Liebe Kolleginnen und Kollegen,
während der Gesetzgeber von Reformen träumt, ist die Verwaltung agil. In Hessen läuft das Pilotprojekt „Die Steuer macht das Amt“. Steuerlich nicht beratene Bürger, von denen alle Steuerdaten vorliegen, erhalten einen Vorschlag für einen Steuerbescheid. Wenn nichts unternommen wird, ergeht dieser als Bescheid. Klar: Welche Handwerkerkosten, Spenden oder Veräußerungsgewinne noch angefallen sind, kann das FA (im Moment) noch nicht wissen. Der Bescheid kann also zu günstig oder zu ungünstig ausfallen ‒ wie bisher auch.
Für den Berater ist fraglich: Wie ist die steuerstrafrechtliche Risikoverteilung des so beglückten Bürgers? Angenommen, der Vorschlag des FA ist unrichtig i. S. d. § 370 Abs. 1 AO. Macht der Bürger dann unrichtige Angaben i. S. d. Nr. 1, wenn er schlicht nicht reagiert? § 150 Abs. 7 S. 2 AO könnte qua Fiktion dieses Ergebnis tragen. Aber mit den Fiktionen im Strafrecht ist es so eine Sache ‒ das Bestimmtheitsgebot knarzt dabei jedenfalls. Die AEAO klingen in diesem Punkt ungewohnt gnädig. Denn 150 Nr. 3 AEAO befindet: „Hat die Steuerverwaltung Daten, die ihr von mitteilungspflichtigen Stellen nach Maßgabe des § 93c AO übermittelt wurden, mangels abweichender Angaben des Steuerpflichtigen bei der Steuerfestsetzung unverändert übernommen, ist der Steuerpflichtige für die Richtigkeit dieser Daten nicht verantwortlich (§ 150 Abs. 7 S. 2 AO).“ Fazit: Das Gesetz erklärt die Daten zwar zu „Angaben des Steuerpflichtigen“, zugleich entlastet die Verwaltung ihn von der Verantwortung. Klingt wie ein Freibrief: Weder § 370 Abs. 1 Nr. 1 noch Nr. 2 AO greifen. Straflosigkeit in allen Fällen! Man wird noch träumen dürfen.
Ansonsten: Das Loch in den Staatsfinanzen, also die Differenz zwischen „Wollen“ und „Können“, ist überall angekommen. Von Steuererleichterung oder -senkungen war jedenfalls immer weniger zu hören. Dafür geriet die Erbschaft- und Schenkungsteuer ins Visier. Sowohl ein Normenkontrollverfahren als auch mehrere Verfassungsbeschwerden sind anhängig. Das Kalkül: Karlsruhe wird die Sache wohl verwerfen, und dann hat man „freies Spiel“. Interessant ist die Überlegung des vom Freistaat Bayern angestrengten Normenkontrollverfahrens aus 2023. Die Freibeträge von 2009 passten nicht zur Inflation (1 BvF 1/23). Das dürfte richtig sein. Es bleibt die Frage: Kommt diese Erkenntnis auch beim BGH an? Bekanntermaßen befindet dieser seit 2008, ein großes Ausmaß der Verkürzung bei § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO läge ab 50.000 EUR vor. Hier gilt, was die Bayern schon wissen: Das passt nicht mehr!
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