· Fachbeitrag · Schwarzlohnzahlungen
Berechnungsgrundlagen bei Schwarzlohnzahlungen ‒ was ist das geringere Übel?
von RA Frank M. Peter, FA StrR, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA), Buchert Jacob Peter Rechtsanwälte, Frankfurt am Main
| Der Umfang der Schuld bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gem. § 266a StGB ‒ insbesondere im Zusammenhang mit illegalen, jedoch versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen wie Schwarzlohnzahlungen und Scheinrechnungen ‒ wird in hohem Maße durch das ermittelte Bruttoentgelt bestimmt. Dieses orientiert sich an sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben und wurde lange durch die „2/3-Methode“ geprägt. In der Praxis wird zunehmend eine neue Berechnungsmethode angewandt, sodass sich folgende Frage aufdrängt: Welche Methode ist zu wählen? |
1. Das Dilemma des Schwarzlohnzahlers
Wer Schwarzlöhne zahlen will, wird dies i. d. R. mit Bargeld machen. Wer aber nicht sein Privatvermögen dafür verwenden oder eine Privatentnahme erzeugen möchte, muss sich das Bargeld auf andere Art und Weise beschaffen. In Branchen wie z. B. in der Gastronomie ist es noch einfach, Bargeld „wiederzuverwenden“, da dort Bargeldzahlungen üblich sind.
In den meisten Branchen, wie z. B. insbesondere in der Baubranche, ist dies deutlich schwieriger. Hier sind hohe Auftragswerte die Regel, diese können und werden nicht in bar abgewickelt.
Die „Lösung“ für dieses Problem ist über die Jahre hinweg ein regelrechter „Geschäftszweig“ geworden. Vermeintliche Bauunternehmen, sog. „Servicefirmen“, verkaufen Rechnungen, denen keine Leistung zugrunde liegt, sog. „Abdeckrechnungen“. Für den Außenstehenden stellt es sich auf dem Papier so dar, dass der Rechnungsverkäufer als Subunternehmer die Arbeit X auf der Baustelle Y für den Schwarzlohnzahler und Rechnungskäufer geleistet hat.
Die Rechnung wird ausgestellt, das Geld von dem Rechnungskäufer überwiesen. Ein vermeintlich normaler Arbeitsvorgang. Das, was nicht mehr auf dem Papier auftaucht, sondern bestenfalls für die Ermittlungsbehörde innerhalb der TKÜ und/oder teilweise bei Observationen sichtbar wird, ist der verdeckte Ablauf und der eigentliche Grund des Auftrags: Das von dem Rechnungskäufer an den Rechnungsverkäufer überwiesene Geld wird sodann von dem Rechnungsverkäufer abgehoben und dem Rechnungskäufer in bar sowie verdeckt zurückgezahlt (sog. Kick-back-Zahlung). Der „Service“ der Servicefirma wird dadurch abgegolten, dass eine Provision i. H. v. durchschnittlich 8 - 12 % der Rechnungssumme einbehalten wird. Der Rechnungskäufer besitzt das Bargeld, das er im weiteren Verlauf an seine Mitarbeiter oder Kolonnen zahlen wird.
2. Zeit der Abrechnung
Nachdem das Servicemodell aufgedeckt wurde und sich die Rechnungsverkäufer als Gehilfen und die Rechnungskäufer als Täter verantworten müssen, ist die Berechnung des Schadens vorzunehmen.
Nur selten liegt eine detaillierte Schattenbuchhaltung der Schwarzlohnzahlungen vor, mit der auch der einzelne Schwarzlohnempfänger identifiziert und bestimmt werden kann. In diesen Fällen kann der Schuldumfang ‒ vergleichbar mit anderen Vermögensdelikten ‒ geschätzt werden. Die für die Berechnung der Grundlagen bei der Steuerhinterziehung nach § 370 AO von der Rechtsprechung formulierten Prinzipien sind hier sinngemäß anwendbar.
