01.07.2007 | Sozialrecht
Aussetzung der sofortigen Vollziehung
Der Beitrag erläutert, wie das Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung (§ 86a Abs. 3 SGG) richtig abgerechnet wird.
Abrechnung nach Betragsrahmengebühren, § 3 Abs. 1 RVG
Wird der Anwalt im Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung vor der Verwaltungsbehörde tätig (§ 86a Abs. 3 SGG), handelt es sich gegenüber dem Verwaltungs- oder dem Widerspruchsverfahren um eine eigene selbstständige Angelegenheit, § 17 Nr. 1 RVG. Auch gegenüber dem Rechtsstreit in der Hauptsache oder dem Verfahren über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG vor dem Sozialgericht handelt es sich um eine gesonderte Angelegenheit.
Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG
Der Anwalt erhält im Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung vor der Behörde eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG. Die Gebühr nach Nr. 2401 VV RVG kommt nicht in Betracht, da es sich hierbei nicht um ein Nachprüfungsverfahren handelt und kein vorhergehendes Verwaltungsverfahren stattfindet. Dass sich die Hauptsache bereits im Nachprüfungsverfahren befindet und der Anwalt dort ggf. nur die Gebühr nach Nr. 2401 VV RVG erhält, ist unerheblich, da es sich insoweit um eine eigene selbstständige Angelegenheit handelt, § 17 Nr. 1 RVG.
Hinsichtlich der Gerichtsverfahren nach § 86b Abs. 1 und Abs. 2 SGG geht die Rechtsprechung vom unterdurchschnittlichen Gebührenbetrag aus, oft von der sog. „Drittelgebühr“ (Mindestbetrag + Höchstbetrag) : 3 [SG Hildesheim AGS 06, 505]). Das ließe sich auf die Geschäftsgebühr für den Aussetzungsantrag übertragen. Diese Beurteilung ist m.E. jedoch unzutreffend. Die Aussetzung der sofortigen Vollziehung kann sehr bedeutsam sein. Zudem besteht für den Anwalt Zeitdruck. Der Streit soll hier nicht geklärt werden. In den folgenden Berechnungen wird die Mittelgebühr zugrunde gelegt. Die Höhe der Gebühr muss der Anwalt im Einzelfall selbst entscheiden. An den abgerechneten Gebührentatbeständen ändert sich nichts. In Betracht kommen kann allerdings die Schwellengebühr nach Anm. zu Nr. 2400 VV RVG.
Beispiel 1: Tätigkeit nur im Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung (Mittelgebühr) | ||||||||||
Mandant M beauftragt Rechtsanwalt R im Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung vor der Verwaltungsbehörde. M hat das Verwaltungs- und das Widerspruchsverfahren selbst betrieben. Die Tätigkeit des R ist durchschnittlich aber umfangreich.
Lösung: R kann nur die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG abrechnen.
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Abwandlung 1: Schwellengebühr | ||||||||||
Im Beispiel 1 ist die Tätigkeit des R weder umfangreich noch schwierig.
Lösung: Jetzt entsteht nur die Schwellengebühr nach Anm. zu Nr. 2400 VV RVG.
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Einigungs-/Erledigungsgebühr
Eine Erledigungsgebühr nach Nrn. 1002, 1005 VV RVG kann im Verfahren nach § 86a Abs. 3 SGG nicht entstehen, da hinsichtlich der Aussetzung kein Rechtsbehelfsverfahren stattfindet. Möglich ist allerdings eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1005 VV RVG, wenn der Anwalt mit der Behörde eine Einigung erzielt, wie vorläufig zu verfahren ist.
Abwandlung 2: Tätigkeit nur im Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung + Einigung | ||||||||||||
Im Beispiel 1 erzielt R hinsichtlich der Aussetzung eine Einigung mit der Behörde.
Lösung: Neben der Geschäftsgebühr aus Nr. 2400 VV RVG entsteht jetzt auch eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1005 VV RVG.
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An dieser Berechnung ändert sich nichts, auch wenn der Anwalt zugleich im Widerspruchsverfahren tätig ist.
Beispiel 2: Widerspruchsverfahren + Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung |
M beauftragt R mit dem Widerspruchsverfahren sowie dem Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Die Tätigkeit ist in beiden Verfahren umfangreich.
