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  • · Fachbeitrag · Pflichtverteidigung

    Terminsgebühr: Längenzuschlag trotz Pause?

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    Im Sitzungsprotokoll ausdrücklich als solche bezeichnete oder ersichtlich als solche gewährte Mittagspausen sind bei der Berechnung der für die Gewährung eines Längenzuschlags des Pflichtverteidigers maßgeblichen Dauer der Teilnahme des Pflichtverteidigers an der Hauptverhandlung grundsätzlich und regelmäßig nicht in Abzug zu bringen (OLG Karlsruhe 10.10.13, 1 Ws 166/12, Abruf-Nr. 140162).

     

    Sachverhalt

    Rechtsanwalt R hat als Pflichtverteidiger des Beschuldigten B an der Hauptverhandlung teilgenommen. Die Sitzung war auf 9.00 Uhr anberaumt. Um 9.00 Uhr war R anwesend. Die Hauptverhandlung begann um 9.04 Uhr und endete um 15.30 Uhr. Von 11.53 Uhr bis 13.30 Uhr war sie für eine Mittagspause unterbrochen. R hat eine zusätzliche Gebühr nach Nr. 4116 VV RVG (Teilnahme an einer erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor der Strafkammer von mehr als fünf und bis acht Stunden) von 108 EUR geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des LG erkannte diese Gebühr nicht an. Die Strafkammer wies die Erinnerung des R zurück. Seine Beschwerde hat zum Erfolg geführt.

    Entscheidungsgründe

    Die Pause ist bei der Berechnung der für die Gewährung eines Längenzuschlags maßgeblichen Dauer der Teilnahme des Rechtsanwalts an der Hauptverhandlung nicht in Abzug zu bringen. Eine andere Betrachtung kann allenfalls Platz greifen, wenn sich die Mittagspause über einen außergewöhnlich langen, die insoweit übliche und angemessene Zeitspanne deutlich überschreitenden Zeitraum erstreckt. Dabei ist bei der Bewertung der Frage, wann ausnahmsweise in eine Einzelfallprüfung einzutreten ist, ein großzügiger Maßstab anzulegen. Jedenfalls für eine Mittagspause von maximal drei Stunden wird in der Regel von einer Einzelfallprüfung abgesehen und die Pausenzeit in die zu vergütende Hauptverhandlungsdauer einbezogen.

    Praxishinweis

    Es ist zu begrüßen, dass das OLG eine klare und in der Praxis auch einfach umsetzbare Auffassung vertritt. Das OLG geht davon aus, dass Wartezeiten des Rechtsanwalts und Pausen grundsätzlich immer bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer berücksichtigt werden. Nur bei Pausen, die über drei Stunden gedauert haben, tritt das OLG in eine Einzelfallprüfung ein.

     

    FAZIT | Da Pausen über drei Stunden in der Praxis sicherlich nicht häufig vorkommen, ist das Fazit der Entscheidung des OLG: Sowohl Wartezeiten als auch Pausen werden beim Längenzuschlag immer berücksichtigt.

     

     

    Gesetzessystematik und Meinungsstand

    Das RVG sieht seit 2004 in den Nrn. 4110, 4111, 4116, 4117, 4122, 4123, 4128, 4129, 4134, 4135 VV RVG für den Pflichtverteidiger sogenannte Längenzuschläge vor, und zwar einen Zuschlag von 50 Prozent der „normalen“ Terminsgebühr, wenn der Pflichtverteidiger mehr als fünf und bis zu acht Stunden an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Der Zuschlag beträgt 100 Prozent, wenn die Hauptverhandlung mehr als acht Stunden gedauert hat.

