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  • 23.12.2009 | Geschäftsgebühr

    Anrechnung bei mehreren Auftraggebern

    von RiLG Dr. Julia Bettina Onderka, Bonn

    Hat der Anwalt in derselben Angelegenheit mehrere Auftraggeber, erhöht sich nach Nr. 1008 VV RVG - wenn der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe ist - die Geschäfts- bzw. Verfahrensgebühr für jeden weiteren Auftraggeber um 0,3. Es handelt sich bei Nr. 1008 VV RVG nicht um eine eigenständige „Erhöhungsgebühr“, sondern um einen abweichenden Gebührensatz. Der folgende Beitrag zeigt, wie die erhöhte Geschäftsgebühr zu behandeln ist, wenn der außergerichtlichen Tätigkeit eine Vertretung im Rechtsstreit folgt.  

     

    Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist eine außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden Rechtsstreits anzurechnen. Dabei unterliegt die Geschäftsgebühr zur Hälfte, höchstens jedoch mit einem Gebührensatz von 0,75 der Anrechnung. Die Anrechnung hat zur Folge, dass sich die gerichtliche Verfahrensgebühr um den Anrechnungsbetrag mindert und nur in dieser reduzierten Höhe gegen den eigenen Mandanten festgesetzt werden kann.  

     

    Die Anrechnung einer wegen der Vertretung mehrerer Auftraggeber nach Nr. 1008 VV RVG erhöhten Geschäftsgebühr ist umstritten. Dazu Folgendes:  

     

    Beispiel

    Rechtsanwalt R vertritt die Auftraggeber A, B und C hinsichtlich eines Räumungsanspruchs (Wert: 20.000 EUR) zunächst außergerichtlich. Es handelt sich um eine insgesamt durchschnittliche Angelegenheit. Als der Mieter dem Räumungsverlangen nicht nachkommt, erhebt R auftragsgemäß Klage, der nach mündlicher Verhandlung stattgegeben wird.  

     

    Für die außergerichtliche Tätigkeit kann R folgende Vergütung verlangen:  

     

    1,9 Geschäftsgebühr Nrn. 2300, 1008 VV RVG (1,3 Geschäftsgebühr + 0,6 für 2 weitere Auftraggeber)  

    1.227,40 EUR  

    Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG  

    20,00 EUR  

     

    1.247,40 EUR  

    Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG, 19 %  

    237,01 EUR  

     

    1.484,41 EUR  

     

     

    Zur Anrechnung der erhöhten Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG werden drei Ansichten vertreten.  

     

    1. Die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG wird überhaupt nicht von der Anrechnung umfasst, sondern bleibt vollständig anrechnungsfrei. Begründet wird dies damit, dass der Wortlaut von Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG nur auf eine „nach den Nummern 2300 bis 2303“ entstandene Geschäftsgebühr abstelle, wogegen die Regelung der Nr. 1008 VV RVG nicht aufgeführt sei. Auch habe der Gesetzgeber nicht - wie z.B. in der Anm. zu Nr. 3308 VV RVG - eine ausdrückliche Regelung für den Fall der Gebührenerhöhung vorgenommen (Hartung/Römermann/Schons (Schons), RVG, 2. Aufl., Vorbem. 3 VV Rn. 87; Mock, RVG-Berater 04, 87).

     

    Lösung nach Meinung 1

    Nach dieser Meinung würde R für das gerichtliche Verfahren folgende Vergütung erhalten:  

    1,9 Geschäftsgebühr Nrn. 2300, 1008 VV RVG (1,3 Geschäftsgebühr + 0,6 für 2 weitere Auftraggeber)  

    1.227,40 EUR  

    ./. 0,65 Geschäftsgebühr, Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG  

    ./. 419,90 EUR  

    1,2 Terminsgebühr, VV 3104  

    775,20 EUR  

    Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG  

    20,00 EUR  

     

    1.602,70 EUR  

    Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG, 19 %  

    304,51 EUR  

     

    1.907,21 EUR  

     

     

    Da der Erhöhungsbetrag nach Nr. 1008 VV RVG völlig anrechnungsfrei bleiben muss, berechnet sich der Anrechnungsbetrag lediglich aus der nicht erhöhten Geschäftsgebühr. Da diese 1,3 beträgt, wird ein Gebührensatz von 0,65 angerechnet.  

     

    2. Nach der zweiten Meinung bezieht sich die Anrechnung zwar auch auf den Erhöhungsbetrag nach Nr. 1008 VV RVG. Insgesamt ist die Anrechnung jedoch auch bei mehreren Auftraggebern auf den gesetzlich vorgesehenen Höchstsatz von 0,75 beschränkt (KG RVGreport 08, 391; LG Ulm AGS 08, 163; Gerold/Schmidt (Müller-Rabe), RVG, 18. Aufl., VV 1008 Rn. 256 ff.).