Lösung: Es liegen nach § 17 Nr. 1 RVG zwei verschiedene Angelegenheiten vor. R erhält sowohl im Widerspruchs- als auch im Aussetzungsverfahren eine Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG und damit für beide Verfahren jeweils 357 EUR, zusammen 714 EUR (zur Berechnung vgl. Beispiel 1). |
Tätigkeit im gesamten Vorverfahren
Bei einer Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG verbleibt es auch, wenn der Anwalt zugleich im Widerspruchsverfahren tätig ist und schon im vorangegangenen Verwaltungsverfahren war. Zwar erhält der Anwalt im Widerspruchsverfahren wegen der Vorbefassung im Verwaltungsverfahren nur die Geschäftsgebühr der Nr. 2401 VV RVG. Das schlägt jedoch nicht auf das Verfahren nach § 86a Abs. 3 SGG durch, da letzteres nach § 17 Nr. 1 RVG eine selbstständige Angelegenheit ist, der kein eigenes Verwaltungsverfahren vorangeht.
Beispiel 3: Verwaltungs-, Widerspruchs- und Aussetzungsverfahren | ||||||||||
R war mit der Vertretung im Verwaltungsverfahren beauftragt. Er wird anschließend im Widerspruchsverfahren tätig und beantragt auftragsgemäß die Aussetzung der sofortigen Vollziehung vor der Behörde. Die Tätigkeit ist in allen Verfahren durchschnittlich aber umfangreich.
Lösung: Es liegen nach § 17 Nr. 1 RVG drei verschiedene Angelegenheiten vor. R erhält im Verwaltungsverfahren eine Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG. Im Widerspruchsverfahren entsteht jetzt wegen der Vorbefassung nur die Gebühr nach Nr. 2401 VV RVG. Im Verfahren auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung entsteht eine weitere Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG. Dass R in der Hauptsache, also im Widerspruchsverfahren, nur die Geschäftsgebühr der Nr. 2401 VV RVG erhält, ist unerheblich, da es sich bei dem Aussetzungsverfahren um eine eigene Angelegenheit handelt (§ 17 Nr. 1 RVG) und insoweit kein Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist.
Verwaltungsverfahren Hier kann R 357 EUR abrechnen, vgl. Beispiel 1. Widerspruchsverfahren
Aussetzungsverfahren R kann 357 EUR abrechnen, vgl. Beispiel 1. Insgesamt fallen 916,30 EUR an. |
Erledigung im Widerspruchsverfahren
Erledigt sich das Widerspruchsverfahren durch Mitwirkung des Anwalt, fällt in diesem Verfahren die Erledigungsgebühr nach Nrn. 1002, 1005 VV RVG an.
Abwandlung: Verwaltungs-, Widerspruchs- und Aussetzungsverfahren + Erledigung | ||||||||||||
Im Beispiel 3 erledigt sich das Widerspruchsverfahren durch Abhilfe. Die Tätigkeit ist in allen Verfahren umfangreich.
Lösung: Abzurechnen ist wie im Beispiel 3. Im Widerspruchsverfahren, nicht jedoch im Aussetzungsverfahren, fällt aber noch eine Erledigungsgebühr nach Nrn. 1002, 1005 VV RVG an. Zwar erledigt sich auch das Aussetzungsverfahren durch die Abhilfe in der Hauptsache. Es findet aber insoweit kein Rechtsbehelfsverfahren statt.
Verwaltungsverfahren Hier kann R 357 EUR abrechnen, vgl. Beispiel 3.
Widerspruchsverfahren
Aussetzungsverfahren Auch hier kann R wiederum 357 EUR abrechnen, vgl. Beispiel 3. Insgesamt kann R 1.249,50 EUR abrechnen. |
Anschließendes gerichtliches Aussetzungsverfahren
Schließt sich an das Aussetzungsverfahren ein sozialgerichtliches Verfahren nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG an, entsteht die Gebühr der Nr. 3103 VV RVG und nicht die der Nr. 3102 VV RVG, da dem Verfahren nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG eine Vertretung im Verwaltungsverfahren vorangegangen ist.
