, 2586) eingeführte Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG entsteht nur in Verfahren mit besonders umfangreicher Beweisaufnahme nach Teil 3 VV RVG mit mindestens drei gerichtlichen Terminen, in denen Sachverständige und Zeugen vernommen werden. Im Anschluss an RVG prof. 14, 49 definiert der Autor im Folgenden die Kriterien des Gerichtstermins und geht auf den Gegenstandswert für die Gebühr ein. |

    1. Drei gerichtliche Termine

    Die Zusatzgebühr setzt voraus, dass drei gerichtliche Termine stattfinden. Ortstermine des gerichtlich bestellten Sachverständigen, die eine Terminsgebühr nach Vorb. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 VV RVG auslösen können, werden im Rahmen von Nr. 1010 VV RVG nicht mitgezählt. Denn diese Ortstermine sind keine gerichtlichen, sondern außergerichtliche Termine. Das ergibt sich ausdrücklich aus Vorb. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 VV RVG.

     

    Haben drei gerichtliche Termine mit Sachverständigen- oder Zeugenvernehmungen stattgefunden, kann der Ortstermin aber zu einer besonders umfangreichen Beweisaufnahme führen. Deutlich macht den Unterschied das folgende Beispiel:

     

    • Beispiel 1

    Der Sachverständige S1 wird in zwei verschiedenen gerichtlichen Terminen vernommen. Darüber hinaus hat Anwalt A an einem Ortstermin des gerichtlich bestellten Sachverständigen S2 teilgenommen, in denen es um die Bewertung eines Grundstücks des Beklagten B ging.

     

    Eine Zusatzgebühr für A ist nicht angefallen, weil nur zwei gerichtliche Termine stattgefunden haben.

     

     

    Nach dem Wortlaut reicht es für die Entstehung der Zusatzgebühr aus, dass mindestens drei gerichtliche Termine mit Sachverständigen- und Zeugenvernehmungen stattfinden. Eine Wahrnehmung dieser Termine durch den Anwalt ist nach dem Wortlaut nicht erforderlich (Hansens, RVGreport 13, 413; a. A. Enders, JurBüro 13, 449). Für dieses Ergebnis spricht, dass die Zusatzgebühr keine Terminsgebühr nach Nr. 1010 VV RVG ist, die wie diese für die Terminswahrnehmung anfällt. Das bedeutet, dass auch andere Rechtsanwälte, wie z.B. der Verkehrsanwalt - also der zwischen der Partei und ihrem auswärtigen Prozessbevollmächtigten vor Ort vermittelnde Anwalt - oder der Terminsvertreter, die Zusatzgebühr verdienen können. Es kommt nicht auf die Wahrnehmung der Termine an. Dem Anwalt muss keine Terminsgebühr entstanden sein, um die Zusatzgebühr zu erhalten.

     

    • Beispiel 2

    Der Sachverständige S wird in drei verschiedenen gerichtlichen Terminen vernommen. Die Termine dauern jeweils ca. drei Stunden. Rechtsanwalt A nimmt an zwei Terminen teil.

     

    Da es nach dem Wortlaut von Nr. 1010 VV RVG nur darauf ankommt, dass die Termine stattfinden, nicht aber dass A auch an der erforderlichen Anzahl der Termine teilnimmt, ist die Zusatzgebühr angefallen.

     

     

    • Beispiel 3

    Verkehrsanwalt V ist in einem Verfahren tätig, in dem der Sachverständige S und zwei Zeugen, Z1 und Z2, in drei verschiedenen gerichtlichen Terminen vernommen werden. Die Beweisaufnahme war besonders umfangreich.

     

    V verdient die Zusatzgebühr.

     

     

    Die drei Termine müssen in derselben gebührenrechtlichen Angelegenheit (§ 15 RVG) und in demselben Rechtszug (§ 17 Nr. 1 RVG) stattgefunden haben. Die Termine müssen also für jede besondere beziehungsweise verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheit im Sinne von §§ 15 ff. RVG gesondert gezählt werden. Nur wenn in derselben Angelegenheit mindestens drei Termine stattfinden, kommt die Zusatzgebühr in Betracht.

     

    Eine Zusatzgebühr entsteht nicht, wenn im ersten Rechtszug zwei und im Berufungs- oder Beschwerdeverfahren ebenfalls zwei gerichtliche Termine stattfinden, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen werden.

     

    Wenn in einem Scheidungsverbundverfahren mindestens drei gerichtliche Termine mit Sachverständigen- und Zeugenvernehmungen in verschiedenen Folgesachen stattfinden, entsteht die Zusatzgebühr bei einer besonders umfangreichen Beweisaufnahme. Denn die Scheidungs- und Folgesachen bilden gemäß § 16 Nr. 4 RVG dieselbe Angelegenheit. Werden mehrere Zeugen und/oder Sachverständige in demselben Termin vernommen, zählt dieser Termin als ein Termin nach Nr. 1010 VV RVG. Erstreckt sich die Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen über mindestens drei Termine, verdient der Rechtsanwalt die Zusatzgebühr, wenn es sich um eine besonders umfangreiche Beweisaufnahme handelt.

     

    • Beispiel 4

    Der Sachverständige S wird in drei verschiedenen gerichtlichen Terminen vernommen. Zwei Termine finden in der ersten Instanz, der weitere Termin im Berufungsverfahren vor dem OLG statt.

