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  • · Fachbeitrag · Rahmengebühren

    Straßenverkehrsrechtliches Bußgeldverfahren: Ausgangspunkt ist immer die Mittelgebühr

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    • 1.Auch in straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren dient der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt und hiervon ausgehend die Würdigung der in jedem Einzelfall gegebenen Umstände für die Bestimmung der anwaltlichen Gebühren nach § 14 RVG. Eine „generelle“ Einstufung der anwaltlichen Gebühren unterhalb der Mittelgebühr in diesen Verfahren wegen der regelmäßig geringfügigeren Geldbußen, der mäßigen Bedeutung für den Betroffenen, dem allgemein geringeren Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist rechtlich bedenklich.
    • 2.Die individuelle fahrerlaubnisrechtliche Situation des Betroffenen kann eine gesteigerte „Bedeutung der Angelegenheit“ i.S. des § 14 RVG begründen, wenn wie hier nicht nur lediglich die Eintragung eines Punkts im Verkehrszentralregister drohte, sondern sich der Betroffene mit dieser Eintragung im Hinblick auf die bestehenden Voreintragungen von 14 Punkten im Verkehrszentralregister der zwingenden Fahrerlaubnisentziehung aus § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG weiter angenähert hätte.

    (LG Saarbrücken 7.11.12, 2 Qs 40/12, Abruf-Nr. 131678)

     

    Sachverhalt

    Der Rechtsanwalt verteidigte den Betroffenen in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren, in dem gegen diesen eine Geldbuße von 90 EUR festgesetzt worden war. Nach Freispruch des Betroffenen hat der Rechtsanwalt die Festsetzung der Gebühren beantragt und dabei jeweils die Mittelgebühren in Ansatz gebracht. Das AG hat die Gebühren niedriger festgesetzt. Das Rechtsmittel des Betroffenen hatte Erfolg.

     

    Entscheidungsgründe

    Das AG hatte argumentiert, Verkehrsordnungswidrigkeiten seien wegen der regelmäßig geringfügigeren Geldbußen, der mäßigen Bedeutung für den Betroffenen, dem allgemein geringeren Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit „generell“ in die unteren Skalen aller Bußgeldverfahren einzustufen. Daher sei eine Gebühr deutlich unterhalb der Mittelgebühr als angemessen festzusetzen.

     

    Diese Betrachtungsweise ist - nach Auffassung des LG - seit der Einführung des RVG überholt. Es entspricht vielmehr der wohl zwischenzeitlich h.M., dass unter der Geltung des RVG auch in straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt dient. Hiervon ausgehend sind die in jedem Einzelfall gegebenen Umstände zu würdigen. Unter Anwendung dieses Maßstabs sind die vom Verteidiger in Ansatz gebrachten Gebühren in den Nrn. 5100, 5103, 5109 und 5110 VV RVG verbindlich. Sie unterliegen mangels Unbilligkeit nicht in dem Maße der Korrektur, wie es das AG vorgenommen hat. Zwar sind die Kriterien des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache als deutlich unterdurchschnittlich anzusehen. Daran vermag auch der Vortrag des Verteidigers nichts zu ändern, er habe - was in der Praxis in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren unüblich sei - eine schriftliche Einlassung gefertigt. Diese Unterdurchschnittlichkeit - wobei hinsichtlich der Terminsgebühr nach Nr. 5110 VV RVG im Hinblick auf das Nachfolgende offenbleiben kann, ob, wovon das AG ausgegangen ist, eine Terminsdauer von 20 Minuten in Ordnungswidrigkeitenverfahren tatsächlich unterdurchschnittlich ist - wird jedoch aufgewogen durch die fahrerlaubnisrechtliche Situation des Betroffenen.

     

    Dies hat das AG nicht bedacht. Es hat außer Acht gelassen, dass für den Betroffenen eine maßgeblich gesteigerte „Bedeutung der Angelegenheit“ i.S. von § 14 RVG vorlag. Es kann dahinstehen, ob zum Entscheidungszeitpunkt „17 Punkteeintragungen im Verkehrszentralregister vorlagen“ oder weitere Bußgeldverfahren mit drohender Punkteintragung anhängig waren. Ebenso kann offen bleiben, ob alleine eine drohende Eintragung im Verkehrszentralregister die Mittelgebühr rechtfertigt und einen unterdurchschnittlichen Aufwand auszugleichen vermag.

     

    Die besondere Bedeutung im vorliegenden Fall liegt darin, dass dem Betroffenen nicht lediglich die Eintragung eines Punkts im Verkehrszentralregister drohte, sondern diese Eintragung im Hinblick auf bestehende Voreintragungen besondere Bedeutung erlangt hätte. Denn unstreitig lagen zum Entscheidungszeitpunkt 14 Punkte im Verkehrszentralregister vor, einem Punktstand, bei welchem die Fahrerlaubnisbehörde gezwungen ist, Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 StVG zu ergreifen. Mit einer weiteren Punkteintragung hätte sich der Betroffene der zwingenden Fahrerlaubnisentziehung aus § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG weiterhin angenähert.

     

    Praxishinweis

    Eine schöne Entscheidung, der nicht viel hinzuzufügen ist, außer: Ob es tatsächlich schon die überwiegende Ansicht ist, die davon ausgeht, dass auch im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr anzusetzen ist, kann dahinstehen. Jedenfalls ist diese zutreffende Auffassung im Vordringen und die Entscheidung des LG Saarbrücken weitere Munition des Verteidigers im Kampf um die Mittelgebühr im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Dafür, dass auch im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr anzusetzen ist (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 20. Aufl., § 14 Rn. 30; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O.; Einl. Teil 5 VV Rn. 19 m.w.N.; Burhoff/Burhoff, RVG, 3. Aufl., Vorbem. 5 VV Rn. 39 m.w.N.; AnwKomm-RVG/N. Schneider, RVG, 6. Aufl., VV Vorb. 5 Rn. 54 ff., jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).
    Quelle: Ausgabe 06 / 2013 | Seite 107 | ID 36803090