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  • 05.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131192

    Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 28.11.2012 – 3 K 775/12

    1. Ein Verwaltungsakt ist nach § 125 Abs. 1 AO nichtig, wenn die für eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen.

    2. Ein wegen unterlassener Abgabe einer Steuererklärung ergangener Schätzungsbescheid erfordert nach § 121 Abs. 1 AO grundsätzlich keine über die Wertangaben hinausgehende Begründung der Besteuerungsgrundlagen.


    Finanzgericht Nürnberg

    v. 28.11.2012

    3 K 775 / 12

    Tatbestand

    Streitig ist, ob der Einkommensteuerbescheid für 2006 wegen willkürlich erfolgter Strafschätzung nichtig ist und hilfsweise, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

    Die Kläger erzielten im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

    Da die Kläger trotz Aufforderung keine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 einreichten, schätzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen nach § 164 Abs. 1 AO mit Einkommensteuerbescheid vom 29.07.2008 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Hierbei wurden die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers gemäß den elektronisch übermittelten Lohndaten angesetzt, die Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Klägerin wurden i.H.v. 5.000 € geschätzt. Das Finanzamt setzte eine Einkommensteuer für 2006 i.H.v. 13.154 € fest, die von den Klägern auch beglichen wurde. In der Akte ist der handschriftliche Vermerk angebracht: „Schätzung 17. Juli 2008.”

    Die Kläger legten mit Schreiben vom 30. 12 .2008 den Mantelbogen der Einkommensteuererklärung für 2006 mit dem Hinweis vor, dass die Anlagen N und GSE mit entsprechenden Belegen nachgereicht würden. Nach einem Aktenvermerk des Finanzamts auf dem Mantelbogen erfolgte am 11.03.2009 eine telefonische Anforderung der ausstehenden Unterlagen durch das Finanzamt. Die Kläger gaben laut dem Aktenvermerk an, die Anlagen bis Mitte nächster Woche vorzulegen. Die Anlagen N und GSE wurden jedoch zunächst beim Finanzamt nicht eingereicht. Ein weiterer handschriftlicher Aktenvermerk des Finanzamts auf dem Mantelbogen vom 20.08.2009 lautet: „Angeforderte Unterlagen nicht nachgereicht; die Eink. der EF werden i.H.v. 12 .000.- geschätzt.”

    Mit nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 veranlagte das Finanzamt die Kläger gemäß den von diesen eingereichten Teilen der Einkommensteuererklärung und setzte somit geänderte Sonderausgaben und keine Einkünfte aus Kapitalvermögen an. Das Finanzamt erhöhte allerdings die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit auf 12 .000 €. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben. In den Erläuterungen führte das Finanzamt aus: „Sie sind der Aufforderung vom 11.3.2009, die Einkünfte der Ehefrau nachzureichen, nicht nachgekommen, die Einkünfte werden i.H.v. 12 .000.- geschätzt. Es wurden Spendenbelege i.H.v. 935 € anerkannt, soweit abgestempelte Belege vorgelegt wurden. Bitte reichen Sie hierzu die Kontoauszüge nach.”

    Die Kläger erhoben mit Schreiben vom 30.10.2009, welches beim Finanzamt am 03.11.2009 einging, Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009. Zur Begründung trugen sie vor, dass die bereits entrichtete Lohnsteuer nicht berücksichtigt worden sei.

    Mit Schreiben vom 09.11.2009 wies das Finanzamt die Kläger darauf hin, dass der Einspruch verspätet beim Finanzamt eingegangen sei und wies auf die Möglichkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO sowie die Voraussetzungen dieser Norm hin.

    Mit Fax vom 08. 12 .2009 teilten die Kläger mit, dass sie den Einspruch aufrechterhalten.

    Die Kläger reichten mit Schreiben vom 04.04.2010 die Anlage N des Klägers und die Anlage GSE der Klägerin jeweils mit Anlagen ein (Eingang beim FA: 06.04.2010). Sie wiesen in einem Anschreiben darauf hin, dass nunmehr feststehe, dass die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit der Klägerin aus England dort nicht zu versteuern seien. Als Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Klägerin wurden ./. 8.067 € erklärt.

    Mit Fax vom 05.03.2012 stellte die Prozessbevollmächtigte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO und beantragte den Erlass eines Änderungsbescheids für 2006 unter Berücksichtigung der Anlagen N und GSE.

    Das Finanzamt verwarf mit Einspruchsentscheidung vom 17.04.2012 den Einspruch der Kläger als unzulässig.

    Mit der Klage beantragen die Kläger festzustellen, dass der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.04.2012 gemäß § 125 Abs. 1 AO nichtig ist.

    Hilfsweise beantragen sie, den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.04.2012 unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dahin zu ändern, dass die Werbungskosten des Klägers bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von 920 € auf 2.743,20 € erhöht und die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit mit -8.506,53 € angesetzt werden und die Einkommensteuer 2006 entsprechend niedriger festgesetzt wird.