Nach der unwiderleglichen Vermutung aus § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IV gilt bei Schwarzarbeit eine Nettolohnvereinbarung. Das bedeutet, dass der in bar erzielte Lohn um die jeweiligen Steuern und Sozialversicherungsabgaben hochzurechnen ist. Die jeweiligen Beitragssätze werden gesetzlich ermittelt. Zusätzlich ist die Lohnsteuer anhand der individuellen Steuerklasse zu berechnen, wobei bei Unklarheiten das Gericht den Eingangssteuersatz der Steuerklasse VI ansetzen muss (Gehm, PStR 22, 148).
a) Schätzung anhand der monatlichen Umsätze
Die Methode der umsatzbasierten Schätzung darf als der Klassiker bezeichnet werden. Sie basiert auf den monatlichen Umsätzen des Arbeitgebers, wobei anerkennungsfähige Fremdleistungen wie Zahlungen an existierende und beauftragte Subunternehmen sowie Kosten für Betriebsmittel abgezogen werden. Unter Berücksichtigung einer üblichen Lohnquote von 66,66 % (laut BGH) schätzt das Gericht die Lohnsummen auf Basis dieser bereinigten Umsätze. Es sind auch schon einmal 60 % (BGH 10.11.09, 1 StR 283/09, Abruf-Nr. 100187) oder 70 % (BGH 29.10.09, 1 StR 501/09). Hierbei werden sowohl die an die Einzugsstellen gemeldeten Arbeitsentgelte des Unternehmens als auch die von den „Servicegesellschaften“ gemeldeten Löhne abgezogen. Anschließend berechnet das Gericht die abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge des verbleibenden Betrags.
MERKE | Diese Methode zieht dem Grunde nach eine feststehende Größe (66 %) als Berechnungsgrundlage für jeden Einzelfall heran. |
Bei dem oben genannten BGH-Beschluss vom 29.10.09 hatte die Angeklagte angegeben, dass sie eine Lohnquote im Gerüstbausegment von 70 - 75 % hatte. Dieser Beschluss wird interessanterweise vom BGH in seinem ebenso oben genannten Beschluss vom 10.11.09 (1 StR 283/09) nur wenig später angeführt mit der Erklärung: „Deswegen hält der Senat eine Schätzung des Tatgerichts, das die Nettolohnsumme bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit zwei Dritteln des Nettoumsatzes bemisst, für wirtschaftlich vernünftig und möglich. Dies entspricht auch den Erfahrungen des Senats aus vergleichbaren Verfahren, in denen aufgrund tatsachenfundierter Berechnungen Schwarzlöhne konkret festgestellt wurden, die sich auf mehr als 60 % des Nettoumsatzes belaufen.“
Die umsatzbasierte Schätzung ist besonders ungenau, wenn das Arbeitsfeld nicht lohnintensiv ist. Bei einem Einfamilienhausbau sind die Arbeitsschritte unabhängig von der Größe des Hauses identisch. Im Tiefbau, z. B. beim Verlegen von Glasfasernetzen, liegt die Lohnquote bei etwa 25 %. Es werden hauptsächlich Bauhelfer für einfachere, niedrig bezahlte Arbeiten benötigt (vgl. Artikel „Tatort Glasfaserbau: Warum gerade dort die Schwarzarbeit floriert“ unter iww.de/s14419). Die Baumaßnahmen im Glasfaserbau sind meist schnell abgeschlossen, und die Arbeitskolonnen sind sehr mobil. Maschinen können gemietet werden, was den Kapitalbedarf der Unternehmen reduziert.
b) Schätzung anhand der Summe der Scheinrechnungen
Mit dieser Methode wird geschätzt, dass circa 80 - 90 % der Scheinrechnungssumme für Schwarzlöhne verwendet werden (BGH 13.6.23, 1 StR 126/23, Abruf-Nr. 236201). Soweit das Gericht insgesamt 20 % abzieht, setzen sich diese 20 % aus 10 % vermutete Provision und 10 % Sicherheitsabschlag zusammen. Soweit keine weiteren Bargeldquellen ersichtlich sind, hat diese Methode insbesondere auf den Gebieten „Bau“, „Security“ und „Reinigung“ den Charme, dass sie augenscheinlich sehr nahe an der Realität sein muss, da Schwarzlohn in bar bezahlt und durch Rechnungseinkäufe sowie die entsprechenden Kick-back-Zahlungen generiert wird. Daher hat man eine exakte Methode und muss nicht hoffen, dass die Lohnquote „so wie immer“ bei 66 % liegen wird.
