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  • · Fachbeitrag · Cum-Ex

    Verfassungsbeschwerde erfolglos

    von RA Philipp Külz, FA StR, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA), und RAin Annika Hecker, LL.M., Ebner Stolz, Köln

    | Der Zweite Senat des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde eines wegen Steuerstraftaten im Zusammenhang mit den sog. Cum-Ex-Geschäften Verurteilten nicht zur Entscheidung angenommen. Dieser hatte im Kern gerügt, dass ihm aufgrund der Vorbefassung des Gerichts der gesetzliche Richter i. S. d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG entzogen wurde. |

     

    Sachverhalt

    Das LG Bonn hatte im ersten Strafprozess um die sog. Cum-Ex-Deals zwei britische Börsenmakler wegen Beihilfe zu mehreren Steuerstraftaten verurteilt. Hierbei äußerte sich das LG zur Rolle des Beschwerdeführers (B) im Cum-Ex-Komplex als Haupttäter und führte aus, dass B gemeinschaftlich mit weiteren Personen ‒ als vorsätzlich rechtswidrige Haupttat ‒ Steuerstraftaten begangen habe. Gegen B erfolgte Anklage zum LG Bonn. Der Geschäftsverteilungsplan sah für die Hauptverhandlung des B als Haupttäter dieselbe Strafkammer wie für die bereits abgeurteilten Gehilfen vor. Folge war, dass der Kammervorsitzende und der Berichterstatter bereits an dem Urteil gegen die Börsenhändler mitgewirkt hatten. Das hiergegen durch B nach Eröffnung des Hauptverfahrens gestellte Ablehnungsgesuch wegen der Besorgnis der Befangenheit wies das LG zurück. Einen weiteren Antrag des B, das Verfahren auszusetzen, lehnte die Kammer ebenfalls ab. Anlass für das Vorgehen des B war die ‒ im Zusammenhang mit der Entscheidung über einen Beweisantrag erfolgte ‒ sinngemäße Äußerung des Vorsitzenden, er habe eine abweichende Erinnerung an die im früheren Prozess getätigte Aussage eines Zeugen und bitte zwecks Überprüfung um Überlassung des dem Gericht nicht vorliegenden stenografischen Protokolls. B sah hierin einen gesetzlichen Ausschlussgrund nach § 22 Nr. 5 StPO.

     

    B wurde wegen Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision verwarf der BGH. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich B erfolglos dagegen.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (27.1.23, 2 BvR 1122/22, Abruf-Nr. 234339). Dem B wurde der gesetzliche Richter nicht entzogen. Die Garantie aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG wahrt die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und sichert das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte. Der sich daraus ergebende subjektive Anspruch auf eine Entscheidung durch den gesetzlichen Richter garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist sowie die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Beteiligten bietet. Diesem Ziel dienen im Strafprozess die §§ 22 bis 24 StPO. Auch unter Beachtung des verfassungsgerichtlichen Prüfungsumfangs, wonach die Entscheidung des LG und deren revisionsrechtliche Überprüfung durch den BGH unter Anlegung des Willkürmaßstabs im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen stehen muss, liegt kein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG vor.

     

    Aufgrund der abschließenden gesetzlichen Normierung der Ausschlussgründe wegen einer den Verfahrensgegenstand betreffenden Vortätigkeit des Richters in den §§ 22 ff. StPO müssen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung besondere Umstände hinzukommen, um aus der Vorbefassung auf die fehlende Neutralität zu schließen und die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Verfassungsrechtlich ist diese Rechtsprechung nicht zu beanstanden und steht auch im Einklang mit der EMRK, bei deren Auslegung die Entscheidungen des EuGH zu berücksichtigen sind. Nach EuGH‒Rechtsprechung sind objektive Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters ‒ verankert in Art. 6 Abs. 1 EMRK ‒ insbesondere naheliegend, wenn dieser in einem früheren Urteil in Bezug auf den späteren Angeklagten nicht nur Tatsachen beschrieben, sondern dessen Verhalten ohne Notwendigkeit rechtlich bewertet hat. Allein die Tatsache, dass der Richter zuvor mit der Sache befasst war, reicht nicht aus. Wird im Urteil auf die Beteiligung Dritter Bezug genommen, gegen die später ggf. ein gesondertes Verfahren geführt wird, muss der Sachverhalt trotzdem präzise und nicht als bloße Vermutung festgestellt werden, um die strafrechtliche Verantwortlichkeit der abzuurteilenden Person zu bewerten.

     

    Der Umstand, dass der BGH es revisionsrechtlich nicht beanstandet hat, das Befangenheitsgesuch gegen den Vorsitzenden zu verwerfen, begegnet auch im konkreten Fall vor dem Hintergrund der Gewährleistungen der Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK keinen verfassungsrechtlichen oder konventionsrechtlichen Bedenken. Auf die Feststellung und rechtliche Würdigung der Tatbeiträge des B im früheren Prozess ‒ mithin das Vorliegen einer bestimmten vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat ‒ konnte nicht verzichtet werden. Für die Strafbarkeit der Gehilfen nicht erforderliche Ausführungen dazu, ob B auch schuldhaft gehandelt hat, sind ‒ konventionsrechtliche Anforderungen beachtend ‒ unterblieben.

     

    Da die Befangenheit des Richters als solche nicht vom verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab umfasst ist, bleibt auch die Rüge hinsichtlich der Äußerung des Vorsitzenden auf dessen Erinnerung zur Zeugenvernehmung erfolglos.

     

    Der ebenfalls durch B vorgebrachte Einwand, das Verfahren der Gehilfen hätte nicht vor seinem stattfinden dürfen, greift nicht durch. Angesichts der Vielzahl von Beschäftigten unterschiedlicher Banken und Fallkonstellationen wäre dies insbesondere für Betroffene mit untergeordneten Tatbeiträgen belastend und mit dem Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren.

     

    Relevanz für die Praxis

    Aus Verteidigersicht kann es erfolgversprechend sein, mögliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Befangenheit der Richter im Blick zu halten. Jüngste Entscheidungen zeigen, dass ‒ abweichend von der erörterten Konstellation ‒ Befangenheitsanträge erfolgreich sind und daher im Einzelfall einen wichtigen Verteidigungsansatz bieten können. Darüber hinaus sollten die Verteidiger in den Cum-Ex-Konstellationen auch stets im Interesse aller Beteiligten genau prüfen, inwieweit für sie mögliche Interessenkollisionen gegeben sind und daher eine eigene „Befangenheit“ besteht. Die zahlreichen Verbindungen in den diversen Cum-Ex-Fällen machen es erforderlich, hier auch aufseiten der Verteidigung sehr sorgfältig zu kontrollieren, inwieweit bestimmte Mandate neben anderen geführt werden können.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2023 | Seite 100 | ID 49265727

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