     

    Lösung nach Meinung 2

    Nach dieser Meinung würde R für das gerichtliche Verfahren folgende Vergütung erhalten:  

    1,9 Geschäftsgebühr Nrn. 2300, 1008 VV RVG  

    (1,3 Verfahrensgebühr + 0,6 für 2 weitere Auftraggeber)  

    1.227,40 EUR  

    ./. 0,75 Geschäftsgebühr, Vorbem. 3 Abs. 4  

    ./. 484,50 EUR  

    1,2 Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG  

    775,20 EUR  

    Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG  

    20,00 EUR  

     

    1.538,10 EUR  

    Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG, 19 %  

    292,24 EUR  

     

    1.830,34 EUR  

     

     

    Anzurechnen ist von der erhöhten Geschäftsgebühr von 1,9. Es wird jedoch nicht die Hälfte dieser Gebühr (0,95) angerechnet, da die Höchstgrenze der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG von 0,75 eingreift.  

     

    3. Nach einer dritten Meinung gilt die Höchstgrenze von 0,75 nicht. Vielmehr ist auch der Erhöhungsbetrag entsprechend Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte - also für jeden weiteren Auftraggeber mit einem Satz von 0,15 - anzurechnen (Hergenröder AGS 07, 53; N. Schneider, AnwK-RVG, 3. Aufl., VV Vorbem. 3 Rn. 206).

     

    Lösung nach Meinung 3

    Nach dieser Meinung würde R für das gerichtliche Verfahren folgende Vergütung erhalten:  

     

    1,9 Geschäftsgebühr Nrn. 2300, 1008 VV RVG (1,3 Verfahrensgebühr + 0,6 für 2 weitere Auftraggeber)  

    1.227,40 EUR  

    ./. 0,95 Geschäftsgebühr, Vorbem. 3 Abs. 4  

    ./. 613.70 EUR  

    1,2 Terminsgebühr Nr. 3104 VV RVG  

    775,20 EUR  

    Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG  

    20,00 EUR  

     

    1.408,90 EUR  

    Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG, 19 %  

    267,69 EUR  

     

    1.676,59 EUR  

     

     

    Der Anrechnung unterliegt die nicht erhöhte Geschäftsgebühr (1,3). Anrechnungsbetrag ist 0,65. Dieser wird für jeden weiteren Auftraggeber um 0,15 - also insgesamt um 0,3 - auf 0,95 erhöht.  

     

    Die erste Meinung überzeugt nicht. Die Folgerung, dass der Erhöhungsbetrag nach Nr. 1008 VV RVG anrechnungsfrei bleibt, kann nicht aus dem Wortlaut von Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG hergeleitet werden. Zwar ist im Zusammenhang mit der Anrechnung die Regelung der Nr. 1008 VV RVG nicht aufgeführt. Dies hat jedoch andere Gründe. Da es sich bei Nr. 1008 VV RVG nicht um eine eigenständige Gebühr, sondern lediglich um eine abweichende Berechnungsform der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 ff. VV RVG handelt, bestand für den Gesetzgeber kein Anlass, die Vorschrift ausdrücklich in Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG aufzunehmen. Auch der Vergleich mit Nr. 3308 VV RVG („Nr. 1008 ist nicht anzuwenden, wenn sich bereits die Gebühr Nr. 3305 erhöht“) liefert kein Argument für einen anrechnungsfreien Erhöhungsbetrag. Es geht nicht darum, ob sich bei einer bereits erhöhten Geschäftsgebühr auch die Verfahrensgebühr für das Gerichtsverfahren erhöht, sondern um die Frage, in welchem Umfang eine Anrechnung der einen erhöhten Gebühr auf die andere erhöhte Gebühr durchzuführen ist.  

     

    Gegen die dritte Meinung, wonach der Erhöhungsbetrag einer eigenständig zu berechnenden Anrechnung unterliegt, spricht, dass Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG eine ausdrückliche Höchstgrenze für die Anrechnung vorsieht und nicht differenziert, aus welchen Teilen sich die konkrete Geschäftsgebühr zusammensetzt. Somit fehlt es - ebenso wie bei der Anrechnung der Auslagenpauschale, die von den Vertretern der dritten Meinung (zutreffend) abgelehnt wird - an einer gesetzlichen Grundlage für die Anrechnung eines Satzes von 0,15 für jeden weiteren Auftraggeber.  

     

    Die Anrechnung ist daher nach der zweiten Meinung durchzuführen, wonach der Erhöhungsbetrag zwar an der Anrechnung teilnimmt, die Höchstgrenze von 0,75 jedoch zu beachten ist. Soweit der Rechtsanwalt also die Mittelgebühr (1,5) bzw. eine höhere Gebühr für seine außergerichtliche Tätigkeit in Rechnung stellen kann, bleibt der Erhöhungsbetrag - unabhängig von der Zahl der weiteren Auftraggeber - im Ergebnis anrechnungsfrei. Fällt für die außergerichtliche Tätigkeit dagegen eine Gebühr unterhalb der Mittelgebühr an, mindert die Anrechnung auch einen Teil des Erhöhungsbetrags.  

     

    Quelle: Ausgabe 01 / 2010 | Seite 16 | ID 132424