    Für den Fall der Klageabweisung wird beantragt, die Revision zuzulassen.

    Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen:

    Der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 sei wegen einer überhöhten Strafschätzung nichtig. Der Gewinn aus selbständiger Arbeit der Klägerin sei um 140 % von ursprünglich 5.000 € auf 12 .000 € erhöht worden, ohne dass im Bescheid eine Begründung hierfür angegeben worden sei. Eine Nichtigkeit des Bescheids sei dann anzunehmen, wenn die Finanzbehörde subjektiv willkürlich handle und bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätze. Die Voraussetzungen lägen im Streitfall vor. Die Sachbearbeiterin des Finanzamts habe bereits im Gespräch vom 07.08.2009 gegenüber dem Kläger angekündigt, dass sie gegebenenfalls durch eine höhere Schätzung den Druck auf die Kläger, die angeforderten Anlagen abzugeben, erhöhen werde. Damit sei eine Sanktion, nämlich eine Strafschätzung angedroht worden. Wenn der im Bescheid vom 29.07.2008 angesetzte Schätzungswert von 5.000 € noch eine gewisse Relation zu den Werten der Vorjahre aufgewiesen hat, so sei die Schätzung im Bescheid vom 01.09.2009 mit 12 .000 € und damit eine Erhöhung um 140 % außerhalb jeder Relation und sei daher nicht sachgerecht. Es handle sich bei dieser Schätzung um eine Strafschätzung.

    Zudem habe das Finanzamt gegen den Grundsatz verstoßen, dass Schätzungsergebnisse ableitbar, schlüssig und fundiert dargelegt werden müssen. Der Einkommensteuerbescheid vom 01.09.2009 enthalte ein Schätzungsergebnis, das unschlüssig, wirtschaftlich unvernünftig und unwahrscheinlich sei. Ein Bescheid sei nach der Rechtsprechung dann nichtig, wenn er unter Außerachtlassung der Vorgaben des § 162 Abs. 1 Satz 2 AO bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätze oder ein objektiv willkürlicher Hoheitsakt vorliege. Ein willkürlicher Hoheitsakt sei dann anzunehmen, wenn der aufgrund einer Schätzung erlassene Verwaltungsakt inhaltlich Fehler aufweise, die ihn als mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar erscheinen lassen; wenn die Schätzung weit überhöht sei, weil das Finanzamt der Schätzung einen völlig anderen Sachverhalt zugrunde lege, als sich aus den Steuerakten ergebe oder wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und die Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweiche und in keiner Weise erkennbar sei, dass überhaupt oder gegebenenfalls welche Schätzungserwägungen angestellt worden seien. Dies liege im Streitfall vor. Das Amt habe auch gegen die Grundsätze zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen des Bayerischen Landesamtes für Steuern (AO-Kartei zu § 162 AO Karte 1; Stand: 26.05.2006) verstoßen, indem die Schätzung nicht in der Akte dokumentiert und der Vordruck „AV Schätzung 162 AO Druck” nicht verwendet wurde. Die Einkünfte seien in einer Höhe angesetzt worden, dass sich kein Erstattungsbetrag beim Erlass des Bescheids vom 01.09.2009 ergebe.

    Hilfsweise wird die Änderung des Bescheids vom 01.09.2009 unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Einspruchsfrist beantragt. Die unterlassene Anhörung und Begründung für die Erhöhung der Einkünfte der Klägerin um 140 % beim Einkommensteuerbescheid vom 01.09.2009 sei Anlass für die Fristversäumnis gewesen. Nach § 126 Abs. 3 AO gelte damit die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet und damit sei Wiedereinsetzung zu gewähren. Das Finanzamt habe bis heute keine Begründung für die Erhöhung der Einkünfte der Klägerin um 140 % gegeben. Diese fehlende Begründung sei für die Kläger als steuerliche Laien ursächlich für die Fristversäumnis gewesen. Die Prozessbevollmächtigte sei erst seit dem 02.03.2012 auch für das Jahr 2006 mandatiert, zuvor umfasste der Auftrag ausschließlich die Beratung für die Jahre 2007 und 2008.

    Die Klägerin sei als freiberufliche Lehrerin bzw. Dozentin im Klagejahr 2006 u.a. auch in Großbritannien tätig gewesen. Es sei für die Kläger unklar gewesen, ob die Einkünfte aus der Tätigkeit für die x School, London, in Deutschland oder Großbritannien zu versteuern seien. Wegen dieser Unklarheit hätten die Kläger die Einkommensteuererklärung in Deutschland zunächst nicht erstellen können.

