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  • · Fachbeitrag · Europäische Ermittlungsanordnungen

    EuGH bremst Finanzbehörden aus: EEA müssen von der Staatsanwaltschaft validiert werden

    von RAin Stefanie Schott, FAin StrR, FAin StR, kipper+durth, Darmstadt

    | Im Rahmen der Leistung von internationaler Rechtshilfe auf der Grundlage der Richtlinie zur Europäischen Ermittlungsanordnung (RL 2014/419) war umstritten, ob Finanzbehörden, wenn sie das Ermittlungsverfahren in einer Steuerstrafsache gem. § 386 Abs. 2, § 399 AO eigenständig führen, als „Justiz-“ oder „Anordnungsbehörde“ befugt sind, eigenständig Ermittlungsersuchen ins europäische Ausland zu stellen. Dem hat der EuGH nun eine Absage erteilt. |

     

    Sachverhalt

    Die Staatsanwaltschaft Graz rief den EuGH zur Klärung der Frage an, ob Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 2 lit. c Ziff. i der RL 2014/41 dahin auszulegen sind, dass eine Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die zwar zur Exekutive dieses Staates gehört, aber gemäß dem nationalen Recht anstelle der Staatsanwaltschaft steuerstrafrechtliche Ermittlungen selbstständig durchführt und dabei die Rechte und Pflichten wahrnimmt, die der Staatsanwaltschaft zukommen, als „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ i. S. d. Bestimmungen angesehen werden kann. Der dabei in Bezug genommene Art. 2 lit. c Ziff. i der RL 2014/41 ist abzugrenzen von der Ermächtigungsnorm des Art. 2 lit. c Ziff. ii der RL 2014/41. Ziff. i erlaubt es den unter diese Vorschrift fallenden Anordnungsbehörden, eigenständig Ermittlungsersuchen in andere Mitgliedstaaten zu stellen. Demgegenüber benötigen die unter Ziff. ii fallenden Anordnungsbehörden einer Validierung ihres Ersuchens durch eine Anordnungs- bzw. Justizbehörde i. S. d. Art. 2 lit. c Ziff. i der RL 2014/41.

     

    Entscheidungsgründe

    Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 und Art. 2 lit. c Ziff. i der Richtlinie 2014/41 (RL EEA) sind nicht so auszulegen, dass als „Justizbehörde“ und „Anordnungsbehörde“ i. S. d. Bestimmungen auch ein deutsches FA für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung anzusehen ist, das nach den nationalen Vorschriften ermächtigt ist, in Bezug auf bestimmte Straftaten die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft wahrzunehmen (EuGH 2.3.23, C-16/22, Abruf-Nr. 234115).

     

    In Art. 2 lit. c der Richtlinie 2014/41 wird definiert, was für die Zwecke dieser Richtlinie unter einer „Anordnungsbehörde“ zu verstehen ist. Gem. Art. 2 lit. c Ziff. i dieser Richtlinie bezeichnet eine Anordnungsbehörde einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt, der/das in dem betreffenden Fall zuständig ist. Gem. Art. 2 lit. c Ziff. ii der Richtlinie ist eine Anordnungsbehörde ferner jede andere vom Anordnungsstaat bezeichnete zuständige Behörde, die in dem betreffenden Fall in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren nach nationalem Recht für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Aus der letztgenannten Bestimmung geht außerdem hervor, dass eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA), wenn sie von einer solchen anderen Behörde erlassen wird, vor ihrer Übermittlung an die Vollstreckungsbehörde von einer Justizbehörde, einem Richter, einem Gericht, einem Ermittlungsrichter oder einem Staatsanwalt im Anordnungsstaat validiert werden muss.

     

    Somit ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von Art. 2 lit. c der Richtlinie 2014/41, dass in dieser Bestimmung zwischen zwei Kategorien von Anordnungsbehörden unterschieden wird, die von Ziff. i bzw. Ziff. ii erfasst werden.

     

    Den in Art. 2 lit. c Ziff. i der Richtlinie als „Anordnungsbehörde“ bezeichneten Richtern, Gerichten, Ermittlungsrichtern oder Staatsanwälten ist gemein, dass sie alle an der Rechtspflege mitwirken können. Im Übrigen werden sie, wie sich aus Art. 2 lit. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 ergibt, entsprechend dieser Beurteilung als „Justizbehörden“ i. S. d. Richtlinie eingestuft.

     

    Zudem ist die Aufzählung, wie sich insbesondere aus der Verwendung der Konjunktion „oder“ ergibt, abschließend.

     

    Dies wird auch durch Art. 2 lit. c Ziff. ii der Richtlinie gestützt, der vorsieht, dass eine zweite Kategorie von Behörden unter den Begriff der „Anordnungsbehörde“ fällt. Diese Kategorie erfasst jede „andere“ Behörde als die in Art. 2 lit. c Ziff. i dieser Richtlinie genannten, sofern eine solche Behörde in Strafverfahren befugt ist, als Ermittlungsbehörde tätig zu werden (vgl. i. d. S. Urteil vom 16.12.21, Spetsializirana prokuratura [Verkehrs- und Standortdaten], C 724/19, EU:C:2021:1020, Rn. 29).