c) Im Einzelfall abweichende Schätzungen ‒ Seltenheitswert
Soweit Unterlagen mit ausreichendem Informationsgehalt vorliegen, kommen auch andere Methoden in Betracht. So hat etwa das AG Nürnberg, dem Grunde nach gebilligt vom LG Nürnberg, folgende Schätzung vorgenommen:
Um die nicht gemeldeten Arbeitsstunden zu ermitteln, wurde auf Basis der Eingangsrechnungen die Gesamtfläche ermittelt, die jede Servicefirma abgerechnet hatte. Anschließend wurden die von den jeweiligen Unternehmen an die S. Bau gemeldeten Arbeitsstunden der Mitarbeiter, die laut Projektdatenbank auf Baustellen der G. K. GmbH bzw. der UG eingesetzt waren, davon abgezogen. Die Differenz ergab die Anzahl der nicht gemeldeten Arbeitsstunden. Diese wurden mit einem Stundenlohn von 11 EUR multipliziert ‒ einem Betrag, der laut Zeugenaussagen als der höchste gezahlte Lohn genannt wurde ‒, um die geschätzten Schwarzlohnzahlungen zu berechnen. Daraufhin wurde der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung aus den gemeldeten Bruttolöhnen der betroffenen Arbeitnehmer anhand der zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen Beitragssätze der AOK berechnet, da die meisten Arbeitnehmer dort versichert waren. Der gesamte Lohnaufwand einer Servicefirma ergibt sich schließlich aus der Summe des regulären Lohnaufwands (Bruttolohn plus Arbeitgeberanteil) und dem ermittelten Schwarzlohnaufwand (LG Nürnberg-Fürth 29.11.24, 18 Qs 30/24).
MERKE | Diese Ausnahmen besitzen jedoch einen solchen Seltenheitswert, dass ein Beispiel hier nur der Vollständigkeit halber skizziert wird. |
3. Was darf’s denn sein bzw. was muss es denn sein?
Beide oben genannten Schätzungsmethoden werden vom BGH gebilligt und stehen gleichwertig nebeneinander. Es besteht daher aktuell noch eine Wahlmöglichkeit. Der BGH hat bisher nicht entschieden, welche Methode, sollte es keine genaueren Informationen geben, zu wählen ist. Zumindest nicht direkt. Einen Hinweis, wie sich der BGH entscheiden könnte, kann man aus dem oben genannten Beschluss aus dem Jahr 2023 entnehmen (BGH 13.6.23, 1 StR 126/23, Abruf-Nr. 236201).
In dem Beschluss wird in dubio pro reo davon ausgegangen, dass bei unbekannten Arbeitnehmern weder die Voraussetzungen für den Zuschlag von Kinderlosen in der Pflegeversicherung pauschal angenommen werden können noch die Kirchensteuerpflicht aufgrund entsprechender Kirchenzugehörigkeit gegeben ist, sondern im Zweifel davon ausgegangen werden muss, dass der anonym gebliebene Arbeitnehmer Kinder hat und nicht in der Kirche ist.
Der BGH stellt richtigerweise fest: „Danach steht die Schätzung insbesondere unter dem Gebot, dass sich unüberwindbare Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken müssen. Erforderlichenfalls muss der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist der Zweifelssatz zu beachten.“ Dies entspricht der unstreitigen Anwendung des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes im Strafrecht, sowie auch im Speziellen festgehalten in der Nr. 127 Abs. 2 AStBV, in der es u. a. heißt: „…dass der Strafrichter die Höhe der Steuerverkürzung nach dem Grundsatz ‚im Zweifel für den Angeklagten‘ prüfen muss …“.
PRAXISHINWEIS | Dem Grundsatz in dubio pro reo folgend, sollte nach einer Verprobung stets die Methode ausgewählt und vertreten werden, die den geringeren Schaden zur Folge hat. Dies ist auch der Verteidigung durch überschlägige Berechnung möglich, um so genügend Argumente zu sammeln, um einen entsprechenden Antrag zu stellen, sollte die Staatsanwaltschaft und/oder das Gericht anderer Meinung sein. Wann der richtige Zeitpunkt dafür ist, muss im Einzelfall geprüft werden. |
Beide Methoden berücksichtigen nicht die Möglichkeit der verdeckten Gewinnausschüttung (vGA). Diese kann insbesondere bei der rechnungsbasierten Schätzung vorliegen, wenn etwa der Rechnungskäufer nicht die gesamten 80 - 90 % für Schwarzlohnzahlungen verwendet, sondern einen Teil für sich behält. Die Beweisbarkeit dürfte im Normalfall nicht einfach sein.
PRAXISHINWEIS | Hier sollte eine exakte Prüfung der Verteidigung erfolgen. Die Folgen einer vGA sind komplex. So würde zwar zum einen der Vorwurf hinsichtlich der Höhe der Ausschüttung des § 266a StGB entfallen, jedoch andererseits steuerrechtliche und steuerstrafrechtliche Folgen entstehen lassen und für den Rechnungskäufer als natürliche Person hinsichtlich der strafrechtlichen Einziehung direkt „durchschlagen“ und nicht zunächst „nur“ die Gesellschaft treffen. |