    Dieser Sachverhalt sei auch Gegenstand der persönlichen Vorsprache des Klägers bei der Sachbearbeiterin im Finanzamt am 07.08.2009 im Anschluss an einen Termin bei der Umsatzsteuervoranmeldungsstelle gewesen. Hier habe er auf die unklare Situation hinsichtlich der Einkünfte aus Großbritannien hingewiesen. Er habe auch die umgehende Einreichung der fehlenden Unterlagen zugesagt, sobald die Rückmeldung der britischen Finanzbehörden vorliege. Hingegen sei in dem Gespräch nicht über den beabsichtigten Erlass eines Änderungsbescheides oder eine Aufhebung des Vorbehaltes der Nachprüfung gesprochen worden. Am 01.09.2009 erging für die Kläger völlig überraschend der geänderte Einkommensteuerbescheid für 2006. Ebenso unerwartet wurden die Einkünfte aus selbständiger Arbeit erhöht und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Aufgrund des Gesprächs vom 07.08.2009 sei der Kläger davon ausgegangen, dass der Änderungsbescheid keine weiteren Auswirkungen für ihn habe. Insbesondere seien ihm die Konsequenzen der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht bewusst gewesen. Beim Kläger habe nicht der Eindruck bestanden, dass der Bescheid vom 01.09.2009 endgültig sei. Hierzu habe auch die Formulierung in den Erläuterungen für die nur begrenzte Berücksichtigung der Spenden beigetragen, „Bitte reichen Sie hierzu die Kontoauszüge nach.” Dies suggeriere für die für das Streitjahr damals noch nicht steuerlich beratenen Kläger eine nahezu unbegrenzte Möglichkeit der Nachreichung von Belegen.

    Die Sachbearbeiterin des Finanzamts hätte den Kläger darauf hinweisen müssen, dass die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Einkommensteuerbescheid für 2006 vom Finanzamt beabsichtigt sei und das Finanzamt eine höhere Schätzung des Gewinns aus selbständiger Arbeit vornehmen wolle. Das Finanzamt hätte den Kläger auch auf einen Antrag auf Änderung des Bescheids nach § 164 AO bzw. die Einlegung eines Einspruchs hinweisen müssen.

    Weiter könne in der Abgabe des Mantelbogens am 30. 12 .2008 die Einlegung eines Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 29.07.2008 bzw. zumindest eines Antrags auf Änderung des Bescheids nach § 164 AO gesehen werden. Auch wenn die Kläger ausdrücklich keinen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt hätten, sei darin auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 110 AO zu sehen. Auch mit dem Einspruch vom 03.11.2009 sei konkludent ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt worden.

    Das Finanzamt beantragt Klageabweisung.

    Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:

    Eine Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheids für 2006 vom 01.09.2009 gemäß § 125 Abs. 1 AO wegen schwerwiegender Fehler liege nicht vor. Eine Schätzung solle insgesamt in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. Dabei sei zu beachten, dass ein Steuerpflichtiger bei schuldhafter Verletzung seiner Mitwirkungspflichten nicht besser gestellt werden dürfe als derjenige, der seinen Pflichten in vollem Umfang nachkomme. Reiche der Steuerpflichtige trotz Erinnerung die angeforderte Steuererklärung nicht ein, so führe dies zu einer Vergrößerung des Schätzungsrahmens des Finanzamts, innerhalb dessen die Schätzung vorgenommen werden könne. Eine Schätzung, die den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlasse, sei zwar rechtswidrig und müsse daher angefochten werden, um nicht in Rechtskraft zu erwachsen; sie sei aber nicht nichtig. Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für 2006 mit Bescheid vom 01.09.2009 sei zeitgleich mit der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen für 2007 erfolgt, da die Kläger auch hier ihrer Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung nicht nachgekommen seien. Beide Bescheide seien mit Rechentermin vom 24.08.2009 und Bescheiddatum vom 01.09.2009 erfolgt.

    Die Einspruchsfrist sei im Streitfall versäumt. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Einspruchsfrist nach § 110 Abs. 2 AO sei nicht zu gewähren, da hierfür die Voraussetzungen nicht vorliegen würden. Nach § 110 Abs. 3 AO könne nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Damit sei der Antrag auf Wiedereinsetzung mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 05.03.2012 verspätet gestellt. Ob der Einspruch vom 03.11.2009 gleichzeitig auch als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewertet werden könne, sei unerheblich. Das Hindernis, durch das die Fristversäumung verursacht wurde, sei mit Zugang des Einkommensteuerbescheids für 2006 (gemäß Zugangsfiktion am 04.09.2009) weggefallen. Den Zugang des Einkommensteuerbescheids vom 01.09.2009 hätten die Kläger nicht bestritten. Damit habe die Frist für die Einspruchseinlegung, den Wiedereinsetzungsantrag oder die Nachholung der versäumten Handlung bereits mit Ablauf des 05.10.2009 geendet. Eine Fristversäumnis sei nur dann als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte.

