Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Pflichtverteidigung

    Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Berufsausübungsfreiheit

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a. D., Leer/Augsburg

    | Der Pflichtverteidiger kann nach § 51 RVG in besonders umfangreichen oder schwierigen Verfahren die Bewilligung einer Pauschgebühr beantragen, wenn seine gesetzlichen Gebühren nicht angemessen sind. Die OLG tun sich mit zusprechenden Beschlüssen allerdings schwer. In diesem Zusammenhang hat es das KG in einem Verfahren, in dem der Angeklagte nach 71 Sitzungstagen vom Schwurgericht wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwölf Fällen und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden war, abgelehnt, eine Pauschgebühr zu bewilligen. Der VerfGH Berlin hat das anders gesehen und die Entscheidung zugunsten des Rechtsanwalts revidiert. |

     

    Entscheidungsgründe

    Der Senat verweist auf Art. 12 Abs. 1 GG. Denn das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung gebietet in besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Verfahren, seiner Inanspruchnahme Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten. § 51 Abs. 1 RVG soll dies gerade sicherstellen (BVerfG NJW 11, 3079; s. auch BT-Drucksache 15/1971, S. 201). Danach kommt es für die Bewilligung einer Pauschgebühr darauf an, ob dem Rechtsanwalt durch (zu niedrige) gesetzliche Gebühren letztlich ein Sonderopfer auferlegt wird. Das hat der VerfGH Berlin für das vorbereitende Verfahren bejaht (22.4.20, VerfGH 177/19, Abruf-Nr. 216273).

     

    Dem Anwalt standen insoweit eine Grundgebühr von 192 EUR (Nr. 4101 VV RVG), eine Verfahrensgebühr von 161 EUR (Nr. 4105 VV RVG) sowie zwei Terminsgebühren für die Teilnahme an Vernehmungen durch Strafverfolgungsbehörden von 322 EUR (Nr. 4103 VV RVG) zu, damit also insgesamt nur 675 EUR.

     

    MERKE | Diese Gebühren waren zu niedrig. Denn die Arbeitskraft des Rechtsanwalts war durch das vorbereitende Verfahren weit überdurchschnittlich gebunden. Er hat in diesem Verfahrensabschnitt nicht nur an Vernehmungen durch die Strafverfolgungsbehörden teilgenommen, sondern auch an 17 Besprechungsterminen mit seinem Mandanten, dem Landeskriminalamt und dem Oberstaatsanwalt. Die Termine haben an unterschiedlichen und vorgegebenen Orten sowie zu vorgegebenen Zeiten stattgefunden, weil der Mandant nach vorangegangener Beratung und notwendiger Vorbereitung durch den Rechtsanwalt ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden war. Die Zuschläge für nicht auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte (Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG) in Höhe von insgesamt 123 EUR gleichen dies nicht aus. Auch die erheblich über solche in einem gleichartigen Verfahren hinausgehenden Vor- und Nachbereitungen der Termine haben überdurchschnittlich viel Zeit eingenommen.

     

    Der VerfGH verneint auch eine Kompensation durch eine unterdurchschnittliche Inanspruchnahme im Verfahren vor dem Schwurgericht. Das Verfahren vor dem Schwurgericht war weder unterdurchschnittlich schwierig noch unterdurchschnittlich umfangreich.

     

    Für das Hauptverfahren hat der VerfGH ein Sonderopfer des Rechtsanwalts verneint: Für diesen Verfahrensabschnitt standen dem Rechtsanwalt eine Verfahrensgebühr von 385 EUR (Nr. 4119 VV RVG), Terminsgebühren von 517 EUR (Nr. 4121 VV RVG) für jeden der 69 wahrgenommenen Hauptverhandlungstage sowie Längenzuschläge für zwei Terminsgebühren von insgesamt 424 EUR (Nr. 4122 VV RVG) und damit 36.482 EUR zu. Diese Gebühren stehen nicht außer Verhältnis zur Indienstnahme des Rechtsanwalts in dem Verfahrensabschnitt, obgleich das Verfahren in dem achtzehnmonatigen Verfahrensabschnitt besonders umfangreich und besonders schwierig gewesen ist.

     

    Der VerfGH: Der Rechtsanwalt musste einen auch für ein Schwurgerichtsverfahren außergewöhnlich großen Aktenbestand durcharbeiten. Selbst unter Berücksichtigung des mit einem durchschnittlichen Schwurgerichtsverfahren nicht vergleichbaren Aufwands des Rechtsanwalts ist ihm in dem Verfahrensabschnitt aber kein unzumutbares Sonderopfer abverlangt worden. Es ist vor allem nicht ersichtlich, dass der Rechtsanwalt durch seine Pflichtverteidigerbestellung so belastet gewesen ist, dass dies seine Existenz gefährdete oder zumindest erhebliche negative finanzielle Auswirkungen auf seinen Kanzleibetrieb hatte. Zu berücksichtigen sind insoweit insbesondere die Dauer der durchschnittlich etwas mehr als einmal wöchentlich durchgeführten Hauptverhandlungstermine und die Bestellung des weiteren Pflichtverteidigers. Sie haben dem Anwalt ermöglicht, Mandate neben seinem Pflichtverteidigermandat zu bearbeiten und den Kanzleibetrieb aufrechtzuerhalten.

     

    Relevanz für die Praxis

    Der Entscheidung des VerfGH wird man sich im Ergebnis anschließen können. Ob die Tätigkeit des Pflichtverteidigers insgesamt angemessen honoriert worden ist, steht auf einem anderen Blatt. Das Verfassungsgericht prüft nur die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit der entstandenen gesetzlichen Gebühren im Hinblick auf den erbrachten (Zeit-)Aufwand des Pflichtverteidigers. Die konkrete Pauschgebühr muss nun das KG festsetzen, an das das Verfahren zurückverwiesen worden ist.

     

    Beachten Sie | Zwar sieht das RVG eine Antragsbegründung nicht vor, Sie sollten Ihren Antrag aber dennoch gut und eingehend begründen, da er i. d. R. Grundlage für die Entscheidung des OLG ist (OLG Rostock RVG prof. 10, 156). Das gilt vor allem für die Tätigkeiten im Rahmen der Einarbeitung in den Verfahrensstoff. Dass und welche Teile der Nebenakten nach Sichtprüfung zur Vorbereitung einer ordnungsgemäßen Verteidigung genauer studiert werden mussten, müssen Sie als Pflichtverteidiger substanziiert dartun (OLG Düsseldorf RVGreport 17, 10). Sie müssen vor allem die sich nicht aus den Akten ergebenden Tätigkeiten für den Mandanten darlegen, also z. B. eingehende, der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienende Gespräche mit Familienangehörigen, mit dem Mandanten/Nebenkläger, das Studium von anderer als juristischer Literatur, Vorbereitung der Befragung des gerichtlichen Sachverständigen durch Besprechungen mit einem anderen Sachverständigen usw. Insbesondere müssen Sie die in Zusammenhang mit der Inhaftierung des Mandanten erbrachten Tätigkeiten, z. B. Besuche in der Justizvollzugsanstalt (Anzahl und Dauer), die sich nicht aus den Akten ergeben, darlegen.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2020 | Seite 134 | ID 46641797