     

    Schon bald nach Inkrafttreten des RVG war in der Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob bei der Berechnung der für die Gewährung des Längenzuschlags maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer Wartezeiten des Rechtsanwalts und Pausen zu berücksichtigen sind. Die dazu ergangene Rechtsprechung ist unüberschaubar. Eine klare Linie lässt sich in der Auffassung der OLG nicht erkennen. Kotz spricht in NStZ 09, 414 von einem „Gebührenatlas“, den sich der Pflichtverteidiger anlegen muss, um einen Überblick über die Rechtsprechung zu erlangen. In der letzten Zeit war die Flut von Entscheidungen zum Längenzuschlag abgeebbt. Das OLG Karlsruhe hat mit diesem Beschluss die Diskussion ins Gedächtnis zurückgerufen.

     

    Seine Auffassung begründet das OLG zutreffend wie folgt:

     

    • Mit der Aufnahme der Gebührentatbestände, die den Längenzuschlag regeln, in das RVG 04 sollte erreicht werden, dass der Rechtsanwalt bei einer längeren Hauptverhandlungsdauer nicht mehr in dem zuvor bestehenden Maß auf die Beantragung und Bewilligung einer Pauschvergütung angewiesen ist. Damit sollte die Zahl der Fälle, in denen Pauschgebühren nach § 51 RVG beantragt und festgesetzt werden, vermindert werden.

     

    • Das Ziel des Gesetzgebers sei es zudem, jedenfalls für den Bereich der Pflichtverteidigung die Kostenfestsetzung zu vereinfachen. Sowohl für den Rechtsanwalt als auch für die befassten Justizstellen sollen zeit- und arbeitsintensive Pauschgebührenfestsetzungsverfahren (§ 51 RVG) und Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren (§ 56 RVG) vermieden werden.

     

    • Zwar könne der Rechtsanwalt über die Gestaltung der Mittagspause in der Regel selbst bestimmen und diese zu verschiedenen Zwecken nutzen (z.B. Nahrungsaufnahme, Nachbereitung, Vorbereitung der Hauptverhandlung, Besprechung mit Verfahrensbeteiligten). Der Zeitpunkt und die Dauer der Pause unterliegen jedoch nicht der freien Verfügung des Rechtsanwalts und sind für ihn in der Regel nicht voraussehbar und planbar.

     

    So wird die Ansicht entkräftet, nach der Mittagspausen nicht zu berücksichtigen sind, weil es sich im Gegensatz zu unmittelbar verfahrensbedingten sogenannten „Bereithaltungspausen“ um eine dem privaten Bereich zuzuordnende, sicher voraussehbare und planbare, prozessneutrale Sitzungsunterbrechung handele. Der Rechtsanwalt könne hierüber wie jede andere freiberufliche selbstständige Person, die die Pause nicht vergütet bekommt, frei disponieren. Laut OLG wird diese Bewertung den tatsächlichen Gegebenheiten einer Hauptverhandlung in Strafsachen jedoch nicht gerecht.

     

    Rechtsprechungsübersichten

    Weitgehend einheitlich wird die Frage der Berücksichtigung von Wartezeiten des Rechtsanwalts beantwortet.

     

    Übersicht / Berücksichtigung von Wartezeiten

    Abstellen auf terminierten Beginn der Hauptverhandlung

    Abstellen auf tatsächlichen Beginn

    • KG RVG prof. 07, 176
    • OLG Bamberg AGS 06, 124 m. Anm. N. Schneider
    • OLG Düsseldorf JurBüro 06, 641
    • OLG Hamm RVGreport 05, 351
    • OLG Karlsruhe RVGreport 05, 351
    • OLG Köln AGS 12, 233
    • OLG Nürnberg RVG prof. 08, 74
    • OLG Oldenburg AGS 08, 178
    • OLG Zweibrücken StRR 09, 123 (Ls.)
    • OLG Rostock,zitiert nach Kotz, NStZ 09, 414

     

    Uneinheitlich wird die Frage beantwortet, ob Hauptverhandlungspausen abgezogen werden. Teilweise wird zwischen kürzeren und längeren Pausen unterschieden. Insoweit gilt Folgendes (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 21. Aufl., VV 4108 - 4111 Rn. 26; Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Nr. 4110 VV Rn. 10; Kotz NStZ 09, 414):

     