    Zwar gelte die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet nach § 126 Abs. 3 Satz 1 AO , wenn dem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehle. Im Streitfall sei jedoch die erforderliche Begründung durch den Zusatz gegeben worden „Sie sind der Aufforderung vom 11.3.2009, die Einkünfte der Ehefrau nachzureichen, nicht nachgekommen. Die Einkünfte wurden i.H.v. 12 .000 geschätzt”. Jeder Steuerbescheid, wie auch der angefochtene Steuerbescheid enthalte eine Rechtsbehelfsbelehrung. Zu der einem Steuerpflichtigen zumutbaren Sorgfalt gehöre es, einen erhaltenen Steuerbescheid auf seinen Inhalt zu überprüfen.

    Auch ein Irrtum über die materielle Rechtslage (Besteuerung der Einkünfte in Deutschland oder Großbritannien?) rechtfertige regelmäßig keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BFH-Beschluss vom 29.04.2009 VIII B 13/02 ). Zumindest sei der Irrtum verschuldet, denn die Steuerpflichtigen hätten es unterlassen, sich über die Rechtslage, wenn notwendig auch mit Hilfe rechtskundiger Berater, zu informieren.

    Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, die Sitzungsniederschrift und die dem Gericht vorliegenden Akten des Finanzamts verwiesen.

    Dem Gericht liegen die vom Finanzamt überlassenen Einkommensteuerakten der Kläger für die Jahre 2005 bis 2008 mit der St.Nr. ..., eine Heftung Einnahmen-Überschussrechnung für die Jahre 2006 bis 2008 sowie eine Heftung über den Erklärungseingang und die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2000 bis 2004 und eine Heftung Rechtsbehelfsakte vor.


    Gründe

    Die Klage hat keinen Erfolg.

    I.

    Der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.04.2012 ist nicht nichtig.

    Nach § 125 Abs. 1 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt --und damit auch ein Steuerbescheid-- nur dann nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.

    Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Um das Anfechtungserfordernis im Interesse der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen, hat die Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Fehler nur angenommen, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss anhand der jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschriften beurteilt werden (BFH-Urteile vom 20. Dezember 2000 I R 50/00 , BFHE 194, 1, BStBl 2001 II S. 381 m.w.N.; vom 15. Mai 2002 X R 34/99, juris; BFH-Beschlüsse vom 12 . Februar 2010 VIII B 192/09, BFH/NV 2010, 833; und vom 20. Oktober 2005 IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240; Seer bei Tipke/Kruse, AO/FGO, § 125 FGO Rz. 4).

    Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, zu der die Finanzbehörden insbesondere bei Verletzung von Mitwirkungspflichten berechtigt und verpflichtet sind, verlangt die Berücksichtigung aller für die anzuwendende Steuerrechtsnorm einschlägigen Umstände. Die Vorschriften über die Schätzung erlauben es, Tatsachenfeststellungen mit einem geringeren Grad an Überzeugung zu treffen, als dies in der Regel (nach § 88 AO 1977) geboten ist (sog. Reduzierung des Beweismaßes; vgl. BFH-Urteile vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462; vom 14. August 1991 X R 86/88, BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128). Der Grad der grundsätzlich erforderlichen Gewissheit („Überzeugung”) reduziert sich in der Weise, dass der Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden darf. Dies bedeutet, dass sich das Gericht hinsichtlich nicht feststehender Tatsachen über gegebene Zweifel hinwegsetzen kann. Stets ist freilich vorauszusetzen, dass die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder nicht berechnet werden können (§ 162 Abs. 1 AO 1977). Andererseits ist das gewonnene Schätzungsergebnis nur dann schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig (vgl. BFH-Beschluss vom 28. März 2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217, m.w.N. der Rechtsprechung), wenn feststehende Tatsachen berücksichtigt werden. Eine Schätzung erscheint nicht schon deswegen als rechtswidrig, weil sie von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht; solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Schätzung erweist sich vielmehr erst dann als rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt. Wird die Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige --wie im Streitfall-- seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das Finanzamt an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (BFH-Beschluss vom 15. Mai 2002 X R 34/99, juris; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 AO 1977 Rz. 45). Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits ihre Nichtigkeit zur Folge. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf der Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen (BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381; vom 15. Mai 2002 X R 34/99, juris). Nichtigkeit ist jedoch anzunehmen, wenn sich das Finanzamt nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 AO 1977 an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren sind, können einen besonders schweren Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 AO 1977 abgeben (vgl. BFH-Urteil vom 15. Mai 2002 X R 34/99, juris; BFH-Beschluss vom 20. Oktober 2005 IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240; Cöster in Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage, § 162 Rz. 128; Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 162 AO 1977 Rz. 42; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl. 2009, § 162 Rz. 50).