    Da in jeder gebührenrechtlichen Angelegenheit (erster Rechtszug einerseits, Berufungsinstanz andererseits) jeweils nur maximal zwei Termine stattgefunden haben, ist keine Zusatzgebühr für Rechtsanwalt A angefallen.

     

     

    Findet ein anberaumter Termin nicht statt, wird er für die Zusatzgebühr nicht mitgerechnet. Für das Stattfinden des Termins gelten die allgemeinen Grundsätze. Der Termin muss hierfür förmlich aufgerufen worden sein (z.B. § 220 Abs. 1 ZPO) oder es muss zumindest konkludent mit dem Termin begonnen worden sein. Das ist der Fall, wenn das Gericht auch ohne förmlichen Aufruf der Sache mit der Verhandlung begonnen hat (BGH NJW 11, 388).

     

    • Beispiel 5

    Der Sachverständige S wird in zwei verschiedenen gerichtlichen Terminen vernommen. Ein dritter Termin ist aufgrund der Erkrankung der Richterin R kurzfristig aufgehoben worden.

     

    Es haben nur zwei Termine im Sinne von Nr. 1010 VV RVG stattgefunden. Der dritte ist nicht mitzuzählen, da er vor Beginn durch Aufruf der Sache aufgehoben worden ist.

     

    2. Gegenstandswert für die Zusatzgebühr 

    Maßgebend als Gegenstandswert für die Zusatzgebühr ist der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit, also der Wert der Gegenstände, über die Beweis erhoben worden ist, § 2 Abs. 1 RVG (Hansens, a.a.O.).

     

    Merke | Der für die Verfahrens- und Terminsgebühr maßgebende Gegenstandswert muss demnach nicht zwingend der Gegenstandswert für die Zusatzgebühr sein.

     

    • Beispiel 6

    In einem Prozess mit einem Streitwert in Höhe von 10.000 EUR wird über einen Teil der Klageforderung in Höhe von 8.000 EUR Beweis erhoben.

     

    Die Verfahrens- und Terminsgebühr berechnet sich nach einem Streitwert in Höhe von 10.000 EUR, die Zusatzgebühr hingegen nur nach dem Gegenstandswert der Beweisaufnahme in Höhe von 8.000 EUR.

     

     

    • Beispiel 7

    In einem Prozess mit einem Streitwert in Höhe von 10.000 EUR hat sich der Streitwert nach dem Beweisbeschluss, aber vor den Terminen durch Klagerücknahme auf 7.000 EUR ermäßigt.

    Maßgebend für die Zusatzgebühr ist der Gegenstandswert der Beweisaufnahme zum Zeitpunkt des Beweisbeschlusses in Höhe von 10.000 EUR.

     
    • Beispiel 8

    Im Scheidungsverbundverfahren wird in der Folgesache Unterhalt (Wert 7.000 EUR) der Zeuge Z in einem Gerichtstermin vernommen. Der Sachverständige S1 erläutert in einem weiteren Termin sein Gutachten. In der Folgesache Zugewinn (Wert 10.000 EUR) wird der Sachverständige S2 in einem dort anberaumten gerichtlichen Termin vernommen. Der Wert des Scheidungsverbundverfahrens beträgt insgesamt 25.000 EUR.

     

    Die Verfahrens- und Terminsgebühr entstehen nach einem Wert in Höhe von 25.000 EUR. Die Zusatzgebühr ist nach einem Wert in Höhe von 17.000 EUR zu berechnen, da nur für die Folgesachen Unterhalt (Wert 7.000 EUR) und Zugewinn (Wert 10.000 EUR) Beweis erhoben worden ist.

     

    3. Gesetzliche Gebühr: Erstattungspflicht

    Die Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG gehört zu den gesetzlichen Gebühren und ist gemäß § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO grundsätzlich kraft Gesetzes erstattungsfähig: Danach sind die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei in allen Prozessen zu erstatten.

     

    Die Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG gehört zu der gesetzlichen Vergütung, die der beigeordnete Rechtsanwalt gemäß § 45 Abs. 1 RVG aus der Staatskasse erhält. Der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete oder nach § 57 oder § 58 der ZPO zum Prozesspfleger bestellte Rechtsanwalt erhält hiernach grundsätzlich die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor Gerichten des Bundes aus der Bundeskasse, in Verfahren vor Gerichten eines Landes aus der Landeskasse.

     

    Als gesetzliche Gebühr ist die Zusatzgebühr nach Nr. 1010 VV RVG mitversichert und deshalb auch von der Rechtsschutzversicherung zu erstatten (AnwaltKomm-RVG/N. Schneider, 7. Aufl., VV 1010 Rn. 39).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Erster Teil des Serienbeitrags in der vergangenen Ausgabe RVG prof. 14, 49
    • RVG prof. 11, 70: Anwaltsverbände fordern Anpassung der Gebührentabelle und Änderungen beim RVG (zu den damaligen Änderungsvorschlägen zur Erhöhung der Terminsgebühr für umfangreiche Beweisaufnahmen)
    • RVG prof. 11, 80: Fortsetzungsbeitrag zu RVG prof. 11, 70
    Quelle: Ausgabe 04 / 2014 | Seite 61 | ID 42518442