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  • · Fachbeitrag · Gesetzesentwurf

    Unternehmensstrafrecht ante portas

    von RA Dr. Christian Höll, CF Rechtsanwälte, Fürth

    | Das Justizministerium NRW hat einen Gesetzesentwurf zur Schaffung eines Verbandsstrafgesetzbuchs (VerbStrG-E) vorgestellt. Nach bisheriger Rechtslage sind strafrechtliche Sanktionen nur gegen natürliche Personen möglich, gegen Verbandsstrukturen können nach aktuellem Rechtsstand lediglich Bußgelder - insbesondere nach §§ 130 , 30 OWiG - verhängt werden. Die geplanten Sanktionierungsmaßnahmen sind weitreichend. So sollen Geldstrafen, Verwarnungen mit Strafvorbehalt, öffentliche Bekanntmachungen von Verurteilungen sowie Subventionsausschlüsse, Ausschlüsse bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und die Verbandsauflösung verhängt werden können. |

    1. Mögliche Sanktionsobjekte

    Unter „Verband“ versteht der Gesetzesentwurf juristische Personen, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften des öffentlichen und privaten Rechts. Ausweislich der Gesetzesbegründung kommt es bei nicht rechtsfähigen Vereinen nicht auf den Vereinszweck an, sodass beispielsweise auch karitative Vereine oder Gewerkschaften sanktioniert werden können. Durch die Erfassung auch öffentlich-rechtlicher Personengesellschaften wird die bislang streitige Frage aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht im Sinne einer Sanktionsfähigkeit beantwortet. Die Gesetzesbegründung erwähnt ausdrücklich auch politische Parteien als Sanktionsobjekt.

    2. Zuwiderhandlungen durch Entscheidungsträger

    Eine Verbandssanktion soll nach § 2 VerbStrG-E bei einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Zuwiderhandlung eines Entscheidungsträgers des Verbands, der Angelegenheiten des Verbands wahrnimmt, möglich sein. Hinzukommen muss nach § 2 Abs. 2 VerbStrG-E eine unterlassene Aufsichtsmaßnahme, die die Zuwiderhandlung verhindert oder erschwert hätte. Das Hinzutreten einer unterlassenen Beaufsichtigung ist als objektive Bedingung der Strafbarkeit zu verstehen, sodass sich der Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsvorwurf hierauf nicht zu erstrecken braucht.

     

    Die Zuwiderhandlung wird in § 1 Abs. 2 VerbStrG-E legal definiert. Dort heißt es „Zuwiderhandlungen i.S. dieses Gesetzes sind Zuwiderhandlungen gegen ein Strafgesetz, soweit sie nicht in Ausübung hoheitlicher Befugnisse vorgenommen werden.“ Die Formulierung ist unglücklich gewählt, da „Zuwiderhandlungen“ mit „Zuwiderhandlungen“ definiert werden. Dennoch wird deutlich, dass nur Verstöße gegen ein Strafgesetz als relevante Anknüpfungstaten infrage kommen. Strafgesetze sind Normen des Kern- und Nebenstrafrechts, nicht hingegen Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts. Die Steuerhinterziehung nach § 370 AO wäre eine taugliche Anknüpfungstat, die leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO hingegen nicht.

     

    Zuwiderhandlungen, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse begangen werden, sollen nicht dem Anwendungsbereich unterfallen. Begründet wird dies damit, dass eine Bestrafung des Staates durch den Staat selbst schon aufgrund der Natur des Sanktionenrechts nicht infrage komme. Die Formulierung erinnert an den Gesetzesentwurf zur Einführung einer Strafbarkeit für die Datenhehlerei (Höll, PStR 13, 247). Auch dort soll hoheitliches Handeln nicht vom Tatbestand erfasst sein. Ein Ankauf von Steuer-CDs führte demnach weder zu einer Strafbarkeit nach § 265a StGB-E noch zu einer Sanktion des Verbands, für den der Ankäufer tätig wäre. Eine Verbandsstrafbarkeit wäre auch nicht möglich, wenn eine Strafbarkeit des Ankäufers aus anderen Vorschriften folgte (beispielsweise aus § 17 UWG). Für Verbände, die hoheitliche Tätigkeiten durchführen, bleibt damit nur noch ein Strafbarkeitsrisiko für Fälle bestehen, in denen Entscheidungsträger außerhalb hoheitlicher Befugnisse handeln - wenn z.B. von Hoheitsträgern Bestechungsgelder angenommen werden.

     

    Die Entscheidungsträger sind in § 1 Abs. 3 VerbStrG-E enumerativ aufgezählt. Hierzu zählen die Personen, die aufgrund ihrer formalen Stellung oder ihrer tatsächlichen Leitungsmacht einen Einfluss auf die Aufsichts- und Kontrollmechanismen ausüben können. So ist neben dem formellen Geschäftsführer auch der faktische Geschäftsführer erfasst.