    Willkürlich und damit nichtig i.S. von § 125 Abs. 1 AO 1977 ist ein Schätzungsbescheid nicht nur bei subjektiver Willkür des handelnden Bediensteten. Auch wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden, wenn somit ein „objektiv willkürlicher” Hoheitsakt vorliegt, ist Nichtigkeit i.S. von § 125 Abs. 1 AO 1977 gegeben. Es ist dann davon auszugehen, dass die Schätzung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang steht, da das Finanzamt grundsätzlich gehalten ist, diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, auszuschöpfen (BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381). Selbst wenn derartige Erkenntnismöglichkeiten und auch andere geeignete Anhaltspunkte für die Schätzung fehlen, muss es Ziel der Schätzung sein, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln. Die Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, „die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten” (BFH in BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381); „Strafschätzungen” eher enteignungsgleichen Charakters gilt es zu vermeiden. Jedoch führen auch mehrere grobe Schätzungsfehler bei der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen regelmäßig nicht zu der Annahme, das Finanzamt habe bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt. Der Schätzungsbescheid ist dann zwar rechtswidrig und anfechtbar, nicht aber nichtig (BFH-Beschluss vom 20. Oktober 2005 IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240).

    Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall liegt nach Auffassung des Senats keine Nichtigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsaktes vor. Die streitgegenständliche Schätzung beruht nicht auf einer krassen Abweichung von den tatsächlichen Gegebenheiten und ist auch nicht als willkürlicher Hoheitsakt im Sinne einer nichtigen Steuerfestsetzung anzusehen. Soweit die Kläger darauf hinweisen, dass aus den Steuerakten nicht erkennbar sei, welche konkreten Schätzungserwägungen das Amt angestellt habe, führt dieser Umstand nicht zur Nichtigkeit des Bescheides gem. § 125 Abs. 1 AO . Den Klägern ist zwar insofern zuzustimmen, als dass sich aus der Steuerakte nicht objektiv nachprüfbar ableiten lässt, welche konkreten Schätzungserwägungen zu der Steuerfestsetzung im ESt-Bescheid vom 01.09.2009 geführt haben. Hinsichtlich der Schätzungserwägungen enthält die Einkommensteuerakte der Kläger für 2006 nur den Vermerk: „Angeforderte Unterlagen nicht nachgereicht; die Eink. der EF werden i.H.v. 12 .000.- geschätzt.” Allerdings geht der Senat entgegen der Vermutung der Kläger, dass das Finanzamt gar keine Schätzungserwägungen angestellt habe, davon aus, dass bei dem Erlass des Schätzungsbescheides vom 01.09.2009 durchaus Erwägungen hinsichtlich der zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen angestellt wurden, diese jedoch lediglich nicht dokumentiert worden sind. Hierfür spricht einerseits der Umstand, dass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit entsprechend der erklärten Einkünfte in den Vorjahren -allerdings erhöht- geschätzt wurden. Andererseits lässt sich daraus, dass das Finanzamt die Einkünfte aus selbständiger Arbeit gegenüber dem von den Klägern bis dahin nicht beanstandeten Schätzungsbetrag i.H.v. 5.000 € im Bescheid vom 29.07.2008 nach Einreichung der Einkommensteuererklärung für 2005 mit erklärten Einkünften von 6.096 €, erhöht hat, ableiten, dass das Finanzamt sehr wohl auch diesbezüglich Erwägungen angestellt hat. Allein daraus, dass diese Erwägungen nicht dokumentiert wurden, lässt sich jedenfalls nicht herleiten, dass die Behörde gar keine Schätzungserwägungen angestellt hat.