     

    Folglich lässt der Verweis auf „jede andere Behörde“ in Art. 2 lit. c Ziff. ii der RL 2014/41 eindeutig erkennen, dass jede Behörde, bei der es sich nicht um einen Richter, ein Gericht, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt handelt, anhand von Art. 2 lit. c Ziff. ii der Richtlinie zu prüfen ist. Eine Behörde, die keine Justizbehörde ist, wie eine Verwaltungsbehörde, kann folglich nur unter den Begriff „Anordnungsbehörde“ i. S. v. Art. 2 lit. c Ziff. ii der Richtlinie 2014/41 fallen.

     

    Der EuGH betont, dass Art. 2 lit. c Ziff. i und ii der Richtlinie die Trennung von Judikative und Exekutive widerspiegeln. Unter den Justizbehörden werden die an der Rechtspflege mitwirkenden Behörden verstanden, im Unterschied insbesondere zu Verwaltungsbehörden, die zur Exekutive gehören.

     

    Die vereinfachte Zusammenarbeit erfordert eine einfache und eindeutige Identifizierung der Behörde, die eine EEA erlassen hat, um festzustellen, ob diese durch eine Justizbehörde zu validieren ist oder nicht.

     

    Aus diesen Gründen stehen sowohl der „Wortlaut von Art. 2 lit. c der Richtlinie 2014/41 als auch der Kontext, in den sich diese Bestimmung einfügt, und das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel der von der österreichischen Regierung und der deutschen Regierung geltend gemachten funktionalen Auslegung entgegen, wonach eine Steuerbehörde, wenn sie nach nationalem Recht die Rechte und Pflichten wahrnehme, die der Staatsanwaltschaft zukämen, dieser gleichzustellen und folglich als „Anordnungsbehörde“ i. S. v. Art. 2 lit. c Ziff. i der Richtlinie einzustufen ist.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die EEA ist ein in der Praxis bereits umfangreich genutztes Instrument, mit dem im Rahmen von (Steuer-)Strafverfahren auf einfache und zügige Weise Beweise im europäischen Ausland erhoben und übermittelt werden können. Die nationale Anordnungsbehörde richtet sich dazu, je nach Zuständigkeit, direkt an ein ausländisches Gericht oder eine ausländische Behörde, damit diese die Beweiserhebung nach den im Vollstreckungsstaat geltenden Vorschriften vornimmt. Eine (erneute) Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme erfolgt dazu im Vollstreckungsstaat grundsätzlich nicht, Art. 9 Abs. 1 RL EEA (Prinzip der gegenseitigen Anerkennung).

     

    In manchen Bundesländern wurde bislang davon ausgegangen, dass Finanzbehörden, die als Strafverfolgungsbehörde in einem Steuerstrafverfahren zur Ermittlung einer Steuerstraftat (§ 386 Abs. 2, § 399 Abs. 1 und § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO) oder als Verwaltungsbehörde in einem Bußgeldverfahren zur Ermittlung einer Steuerordnungswidrigkeit (§§ 409, 410, 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO) selbstständig tätig werden, auf der Grundlage des Art. 2 lit. c Ziff. i RL-2014/41 ermächtigt seien, solche Ermittlungsanordnungen eigenständig zu stellen, ohne dass dazu eine Validierung nötig sei. Die entsprechende Praxis ist nun umzustellen, eine Validierung stets einzuholen.

     

    Die Validierung wird in Deutschland von der Staatsanwaltschaft vorgenommen, § 91 j Abs. 2 IRG. Diese ist in Art. 2 lit. c Ziff. i RL-2014/41 ausdrücklich als Anordnungsbehörde aufgeführt. Anders als beim Erlass von Europäischen Haftbefehlen ist es insoweit nach Ansicht des EuGH auch unerheblich, dass die Staatsanwaltschaft Einzelweisungen der Exekutive unterworfen werden kann (EuGH 8.12.20, C-584/19). Daher ist die nach deutschem Recht praktizierte Validierung von EEA durch die Staatsanwaltschaft europarechtlich nicht zu beanstanden.

     

    In dem der EuGH-Entscheidung zugrunde liegenden Fall war die Beschuldigte Geschäftsführerin einer GmbH. Gegen sie lief ein Ermittlungsverfahren in Deutschland wegen Steuerhinterziehung. Im Rahmen der Ermittlungen hat das FA mittels einer EEA die österreichische Staatsanwaltschaft ersucht, bei einer Bank in Österreich Unterlagen zu Bankkonten für einen bestimmten Zeitraum zu erheben. Das FA hat angegeben, als Justizbehörde zu handeln. Die Beschuldigte war im Wege einer Beschwerde gegen die gerichtliche Entscheidung in Österreich vorgegangen, mit der die Vollstreckung der EEA bewilligt worden war. Dies führte zur Vorlegung durch das Beschwerdegericht an den EuGH.

     

    Da die EEA eine Ermittlungsmaßnahme im strafrechtlichen Verfahren ist, hätte die Beschuldigte zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der noch nicht vollstreckten EEA auch in Deutschland einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 StPO analog stellen können. Ein solcher Antrag ist grundsätzlich auch noch nach Durchführung der Maßnahme zulässig, Voraussetzung ist aber, dass weiterhin ein Rechtsschutzinteresse besteht (dazu z. B. BGHSt 28, 57 [58]; BVerfGE 96, 27). Ein solches kann in einer konkret bestehenden Wiederholungsgefahr oder bei Vorliegen eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs (vgl. dazu BVerfGE 96, 27, 40) liegen. Zumindest die letztgenannte Voraussetzung wäre bei dem streitgegenständlichen Auskunftsersuchen wohl nicht gegeben.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2023 | Seite 126 | ID 49320869

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