R beantragt vor der Behörde die Aussetzung nach § 86a Abs. 3 SGG. Der Antrag wird zurückgewiesen. Daraufhin wird vor dem Sozialgericht die Aussetzung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG beantragt.
Lösung: Im Aussetzungsverfahren nach § 86a Abs. 3 SGG erhält R die Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG. Im gerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG entsteht jetzt wegen der Vorbefassung im behördlichen Verfahren nur noch die Gebühr nach Nr. 3103 VV RVG.
Aussetzungsverfahren vor der Behörde nach § 86a Abs. 3 SGG Hier kann R 357 EUR abrechnen, vgl. Beispiel 3.
Aussetzungsverfahren vor dem Sozialgericht nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG
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Abrechnung nach Wertgebühren, § 31 Abs. 1 S. 2 RVG
Ist nach Wertgebühren abzurechnen, richtet sich die Vergütung im Verfahren auf Aussetzung nach § 86a Abs. 3 SGG vor der Verwaltungsbehörde nach Nr. 2300 VV RVG, unabhängig davon, ob der Anwalt im Widerspruchsverfahren tätig ist und ob er dort die Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG oder Nr. 2301 VV RVG verdient. Kommt es anschließend zum Gerichtsverfahren nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG, entsteht dort die Gebühr der Nr. 3100 VV RVG, auf die die Gebühr der Nr. 2300 VV RVG des behördlichen Aussetzungsverfahrens anzurechnen ist, Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG. Der Gegenstandswert des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens richtet sich nach § 53 Abs. 3 Nr. 4i.V. mit § 52 Abs. 1, 2 GKG und wird mit 1/4 bis 1/2 der Hauptsache angesetzt (s. Streitwertkatalog der Sozialgerichtsbarkeit II. 7.1, RVGreport 06, 371 ff. [372]). Gleiches gilt für das Aussetzungsverfahren vor der Behörde, § 23 Abs. 1 S. 3 RVG.
Beispiel: Tätigkeit im Vorverfahren, gerichtlichen Verfahren + anschließender Neubescheidung | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
R war im Verwaltungs und Widerspruchsverfahren tätig. Er beantragt nach § 86a Abs. 3 SGG die Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Der Antrag wird zurückgewiesen. Daraufhin wird vor dem Sozialgericht die Aussetzung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG beantragt. Gleichzeitig wird gegen den zwischenzeitlich ergangenen Widerspruchsbescheid Anfechtungsklage erhoben. Die Streitwerte werden wie folgt festgesetzt: Hauptsache 5.000 EUR; Aussetzungsverfahren 2.500 EUR.
Lösung: Hinsichtlich der Hauptsache verdient R im Verwaltungsverfahren die Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV RVG und im ersten Widerspruchsverfahren die Geschäftsgebühr nach Nr. 2301 VV RVG. Vor dem Sozialgericht entsteht die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, auf die die Gebühr der Nr. 2301 VV RVG hälftig anzurechnen ist (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 2 VV RVG); hinzu kommt eine 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG. Im Aussetzungsverfahren nach § 86a Abs. 3 SGG entsteht die Gebühr der Nr. 2300 VV RVG. Im anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht über die Aussetzung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG entsteht die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG, auf die die vorangegangene Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV RVG zur Hälfte anzurechnen ist, Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG.
Hauptsacheverfahren Verwaltungsverfahren (Wert: 5.000 EUR)
Widerspruchsverfahren (Wert: 5.000 EUR)
Gerichtliches Verfahren (Wert: 5.000 EUR)
Aussetzungsverfahren Verfahren nach § 86a Abs. 3 SGG vor der Behörde (Wert: 2.500 EUR)
Verfahren nach § 86b Abs. 2 SGG vor dem Sozialgericht (Wert: 2.500 EUR)
R kann insgesamt 2.105,71 EUR abrechnen (vgl. zur Abrechnung sozialrechtlicher Mandate auch Schäfer, RVG prof. 06, 71, 88, 106, 125, 142, 159; zur PKH in sozialgerichtlichen Mandaten, Schäfer, RVG prof. 07, 86 sowie zu den Gebühren nach Zurückverweisung Schneider, RVG prof. 07, 16 und zur Abrechnung einstweiliger Anordnungsverfahren Schneider, RVG prof. 07, 67).
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