    Im Streitfall hat sich das Finanzamt nach Auffassung des Senats an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen, nämlich den erklärten Einkünften aus selbständiger Arbeit der Vorjahre orientiert und somit nicht bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt. Es stand fest, dass die Klägerin im gesamten Streitjahr Einkünfte erzielt hat. Das Amt hatte mit Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 11.07.2007 die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Vorjahres zunächst mit 5.000 € geschätzt. Dann hat es mit Bescheid vom 23.04.2008 die geschätzten Einkünfte auf 7.500 € erhöht und in den Erläuterungen des Einkommensteuerbescheids für 2005 vom 23.04.2008 ausgeführt, dass ein Unsicherheitszuschlag vorgenommen wurde, da zu vermuten ist, dass die Steuerpflichtigen eine zu niedrige Schätzung hingenommen hätten. In dem nach Erklärungseingang mit der Einspruchsentscheidung vom 16.01.2009 erlassenen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2005 werden dann die selbständigen Einkünfte des Vorjahres mit 6.096 € angesetzt. Damit drängte sich im August 2009 bei Überprüfung des Einkommensteuerbescheids für 2006 vom 29.07.2008 auf, dass bei tatsächlich erklärten Einkünften i.H.v. 6.096 € im Vorjahr der geschätzte Wert von 5.000 € für das Streitjahr eher niedrig lag. Damit war bei der Überprüfung des Einkommensteuerbescheids für 2006 vom 29.07.2008 und dem Erlass des geänderten Bescheids die vorgenommene Erhöhung dieser geschätzten Einkünfte keinesfalls eine bewusste Schätzung zum Nachteil der Steuerpflichtigen. Die Höhe der Schätzung weicht auch nicht krass von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Dies zeigt neben den Einkünften aus 2005 auch der Vergleich mit den erklärten Einkünften aus selbständiger Arbeit der weiteren Vorjahre. Zwar hatte das Finanzamt mit Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 11.09.2007 die Einkünfte aus selbständiger Arbeit mit 4.188 € im Jahr 2004 angesetzt, aber im Jahr 2000 waren Einkünfte i.H.v. 20.107 DM, im Jahr 2001 i.H.v. 27.550 DM, im Jahr 2002 i.H.v. 6.430 € und 2003 i.H.v. 6.039 € erklärt und veranlagt. Die geschätzten Einkünfte für 2006 im Bescheid vom 01.09.2009 liegen in diesem Rahmen bzw. überschreiten ihn nicht erheblich. Auch nach der vom Kläger angeführten Vorsprache vom 07.08.2009 war nur fraglich, ob die in England erzielten Einkünfte in Deutschland zu versteuern sind. Das Finanzamt durfte durchaus davon ausgehen, dass aus der Tätigkeit in England Einkünfte in einer im Vergleich zu den Einkünften in Deutschland zumindest gleichen positiven Höhe erzielt werden. Es ist auch nicht abwegig, anzunehmen, dass die Einkünfte 2006 höher sind als die der Vorjahre und die in England erzielten Einkünfte höher als die deutschen Einkünfte ausfallen. Die vorgenommene Schätzung sanktioniert somit nicht die Verletzung der Steuererklärungspflicht und ist auch keine Strafschätzung. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass als Grundlage für die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen dem Finanzamt nur die erklärten Einkünfte der Vorjahre zur Verfügung standen, nicht aber zum Beispiel Umsatzsteuervoranmeldungen, denn die Klägerin hatte nicht nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung verzichtet. Im Streitfall liegen zwar Schätzungsfehler des Finanzamts bei der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vor. Es kann hierbei offen bleiben, ob sogar grobe Schätzungsfehler vorliegen. Jedenfalls hat das Finanzamt aber weder bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt noch ist es krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abgewichen ohne dass erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden.

    Es ist weiter nachvollziehbar und nicht willkürlich, dass der am 30. 12 .2008 eingereichte Mantelbogen im Hinblick auf die im Anschreiben angekündigte und im Telefongespräch vom 11.03.2009 bestätigte Nachreichung der fehlenden Unterlagen zunächst nicht bearbeitet wurde. Die Sachbearbeiterin des Finanzamts bearbeitete dann am 20.08.2009 den hier streitgegenständlichen Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009, ebenso den erstmaligen Einkommensteuerbescheid für 2007 –mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen– und den Einspruch gegen den Vorauszahlungsbescheid für 2008. Ob die Vorsprache vom 07.08.2009 Anlass für die Tätigkeit der Sachbearbeiterin war, ist irrelevant, denn es wurde weder bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt noch weicht die Schätzung aus damaliger Sicht krass von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Gemäß den Verfügungen der AO Kartei (AO-Kartei zu § 162 AO Karte 1; Stand: 26.05.2006) bzw. Ziffer 4 des AEAO erfolgte bei der wiederum erforderlichen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen des Folgejahres 2007 eine Überprüfung der geschätzten Besteuerungsgrundlagen für 2006. Das Amt nahm einige Änderungen vor und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Diese Vorgehensweise entspricht damit den Verwaltungsvorschriften, sie weicht nicht krass von den tatsächlichen Gegebenheiten ab und beinhaltet auch keine Strafschätzung. Es bestand auch keine Veranlassung für das Finanzamt Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit über den angesetzten Pauschbetrag hinaus zu berücksichtigen, denn der Steuerpflichtige trägt hierfür die Beweislast (BFH-Urteil vom 07.07.1983 VII R 43/80, BStBl II 1983, 760; Schmidt/Loschelder, EStG, 31. Auflage, § 9 Rz. 186).

    II.

    Die Klage hat auch im Hilfsantrag keinen Erfolg, da der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 bestandskräftig ist. Es wurde kein Einspruch eingelegt, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.

    Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Nach § 357 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der Einspruch schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären.