    3. Verbandssanktionen

    § 4 VerbStrG-E unterscheidet zwischen Verbandsstrafen und Verbandsmaßregeln.

     

    3.1 Geldstrafe

    Bei den Strafen ist vor allem die Geldstrafe hervorzuheben, die in § 6 VerbStrG-E näher geregelt ist. Dort findet sich die wortgleiche Regelung wie in § 40 Abs. 1 StGB. Demnach können zwischen 5 und 360 Tagessätze verhängt werden. Sprengkraft hat die Neuregelung jedoch bei der Berechnung der Höhe der einzelnen Tagessätze. Der einzelne Tagessatz der Verbandsgeldstrafe entspricht nach § 6 Abs. 4 VerbStrG-E dem 360. Teil des Jahresertrags des Unternehmens.

     

    Üblicherweise versteht man unter Ertrag die in Geld bewertete Menge an Gütern oder Dienstleistungen, die das Unternehmen in einer bestimmten Zeitperiode produziert hat. Ein Gewinn ergibt sich durch die Differenz von Aufwand und Ertrag. Die Gesetzesbegründung versteht unter Ertrag aber den Betrag, der dem Verband nach notwendigen Finanzierungsaufwendungen sowie dem Abzug aller Steuern verfügbar ist. Dies könnte man nun so verstehen, dass damit zwar sämtliche Steueraufwendungen abzugsfähig sind, aber nur bestimmte sonstige Aufwendungen, namentlich die notwendigen Finanzierungsaufwendungen. Es bleibt jedoch offen, wie es sich mit anderen Aufwendungen wie z.B. Personalaufwand oder Abschreibungen verhält.Nach der Gesetzesbegründung ist recht eindeutig, dass Ertrag nicht gleichbedeutend mit dem Ertrag im betriebswirtschaftlichen Sinne ist, sondern eine gewisse Gewinnermittlung zulässig sein soll. Offen bleibt, ob die Gewinnermittlung nach HGB-Regeln oder steuerrechtlichen Regeln erfolgen soll. Diese Kernfrage kann bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage Unterschiede in Milliardenhöhe nach sich ziehen.

     

    Nimmt man die Begründung des Entwurfs ernst, wäre gegebenenfalls eine strafrechtliche Gewinnermittlung durchzuführen. Hierfür spräche auch der Gleichlauf mit § 40 StGB. Dort ist auf das Nettoeinkommen des Täters abzustellen, wobei es sich nicht um einen steuerrechtlichen, sondern spezifisch strafrechtlichen Begriff handeln soll, der in wirtschaftlicher Betrachtung auszufüllen sei (Fischer, StGB, § 40 Rn. 7). Auch bei natürlichen Personen sind nur bestimmte Aufwendungen abzugsfähig. So kann z.B. Kindesunterhalt berücksichtigt werden, nicht aber Aufwendungen für Wohnung, Verpflegung, Kleidung, Kfz etc. (Kühl in Lackner/Kühl, StGB, § 40 Rn. 11). Eine strafrechtliche Gewinnermittlung zur Bestimmung der Tagessatzhöhe wäre mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden. Es darf bezweifelt werden, dass der Richter diese Aufgabe, die sonst von Wirtschaftsprüfungsunternehmen angeboten wird, im Handumdrehen bewältigen kann. Dieses Problem wird noch intensiviert, wenn man nach § 6 Abs. 5 VerbStrG-E den durchschnittlichen Ertrag der letzten drei Jahre zugrunde legen muss, um damit kurzfristigen Schwankungen von Ertrag und Gesamtumsatz Rechnung zu tragen.

     

    3.2 Verwarnung mit Strafvorbehalt

    Neben der Geldstrafe sieht § 4 VerbStrG-E i.V. mit § 7 VerbStrG-E eine Verwarnung mit Strafvorbehalt vor. Diese soll z.B. zur Anwendung kommen, wenn ein grundsätzlich verlässlicher Entscheidungsträger aufgrund von Überforderung seine Aufgaben nicht pflichtgemäß erfüllt hat oder bestehende Compliance-Strukturen durch kriminelle Zuwiderhandlungen umgangen worden sind.

     

    Die Verwarnung mit Strafvorbehalt kann mit Auflagen/Weisungen verbunden werden. Die Auflagen und Weisungen können bis zu einem Zeitraum von drei Jahren kontrolliert werden. Der Gesetzesentwurf verwendet hierfür den Begriff „Bewährungszeit“. Gemeint ist eine Art Kontrollzeitraum, in dem die Erfüllung der Auflagen und Weisungen überprüft wird. Das Gericht kann die Schadenswiedergutmachung oder die Zahlung einer Geldauflage anweisen. Ferner kann mit Zustimmung des Verbands die Einrichtung eines Compliance-Systems verlangt werden. Die Schadenswiedergutmachung und die Geldauflage ist anders als bei der Einstellung nach § 153a StPO nicht von der Zustimmung des Beschuldigten abhängig. Ferner können sämtliche Auflagen nur durch das Gericht bestimmt werden, sodass eine Einstellung gegen Auflagen durch die Staatsanwaltschaft nicht in Betracht kommt.