    Übersicht / Berücksichtigung von Pausen

    Kürzere Pausen werden überwiegend nicht abgezogen

    Abzug von längeren Pausen

    • OLG Bamberg AGS 06, 124
    • KG RVGreport 06, 33
    • KG RVG prof. 07, 176
    • OLG Düsseldorf JurBüro 06, 641
    • OLG Hamm AGS 06, 282
    • OLG München RVGreport 09, 110
    • OLG Nürnberg RVG prof. 08, 74
    • OLG Oldenburg AGS 08, 178
    • OLG Stuttgart RVGreport 06, 32
    • OLG Zweibrücken JurBüro 06, 642
    • wohl auch OLG Frankfurt AGS 12, 465
    • OLG Bamberg AGS 06, 124
    • OLG Frankfurt AGS 12, 465
    • OLG Nürnberg RVG prof. 08, 74
    • OLG Oldenburg AGS 08, 178
    • OLG Zweibrücken JurBüro 06, 642
     

     

    Weiter bestehen folgende differenzierte Ansichten:

     

    • Das KG (25.5.07, 1 Ws 36/07, Abruf-Nr. 072747) zieht längere unvorhergesehene Pausen nicht ab. Der Anwalt müsse sich in der Zeit zur Verfügung halten.

     

    • Bei (extrem) langen Pausen wird zum Teil auf eine Einzelfallbetrachtung abgestellt und gefragt, wie der Rechtsanwalt die freie Zeit sinnvoll hat nutzen können (OLG Düsseldorf JurBüro 06, 641; OLG Naumburg 12.12.06, 1 Ws 579/06 [Pause von 40 Minuten]; OLG Stuttgart RVGreport 06, 32).

     

    Argumente für den Längenzuschlag

    Das gegen die Einbeziehung von Pausen hervorgebrachte Argument, der Wortlaut „Teilnahme an der Hauptverhandlung“ stehe einer Berücksichtigung der Pause entgegen (OLG Bamberg, OLG Celle, OLG München, OLG Oldenburg, OLG Zweibrücken, je a.a.O.), kann wie folgt entkräftet werden:

     

    Der Begriff „Hauptverhandlung“ ist in den die Längenzuschläge gewährenden Vergütungstatbeständen mit dem nach der StPO geltenden Verhandlungsbegriff angesichts anderer Regelungszwecke der maßgeblichen Gesetze nicht deckungsgleich. Das ergibt sich auch aus Vorb. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG. Bei einem geplatzten Termin ist der gänzliche Ausfall des Hauptverhandlungstermins gebührenrechtlich unerheblich. Dies muss nach Sinn und Zweck der Längenzuschlagsregelungen erst recht für angeordnete Sitzungsunterbrechungen gelten (OLG Karlsruhe, a.a.O.).

     

    Weiterführende Hinweise

    • RVG prof. 07, 206: Mahlzeit - ein Menü in vier Gängen zum Längenzuschlag
    • RVG prof. 07, 203: Zehn aktuelle Brennpunkte der Abrechnung im Straf- und Bußgeldverfahren
    • RVG prof. 07, 167: Längenzuschlag des Pflichtverteidigers, Besprechung von KG 25.5.07, 1 Ws 36/07, Abruf-Nr. 072747
    • RVG prof. 07, 30: Berechnung des Längenzuschlags, Besprechung von OLG Düsseldorf 7.9.06, III-3 (s) RVG 4/06, Abruf-Nr. 070184
    • RVG prof. 06, 23: Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger, Besprechung von KG 8.11.05, 4 Ws 127/05, Abruf-Nr. 060202
    • RVG prof. 05, 200: Berechnung der Dauer der Hauptverhandlung für Längenzuschlag des Pflichtverteidigers, Besprechung von OLG Stuttgart 8.8.05, 4 Ws 118/05, Abruf-Nr. 053047
    • RVG prof. 05, 177: Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger, Besprechung von OLG Hamm 27.5.05, 2 (s) Sbd. VIII - 54/05, Abruf-Nr. 052545
    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 20 | ID 42397170