    Im Streitfall gilt der Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 als am 04.09.2009 bekannt gegeben. Die einmonatige Einspruchsfrist endete nach § 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2, 193 Bürgerliches Gesetzbuch mit Ablauf des 05.10.2009 (Montag). Das Einspruchsschreiben des Klägers vom 30.10.2009 ging erst am 03.11.2009 beim Finanzamt ein. Die Einspruchsfrist ist damit versäumt worden. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten auch nicht aus der Formulierung in den Erläuterungen des Bescheids vom 01.09.2009, dass Belege über Spenden nachgereicht werden können. Entscheidend ist auf die im Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 01.09.2009 angegebene zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung abzustellen. Zu Recht hat das Finanzamt die Einreichung des Mantelbogens am 30. 12 .2008 nicht als Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 29.07.2008 ausgelegt. Zwar muss der Ausdruck „Einspruch” oder „Rechtsbehelf” nicht verwendet werden, es muss jedoch aus der Erklärung hervorgehen, dass der Steuerpflichtige mit einem Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung nicht einverstanden ist und dessen Nachprüfung begehrt (Seer bei Tipke/Kruse. AO/FGO, § 357 AO Rz. 4). Hierfür ergibt sich weder aus dem Mantelbogen noch dem Anschreiben vom 30. 12 .2008 etwas. Es ist eine schlichte Einreichung von Teilen einer Steuererklärung. Dies ergibt sich aus Betreffangabe, fehlender Benennung des Einkommensteuerbescheids vom 29.07.2008 und insbesondere fehlender Hinweise, dass die Kläger mit einem Verwaltungsakt oder dessen Unterlassung nicht einverstanden sind und dessen rechtliche Nachprüfung begehren.

    Zu Recht hat das Finanzamt auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) gewährt. Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 110 Abs. 2 S. 1 AO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen; lediglich die Glaubhaftmachung kann nachgeholt werden ( BFH-Urteil vom 13. 12 .2007 VI R 75/04 , BFH/NV 2008, 424; BFH-Beschluss vom 10. 12 .2010 V R 60/09 , BFH/NV 2011, 617; Klein/Rätke, AO, 10. Auflage, § 110 Rz. 45; Brandis bei Tipke/Kruse, AO/FGO, § 110 AO Rz. 32). Zweck dieser Befristung ist die Sicherung einer zügigen und sachgemäßen Behandlung eines Wiedereinsetzungsbegehrens, um die Unsicherheit, ob es bei den Folgen der Fristversäumnis bleibt oder nicht, in engen Grenzen zu halten. Der Antragsteller soll nicht später neue, möglicherweise wechselnde Gründe vortragen können, für deren Glaubhaftmachung er sich bessere Erfolgsaussichten erhofft (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO/FGO, 110 AO Rn. 507 m.w.N.). Jedes Verschulden -also auch einfache Fahrlässigkeit- schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Nach § 126 Abs. 3 Satz 1 AO gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet, wenn einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung fehlt oder die erforderliche Anhörung eines Beteiligten unterblieben ist und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden ist.

    Im vorliegenden Fall ist der Bescheid vom 01.09.2009 jedoch im Sinne des § 121 Abs. 1 AO ausreichend begründet. Das Finanzamt hat im Erläuterungsteil des Bescheids darauf hingewiesen, dass eine Erklärung zu den Einkünften der Ehefrau nicht nachgereicht wurde und daher die Einkünfte i.H.v. 12 .000.- geschätzt werden. Damit wurde der Funktion des § 121 Abs. 1 AO, den Steuerpflichtigen -über die deutlich erkennbare rein zahlenmäßige Abweichung hinaus- auf den Anlass und die Gründe der durchgeführten Änderung aufmerksam zu machen, Genüge getan. Ein wegen unterlassener Abgabe einer Steuererklärung ergangener Schätzungsbescheid erfordert nach ständiger BFH Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, grundsätzlich keine über die Wertangaben hinausgehende Begründung der Besteuerungsgrundlagen (BFH-Urteil vom 11. Februar 1999 V R 40/98, BFHE 188, 10, BStBl II 1999, 382; FG München, Urteil vom 14.03.2005 10 K 1418/02, juris).

    Auch eine nach Vortrag der Prozessbevollmächtigten vor Erlass des Einkommensteuerbescheids vom 01.09.2009 unterbliebene Anhörung der Kläger begründet keinen Wiedereinsetzungsgrund. Zum einen wurde der Kläger nach seiner eigenen Einlassung durch die persönliche Vorsprache am 07.08.2009 auf die mögliche Erhöhung der Schätzung hingewiesen und damit eine Anhörung vorgenommen. Zum anderen wäre der Umstand der insoweit unterbliebenen Anhörung nicht ursächlich dafür, dass die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt wurde. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 13. Dezember 1984 VIII R 19/81, BFHE 143, 106, BStBl 1985, 601) ist eine unterbliebene Anhörung für die Versäumung der Einspruchsfrist jedenfalls dann nicht ursächlich, wenn der Steuerpflichtige im Bescheid auf die Gründe der Änderung hingewiesen wurde und dadurch Gelegenheit erhalten hat, sich innerhalb der Rechtsbehelfsfrist gegen diese Änderung und die ihr zugrundeliegende Rechtsansicht des Finanzamts zu wenden. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass ein vor Erlass des Bescheids entstandenes Anhörungsdefizit nach dessen Erlass für die Versäumung der Einspruchsfrist noch ursächlich gewesen sein könnte, die Kläger also infolge eines solchen Mangels etwa die mit dem Bescheid verbundene Beschwer nicht erkannt hätten oder hätten erkennen können bzw. überhaupt in einen (entschuldbaren) Irrtum über die Notwendigkeit rechtzeitiger Anfechtung und deren Modalitäten versetzt worden wären, über die sie ja auch im Bescheid ausreichend belehrt worden waren (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss vom 30.05.2001 X B 7/01, in Juris). Danach waren die Kläger nicht ohne Verschulden gehindert, die Einspruchsfrist einzuhalten.

    Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Einspruchsfrist scheitert auch daran, dass die Kläger auch die Wiedereinsetzungsfrist des § 110 Abs. 2 S. 1 AO versäumt haben. Denn danach wäre der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen gewesen. Insoweit sieht § 126 Abs. 3 S. 2 AO jedoch vor, dass das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 AO maßgebende Ereignis im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung eintritt. Das wäre im Streitfall die Einlegung des Einspruchs vom 03.11.2009.

    Auch wenn man den Einspruch vom 03.11.2009 zusätzlich als Wiedereinsetzungsantrag auslegt, wäre eine Wiedereinsetzung nicht zu gewähren. Die Kläger haben in diesem Schreiben nicht diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Sie haben im Einspruchsschreiben vom 03.11.2009 und im Schreiben vom 08. 12 .2009 noch nicht einmal die Probleme mit den britischen Einkünften bzw. der britischen Steuerbehörde angesprochen. Erst im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 05.03.2012 werden Gründe für eine Wiedereinsetzung angeführt. Dies wäre aber verspätet.

    Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Einspruchsfrist ist deshalb nicht möglich, da der Wiedereinsetzungsantrag erst über ein Jahr nach Ende der versäumten Frist gestellt wurde. Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nach § 110 Abs. 3 AO nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Im Streitfall wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erst mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 05.03.2012 gestellt und damit erst 2 Jahre und 5 Monate nach Ablauf der versäumten Frist. Weder in der Einreichung des Mantelbogens am 30. 12 .2008 noch im Einspruchsschreiben der Kläger vom 03.11.2009 kann ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gesehen werden. Auch auf den Hinweis des Finanzamts mit Schreiben vom 09.11.2009, dass der Einspruch verspätet sei aber die Möglichkeit eines Antrag auf Wiedereinsetzung besteht, erfolgte kein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach Angaben der Klägerseite eine persönliche Vorsprache des Klägers am 07.08.2009 bei der Sachbearbeiterin des Finanzamts stattfand. Es bestand kein Anlass für die Sachbearbeiterin, die Einlegung eines Einspruchs gegen den Bescheid vom 29.07.2008 oder einen Antrag auf Berichtigung nach § 164 AO anzuregen. Nach § 89 Abs. 1 AO soll die Finanzbehörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Sie erteilt, soweit erforderlich, Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte und die ihnen obliegenden Pflichten. Jedoch hat das Finanzamt keine allgemeine materiell-rechtliche Beratungspflicht. Die Betreuungspflicht greift nur dann ein, wenn sich dem Finanzamt die Fehlerhaftigkeit des Beteiligtenverhaltens aufdrängt und es davon ausgehen muss, dass der Steuerpflichtige bei Kenntnis aller Rechte und Pflichten eine andere, zweckmäßigere Erklärung abgegeben hätte (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 6). Der Bescheid vom 29.07.2008 stand zum Zeitpunkt der Vorsprache unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, d.h. er war in jeder Hinsicht änderbar. Das Finanzamt kann dann bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist eine Nachprüfung noch durchführen (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 164 AO Rz. 33f). Es bestand also kein Anlass für das Finanzamt auf eine Einspruchsmöglichkeit oder einen Antrag auf Berichtigung nach § 164 AO hinzuweisen. Auf die Möglichkeit einer „Verböserung” des Einkommensteuerbescheides für 2006 mit einer noch höheren Steuerfestsetzung, wenn die Kläger die noch ausstehenden Unterlagen nicht einreichen, hat die Sachbearbeiterin nach Mitteilung der Prozessbevollmächtigten ja hingewiesen.

    Nicht verständlich ist die Argumentation der Prozessbevollmächtigten, dass in der Einreichung des Mantelbogens am 30. 12 .2008 ein Antrag auf Änderung nach § 164 Abs. 2 AO liege. Selbst wenn eine dementsprechende Auslegung möglich wäre, wäre dem Antrag doch mit dem Bescheid vom 01.09.2009 entsprochen.

    Die Revision war nicht zuzulassen, da nach Auffassung des Senats keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Zulassungsgründe gegeben ist. Die Streitsache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Die Entscheidung des Senats folgt der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Nichtigkeit von Steuerbescheiden und zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.

    RechtsgebietAOVorschriftenAO § 121 Abs. 1 AO § 125 Abs.1 AO § 355 Abs. 1 Satz 1 AO § 110 Abs. 1

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