     

    3.3 Öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung

    Die Regelung ist angelehnt an § 200 StGB und § 12 Abs. 3 UWG. Erforderlich ist nach § 9 VerbStrG-E die Schädigung einer großen Anzahl von Personen, wobei Personen in diesem Sinne auch juristische Personen sein können. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten, sodass bei einer umfangreichen Medienberichterstattung der Sinn und Zweck einer zusätzlichen gerichtlichen Veröffentlichung fraglich sein kann.

     

    3.4 Maßregeln

    Zusätzlich zu den Strafen können auch Verbandsmaßregeln verhängt werden. Neben dem Subventionsausschluss und dem Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren ist auch die Auflösung des Verbands möglich. Der Ausschluss vom öffentlichen Vergabeverfahren und der Subventionsgewährung kommt bei einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen und mehr infrage. Der Ausschluss wird hierbei für mindestens 1 Jahr und höchstens 10 Jahre (durch Verweis auf § 46 BZRG) angeordnet.

     

    Als ultima ratio wird in § 12 VerbStrG-E die Auflösung des Verbands im Fall einer beharrlichen Wiederholung von Zuwiderhandlungen geregelt. Das gilt auch, wenn die Gefahr besteht, dass auch künftig Zuwiderhandlungen zu befürchten sind. Die Verbandsauflösung kommt nur bei Verbänden infrage, die nach bürgerlichem Recht auflösbar sind, also beispielsweise nicht bei Religions- und Weltanschauungsgesellschaften i.S. des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV, politischen Parteien und Gebietskörperschaften.

    4. Schaffung von Compliance-Strukturen als Ausweg

    Nach § 5 VerbStrG-E wird von Sanktionen abgesehen, wenn der Verband organisatorische und personelle Maßnahmen getroffen hat, um künftig Verbandsstraftaten zu vermeiden.

     

    Im Falle des § 5 Abs. 1 VerbStrG-E hilft die Einführung von Compliance-Strukturen, wenn kein bedeutender Schaden entstanden ist oder dieser zum überwiegenden Teil wieder gutgemacht worden ist. Die genauen Wertgrenzen sollen durch die Rechtsprechung bestimmt werden. M.E. muss der Wert wesentlich höher angesiedelt werden, als etwa im Rahmen von § 69 oder § 142 StGB, wo die Wertgrenze bei 1.300 EUR gezogen wird. Anders als bei Verkehrsdelikten, geht es bei Verbandsstraftaten oft um Delikte mit einer Vielzahl von Geschädigten, jedenfalls aber mit erheblichen Schadenshöhen. Die Anreizfunktion in Bezug auf die Schaffung von Compliance-Strukturen sollte möglichst viele Unternehmen treffen, sodass der bedeutende Schaden jedenfalls nicht unter 1 Mio. EUR angenommen werden sollte.

     

    Eine andere Möglichkeit, drohenden Sanktionen zu entgehen, findet sich in § 5 Abs. 2 VerbStrG-E. Angelehnt an § 46b StGB wird die Aufklärungshilfe in Bezug auf eigene Verfehlungen honoriert, wenn zusätzlich Compliance-Strukturen geschaffen werden, die die Gewähr bieten, dass künftig Zuwiderhandlungen unterbunden werden. Diese Aufklärungshilfe muss sich auf die Verbandsstraftat und nicht nur auf die Zuwiderhandlung des Einzelnen beziehen. Es ist ausdrücklich nicht gewollt, dass der Verband ein „Bauernopfer“ ans Messer liefert, um einer Sanktion zu entgehen. Es müssen also auch die unterbliebenen Aufsichtsmaßnahmen offenbart werden. Notwendig ist die Zurverfügungstellung geeigneter Beweismittel, mit denen der Tatnachweis geführt werden kann. § 5 Abs. 2 VerbStrG-E sieht anders als § 5 Abs. 1 VerbStrG-E keine Wertgrenzen vor. Durch frühzeitige Offenbarung und Schaffung geeigneter Compliance-Strukturen kann daher auch bei bedeutenden Schäden ohne Schadenswiedergutmachung eine Sanktion vermieden werden. Es ist allerdings erforderlich, dass die zur Offenbarung erforderlichen Beweismittel vor Eröffnung der Hauptverhandlung übergeben werden (§ 5 Abs. 4 VerbStrG-E). Die Aufklärungshilfe weist also einen Sperrgrund auf, der allerdings im Vergleich zu § 371 Abs. 2 AO eine geringe Hürde darstellen dürfte. So reicht es sogar aus, wenn die Beweismittel zum Tatnachweis nach Anklageerhebung vorgelegt werden.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2014 | Seite 46 | ID 42437982

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